1. Produktion

[615] a) Der vorliegende Gegenstand zunächst die materielle Produktion.

In Gesellschaft produzierende Individuen – daher gesellschaftlich bestimmte Produktion der Individuen ist natürlich der Ausgangspunkt. Der einzelne und vereinzelte Jäger und Fischer, womit Smith und Ricardo beginnen, gehört zu den phantasielosen Einbildungen der 18.-Jahrhundert-Robinsonaden, die keineswegs, wie Kulturhistoriker sich einbilden, bloß einen Rückschlag gegen Überverfeinerung und Rückkehr zu einem mißverstandnen Naturleben ausdrücken. So wenig wie Rousseaus contrat social, der die von Natur independenten Subjekte durch Vertrag in Verhältnis und Verbindung bringt, auf solchem Naturalismus beruht. Dies Schein und nur der ästhetische Schein der kleinen und großen Robinsonaden. Es ist vielmehr die Vorwegnahme der »bürgerlichen Gesellschaft«, die seit dem 16. Jahrhundert sich vorbereitete und im 18. Riesenschritte zu ihrer Reife machte. In dieser Gesellschaft der freien Konkurrenz erscheint der Einzelne losgelöst von den Naturbanden usw., die ihn in früheren Geschichtsepochen zum Zubehör eines bestimmten, begrenzten menschlichen Konglomerats machen. Den Propheten des 18. Jahrhunderts, auf deren Schultern Smith und Ricardo noch ganz stehn, schwebt dieses Individuum des 18. Jahrhunderts – das Produkt einerseits der Auflösung der feudalen Gesellschaftsformen, andrerseits der seit dem 16. Jahrhundert neuentwickelten Produktivkräfte – als Ideal vor, dessen Existenz eine vergangne sei. Nicht als ein historisches Resultat, sondern als Ausgangspunkt der Geschichte. Weil als das naturgemäße Individuum, angemessen ihrer Vorstellung von der menschlichen Natur, nicht als ein geschichtlich entstehendes, sondern von der Natur gesetztes. Diese Täuschung ist jeder neuen Epoche bisher eigen[615] gewesen. Steuart, der in mancher Hinsicht im Gegensatz zum 18. Jahrhundert und als Aristokrat mehr auf historischem Boden steht, hat diese Einfältigkeit vermieden.

Je tiefer wir in der Geschichte zurückgehen, je mehr erscheint das Individuum, daher auch das produzierende Individuum, als unselbständig, einem größren Ganzen angehörig: erst noch in ganz natürlicher Weise in der Familie und in der zum Stamm erweiterten Familie; später in dem aus dem Gegensatz und Verschmelzung der Stämme hervorgehenden Gemeinwesen in seinen verschiednen Formen. Erst in dem 18. Jahrhundert, in der »bürgerlichen Gesellschaft«, treten die verschiednen Formen des gesellschaftlichen Zusammenhangs dem Einzelnen als bloßes Mittel für seine Privatzwecke entgegen, als äußerliche Notwendigkeit. Aber die Epoche, die diesen Standpunkt erzeugt, den des vereinzelten Einzelnen, ist grade die der bisher entwickeltsten gesellschaftlichen (allgemeinen von diesem Standpunkt aus) Verhältnisse. Der Mensch ist im wörtlichsten Sinn ein zôon politikon nicht nur ein geselliges Tier, sondern ein Tier, das nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann. Die Produktion des vereinzelten Einzelnen außerhalb der Gesellschaft – eine Rarität, die einem durch Zufall in die Wildnis verschlagnen Zivilisierten wohl vorkommen kann, der in sich dynamisch schon die Gesellschaftskräfte besitzt – ist ein ebensolches Unding als Sprachentwicklung ohne zusammen lebende und zusammen sprechende Individuen. Es ist sich dabei nicht länger aufzuhalten. Der Punkt wäre gar nicht zu berühren, wenn die Fadaise, die bei den Leuten des 18. Jahrhunderts Sinn und Verstand hatte, von Bastiat, Carey, Proudhon etc. nicht wieder ernsthaft mitten in die modernste Ökonomie hereingezogen würde. Für Proudhon u. a. ist es natürlich angenehm, den Ursprung eines ökonomischen Verhältnisses, dessen geschichtliche Entstehung er nicht kennt, dadurch geschichtsphilosophisch zu entwickeln, daß er mythologisiert, Adam oder Prometheus sei auf die Idee fix und fertig gefallen, dann sei sie eingeführt worden etc. Nichts ist langweilig trockner, als der phantasierende locus communis.

