III. Überfluß an Kapital bei Überfluß an Bevölkerung

[261] Mit dem Fall der Profitrate wächst das Kapitalminimum, das in der Hand des einzelnen Kapitalisten zur produktiven Anwendung der Arbeit erheischt ist; erheischt sowohl zu ihrer Exploitation überhaupt, als dazu, daß die angewandte Arbeitszeit die zur Produktion der Waren notwendige Arbeitszeit sei, daß sie den Durchschnitt der zur Produktion der Waren gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit nicht überschreite. Und gleichzeitig wächst die Konzentration, weil jenseits gewisser Grenzen großes Kapital mit kleiner Profitrate rascher akkumuliert als kleines mit großer. Diese wachsende Konzentration führt ihrerseits wieder auf einer gewissen Höhe einen neuen Fall der Profitrate herbei. Die Masse der kleinen zersplitterten Kapitale wird dadurch auf die Bahn der Abenteuer gedrängt: Spekulation, Kreditschwindel, Aktienschwindel, Krisen. Die sog. Plethora des Kapitals bezieht sich immer wesentlich auf die Plethora von Kapital, für das der Fall der Profitrate nicht durch seine Masse aufgewogen wird – und dies sind immer die neu sich bildenden frischen Kapitalableger – oder auf die Plethora, welche diese, für sich selbst zur eignen Aktion unfähigen Kapitale den Leitern der großen Geschäftszweige in der Form des Kredits zur Verfügung stellt. Diese Plethora des Kapitals erwächst aus denselben Umständen, die eine relative Überbevölkerung hervorrufen, und ist daher eine diese letztre ergänzende Erscheinung, obgleich beide auf entgegengesetzten Polen stehn, unbeschäftigtes Kapital auf der einen und unbeschäftigte Arbeiterbevölkerung auf der andren Seite.

Überproduktion von Kapital, nicht von einzelnen Waren – obgleich die Überproduktion von Kapital stets Überproduktion von Waren einschließt –, heißt daher weiter nichts als Überakkumulation von Kapital. Um zu verstehn, was diese Überakkumulation ist (ihre nähere Untersuchung folgt weiter unten), hat man sie nur absolut zu setzen. Wann wäre die Überproduktion des Kapitals absolut? Und zwar eine Überproduktion, die sich nicht auf dieses oder jenes oder auf ein paar bedeutende Gebiete der Produktion erstreckt, sondern in ihrem Umfang selbst absolut wäre, also sämtliche Produktionsgebiete einschlösse?

Es wäre eine absolute Überproduktion von Kapital vorhanden, sobald das zusätzliche Kapital für den Zweck der kapitalistischen Produktion = 0. Der Zweck der kapitalistischen Produktion ist aber Verwertung des Kapitals, d.h. Aneignung von Mehrarbeit, Produktion von Mehrwert, von Profit. Sobald also das Kapital gewachsen wäre in einem Verhältnis zur Arbeiterbevölkerung, daß weder die absolute Arbeitszeit, die diese Bevölkerung[261] liefert, ausgedehnt, noch die relative Mehrarbeitszeit erweitert werden könnte (das letztre wäre ohnehin nicht tubar in einem Fall, wo die Nachfrage nach Arbeit so stark, also Tendenz zum Steigen der Löhne); wo also das gewachsene Kapital nur ebensoviel oder selbst weniger Mehrwertsmasse produziert als vor seinem Wachstum, so fände eine absolute Überproduktion von Kapital statt; d.h., das gewachsene Kapital C + ΔC produzierte nicht mehr Profit, oder gar weniger Profit, als das Kapital C vor seiner Vermehrung durch ΔC. In beiden Fällen fände auch ein starker und plötzlicher Fall in der allgemeinen Profitrate statt, diesmal aber wegen eines Wechsels in der Zusammensetzung des Kapitals, der nicht der Entwicklung der Produktivkraft geschuldet wäre, sondern einem Steigen im Geldwert des variablen Kapitals (wegen der gestiegnen Löhne) und der ihr entsprechenden Abnahme im Verhältnis der Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit.

