b) [Produktion und Distribution]

[626] Wenn man die gewöhnlichen Ökonomien betrachtet, muß zunächst auffallen, daß alles in ihnen doppelt gesetzt wird. Z.B. in der Distribution figurieren Grundrente, Arbeitslohn, Zins und Profit, während in der Produktion Erde, Arbeit, Kapital figurieren als Agenten der Produktion. Mit dem Kapital nun ist von vornherein einleuchtend, daß es doppelt gesetzt ist, 1. als Produktionsagent; 2. als Einnahmequelle; als bestimmend bestimmte Distributionsform. Zins und Profit figurieren daher auch als solche in der Produktion, insofern sie Formen sind, in denen das Kapital sich vermehrt, anwächst, also Momente seiner Produktion selbst. Zins und Profit als Distributionsformen unterstellen das Kapital als Agenten der Produktion. Sie sind Distributionsweisen, die zur Voraussetzung das Kapital als Produktionsagenten haben. Sie sind ebenso Reproduktionsweisen des Kapitals.

Arbeitslohn ist ebenso die unter einer andren Rubrik betrachtete Lohnarbeit: die Bestimmtheit, die die Arbeit hier als Produktionsagent hat, erscheint als Distributionsbestimmung. Wäre die Arbeit nicht als Lohnarbeit bestimmt, so erschiene die Art, wie sie an den Produkten teilnimmt, nicht als Arbeitslohn, wie z.B. in der Sklaverei. Endlich die Grundrente, um gleich die entwickeltste Form der Distribution zu nehmen, worin das[626] Grundeigentum an den Produkten teilnimmt, unterstellt das große Grundeigentum (eigentlich die große Agrikultur) als Produktionsagenten, nicht die Erde schlechthin, so wenig wie das Salär die Arbeit schlechthin. Die Distributionsverhältnisse und -weisen erscheinen daher nur als Kehrseite der Produktionsagenten. Ein Individuum, das in der Form der Lohnarbeit an der Produktion teilnimmt, nimmt in der Form des Arbeitslohns an den Produkten, den Resultaten der Produktion teil. Die Gliederung der Distribution ist vollständig bestimmt durch die Gliederung der Produktion. Die Distribution ist selbst ein Produkt der Produktion, nicht nur dem Gegenstand nach, daß nur die Resultate der Produktion distribuiert werden können, sondern auch der Form nach, daß die bestimmte Art der Teilnahme an der Produktion die besondren Formen der Distribution, die Form, worin an der Distribution teilgenommen wird, bestimmt. Es ist durchaus eine Illusion, in der Produktion Erde, in der Distribution Grundrente zu setzen etc.

Ökonomen wie Ricardo, denen am meisten vorgeworfen wird, sie hätten nur die Produktion im Auge, haben daher ausschließlich die Distribution als Gegenstand der Ökonomie bestimmt, weil sie instinktiv die Distributionsformen als den bestimmtesten Ausdruck faßten, worin die Produktionsagenten in einer gegebnen Gesellschaft sich fixieren.

Dem einzelnen Individuum gegenüber erscheint natürlich die Distribution als ein gesellschaftliches Gesetz, das seine Stellung innerhalb der Produktion bedingt, innerhalb deren es produziert, die also der Produktion vorausgeht. Das Individuum hat von Haus aus kein Kapital, kein Grundeigentum. Es ist von Geburt auf die Lohnarbeit angewiesen durch die gesellschaftliche Distribution. Aber dies Angewiesensein selbst ist das Resultat [dessen], daß Kapital, Grundeigentum als selbständige Produktionsagenten existieren.

Ganze Gesellschaften betrachtet, scheint die Distribution nach noch einer Seite hin der Produktion vorherzugehn und sie zu bestimmen; gleichsam als anteökonomisches fact. Ein eroberndes Volk verteilt das Land unter die Eroberer und imponiert so eine bestimmte Verteilung und Form des Grundeigentums: bestimmt daher die Produktion. Oder es macht die Eroberten zu Sklaven und macht so Sklavenarbeit zur Grundlage der Produktion. Oder ein Volk, durch Revolution, zerschlägt das große Grundeigentum in Parzellen; gibt also durch diese neue Distribution der Produktion einen neuen Charakter. Oder die Gesetzgebung verewigt das Grundeigentum in gewissen Familien, oder verteilt die Arbeit [als] erbliches Privileg[627] und fixiert sie so kastenmäßig. In allen diesen Fällen, und sie sind alle historisch, scheint die Distribution nicht durch die Produktion, sondern umgekehrt die Produktion durch die Distribution gegliedert und bestimmt.

Die Distribution in der flachsten Auffassung erscheint als Distribution der Produkte, und so weiter entfernt von und quasi selbständig gegen die Produktion. Aber ehe die Distribution Distribution der Produkte ist, ist sie: 1. Distribution der Produktionsinstrumente, und 2., was eine weitere Bestimmung desselben Verhältnisses ist, Distribution der Mitglieder der Gesellschaft unter die verschiednen Arten der Produktion. (Subsumtion der Individuen unter bestimmte Produktionsverhältnisse.) Die Distribution der Produkte ist offenbar nur Resultat dieser Distribution, die innerhalb des Produktionsprozesses selbst einbegriffen ist und die Gliederung der Produktion bestimmt. Die Produktion abgesehn von dieser in ihr eingeschloßnen Distribution betrachten, ist offenbar leere Abstraktion, während umgekehrt die Distribution der Produkte von selbst gegeben ist mit dieser ursprünglich ein Moment der Produktion bildenden Distribution. Ricardo, dem es darum zu tun war, die moderne Produktion in ihrer bestimmten sozialen Gliederung aufzufassen, und der der Ökonom der Produktion par excellence ist, erklärt eben deswegen nicht die Produktion, sondern die Distribution für das eigentliche Thema der modernen Ökonomie. Es folgt hier wieder die Abgeschmacktheit der Ökonomen, die die Produktion als ewige Wahrheit entwickeln, während sie die Geschichte in den Bereich der Distribution bannen.

