IV. Karl Grün: »Die soziale Bewegung in Frankreich und Belgien« (Darmstadt 1845)

oder

Die Geschichtschreibung des wahren Sozialismus

[473] »Wahrlich, gälte es hier nicht, zugleich eine ganze Rotte zu zeichnen... wir würden die Feder noch wegwerfen... Und jetzt tritt sie« (Mundts »Geschichte der Gesellschaft«) »mit derselben Anmaßung vor den großen Leserkreis des Publikums, des Publikums, das heißhungrig nach Allem greift, was nur das Wort sozial an der Stirne trägt, weil ein richtiger Takt ihm sagt, welche Geheimnisse der Zukunft in diesem Wörtchen verborgen liegen. Doppelte Verantwortlichkeit des Schriftstellers, doppelte Züchtigung, wenn er unberufen ans Werk ging!«

»Darüber wollen wir eigentlich mit Herrn Mundt nicht rechten, daß er von den faktischen Leistungen der sozialen Literatur Frankreichs und Englands durchaus nichts weiß, als was ihm Herr L. Stein verraten, dessen Buch anerkannt werden konnte, als es erschien.... Aber heute noch... über Saint-Simon Phrasen machen, Bazard und Enfantin die beiden Zweige des Saint-Simonismus nennen, Fourier folgen lassen, über Proudhon ungenügendes Zeug nachplappern, etc.!...Dennoch würden wir gerne ein Auge zudrücken, wäre mindestens die Genesis der sozialen Ideen eigen und neu dargestellt.«

Mit dieser hochfahrenden, rhadamantischen Sentenz eröffnet Herr Grün (»Neue Anekdote« p. 122, 123) eine Rezension von Mundts »Geschichte der Gesellschaft«.

Wie überrascht wird der Leser von dem artistischen Talent des Herrn Grün sein, das unter der obigen Maske nur eine Selbstkritik seines eignen, damals noch ungebornen Buchs versteckte.

Herr Grün bietet uns das amüsante Schauspiel einer Verschmelzung des wahren Sozialismus mit jungdeutschem Literatentum. Das obige Buch ist in Briefen an eine Dame geschrieben, woraus der Leser schon ahnt, daß hier die tiefsinnigen Götter des wahren Sozialismus mit den Rosen und Myrten der[473] »jungen Literatur« bekränzt einherwandeln. Pflücken wir gleich einige Rosen:

»Die Carmagnole sang sich selbst in meinem Kopfe... auf alle Fälle aber bleibt es schrecklich, daß die Carmagnole im Kopfe eines deutschen Schriftstellers, wenn nicht vollständig logieren, so doch ein Frühstück nehmen darf.« p. 3.

»Hätte Ich den alten Hegel hier, ich packte ihn bei den Ohren: Was, die Natur wäre das Anderssein des Geistes? Was, Er Nachtwächter?« p. 11.

»Brüssel stellt gewissermaßen den französischen Konvent dar: es hat eine Bergpartie und eine Partie des Tales.« p. 24.

»Die Lüneburger Heide der Politik.« p. 80.

»Bunte, poetische, inkonsequente, phantastische Chrysalide.« p. 82.

»Den Liberalismus der Restauration, den bodenlosen Kaktus, der sich als Schmarotzerpflanze um die Bänke der Deputiertenkammer wand.« p. 87, 88.

Daß der Kaktus weder »bodenlos« noch eine »Schmarotzerpflanze« ist, tut diesem schönen Bilde ebensowenig Abbruch, wie dem vorigen, daß es weder »bunte« noch »poetische« noch »inkonsequente« »Chrysaliden« oder Puppen gibt.

»Ich selbst aber komme mir mitten in diesem Gewoge« (der Zeitungen und Zeitungsschreiber im Cabinet Montpensier) »vor wie ein zweiter Noah, der seine Tauben aussendet, ob sich irgendwo Hütten oder Reben bauen lassen, ob es möglich sei, mit den erzürnten Göttern einen räsonnablen Vertrag abzuschließen.« p. 259.