In der Wirklichkeit würde sich die Sache so darstellen, daß ein Teil des Kapitals ganz oder teilweis brachläge (weil es erst das schon fungierende Kapital aus seiner Position verdrängen müßte, um sich überhaupt zu verwerten) und der andre Teil durch den Druck des unbeschäftigten oder halbbeschäftigten Kapitals sich zu niedrer Rate des Profits verwerten würde. Es wäre hierbei gleichgültig, daß ein Teil des zusätzlichen Kapitals an die Stelle von altem träte und dieses so eine Stelle im zusätzlichen einnähme. Wir hätten immer auf der einen Seite die alte Kapitalsumme, auf der andern die zusätzliche. Der Fall der Profitrate wäre diesmal begleitet von einer absoluten Abnahme der Profitmasse, da unter unsern Voraussetzungen die Masse der angewandten Arbeitskraft nicht vermehrt und die Mehrwertsrate nicht gesteigert, also auch die Masse des Mehrwerts nicht vermehrt werden könnte. Und die verminderte Profitmasse wäre zu berechnen auf ein vergrößertes Gesamtkapital. – Aber gesetzt auch, das beschäftigte Kapital führe fort, sich zur alten Profitrate zu verwerten, die Profitmasse bliebe also dieselbe, so berechnete sie sich immer noch auf ein gewachsnes Gesamtkapital, und auch dies schließt einen Fall der Profitrate ein. Wenn ein Gesamtkapital von 1000 einen Profit von 100 abwarf und nach seiner Vermehrung auf 1500 ebenfalls nur 100 abwirft, so wirft im zweiten Fall 1000 nur noch 66 2/3 ab. Die Verwertung des alten Kapitals hätte absolut abgenommen. Das Kapital = 1000 würde unter den neuen Umständen nicht mehr abwerfen als früher ein Kapital = 666 2/3.

Es ist aber klar, daß diese tatsächliche Entwertung des alten Kapitals nicht ohne Kampf stattfinden, daß das zusätzliche Kapital von ΔC nicht ohne Kampf als Kapital fungieren könnte. Die Profitrate würde nicht sinken wegen Konkurrenz infolge der Überproduktion von Kapital. Sondern umgekehrt,[262] weil die gesunkne Profitrate und die Überproduktion von Kapital aus denselben Umständen entspringen, würde jetzt der Konkurrenzkampf eintreten. Den Teil von ΔC, der sich in den Händen der alten fungierenden Kapitalisten befände, würden sie mehr oder weniger brachliegen lassen, um ihr Originalkapital nicht selbst zu entwerten und seinen Platz innerhalb des Produktionsfeldes nicht zu verengern, oder sie würden es anwenden, um selbst mit momentanem Verlust die Brachlegung des zusätzlichen Kapitals auf die neuen Eindringlinge und überhaupt auf ihre Konkurrenten zu schieben.

Der Teil von ΔC, der sich in neuen Händen befände, würde seinen Platz auf Kosten des alten Kapitals einzunehmen suchen und dies teilweise fertigbringen, indem er einen Teil des alten Kapitals brachlegte, es zwänge, ihm den alten Platz einzuräumen und selbst den Platz des nur teilweise oder gar nicht beschäftigten Zusatzkapitals einzunehmen.

Eine Brachlegung von einem Teil des alten Kapitals müßte unter allen Umständen stattfinden, eine Brachlegung in seiner Kapitaleigenschaft, soweit es als Kapital fungieren und sich verwerten soll. Welchen Teil diese Brachlegung besonders träfe, entschiede der Konkurrenzkampf. Solange alles gut geht, agiert die Konkurrenz, wie sich bei der Ausgleichung der allgemeinen Profitrate gezeigt, als praktische Brüderschaft der Kapitalistenklasse, so daß sie sich gemeinschaftlich, im Verhältnis zur Größe des von jedem eingesetzten Loses, in die gemeinschaftliche Beute teilt. Sobald es sich aber nicht mehr um Teilung des Profits handelt, sondern um Teilung des Verlustes, sucht jeder soviel wie möglich sein Quantum an demselben zu verringern und dem andern auf den Hals zu schieben. Der Verlust ist unvermeidlich für die Klasse. Wieviel aber jeder einzelne davon zu tragen, wieweit er überhaupt daran teilzunehmen hat, wird dann Frage der Macht und der List, und die Konkurrenz verwandelt sich dann in einen Kampf der feindlichen Brüder. Der Gegensatz zwischen dem Interesse jedes einzelnen Kapitalisten und dem der Kapitalistenklasse macht sich dann geltend, ebenso wie vorher die Identität dieser Interessen sich durch die Konkurrenz praktisch durchsetzte.

