II. Konflikt zwischen Ausdehnung der Produktion und Verwertung

[256] Die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit zeigt sich doppelt: Erstens in der Größe der schon produzierten Produktivkräfte, in dem Wertumfang und Massenumfang der Produktionsbedingungen, worunter die Neuproduktion stattfindet, und in der absoluten Größe des schon akkumulierten produktiven Kapitals; zweitens in der verhältnismäßigen Kleinheit des im Arbeitslohn ausgelegten Kapitalteils gegen das Gesamtkapital, d.h. in der verhältnismäßigen Kleinheit der lebendigen Arbeit, die zur Reproduktion und Verwertung eines gegebnen Kapitals, zur Massenproduktion erheischt ist. Es unterstellt dies zugleich Konzentration des Kapitals.

Mit Bezug auf die angewandte Arbeitskraft zeigt sich die Entwicklung der Produktivkraft wieder doppelt: Erstens in der Vermehrung der Mehrarbeit, d.h. der Abkürzung der notwendigen Arbeitszeit, die zur Reproduktion der Arbeitskraft erheischt ist. Zweitens in der Abnahme der Menge von Arbeitskraft (Arbeiterzahl), die überhaupt angewandt wird, um ein gegebnes Kapital in Bewegung zu setzen.

Beide Bewegungen gehn nicht nur Hand in Hand, sondern bedingen sich wechselseitig, sind Erscheinungen, worin sich dasselbe Gesetz ausdrückt. Indes wirken sie in entgegengesetzter Richtung auf die Profitrate. Die Gesamtmasse des Profits ist gleich der Gesamtmasse des Mehrwerts, die Profitrate = m/C = Mehrwert/Vorgeschoßnes Gesamtkapital. Der Mehrwert aber, als Gesamtbetrag, ist bestimmt erstens durch seine Rate, zweitens aber durch die Masse der zu dieser Rate gleichzeitig angewandten Arbeit, oder was dasselbe, durch die Größe des variablen Kapitals. Nach der einen Seite hinsteigt der eine Faktor, die Rate des Mehrwerts; nach der andren fällt (verhältnismäßig oder absolut) der andre Faktor, die Anzahl der Arbeiter. Soweit die Entwicklung der Produktionskraft den bezahlten Teil der angewandten Arbeit vermindert, steigert sie den Mehrwert, weil seine Rate; soweit sie jedoch die Gesamtmasse der von einem gegebnen Kapital angewandten Arbeit vermindert, vermindert sie den Faktor der Anzahl, womit die Rate des Mehrwerts multipliziert wird, um seine Masse herauszubringen. Zwei Arbeiter, die 12 Stunden täglich arbeiten, können nicht dieselbe Masse Mehrwert liefern wie 24, die jeder nur 2 Stunden arbeiten, selbst wenn sie von der Luft leben könnten und daher gar nicht für sich selbst zu arbeiten hätten. In dieser Beziehung hat also die Kompensation[257] der verringerten Arbeiterzahl durch Steigerung des Exploitationsgrads der Arbeit gewisse nicht überschreitbare Grenzen; sie kann daher den Fall der Profitrate wohl hemmen, aber nicht aufheben.

Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise fällt also die Rate des Profits, während seine Masse mit der zunehmenden Masse des angewandten Kapitals steigt. Die Rate gegeben, hängt die absolute Masse, worin das Kapital wächst, ab von seiner vorhandnen Größe. Aber andrerseits diese Größe gegeben, hängt das Verhältnis, worin es wächst, die Rate seines Wachstums, von der Profitrate ab. Direkt kann die Steigerung der Produktivkraft (die außerdem, wie erwähnt, stets mit Entwertung des vorhandnen Kapitals Hand in Hand geht) die Wertgröße des Kapitals nur vermehren, wenn sie durch Erhöhung der Profitrate den Wertteil des jährlichen Produkts vermehrt, der in Kapital rückverwandelt wird. Soweit die Produktivkraft der Arbeit in Betracht kommt, kann dies nur geschehn (denn diese Produktivkraft hat direkt nichts zu tun mit dem Wert des vorhandnen Kapitals), soweit dadurch entweder der relative Mehrwert erhöht oder der Wert des konstanten Kapitals vermindert wird, also die Waren verwohlfeilert werden, die entweder in die Reproduktion der Arbeitskraft oder in die Elemente des konstanten Kapitals eingehn. Beides schließt aber Entwertung des vorhandnen Kapitals ein, und beides geht Hand in Hand mit der Verminderung des variablen Kapitals gegenüber dem konstanten. Beides bedingt den Fall der Profitrate und beides verlangsamt ihn. Sofern ferner gesteigerte Profitrate gesteigerte Nachfrage nach Arbeit verursacht, wirkt sie auf Vermehrung der Arbeiterbevölkerung und damit des exploitablen Materials, das das Kapital erst zu Kapital macht.