Herr Grün spricht hier wohl von seiner Tätigkeit als Zeitungskorrespondent.

»Camille Desmoulins war ein Mensch. Die Konstituante bestand aus Philistern. Robespierre war ein tugendhafter Magnetiseur. Die neue Geschichte ist mit einem Wort der Kampf auf Tod und Leben wider die Épiciers und die Magnetiseure!!!« p. 311.

»Das Glück ist ein Plus, aber ein Plus in der xten Potenz.« p. 203.

Also das Glück = +x, eine Formel, die sich nur in der ästhetischen Mathematik des Herrn Grün findet.

»Die Organisation der Arbeit, was ist sie ? Und die Völker antworteten der Sphinx mit tausend Zeitungsstimmen... Frankreich singt die Strophe, Deutschland die Antistrophe, das alte mystische Deutschland.« p. 299.

»Nordamerika ist mir sogar widerwärtiger als die alte Welt, weil dieser Egoismus der Krämerwelt die rote Farbe einer impertinenten Gesundheit trägt... weil dort Alles so oberflächlich, so wurzellos, fast möchte Ich sagen so kleinstädtisch ist... Ihr nennt Amerika die neue Welt; es ist die älteste von allen alten, unsre abgetragenen Kleider machen dort Parade.« p. 101. 324.[474]

Bisher wußte man nur, daß die ungetragenen deutschen Strümpfe dort getragen werden, obwohl sie zum »Parademachen« zu schlecht sind.

»Der logisch feste Garantismus dieser Institutionen.« p. 461.


Wen solche Blüten nicht erfreun,

Verdienet nicht, ein »Mensch« zu sein!


Welch graziöser Mutwille! Welche schnippische Naivetät! Welch heroisches Durchwühlen durch die Ästhetik! Welche Heinesche Nonchalance und Genialität!

Wir haben den Leser getäuscht. Herrn Grüns Belletristik schmückt nicht die Wissenschaft des wahren Sozialismus, sondern die Wissenschaft ist nur die Ausfüllung zwischen diesen belletristischen Schwätzereien. Sie bildet sozusagen ihren »sozialen Hintergrund«.

In einem Aufsatze des Herrn Grün: »Feuerbach und die Socialisten« (»Deutsches Bürgerbuch«, p. 74) findet sich folgende Äußerung:

»Wenn man Feuerbach nennt, so hat man die ganze Arbeit der Philosophie genannt von Baco von Verulam bis heute, so hat man zugleich gesagt, was die Philosophie in letzter Instanz will und bedeutet, so hat man den Menschen als letztes Ergebnis der Weltgeschichte. Dabei geht man sicherer, weil gründlicher, zu Werke, als wenn man den Arbeitslohn, die Konkurrenz, die Mangelhaftigkeit der Konstitutionen und Verfassungen aufs Tapet bringt... Wir haben den Menschen gewonnen, den Menschen, der sich der Religion, der toten Gedanken, alles ihm fremden Wesens mit allen Übersetzungen in der Praxis entledigt hat, den reinen, wahrhaften Menschen

Dieser Eine Satz klärt vollständig auf über die Art von »Sicherheit« und »Gründlichkeit«, welche bei Herrn Grün zu suchen ist. Auf kleine Fragen läßt er sich nicht ein. Ausgestattet mit dem ungetrübten Glauben an die Resultate der deutschen Philosophie, wie sie in Feuerbach niedergelegt sind, nämlich daß »der Mensch«, der »reine, wahrhafte Mensch«, das Endziel der Weltgeschichte sei, daß die Religion das entäußerte menschliche Wesen sei, daß das menschliche Wesen das menschliche Wesen und der Maßstab aller Dinge sei; ausgestattet mit den weiteren Wahrheiten des deutschen Sozialismus (siehe oben), daß auch das Geld, die Lohnarbeit pp. Entäußerungen des menschlichen Wesens seien, daß der deutsche Sozialismus die Verwirklichung der deutschen Philosophie und die theoretische Wahrheit des auswärtigen Sozialismus und Kommunismus sei pp. – reist Herr Grün nach Brüssel und Paris mit der ganzen Selbstgefälligkeit des wahren Sozialismus.