Wie würde sich nun dieser Konflikt wieder ausgleichen und die der »gesunden« Bewegung der kapitalistischen Produktion entsprechenden Verhältnisse sich wieder herstellen? Die Weise der Ausgleichung ist schon enthalten in dem bloßen Aussprechen des Konflikts, um dessen Ausgleichung es sich handelt. Sie schließt eine Brachlegung und selbst eine teilweise Vernichtung von Kapital ein, zum Wertbetrag des ganzen Zusatzkapitals ΔC oder doch eines Teils davon. Obgleich, wie schon aus der Darstellung des[263] Konflikts hervorgeht, die Verteilung dieses Verlusts in keiner Weise sich gleichmäßig auf die einzelnen Sonderkapitalien erstreckt, sondern sich in einem Konkurrenzkampf entscheidet, worin je nach den besondren Vorteilen oder bereits errungnen Positionen der Verlust sich sehr ungleich und in sehr verschiedner Form verteilt, so daß ein Kapital brachgelegt, ein andres vernichtet wird, ein drittes nur relativen Verlust hat oder nur vorübergehende Entwertung erfährt usw.

Unter allen Umständen aber würde sich das Gleichgewicht herstellen durch Brachlegung und selbst Vernichtung von Kapital in größrem oder geringrem Umfang. Dies würde sich erstrecken zum Teil auf die materielle Kapitalsubstanz; d.h. ein Teil der Produktionsmittel, fixes und zirkulierendes Kapital, würde nicht fungieren, nicht als Kapital wirken; ein Teil begonnener Produktionsbetriebe würde stillgesetzt werden. Obgleich, nach dieser Seite, die Zeit alle Produktionsmittel (den Boden ausgenommen) angreift und verschlechtert, fände hier infolge der Funktionsstockung weit stärkere wirkliche Zerstörung von Produktionsmitteln statt. Die Hauptwirkung nach dieser Seite hin wäre jedoch, daß diese Produktionsmittel aufhörten, als Produktionsmittel tätig zu sein; eine kürzere oder längere Zerstörung ihrer Funktion als Produktionsmittel.

Die Hauptzerstörung, und mit dem akutesten Charakter, fände statt mit Bezug auf das Kapital, soweit es Werteigenschaft besitzt, mit Bezug auf die Kapitalwerte. Der Teil des Kapitalwerts, der bloß in der Form von Anweisungen auf künftige Anteile am Mehrwert, am Profit steht, in der Tat lauter Schuldscheine auf die Produktion unter verschiednen Formen, wird sofort entwertet mit dem Fall der Einnahmen, auf die er berechnet ist. Ein Teil des baren Goldes und Silbers liegt brach, fungiert nicht als Kapital. Ein Teil der auf dem Markt befindlichen Waren kann seinen Zirkulations- und Reproduktionsprozeß nur vollziehn durch ungeheure Kontraktion seiner Preise, also durch Entwertung des Kapitals, das er darstellt. Ebenso werden die Elemente des fixen Kapitals mehr oder minder entwertet. Es kommt hinzu, daß bestimmte, vorausgesetzte Preisverhältnisse den Reproduktionsprozeß bedingen, dieser daher durch den allgemeinen Preisfall in Stockung und Verwirrung gerät. Diese Störung und Stockung paralysiert die mit der Entwicklung des Kapitals gleichzeitig gegebne, auf jenen vorausgesetzten Preisverhältnissen beruhende Funktion des Geldes als Zahlungsmittel, unterbricht an hundert Stellen die Kette der Zahlungsobligationen an bestimmten Terminen, wird noch verschärft durch das damit gegebne Zusammenbrechen des gleichzeitig mit dem Kapital entwickelten Kreditsystems und führt so zu heftigen akuten Krisen, plötzlichen[264] gewaltsamen Entwertungen und wirklicher Stockung und StörungA18 des Reproduktionsprozesses und damit zu wirklicher Abnahme der Reproduktion.