Wenn also von Produktion die Rede ist, ist immer die Rede von Produktion auf einer bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsstufe – von der Produktion gesellschaftlicher Individuen. Es könnte daher scheinen, daß, um überhaupt von der Produktion zu sprechen, wir entweder den geschichtlichen Entwicklungsprozeß in seinen verschiednen Phasen verfolgen müssen, oder von vornherein erklären, daß wir es mit einer bestimmten historischen[616] Epoche zu tun haben, also z.B. mit der modernen bürgerlichen Produktion, die in der Tat unser eigentliches Thema ist. Allein alle Epochen der Produktion haben gewisse Merkmale gemein, gemeinsame Bestimmungen. Die Produktion im allgemeinen ist eine Abstraktion, aber eine verständige Abstraktion, sofern sie wirklich das Gemeinsame hervorhebt, fixiert und uns daher die Wiederholung erspart. Indes dies Allgemeine, oder das durch Vergleichung herausgesonderte Gemeinsame, ist selbst ein vielfach Gegliedertes, in verschiedne Bestimmungen Auseinanderfahrendes. Einiges davon gehört allen Epochen; andres einigen gemeinsam. [Einige] Bestimmungen werden der modernsten Epoche mit der ältesten gemeinsam sein. Es wird sich keine Produktion ohne sie denken lassen; allein, wenn die entwickeltsten Sprachen Gesetze und Bestimmungen mit den unentwickeltsten gemein haben, so ist grade das, was ihre Entwicklung ausmacht, der Unterschied von diesem Allgemeinen und Gemeinsamen. Die Bestimmungen, die für die Produktion überhaupt gelten, müssen grade gesondert werden, damitA1 über der Einheit – die schon daraus hervorgeht, daß das Subjekt, die Menschheit, und das Objekt, die Natur, dieselben – die wesentliche Verschiedenheit nicht vergessen wird. In diesem Vergessen liegt z.B. die ganze Weisheit der modernen Ökonomen, die die Ewigkeit und Harmonie der bestehenden sozialen Verhältnisse beweisen. Z.B. keine Produktion möglich, ohne ein Produktionsinstrument, wäre dies Instrument auch nur die Hand. Keine möglich ohne vergangne, aufgehäufte Arbeit, wäre diese Arbeit auch nur die Fertigkeit, die in der Hand des Wilden durch wiederholte Übung angesammelt und konzentriert ist. Das Kapital ist unter andrem auch Produktionsinstrument, auch vergangne, objektivierte Arbeit. Also ist das Kapital ein allgemeines, ewiges Naturverhältnis; d.h. wenn ich grade das Spezifische weglasse, was »Produktionsinstrument«, »aufgehäufte Arbeit« erst zum Kapital macht. Die ganze Geschichte der Produktionsverhältnisse erscheint daher z.B. bei Carey als eine durch die Regierungen böswillig veranlaßte Verfälschung.

Wenn es keine Produktion im allgemeinen gibt, so gibt es auch keine allgemeine Produktion. Die Produktion ist immer ein besondrer Produktionszweig – z.B. Agrikultur, Viehzucht, Manufaktur etc. – oder sie ist Totalität. Allein die politische Ökonomie ist nicht Technologie. Das Verhältnis der allgemeinen Bestimmungen der Produktion auf einer gegebnen gesellschaftlichen Stufe zu den besondren Produktionsformen anderswo zu entwickeln (später).[617]

Endlich ist die Produktion auch nicht nur besondre. Sondern es ist stets nur ein gewisser Gesellschaftskörper, ein gesellschaftliches Subjekt, das in einer größren oder dürftigren Totalität von Produktionszweigen tätig ist. Das Verhältnis, das die wissenschaftliche Darstellung zur reellen Bewegung hat, gehört ebenfalls noch nicht hierher. Produktion im allgemeinen. Besondere Produktionszweige. Totalität der Produktion.

Es ist Mode, der Ökonomie einen allgemeinen Teil vorherzuschicken – und es ist grade der, der unter dem Titel »Produktion« figuriert (siehe zum Beispiel J. St. Mill) –, worin die allgemeinen Bedingungen aller Produktion abgehandelt werden. Dieser allgemeine Teil besteht oder soll angeblich bestehn:

1. aus den Bedingungen, ohne welche Produktion nicht möglich ist. D.h. also in der Tat nichts als die wesentlichen Momente aller Produktion angeben. Es reduziert sich dies in der Tat aber, wie wir sehn werden, auf einige sehr einfache Bestimmungen, die in flachen Tautologien breitgeschlagen werden;

2. die Bedingungen, die mehr oder weniger die Produktion fördern, wie z.B. Adam Smiths fortschreitender und stagnanter Gesellschaftszustand. Um dies, was als Aperçu bei ihm seinen Wert hat, zu wissenschaftlicher Bedeutung zu erheben, wären Untersuchungen nötig über die Perioden der Grade der Produktivität in der Entwicklung einzelner Völker – eine Untersuchung, die außerhalb der eigentlichen Grenzen des Themas liegt, soweit sie aber in dasselbe gehört, bei der Entwicklung der Konkurrenz, Akkumulation usw. anzubringen ist. In der allgemeinen Fassung läuft die Antwort auf das Allgemeine hinaus, daß ein industrielles Volk die Höhe seiner Produktion in dem Moment besitzt, worin es überhaupt seine geschichtliche Höhe einnimmt. In fact. Industrielle Höhe eines Volks, solange noch nicht der Gewinn, sondern das Gewinnen ihm Hauptsache ist. Sofern die Yankees über den Engländern. Oder aber: daß z.B. gewisse Racen, Anlagen, Klimate, Naturverhältnisse, wie Seelage, Fruchtbarkeit des Bodens etc., der Produktion günstiger sind als andre. Läuft auch wieder auf die Tautologie hinaus, daß der Reichtum in dem Grade leichter geschaffen wird, als subjektiv und objektiv seine Elemente in höherm Grad vorhanden sind.

