6. Enthüllung des Geheimnisses der Emanzipation der Weiber oder Louise Morel

[207] Bei Gelegenheit der Verhaftung der Louise Morel stellt Rudolph Reflexionen an, die sich dahin resümieren:

»Der Herr verdirbt oft die Magd, sei es durch Schrecken, Überraschung oder durch sonstige Benutzung der Gelegenheiten, welche die Natur des Dienstverhältnisses herbeiführt. Er stürzt sie in Unglück, Schmach, Verbrechen. Das Gesetz bleibt diesem Gegenstand fremd... Der Verbrecher, der das Mädchen zum Kindermord faktisch gezwungen hat, wird nicht gestraft

Rudolphs Reflexionen erstrecken sich nicht einmal so weit, das Dienstverhältnis selbst seiner allerdurchlauchtigsten Kritik zu unterwerfen. Als ein kleiner Herrscher ist er ein großer Gönner von Dienstverhältnissen. Noch weniger geht Rudolph dazu fort, die allgemeine Stellung des Weibes in der heutigen Gesellschaft als unmenschlich zu begreifen. Ganz seiner bisherigen Theorie getreu, vermißt er nichts als ein Gesetz, welches den Verführer straft und die Reue und Buße mit schrecklichen Züchtigungen verbindet.

Rudolph hätte sich mir in der existierenden Gesetzgebung anderer Länder umzusehen. Die englische Gesetzgebung erfüllt alle seine Wünsche. Sie geht in ihrem Zartgefühl, das Blackstone rühmlich hervorhebt, so weit, auch den, der ein Freudenmädchen verführt, der Felonie für schuldig zu erklären.

Herr Szeliga bläst Tusch:

»Dies! – denkt! – Rudolph! – und nun haltet diese Gedanken gegen eure Phantasien von der Emanzipation des Weibes. Die Tat dieser Emanzipation ist aus ihnen fast mit Händen zu greifen, während ihr von Hause aus viel zu praktisch seid und daher mit euren bloßen Versuchen so vielfach verunglückt.«

Jedenfalls verdankt man Herrn Szeliga die Enthüllung des Geheimnisses, daß eine Tat fast mit Händen aus Gedanken gegriffen werden kann. Was seine drollige Vergleichung Rudolphs mit den Männern betrifft, welche die Emanzipation des Weibes gelehrt haben, so vergleiche man Rudolphs Gedanken etwa mit folgenden Phantasien Fouriers:

»Ehebruch, Verführung macht den Verführern Ehre, ist guter Ton... Aber, armes Mädchen! der Kindermord, welch ein Verbrechen! Wenn sie auf Ehre hält, muß sie die Spuren der Unehre auslöschen, und wenn sie den Vorurteilen der Welt ihr Kind aufopfert, so ist sie noch mehr geschändet und verfällt den Vorurteilen des Gesetzes... Das ist der fehlerhafte Kreislauf, welchen aller zivilisierte Mechanismus beschreibt.«

»Die junge Tochter, ist sie nicht eine Ware, zum Verkauf ausgeboten für den ersten besten, der das exklusive Eigentum dieses Mädchens erhandeln will?... De même qu'en[207] grammaire deux négations valent une affirmation, l'on peut dire qu'en négoce conjugal deux prostitutions valent une vertu

»Die Veränderung einer geschichtlichen Epoche läßt sich immer aus dem Verhältnis des Fortschritts der Frauen zur Freiheit bestimmen, weil hier im Verhältnis des Weibes zum Mann, des Schwachen zum Starken, der Sieg der menschlichen Natur über die Brutalität am evidentesten erscheint. Der Grad der weiblichen Emanzipation ist das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation.«

»Die Erniedrigung des weiblichen Geschlechts ist ein wesentlicher Charakterzug der Zivilisation wie der Barbarei, nur mit dem Unterschied, daß die zivilisierte Ordnung jedes Laster, welches die Barbarei auf eine einfache Weise ausübt, zu einer zusammengesetzten, doppelsinnigen, zweideutigen, heuchlerischen Daseinsweise erhebt... Keinen trifft die Strafe, das Weib in der Sklaverei zu erhalten, tiefer als den Mann selbst.« (Fourier.)

Dem Gedanken Rudolphs gegenüber ist es überflüssig, auf Fouriers meisterhafte Charakteristik der Ehe wie auf die Schriften der materialistischen Fraktion des französischen Kommunismus hinzuweisen.

Der traurigste Abhub der sozialistischen Literatur, wie er bei dem Romanschreiber zu finden ist, enthüllt der kritischen Kritik immer noch unbekannte »Geheimnisse.«

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 207-208.
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