Gleichzeitig aber wären andre Agentien im Spiel gewesen. Die Stockung der Produktion hätte einen Teil der Arbeiterklasse brachgelegt und dadurch den beschäftigten Teil in Verhältnisse gesetzt, worin er sich eine Senkung des Arbeitslohns, selbst unter den Durchschnitt, gefallen lassen müßte; eine Operation, die für das Kapital ganz dieselbe Wirkung hat, als wenn beim Durchschnittslohn der relative oder absolute Mehrwert erhöht worden wäre. Die Prosperitätszeit hätte die Ehen unter den Arbeitern begünstigt und die Dezimation der Nachkommenschaft vermindert, Umstände, die – wie sehr sie eine wirkliche Vermehrung der Bevölkerung einschließen mögen – keine Vermehrung der wirklich arbeitenden Bevölkerung einschließen, aber im Verhältnis der Arbeiter zum Kapital ganz so wirken, als ob sich die Anzahl der wirklich fungierenden Arbeiter vermehrt hätte. Der Preisfall und der Konkurrenzkampf hätten andrerseits jedem Kapitalisten einen Stachel gegeben, den individuellen Wert seines Gesamtprodukts durch Anwendung neuer Maschinen, neuer verbesserter Arbeitsmethoden, neuer Kombinationen unter dessen allgemeinen Wert zu senkenA19, d.h. die Produktivkraft eines gegebnen Quantums Arbeit zu steigern, das Verhältnis des variablen Kapitals zum konstanten zu senken und damit Arbeiter freizusetzen, kurz eine künstliche Überbevölkerung zu schaffen. Ferner würde die Entwertung der Elemente des konstanten Kapitals selbst ein Element sein, das Erhöhung der Profitrate einschlösse. Die Masse des angewandten konstanten Kapitals, gegen das variable, wäre gewachsen, aber der Wert dieser Masse könnte gefallen sein. Die eingetretne Stockung der Produktion hätte eine spätere Erweiterung der Produktion – innerhalb der kapitalistischen Grenzen – vorbereitet.

Und so würde der Zirkel von neuem durchlaufen. Ein Teil des Kapitals, das durch Funktionsstockung entwertet war, würde seinen alten Wert wiedergewinnen. Im übrigen würde mit erweiterten Produktionsbedingungen, mit einem erweiterten Markt und mit erhöhter Produktivkraft derselbe fehlerhafte Kreislauf wieder durchgemacht werden.

Selbst aber unter der gemachten äußersten Voraussetzung ist die absolute Überproduktion von Kapital keine absolute Überproduktion überhaupt, keine absolute Überproduktion von Produktionsmitteln. Sie ist nur eine Überproduktion von Produktionsmitteln, soweit diese als Kapital[265] fungieren und daher im Verhältnis zu dem mit ihrer angeschwollnen Masse geschwollnen Wert eine Verwertung dieses Werts einschließen, einen zusätzlichen Wert erzeugen sollen.

Es wäre aber trotzdem Überproduktion, weil das Kapital unfähig würde, die Arbeit in einem Exploitationsgrad auszubeuten, der durch die »gesunde«, »normale« Entwicklung des kapitalistischen Produktionsprozesses bedingt ist, in einem Exploitationsgrad, der wenigstens die Masse des Profits vermehrt mit der wachsenden Masse des angewandten Kapitals; der also ausschließt, daß die Profitrate im selben Maß sinkt, wie das Kapital wächst, oder gar, daß die Profitrate rascher sinkt, als das Kapital wächst.