Die gewaltigen Posaunenstöße des Herrn Grün zum Lobe des wahren Sozialismus und der deutschen Wissenschaft übertreffen Alles, was von seinen übrigen Glaubensgenossen in dieser Beziehung geliefert ist. Was den wahren[475] Sozialismus angeht, so kommen diese Lobpreisungen offenbar von Herzen. Herrn Grüns Bescheidenheit erlaubt ihm nicht, einen einzigen Satz auszusprechen, den nicht schon ein anderer wahrer Sozialist vor ihm in den »Einundzwanzig Bogen«, dem »Bürgerbuch« und den »Neuen Anekdotis« geoffenbart hatte. Ja, sein ganzes Buch hat keinen andren Zweck, als ein in den »Einundzwanzig Bogen« p. 74-88 von Heß gegebenes Konstruktionsschema der französischen sozialen Bewegung auszufüllen und damit einem ebendaselbst p. 88 ausgesprochenen Bedürfnis zu entsprechen. Was aber die Lobeserhebungen der deutschen Philosophie angeht, so muß diese sie ihm um so höher anrechnen, je weniger er sie kennt. Der Nationalstolz der wahren Sozialisten, der Stolz auf Deutschland als das Land »des Menschen«, des »Wesens des Menschen«, gegenüber den andern profanen Nationalitäten erreicht bei ihm seinen Gipfelpunkt. Wir geben gleich einige Proben davon:

»Ich möchte doch wissen, ob sie nicht Alle erst von uns lernen müssen, Franzosen und Engländer, Belgier und Nordamerikaner.« p. 28.

Dies wird jetzt ausgeführt.

»Die Nordamerikaner kommen mir grundprosaisch vor, und den Sozialismus sollen sie wohl, trotz aller ihrer gesetzlichen Freiheit, erst von uns kennenlernen.« p. 101.

Besonders seitdem sie seit 1829 eine eigne sozialistisch-demokratische Schule haben, die ihr Nationalökonom Cooper bereits 1830 bekämpfte.

»Die belgischen Demokraten! Glaubst Du wohl, sie wären halb so weit als wir Deutsche? Habe ich mich wieder mit Einem herumbalgen müssen, der die Realisierung des freien Menschentums für eine Chimäre hält!« p. 28.

Hier macht sich die Nationalität »des Menschen«, des »Wesens des Menschen«, des »Menschentums« breit gegenüber der belgischen Nationalität.

»Ihr Franzosen, laßt den Hegel in Ruhe, bis Ihr ihn versteht.« (Wir glauben, daß die sonst sehr schwache Kritik der Rechtsphilosophie von Lerminier mehr Einsicht in Hegel beweist als irgend etwas, was Herr Grün, sei es unter eigenem Namen, sei es qua »Ernst von der Halde« geschrieben hat.) »Trinkt einmal ein Jahr lang keinen Kaffee, keinen Wein; erhitzt Euer Gemüt durch keine aufregende Leidenschaft; laßt den Guizot regieren und Algier unter die Herrschaft Marokkos kommen« (wie sollte Algier je unter die Herrschaft Marokkos kommen, selbst wenn die Franzosen es aufgäben!); »sitzt auf einer Mansarde und studiert die ›Logik‹ nebst der ›Phänomenologie‹. Wenn Ihr dann endlich nach Jahresfrist mager und mit rotangelaufenen Augen in die Straßen hinabsteigt und meinetwegen über den ersten Dandy oder öffentlichen Ausrufer stolpert. laßt Euch das nicht irren. Denn Ihr seid mittlerweile große und mächtige Menschen geworden. Euer Geist gleicht einem Eichbaum, den wundertätige« (!) »Säfte ernährten;[476] was Ihr anseht, das enthüllt Euch seine geheimsten Schwächen; Ihr dringt als erschaffne Geister dennoch ins Innre der Natur; Euer Blick ist tötend. Euer Wort versetzt Berge, Eure Dialektik ist schärfer als die schärfste Guillotine. Ihr stellt Euch ans Hotel de Ville – und die Bourgeoisie ist gewesen, Ihr tretet ans Palais Bourbon – und es zerfällt, seine ganze Deputiertenkammer löst sich in das nihilum album auf, Guizot verschwindet, Ludwig Philipp erblaßt zum geschichtlichen Schemen, und aus all diesen zugrunde gegangnen Momenten erhebt sich siegesstolz die absolute Idee der freien Gesellschaft. Ohne Scherz, den Hegel könnt Ihr nur bezwingen, wenn Ihr selbst vorher Hegel werdet. Wie ich schon oben sagte: Moors Geliebte kann nur durch Moor sterben.« p. 115, 116.