Das ist es aber alles nicht, worum es den Ökonomen wirklich in diesem allgemeinen Teil sich handelt. Die Produktion soll vielmehr – siehe z.B. Mill – im Unterschied von der Distribution etc. als eingefaßt in von der Geschichte unabhängigen ewigen Naturgesetzen dargestellt werden, bei welcher Gelegenheit dann ganz unter der Hand bürgerliche Verhältnisse als unumstößliche Naturgesetze der Gesellschaft in abstracto untergeschoben[618] werden. Dies ist der mehr oder minder bewußte Zweck des ganzen Verfahrens. Bei der Distribution dagegen sollen die Menschen in der Tat allerlei Willkür sich erlaubt haben. Ganz abgesehn von dem rohen Auseinanderreißen von Produktion und Distribution und ihrem wirklichen Verhältnis, muß so viel von vornherein einleuchten, daß, wie verschiedenartig die Distribution auf verschiednen Gesellschaftsstufen sein mag, es ebenso möglich sein muß, ebensogut wie in der Produktion, gemeinsame Bestimmungen herauszuholen und ebenso möglich, alle historischen Unterschiede zu konfundieren oder auszulöschen in allgemein menschlichen Gesetzen. Z.B. der Sklave, der Leibeigne, der Lohnarbeiter erhalten alle ein Quantum Nahrung, das ihnen möglich macht, als Sklave, als Leibeigner, als Lohnarbeiter zu existieren. Der Erobrer, der vom Tribut, oder der Beamte, der von der Steuer, oder der Grundeigentümer, der von der Rente, oder der Mönch, der vom Almosen, oder der Levit, der vom Zehnten lebt, erhalten alle ein Quotum der gesellschaftlichen Produktion, das nach andren Gesetzen bestimmt ist als das des Sklaven etc. Die beiden Hauptpunkte, die alle Ökonomen unter diese Rubrik stellen, sind: 1. Eigentum; 2. Sicherung desselben durch Justiz, Polizei etc. Es ist darauf sehr kurz zu antworten:

ad 1. Alle Produktion ist Aneignung der Natur von seiten des Individuums innerhalb und vermittelst einer bestimmten Gesellschaftsform. In diesem Sinn ist es Tautologie, zu sagen, daß Eigentum (Aneignen) eine Bedingung der Produktion sei. Lächerlich aber ist es, hiervon einen Sprung auf eine bestimmte Form des Eigentums, z.B. das Privateigentum, zu machen. (Was dazu noch eine gegensätzliche Form, die Nichteigentum ebensowohl als Bedingung unterstellt.) Die Geschichte zeigt vielmehr Gemeineigentum (z.B. bei den Indern, Slawen, alten Kelten etc.) als die ursprüngliche Form, eine Form, die unter der Gestalt des Gemeindeeigentums noch lange eine bedeutende Rolle spielt. Von der Frage, ob der Reichtum sich besser unter dieser oder jener Form des Eigentums entwickle, ist hier noch gar nicht die Rede. Daß aber von keiner Produktion, also auch von keiner Gesellschaft die Rede sein kann, wo keine Form des Eigentums existiert, ist eine Tautologie. Eine Aneignung, die sich nichts zu eigen macht, ist eine contradictio in subjecto.

ad 2. Sicherstellung des Erworbnen etc. Wenn diese Trivialitäten auf ihren wirklichen Gehalt reduziert werden, so sprechen sie mehr aus, als ihre Prediger wissen. Nämlich, daß jede Form der Produktion ihre eignen[619] Rechtsverhältnisse, Regierungsform etc. erzeugt. Die Roheit und Begriffslosigkeit liegt eben darin, das organisch Zusammengehörende zufällig aufeinander zu beziehn, in einen bloßen Reflexionszusammenhang zu bringen. Den bürgerlichen Ökonomen schwebt nur vor, daß sich mit der modernen Polizei besser produzieren lasse als z.B. im Faustrecht. Sie vergessen nur, daß auch das Faustrecht ein Recht ist, und daß das Recht des Stärkeren unter andrer Form auch in ihrem »Rechtsstaat« fortlebt.

Wenn die einer bestimmten Stufe der Produktion entsprechenden gesellschaftlichen Zustände erst entstehn, oder wenn sie schon vergehn, treten natürlich Störungen der Produktion ein, obgleich in verschiednem Grad und von verschiedner Wirkung.

Zu resümieren: Es gibt allen Produktionsstufen gemeinsame Bestimmungen, die vom Denken als allgemeine fixiert werden; aber die sogenannten allgemeinen Bedingungen aller Produktion sind nichts als diese abstrakten Momente, mit denen keine wirkliche geschichtliche Produktionsstufe begriffen ist.

A1

in der Handschrift: um

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1961, Band 13, S. 615-620.
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