Überproduktion von Kapital heißt nie etwas andres als Überproduktion von Produktionsmitteln – Arbeits- und Lebensmitteln –, die als Kapital fungieren können, d.h. zur Ausbeutung der Arbeit zu einem gegebnen Exploitationsgrad angewandt werden können; indem das Fallen dieses Exploitationsgrads unter einen gegebnen Punkt Störungen und Stockungen des kapitalistischen Produktionsprozesses, Krisen, Zerstörung von Kapital hervorruft. Es ist kein Widerspruch, daß diese Überproduktion von Kapital begleitet ist von einer mehr oder minder großen relativen Überbevölkerung. Dieselben Umstände, die die Produktivkraft der Arbeit erhöht, die Masse der Warenprodukte vermehrt, die Märkte ausgedehnt, die Akkumulation des Kapitals, sowohl der Masse wie dem Wert nach, beschleunigt und die Profitrate gesenkt haben, dieselben Umstände haben eine relative Überbevölkerung erzeugt und erzeugen sie beständig, eine Überbevölkerung von Arbeitern, die vom überschüssigen Kapital nicht angewandt wird wegen des niedrigen Exploitationsgrads der Arbeit, zu dem sie allein angewandt werden könnte, oder wenigstens wegen der niedern Profitrate, die sie bei gegebnem Exploitationsgrad abwerfen würde.

Wird Kapital ins Ausland geschickt, so geschieht es nicht, weil es absolut nicht im Inland beschäftigt werden könnte. Es geschieht, weil es zu höherer Profitrate im Auslande beschäftigt werden kann. Dies Kapital ist aber absolut überschüssiges Kapital für die beschäftigte Arbeiterbevölkerung und für das gegebne Land überhaupt. Es existiert als solches neben der relativ überschüssigen Bevölkerung, und dies ist ein Beispiel, wie die beiden nebeneinander existieren und sich wechselseitig bedingen.