Der belletristische Duft, der diese Sätze des wahren Sozialismus umgibt, wird Jedermann in die Nase steigen. Herr Grün, wie alle wahren Sozialisten, vergißt nicht, das alte Geschwätz von der Oberflächlichkeit der Franzosen wieder vorzubringen:

»Bin ich doch dazu verdammt, den französischen Geist jedesmal, wenn ich ihn in der Nähe habe, ungenügend und oberflächlich zu finden.« p. 371.

Herr Grün verheimlicht es uns nicht, daß sein Buch dazu bestimmt ist, den deutschen Sozialismus als die Kritik des französischen zu verherrlichen:

»Der Pöbel der deutschen Tagesliteratur hat unsren sozialistischen Bestrebungen nachgesagt, sie seien die Nachahmung französischer Verkehrtheiten. Es hat bis jetzt Niemand der Mühe wert gehalten, nur eine Silbe darauf zu erwidern. Dieser Pöbel muß sich schämen – besitzt er anders noch Schamgefühl –, wenn er dieses Buch liest. Das hat er sich wohl nicht träumen lassen, daß der deutsche Sozialismus die Kritik des französischen ist, daß er, weit entfernt, die Franzosen für Erfinder des neuen Contrat social zu halten, vielmehr die Forderung an sie stellt, sich erst durch die deutsche Wissenschaft zu ergänzen? In diesem Augenblick wird hier in Paris die Herausgabe einer Übersetzung von Feuerbachs ›Wesen des Christenthums‹ veranstaltet, Wohl bekomme den Franzosen die deutsche Schule! Was auch aus der ökonomischen Lage des Landes, aus der Konstellation der hiesigen Politik entstehe, zu einem menschlichen Leben in der Zukunft befähigt einzig die humanistische Weltanschauung. Das unpolitische, verworfne Volk der Deutschen, dies Volk, welches gar kein Volk ist, wird den Eckstein gelegt haben zum Bau der Zukunft.« p. 353.

Allerdings, »was aus der ökonomischen Lage und der Konstellation der Politik« in einem Lande »entsteht«, braucht ein wahrer Sozialist bei seinem vertrauten Umgange mit dem »Wesen des Menschen« nicht zu wissen.