Welches Verhältnis diese die Produktion selbst bestimmende Distribution zu ihr einnimmt, ist offenbar eine Frage, die innerhalb der Produktion selbst fällt. Sollte gesagt werden, daß dann wenigstens, da die Produktion von einer gewissen Distribution der Produktionsinstrumente ausgehn muß, die Distribution in dieser Bedeutung der Produktion vorhergeht, ihre Voraussetzung bildet, so ist darauf zu antworten, daß die Produktion in der Tat ihre Bedingungen und Voraussetzungen hat, die Momente derselben bilden. Diese mögen im ersten Beginn als naturwüchsig erscheinen. Durch den Prozeß der Produktion selbst werden sie aus naturwüchsigen in geschichtliche verwandelt, und wenn sie für eine Periode als natürliche Voraussetzung der Produktion erscheinen, waren sie für eine andre ihr geschichtliches Resultat. Innerhalb der Produktion selbst werden sie beständig verändert. Z.B. die Anwendung der Maschinerie veränderte die Distribution sowohl der Produktionsinstrumente als der Produkte. Das moderne große Grundeigentum selbst ist das Resultat sowohl des modernen Handels und der modernen Industrie, wie der Anwendung der letzten auf die Agrikultur.[628]

Die oben aufgeworfnen Fragen lösen sich alle in letzter Instanz dahin auf, wie allgemeingeschichtliche Verhältnisse in die Produktion hineinspielen, und ihr Verhältnis zur geschichtlichen Bewegung überhaupt. Die Frage gehört offenbar in die Erörterung und Entwicklung der Produktion selbst.

Indes in der trivialen Form, worin sie oben aufgeworfen sind, können sie ebenso kurz abgefertigt werden. Bei allen Eroberungen ist dreierlei möglich. Das erobernde Volk unterwirft das eroberte seiner eignen Produktionsweise (z.B. die Engländer in Irland in diesem Jahrhundert, zum Teil in Indien); oder es läßt die alte bestehn und begnügt sich mit Tribut (z.B. Türken und Römer); oder es tritt eine Wechselwirkung ein, wodurch ein Neues entsteht, eine Synthese (zum Teil in den germanischen Eroberungen). In allen Fällen ist die Produktionsweise, sei es des erobernden Volks, sei es des eroberten, sei es die aus der Verschmelzung beider hervorgehende, bestimmend für die neue Distribution, die eintritt. Obgleich diese als Voraussetzung für die neue Produktionsperiode erscheint, ist sie so selbst wieder ein Produkt der Produktion, nicht nur der geschichtlichen im allgemeinen, sondern der bestimmten geschichtlichen Produktion.

Die Mongolen mit ihren Verwüstungen in Rußland z.B. handelten ihrer Produktion, der Viehweide gemäß, für die große, unbewohnte Strecken eine Hauptbedingung. Die germanischen Barbaren, für die Ackerbau mit Leibeignen hergebrachte Produktion war und isoliertes Leben auf dem Land, konnten die römischen Provinzen um so leichter diesen Bedingungen unterwerfen, als die dort stattgehabte Konzentration des Grundeigentums die älteren Agrikulturverhältnisse schon ganz umgeworfen hatte.

Es ist eine hergebrachte Vorstellung, daß in gewissen Perioden nur vom Raub gelebt ward. Um aber rauben zu können, muß etwas zu rauben da sein, also Produktion. Und die Art des Raubs ist selbst wieder durch die Art der Produktion bestimmt. Eine stockjobbing nation z.B. kann nicht beraubt werden wie eine Nation von Kuhhirten.

In dem Sklaven wird das Produktionsinstrument direkt geraubt. Dann aber muß die Produktion des Landes, für das er geraubt wird, so gegliedert sein, umA8 Sklavenarbeit zuzulassen, oder (wie in Südamerika etc.) es muß eine dem Sklaven entsprechende Produktionsweise geschaffen werden.

Gesetze können ein Produktionsinstrument, z.B. Land, in gewissen Familien verewigen. Diese Gesetze bekommen nur ökonomische Bedeutung, wenn das große Grundeigentum in Harmonie mit der gesellschaftlichen[629] Produktion ist, wie z.B. in England. In Frankreich wurde kleine Agrikultur getrieben trotz des großen Grundeigentums, letztres daher auch von der Revolution zerschlagen. Aber die Verewigung der Parzellierung z.B. durch Gesetze? Trotz dieser Gesetze konzentriert sich das Eigentum wieder. Der Einfluß der Gesetze zur Festhaltung von Distributionsverhältnissen, und dadurch ihre Einwirkung auf die Produktion, sind besonders zu bestimmen.

A8

in der Handschrift: als

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1961, Band 13, S. 626-630.
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