Aber indirekt trägt die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit bei zur Vermehrung des vorhandnen Kapitalwerts, indem sie die Masse und Mannigfaltigkeit der Gebrauchswerte vermehrt, worin sich derselbe Tauschwert darstellt, und die das materielle Substrat, die sachlichen Elemente des Kapitals bilden, die stofflichen Gegenstände, woraus das konstante Kapital direkt und das variable wenigstens indirekt besteht. Mit demselben Kapital und derselben Arbeit werden mehr Dinge geschaffen, die in Kapital verwandelt werden können, abgesehn von ihrem Tauschwert. Dinge, die dazu dienen können, zusätzliche Arbeit einzusaugen, also auch zusätzliche Mehrarbeit, und so zusätzliches Kapital zu bilden. Die Masse Arbeit, die das Kapital kommandieren kann, hängt nicht ab von seinem Wert, sondern von der Masse der Roh- und Hilfsstoffe, der Maschinerie und Elemente des fixen Kapitals, der Lebensmittel, woraus es zusammengesetzt ist, was immer deren Wert sei. Indem damit die Masse der angewandten Arbeit,[258] also auch Mehrarbeit, wächst, wächst auch der Wert des reproduzierten Kapitals und der ihm neu zugesetzte Surpluswert.

Diese beiden im Akkumulationsprozeß einbegriffnen Momente sind aber nicht nur in dem ruhigen Nebeneinander zu betrachten, worin Ricardo sie behandelt; sie schließen einen Widerspruch ein, der sich in widersprechenden Tendenzen und Erscheinungen kundgibt. Die widerstreitenden Agentien wirken gleichzeitig gegeneinander.

Gleichzeitig mit den Antrieben zur wirklichen Vermehrung der Arbeiterbevölkerung, die aus der Vermehrung des als Kapital wirkenden Teils des gesellschaftlichen Gesamtprodukts stammen, wirken die Agentien, die eine nur relative Übervölkerung schaffen.

Gleichzeitig mit dem Fall der Profitrate wächst die Masse der Kapitale, und geht Hand in Hand mit ihr eine Entwertung des vorhandnen Kapitals, welche diesen Fall aufhält und der Akkumulation von Kapitalwert einen beschleunigenden Antrieb gibt.

Gleichzeitig mit der Entwicklung der Produktivkraft entwickelt sich die höhere Zusammensetzung des Kapitals, die relative Abnahme des variablen Teils gegen den konstanten.

Diese verschiednen Einflüsse machen sich bald mehr nebeneinander im Raum, bald mehr nacheinander in der Zeit geltend; periodisch macht sich der Konflikt der widerstreitenden Agentien in Krisen Luft. Die Krisen sind immer nur momentane gewaltsame Lösungen der vorhandnen Widersprüche, gewaltsame Eruptionen, die das gestörte Gleichgewicht für den Augenblick wiederherstellen.

Der Widerspruch, ganz allgemein ausgedrückt, besteht darin, daß die kapitalistische Produktionsweise eine Tendenz einschließt nach absoluter Entwicklung der Produktivkräfte, abgesehn vom Wert und dem in ihm eingeschloßnen Mehrwert, auch abgesehn von den gesellschaftlichen Verhältnissen, innerhalb deren die kapitalistische Produktion stattfindet; während sie andrerseits die Erhaltung des existierenden Kapitalwerts und seine Verwertung im höchsten Maß (d.h. stets beschleunigten Anwachs dieses Werts) zum Ziel hat. Ihr spezifischer Charakter ist auf den vorhandnen Kapitalwert als Mittel zur größtmöglichen Verwertung dieses Werts gerichtet. Die Methoden, wodurch sie dies erreicht, schließen ein: Abnahme der Profitrate, Entwertung des vorhandnen Kapitals und Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit auf Kosten der schon produzierten Produktivkräfte.

Die periodische Entwertung des vorhandnen Kapitals, die ein der kapitalistischen Produktionsweise immanentes Mittel ist, den Fall der Profitrate[259] aufzuhalten und die Akkumulation von Kapitalwert durch Bildung von Neukapital zu beschleunigen, stört die gegebnen Verhältnisse, worin sich der Zirkulations- und Reproduktionsprozeß des Kapitals vollzieht, und ist daher begleitet von plötzlichen Stockungen und Krisen des Produktionsprozesses.

Die mit der Entwicklung der Produktivkräfte Hand in Hand gehende relative Abnahme des variablen Kapitals gegen das konstante gibt dem Anwachs der Arbeiterbevölkerung einen Stachel, während sie fortwährend künstliche Übervölkerung schafft. Die Akkumulation des Kapitals, dem Wert nach betrachtet, wird verlangsamt durch die fallende Profitrate, um die Akkumulation des Gebrauchswerts noch zu beschleunigen, während diese wieder die Akkumulation, dem Wert nach, in beschleunigten Gang bringt.

Die kapitalistische Produktion strebt beständig, diese ihr immanenten Schranken zu überwinden, aber sie überwindet sie nur durch Mittel, die ihr diese Schranken aufs neue und auf gewaltigerm Maßstab entgegenstellen.

Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: daß das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion er scheint; daß die Produktion nur Produktion für das Kapital ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind. Die Schranken, in denen sich die Erhaltung und Verwertung des Kapitalwerts, die auf der Enteignung und Verarmung der großen Masse der Produzenten beruht, allein bewegen kann, diese Schranken treten daher beständig in Widerspruch mit den Produktionsmethoden, die das Kapital zu seinem Zweck anwenden muß und die auf unbeschränkte Vermehrung der Produktion, auf die Produktion als Selbstzweck, auf unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit lossteuern. Das Mittel – unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte – gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandnen Kapitals. Wenn daher die kapitalistische Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die materielle Produktivkraft zu entwickeln und den ihr entsprechenden Weltmarkt zu schaffen, ist sie zugleich der beständige Widerspruch zwischen dieser ihrer historischen Aufgabe und den ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen.[260]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1964, Band 25, S. 256-261.
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