Herr Grün als Apostel des wahren Sozialismus begnügt sich nicht damit, gleich seinen Mitaposteln der Unwissenheit andrer Völker die Allwissenheit der Deutschen stolz entgegenzuhalten. Er nimmt seine alte Literatenpraxis[477] zu Hülfe, er drängt sich den Repräsentanten der verschiedenen sozialistischen, demokratischen und kommunistischen Parteien in der verrufensten Weltfahrer-Manier auf, und nachdem er sie von allen Seiten beschnüffelt hat, tritt er ihnen als Apostel des wahren Sozialismus entgegen. Er hat sie nur noch zu belehren, ihnen die tiefsten Aufschlüsse über das freie Menschentum mitzuteilen. Die Überlegenheit des wahren Sozialismus über die Parteien Frankreichs verwandelt sich hier in die persönliche Überlegenheit des Herrn Grün gegenüber den Repräsentanten dieser Parteien. Schließlich bietet dies dann auch Gelegenheit, nicht nur die französischen Parteichefs als Piedestal des Herrn Grün dienen zu lassen, sondern auch noch eine Masse von Klatschereien anzubringen und so den deutschen Kleinstädter für die Anstrengung zu entschädigen, die ihm die Inhaltvolleren Sätze des wahren Sozialismus verursacht haben.

»Kats verzog sein ganzes Gesicht zu einer plebejischen Heiterkeit, als Ich ihm meine hohe Zufriedenheit mit seiner Rede bezeugte.« p. 50.

Herr Grün erteilt Kats auch sogleich Unterricht über den französischen Terrorismus und »war so glücklich, meinem neuen Freunde Beifall abzugewinnen«, p. 51.

Ganz anders bedeutsam wirkt er auf Proudhon:

»Ich hatte das unendliche Vergnügen, gewissermaßen der Privatdozent des Mannes zu werden, dessen Scharfsinn vielleicht seit Lessing und Kant nicht überboten wurde.« p. 404.

Louis Blanc ist nur »sein schwarz Jüngelchen«. p. 314.

»Er frug sehr wißbegierig, aber zugleich sehr unwissend, nach unsren Zustanden. Wir Deutsche kennen« (?) »die französischen fast so gut wie die Franzosen selbst; wenigstem studieren« (?) »wir sie.« p. 315.

Und über den »Papa Cabet« erfahren wir, daß er »borniert« ist. p. 382. Herr Grün legt ihm »Fragen« vor, von denen Cabet

»gestand, daß er sie nicht gerade approfondiert hätte. Das hatte ich« (Grün) »längst gemerkt, und da hörte natürlich Alles auf, um so mehr, als mir einfiel, daß Cabets Mission eine längst in sich abgeschlossene sei.« p. 381.

Wir werden später sehen, wie Herr Grün dem Cabet eine neue »Mission« zu geben gewußt hat.

Wir heben zunächst das Schema und die paar überkommenen allgemeinen Gedanken hervor, die das Gerippe des Grünschen Buches bilden. Beides ist abgeschrieben von Heß, den Herr Grün überhaupt auf die großartigste Weise paraphrasiert. Sachen, die schon bei Heß ganz unbestimmt und[478] mystisch sind, die aber im Anfange – in den »Einundzwanzig Bogen« – anzuerkennen waren und nur durch ihre ewige Wiederaufdrängung im »Bürgerbuch«, den »Neuen Anekdotis« und den »Rheinischen Jahrbüchern« zu einer Zeit, wo sie bereits antiquiert waren, langweilig und reaktionär geworden sind – diese Sachen werden bei Herrn Grün vollends Unsinn.