Andrerseits bringt der mit der Akkumulation verbundne Fall der Profitrate notwendig einen Konkurrenzkampf hervor. Die Kompensation des Falls der Profitrate durch die steigende Masse des Profits gilt nur für das Gesamtkapital der Gesellschaft und für die großen, fertig eingerichteten Kapitalisten. Das neue, selbständig fungierende Zusatzkapital findet keine[266] solche Ersatzbedingungen vor, es muß sie sich erst erringen, und so ruft der Fall der Profitrate den Konkurrenzkampf unter den Kapitalen hervor, nicht umgekehrt. Dieser Konkurrenzkampf ist allerdings begleitet von vorübergehendem Steigen des Arbeitslohns und einer hieraus entspringenden ferneren zeitweiligen Senkung der Profitrate. Dasselbe zeigt sich in der Überproduktion von Waren, der Überfüllung der Märkte. Da nicht Befriedigung der Bedürfnisse, sondern Produktion von Profit Zweck des Kapitals, und da es diesen Zweck nur durch Methoden erreicht, die die Produktionsmasse nach der Stufenleiter der Produktion einrichten, nicht umgekehrt, so muß beständig ein Zwiespalt eintreten zwischen den beschränkten Dimensionen der Konsumtion auf kapitalistischer Basis und einer Produktion, die beständig über diese ihre immanente Schranke hinausstrebt. Übrigens besteht das Kapital ja aus Waren, und daher schließt die Überproduktion von Kapital die von Waren ein. Daher das sonderbare Phänomen, daß dieselben Ökonomen, die die Überproduktion von Waren leugnen, die von Kapital zugeben. Wird gesagt, daß nicht allgemeine Überproduktion, sondern Disproportion innerhalb der verschiednen Produktionszweige stattfinde, so heißt dies weiter nichts, als daß innerhalb der kapitalistischen Produktion die Proportionalität der einzelnen Produktionszweige sich als beständiger Prozeß aus der Disproportionalität darstellt, indem hier der Zusammenhang der gesamten Produktion als blindes Gesetz den Produktionsagenten sich aufzwingt, nicht als von ihrem assoziierten Verstand begriffnes und damit beherrschtes Gesetz den Produktionsprozeß ihrer gemeinsamen Kontrolle unterworfen hat. Es wird weiter damit verlangt, daß Länder, wo die kapitalistische Produktionsweise nicht entwickelt, in einem Grad konsumieren und produzieren sollen, wie er den Ländern der kapitalistischen Produktionsweise paßt. Wird gesagt, daß die Überproduktion nur relativ, so ist dies ganz richtig; aber die ganze kapitalistische Produktionsweise ist eben nur eine relative Produktionsweise, deren Schranken nicht absolut, aber für sie, auf ihrer Basis, absolut sind. Wie könnte es sonst an Nachfrage für dieselben Waren fehlen, deren die Masse des Volks ermangelt, und wie wäre es möglich, diese Nachfrage im Ausland suchen zu müssen, auf fernem Märkten, um den Arbeitern zu Hause das Durchschnittsmaß der notwendigen Lebensmittel zahlen zu können? Weil nur in diesem spezifischen, kapitalistischen Zusammenhang das überschüssige Produkt eine Form erhält, worin sein Inhaber es nur dann der Konsumtion zur Verfügung stellen kann, sobald es sich für ihn in Kapital rückverwandelt. Wird endlich gesagt, daß die Kapitalisten ja selbst nur unter sich ihre Waren auszutauschen und aufzuessen haben, so wird der[267] ganze Charakter der kapitalistischen Produktion vergessen und vergessen, daß es sich um die Verwertung des Kapitals handelt, nicht um seinen Verzehr. Kurz, alle die Einwände gegen die handgreiflichen Erscheinungen der Überproduktion (Erscheinungen, die sich nicht um diese Einwände kümmern) laufen darauf hinaus, daß die Schranken der kapitalistischen Produktion keine Schranken der Produktion überhaupt sind und daher auch keine Schranken dieser spezifischen, der kapitalistischen Produktionsweise. Der Widerspruch dieser kapitalistischen Produktionsweise besteht aber gerade in ihrer Tendenz zur absoluten Entwicklung der Produktivkräfte, die beständig in Konflikt gerät mit den spezifischen Produktionsbedingungen, worin sich das Kapital bewegt und allein bewegen kann.

Es werden nicht zuviel Lebensmittel produziert im Verhältnis zur vorhandnen Bevölkerung. Umgekehrt. Es werden zuwenig produziert, um der Masse der Bevölkerung anständig und menschlich zu genügen.

Es werden nicht zuviel Produktionsmittel produziert, um den arbeitsfähigen Teil der Bevölkerung zu beschäftigen. Umgekehrt. Es wird erstens ein zu großer Teil der Bevölkerung produziert, der tatsächlich nicht arbeitsfähig, der durch seine Umstände auf Ausbeutung der Arbeit andrer angewiesen ist oder auf Arbeiten, die nur innerhalb einer miserablen Produktionsweise als solche gelten können. Es werden zweitens nicht genug Produktionsmittel produziert, damit die ganze arbeitsfähige Bevölkerung unter den produktivsten Umständen arbeite, also ihre absolute Arbeitszeit verkürzt würde durch die Masse und Effektivität des während der Arbeitszeit angewandten konstanten Kapitals.

Aber es werden periodisch zuviel Arbeitsmittel und Lebensmittel produziert, um sie als Exploitationsmittel der Arbeiter zu einer gewissen Rate des Profits fungieren zu lassen. Es werden zuviel Waren produziert, um den in ihnen enthaltnen Wert und darin eingeschloßnen Mehrwert unter den durch die kapitalistische Produktion gegebnen Verteilungsbedingungen und Konsumtionsverhältnissen realisieren und in neues Kapital rückverwandeln zu können, d.h. um diesen Prozeß ohne beständig wiederkehrende Explosionen auszuführen.

Es wird nicht zuviel Reichtum produziert. Aber es wird periodisch zuviel Reichtum in seinen kapitalistischen, gegensätzlichen Formen produziert.

