Zins im Mittelalter

[624] »Im Mittelalter war die Bevölkerung rein ackerbauend. Und da, wie unter der feudalen Regierung, kann nur wenig Verkehr und daher auch nur wenig Profit sein. Daher waren die Wuchergesetze im Mittelalter gerechtfertigt. Zudem kommt in einem ackerbauenden Land jemand selten in die Lage, Geld zu borgen, außer wenn er zu Armut und Elend heruntergekommen ist... Heinrich VIII. beschränkt den Zins auf 10%, Jakob I. auf 8, Karl II. auf 6, Anna auf 5%... In jenen Zeiten waren die Geldverleiher, wenn nicht rechtliche, so doch tatsächliche Monopolisten, und daher war es nötig, sie wie andre Monopolisten unter Beschränkung zu setzen... In unsern Zeiten reguliert die Rate des Profits die Rate des Zinses; in jenen Zeiten regulierte die Rate des Zinses die Rate des Profits. Wenn der Geldverleiher dem Kaufmann eine hohe Zinsrate aufbürdete, mußte der Kaufmann eine höhere Profitrate auf seine Waren schlagen. Daher wurde eine große Summe Geldes aus den Taschen der Käufer genommen, um sie in die Taschen der Geldverleiher zu bringen.« (Gilbart, »History and Princ. of Banking«, p. 164, 165.)

»Ich lasse mir sagen, dass man jetzt jährlich auf einen jeglichen Leiptzischen Markt 10 Gulden, das ist 30 aufs Hundert nimmt; etliche setzen hinzu den Neuenburgischen Markt, dass es 40 aufs Hundert werden: obs nur sei, das weiss ich nicht. Pfui dich, wo zum Teufel will denn auch zuletzt das hinaus?... Wer nun jetzt zu Leipztig 100 Floren hat, der nimmt järlich 40, das heisst einen Bauer oder einen Bürger in einem Jar gefressen. Hat er 1000 Floren; so nimmt er järlich 400, das heisst einen Ritter oder reichen Edelmann in einem Jar gefressen. Hat er 10000, so nimmt er järlich 4000; das heisst einen reichen Grafen in einem Jar gefressen. Hat er 100000, wie es sein muss bei den grossen Händlern, so nimmt er järlich 40000; das heisst einen grossen reichen Fürsten in einem Jahr gefressen. Hat er 1000000, so nimmt er järlich 400000, das heisst einen grossen König in einem Jar gefressen. Und leidet darüber kein Fahr, weder an Leib noch an Wahr, Arbeit nichts, sitzt hinter dem Ofen und brät Aepfel: also möchte ein Stul-Räuber sitzen zu Hause, und eine ganze Welt in zehn Jahren fressen.« (Dies ist aus »An die Pfarrherrn wider den Wucher zu predigen« vom Jahre 1540A37. Luther's Werke, Wittenberg 1589, 6. Theil [S. 312].)

»Ich habe vor 15 Jahren wider den Wucher geschrieben, da er bereit so gewaltig eingerissen war, dass ich keine Besserung zu hoffen wüsste. Seit der Zeit hat er sich[624] also erhebt, dass er nie auch kein Laster, Sünde oder Schande mehr sein will, sondern lässt sich rhümen für eitel Tugend und Ehre, als thue er den Leuten grosse Liebe und einen christlichen Dienst. Was will nun helfen rahten da Schande ist Ehre und Laster ist Tugend worden.« (An die Pfarherrn wider den Wucher zu predigen. Wittenberg 1540.)

»Juden, Lombarden, Wucherer und Blutsauger waren unsre ersten Bankiers, unsre ursprünglichen Bankschacherer, ihr Charakter war fast infam zu nennen... Dem gesellten sich dann die Londoner Goldschmiede bei. Im ganzen... waren unsre ursprünglichen Bankiers... eine sehr schlimme Gesellschaft, sie waren gierige Wucherer, steinherzige Aussauger.« (D. Hardcastle, »Banks and Bankers«, 2nd ed. London 1843, p. 19, 20.)

»Das von Venedig gegebne Beispiel« (der Bildung einer Bank) »wurde also rasch nachgeahmt; alle Seestädte und überhaupt alle Städte, die sich durch ihre Unabhängigkeit und ihren Handel einen Namen gemacht hatten, gründeten ihre ersten Banken. Die Rückkehr ihrer Schiffe, die oft lange auf sich warten ließ, führte unvermeidlich zur Gewohnheit des Kreditgebens, die die Entdeckung Amerikas und der Handel dorthin in der Folge noch weiter verstärkte.« (Dies ein Hauptpunkt.) »Die Schiffsbefrachtungen zwangen zur Aufnahme starker Vorschüsse, was bereits im Altertum in Athen und Griechenland vorgekommen. 1308 besaß die Hansestadt Brügge eine Assekuranzkammer.« (M. Augier, l.c. p. 202, 203.)

Wie sehr das Verleihen an die Grundeigentümer und damit überhaupt an den genießenden Reichtum, selbst noch in England vorwog im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts, vor der Entwicklung des modernen Kreditsystems, kann man u. a. ersehn aus Sir Dudley North, nicht nur einem der ersten englischen Kaufleute, sondern auch einem der bedeutendsten theoretischen Ökonomen seiner Zeit:

»Die in unserm Volk auf Zinsen ausgelegten Gelder werden noch lange nicht zum zehnten Teil an Geschäftsleute ausgegeben, um damit ihre Geschäfte zu betreiben; sie werden zum größten Teil ausgeliehen für Luxusartikel und für die Ausgaben von Leuten, die, obwohl große Grundbesitzer, doch rascher Geld ausgeben, als ihr Grundbesitz es einbringt; und da sie den Verkauf ihrer Güter scheuen, sie lieber verhypothekieren.« (»Discourses upon Trade«, London 1691, p. 6, 7.)

Im 18. Jahrhundert in Polen:

»Warschau machte ein großes Wechselgeschäft, das aber hauptsächlich den Wucher seiner Bankiers zum Grunde und zur Absicht hatte. Um sich Geld zu verschaffen, welches sie den verschwenderischen Großen zu 8 und zu mehr Prozent leihen konnten, suchten und fanden sie außer Landes einen Wechselkredit in Blanco, d.h. der gar keinen Warenhandel zu Grunde hatte, welchen der ausländische Trassat aber so lange geduldig akzeptierte, als noch die durch Wechselreiterei erschaffnen Rimessen nicht ausblieben. Dafür haben diese durch die Bankrotte eines Tepper und andrer großgeachteter[625] Warschauer Bankiers schwer gebüßt.« (J. G. Büsch, »Theoretisch-praktische Darstellung der Handlung etc.«, 3. Auflage, Hamburg 1808, Band II, p. 232, 233.)

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1964, Band 25, S. 624-626.
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