Heß synthetisiert die Entwicklung des französischen Sozialismus mit der Entwicklung der deutschen Philosophie – Saint-Simon mit Schelling, Fourier mit Hegel, Proudhon mit Feuerbach. Vgl. z.B. »Einundzw[anzig] Bogen«, p. 78, 79, 326, 327, »Neue Anekd[ota]«, p. 194, 195, 196, 202 seqq. (Parallele zwischen Feuerbach und Proudhon. Z.B. Heß: »Feuerbach ist der deutsche Proudhon« pp., »N[eue] A[nekdota]«, p. 202. Grün: »Proudhon ist der französische Feuerbach«, p. 404.) – Dieser Schematismus mit der Ausführung, die Heß ihm gibt, bildet den ganzen inneren Zusammenhang des Grünschen Buchs. Nur daß Herr Grün nicht verfehlt, die Heßschen Sätze belletristisch anzustreichen. Ja selbst offenbare Schnitzer von Heß, z.B. daß theoretische Entwicklungen den »sozialen Hintergrund« und die »theoretische Basis« praktischer Bewegungen bilden (z.B. »N. An.«, p. 192), schreibt Herr Grün getreulichst nach. (Z.B. Grün, p. 264: »Der soziale Hintergrund, den die politische Frage des achtzehnten Jahrhunderts hatte... war das gleichzeitige Produkt beider philosophischen Richtungen« – der Sensualisten und Deisten.) Ebenso die Meinung, man brauche Feuerbach nur praktisch zu machen, ihn nur aufs soziale Leben anzuwenden, um die vollständige Kritik der bestehenden Gesellschaft zu geben. Nimmt man noch die sonstige Kritik des französischen Kommunismus und Sozialismus durch Heß hinzu, z.B. daß »Fourier, Proudhon pp. nicht über die Kategorie der Lohnarbeit hinausgekommen sind«, »Bürgerbuch«, p. 40 u. a., daß »Fourier die Welt mit neuen Assoziationen des Egoismus beglücken möchte«, »N. Anekd.«, p. 196, daß »selbst die radikalen franz[ösischen] Kommunisten noch nicht über den Gegensatz von Arbeit und Genuß hinaus sind, sich noch nicht zu der Einheit von Produktion und Konsumtion pp. erhoben haben«, »Bürgerb[uch]«, p. 43, daß »die Anarchie die Negation des Begriffs der politischen Herrschaft ist«, »Einundzwanzig Bogen«, p. 77 ppp., so hat man die ganze Kritik der Franzosen durch Herrn Grün in der Tasche, ebensogut wie Herr Grün sie bereits in der Tasche hatte, ehe er nach Paris ging. Außer dem Obengenannten erleichtern dann noch einige in Deutschland traditionell zirkulierende Phrasen über Religion, Politik, Nationalität, menschlich und unmenschlich ppp., Phrasen, die von den Philosophen auf die wahren Sozialisten übergegangen sind, Herrn Grün den Rechnungsabschluß mit den französischen Sozialisten und Kommunisten. Er hat nur überall nach »dem Menschen« und dem[479] Worte menschlich zu suchen und zu verdammen, wo er dies nicht findet. Z.B.: »Du bist politisch, Du bist borniert«, p. 283. In ähnlicher Weise kann Herr Grün dann ausrufen: Du bist national, religiös, nationalökonomisch, Du hast einen Gott – Du bist nicht menschlich. Du bist borniert, wie er dies im ganzen Buche tut. Womit natürlich Politik, Nationalität, Religion pp. gründlich kritisiert und zugleich die Eigentümlichkeit der gerade kritisierten Schriftsteller und ihr Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklung hinreichend beleuchtet sind.

Man sieht schon hieraus, daß das Grünsche Machwerk weit unter dem Buche von Stein steht, der wenigstens versuchte, den Zusammenhang der sozialistischen Literatur mit der wirklichen Entwicklung der französischen Gesellschaft darzustellen. Es bedarf indes kaum der Erwähnung, daß Herr Grün sowohl im vorliegenden Buche wie in den »Neuen Anekdotis« mit der größten Vornehmheit auf seinen Vorgänger herabsieht.

Aber hat Herr Grün wenigstens die ihm von Heß und Andern überlieferten Sachen richtig kopiert? Hat er innerhalb seines höchst unkritisch auf Treu und Glauben angenommenen Schemas wenigstens das nötige Material niedergelegt, hat er eine richtige und vollständige Darstellung der einzelnen sozialistischen Schriftsteller nach den Quellen gegeben? Dies sind doch wahrlich die niedrigsten Forderungen, die man an den Mann stellen kann, von dem Nordamerikaner und Franzosen, Engländer und Belgier zu lernen haben, der der Privatdozent Proudhons war und jeden Augenblick auf die deutsche Gründlichkeit gegenüber den oberflächlichen Franzosen pocht.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 473-480.
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