Die Schranke der kapitalistischen Produktionsweise tritt hervor:

1. Darin, daß die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit im Fall der Profitrate ein Gesetz erzeugt, das ihrer eignen Entwicklung auf einen gewissen Punkt feindlichst gegenübertritt und daher beständig durch Krisen überwunden werden muß.[268]

2. Darin, daß die Aneignung unbezahlter Arbeit, und das Verhältnis dieser unbezahlten Arbeit zur vergegenständlichten Arbeit überhaupt, oder, kapitalistisch ausgedrückt, daß der Profit und das Verhältnis dieses Profits zum angewandten Kapital, also eine gewisse Höhe der Profitrate über Ausdehnung oder Beschränkung der Produktion entscheidet, statt des Verhältnisses der Produktion zu den gesellschaftlichen Bedürfnissen, zu den Bedürfnissen gesellschaftlich entwickelter Menschen. Es treten daher Schranken für sie ein schon auf einem Ausdehnungsgrad der Produktion, der umgekehrt unter der andren Voraussetzung weitaus ungenügend erschiene. Sie kommt zum Stillstand, nicht wo die Befriedigung der Bedürfnisse, sondern wo die Produktion und Realisierung von Profit diesen Stillstand gebietet.

Sinkt die Profitrate, so einerseits Anspannung des Kapitals, damit der einzelne Kapitalist durch beßre Methoden etc. den individuellen Wert seiner einzelnen Waren unter ihren gesellschaftlichen Durchschnittswert herabdrückt und so, bei gegebnem Marktpreis, einen Extraprofit macht; andrerseits Schwindel und allgemeine Begünstigung des Schwindels durch leidenschaftliche Versuche in neuen Produktionsmethoden, neuen Kapitalanlagen, neuen Abenteuern, um irgendeinen Extraprofit zu sichern, der vom allgemeinen Durchschnitt unabhängig ist und sich über ihn erhebt.

Die Profitrate, d.h. der verhältnismäßige Kapitalzuwachs ist vor allem wichtig für alle neuen, sich selbständig gruppierenden Kapitalableger. Und sobald die Kapitalbildung ausschließlich in die Hände einiger wenigen, fertigen Großkapitale fiele, für die die Masse des Profits die Rate aufwiegt, wäre überhaupt das belebende Feuer der Produktion erloschen. Sie würde einschlummern. Die Profitrate ist die treibende Macht in der kapitalistischen Produktion, und es wird nur produziert, was und soweit es mit Profit produziert werden kann. Daher die Angst der englischen Ökonomen über die Abnahme der Profitrate. Daß die bloße Möglichkeit Ricardo beunruhigt, zeigt gerade sein tiefes Verständnis der Bedingungen der kapitalistischen Produktion. Was ihm vorgeworfen wird, daß er, um die »Menschen« unbekümmert, bei Betrachtung der kapitalistischen Produktion nur die Entwicklung der Produktivkräfte im Auge hat – mit welchen Opfern an Menschen und Kapitalwerten immer erkauft –, ist gerade das Bedeutende an ihm. Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewußt die materiellen Bedingungen einer höhern Produktionsform. Was Ricardo beunruhigt, ist, daß die Profitrate, der Stachel der kapitalistischen Produktion und Bedingung, wie Treiber der Akkumulation, durch die[269] Entwicklung der Produktion selbst gefährdet wird. Und das quantitative Verhältnis ist hier alles. Es liegt in der Tat etwas Tieferes zugrunde, das er nur ahnt. Es zeigt sich hier in rein ökonomischer Weise, d.h. vom Bourgeoisstandpunkt, innerhalb der Grenzen des kapitalistischen Verstandes, vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion selbst, ihre Schranke, ihre Relativität, daß sie keine absolute, sondern nur eine historische, einer gewissen beschränkten Entwicklungsepoche der materiellen Produktionsbedingungen entsprechende Produktionsweise ist.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1964, Band 25, S. 261-270.
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