B. Theorien von der Maßeinheit des Geldes

[59] Der Umstand, daß die Waren als Preise nur ideell in Gold, das Gold daher nur ideell in Geld verwandelt ist, veranlaßte die Lehre von der idealen[59] Maßeinheit des Geldes. Weil bei der Preisbestimmung nur vorgestelltes Gold oder Silber, Gold und Silber nur als Rechengeld funktionieren, wurde behauptet, die Namen Pfund, Shilling, Pence, Taler, Frank usw. statt Gewichtteile von Gold oder Silber oder irgendwie vergegenständlichte Arbeit zu bezeichnen, bezeichneten vielmehr ideale Wertatome. Stiege also z.B. der Wert einer Unze Silber, so enthielte sie mehr solcher Atome und müßte daher in mehr Shillingen berechnet und gemünzt werden. Diese Doktrin, wieder geltend gemacht während der letzten Handelskrise in England und sogar parlamentarisch vertreten in zwei Sonderberichten, die dem Bericht des 1858 sitzenden Bankkomitees angehängt sind, datiert vom Ende des 17. Jahrhunderts. Zur Zeit von Wilhelms III. Regierungsantritt betrug der englische Münzpreis einer Unze Silber 5 sh. 2 d. oder 1/62 Unze Silber wurde Penny, 12 dieser Pence wurden Shilling genannt. Diesem Maßstab gemäß wurde ein Silbergewicht von z.B. 6 Unzen Silber gemünzt in 31 Stücken mit dem Namen Shilling. Der Marktpreis der Unze Silber stieg aber über ihren Münzpreis, von 5 sh. 2 d. auf 6 sh. 3 d., oder um eine Unze Rohsilber zu kaufen, mußten 6 sh. 3 d. aufgewogen werden. Wie könnte der Marktpreis einer Unze Silber über ihren Münzpreis steigen, wenn der Münzpreis bloß Rechennamen für aliquote Teile einer Unze Silber? Das Rätsel löste sich einfach. Von den 5600000 Pfd. St. Silbergeld, das damals zirkulierte, waren vier Millionen verschlissen, gekippt und gewippt. Es zeigte sich bei einer Probe, daß 57200 Pfd. St. in Silber, die 220000 Unzen wiegen sollten, nur 141000 Unzen wogen. Die Münze prägte immer nach demselben Maßstab, aber die wirklich zirkulierenden leichten Shillinge stellten kleinere aliquote Teile der Unze dar, als ihr Name vorgab. Eine größere Quantität dieser kleiner gewordenen Shillinge mußte folglich auf dem Markt für die Unze Rohsilber gezahlt werden. Als infolge der so entstandenen Störung eine allgemeine Ummünzung beschlossen wurde, behauptete Lowndes, der Secretary to the treasury, der Wert der Unze Silber sei gestiegen, sie müsse daher künftig in 6 sh. 3 d. statt wie bisher in 5 sh. 2 d. gemünzt werden. Er behauptete also in der Tat, daß, weil der Wert der Unze gestiegen, der Wert ihrer aliquoten Teile gefallen sei. Seine falsche Theorie war aber nur Beschönigung eines richtigen praktischen Zwecks. Die Staatsschulden waren in leichten Shillingen kontrahiert, sollten sie in schweren zurückgezahlt werden? Statt zu sagen, zahlt 4 Unzen Silber zurück, wo ihr dem Namen nach 5 Unzen, in Wirklichkeit aber nur 4 Unzen erhalten habt, sagte er umgekehrt, zahlt dem Namen nach 5 Unzen zurück, reduziert sie aber dem Metallgehalt nach auf 4 Unzen und nennt Shilling was ihr bisher 4/5 Shilling nanntet. Lowndes hielt sich also tatsächlich am Metallgehalt, während er in der Theorie am Rechennamen[60] festhielt. Seine Gegner, die bloß am Rechennamen festhielten und daher einen um 25 bis 50% zu leichten Shilling identisch mit einem vollwichtigen Shilling erklärten, behaupteten umgekehrt, nur am Metallgehalt festzuhalten. John Locke, der die neue Bourgeoisie in allen Formen vertrat, die industriellen gegen die Arbeiterklassen und die Paupers, die Kommerziellen gegen die altmodischen Wucherer, die Finanzaristokraten gegen die Staatsschuldner, und in einem eigenen Werk sogar den bürgerlichen Verstand als menschlichen Normalverstand nachwies, nahm auch den Handschuh gegen Lowndes auf. John Locke siegte und Geld, geborgt zu 10 oder 14 Shillingen die Guinee, wurde zurückgezahlt in Guineen von 20 Shillingen.48 Sir James Steuart faßt die ganze Transaktion ironisch so zusammen:

»Die Regierung gewann bedeutend auf Steuern, die Gläubiger auf Kapital und Zinsen, und die Nation, die allein Geprellte, war kreuzfidel, weil ihr Standard« (der Maßstab ihres eigenen Werts) »nicht herabgesetzt worden war.«49[61]

Steuart meinte, bei weiterer kommerzieller Entwicklung werde die Nation sich schlauer zeigen. Er irrte. Ungefähr 120 Jahre später wiederholte sich dasselbe quid pro quo.

Es war in der Ordnung, daß Bischof Berkeley, der Vertreter eines mystischen Idealismus in der englischen Philosophie, der Lehre von der idealen Maßeinheit des Geldes eine theoretische Wendung gab, was der praktische »Secretary to the treasury« versäumt hatte. Er fragt:

»Sind die Namen Livre, Pfund Sterling, Krone usw. nicht zu betrachten als bloße Verhältnisnamen?« (nämlich Verhältnis des abstrakten Werts als solchen). »Sind Gold, Silber oder Papier mehr als bloße Billette oder Marken zur Berechnung, Protokollierung und Übermachung davon?« (des Wertverhältnisses). »Ist die Macht, die Industrie anderer« (gesellschaftliche Arbeit) »zu kommandieren, nicht Reichtum? Und ist Geld in der Tat etwas anderes als Marke oder Zeichen für Übertragung oder Registrierung solcher Macht, und ist es von großer Wichtigkeit, woraus das Material dieser Marken besteht?«50

Hier findet sich Verwechslung einerseits zwischen Maß der Werte und Maßstab der Preise, andrerseits zwischen Gold oder Silber als Maß und als Zirkulationsmittel. Weil die edlen Metalle im Akt der Zirkulation durch Marken ersetzt werden können, schließt Berkeley, daß diese Marken ihrerseits nichts, nämlich den abstrakten Wertbegriff vorstellen.

So völlig entwickelt ist die Lehre von der idealen Maßeinheit des Geldes bei Sir James Steuart, daß seine Nachfolger – bewußtlose Nachfolger, indem sie ihn nicht kennen – weder eine neue Sprachwendung noch selbst ein neues Beispiel finden.

»Rechengeld«, sagt er, »Ist nichts als ein willkürlicher Maßstab von gleichen Teilen, erfunden, um den relativen Wert verkäuflicher Dinge zu messen. Rechengeld ist ganz verschieden von Münzgeld (money coin), welches Preis ist51, und es könnte existieren, obgleich es keine Substanz in der Welt gäbe, die ein proportionelles Äquivalent für alle Waren wäre. Rechengeld verrichtet denselben Dienst für den Wert der Dinge wie Grade, Minuten, Sekunden usw. für Winkel oder Maßstäbe für geographische Karten usw. In allen diesen Erfindungen wird immer dieselbe Denomination als Einheit[62] angenommen. Wie die Nützlichkeit aller solcher Verrichtungen einfach beschränkt ist auf die Anzeige von Proportion, so die der Geldeinheit. Sie kann daher keine unveränderlich bestimmte Proportion zu irgendeinem Teil des Werts haben, d.h. sie kann nicht fixiert sein an irgendein bestimmtes Quantum von Gold, Silber oder irgendeiner andern Ware. Ist die Einheit einmal gegeben, so kann man durch Multiplikation zum größten Wert aufsteigen. Da der Wert der Waren abhängt von einem allgemeinen Zusammenfluß auf sie einwirkender Umstände und von den Grillen der Menschen, sollte ihr Wert nur als in ihrer wechselseitigen Beziehung wechselnd betrachtet werden. Was immer die Vergewisserung des Proportionswechsels vermittelst eines allgemeinen bestimmten und unveränderlichen Maßstabs stört und verwirrt, muß schädlich auf den Handel einwirken. Geld ist ein nur idealer Maßstab von gleichen Teilen. Wenn gefragt wird, was die Maßeinheit des Werts eines Teiles sein solle, antworte ich durch die andere Frage: Was ist die Normalgröße eines Grads, einer Minute, einer Sekunde? Sie besitzen keine, aber sobald ein Teil bestimmt ist, muß der Natur eines Maßstabs gemäß der ganze Rest verhältnismäßig nachfolgen. Beispiele dieses idealen Geldes sind das Bankgeld von Amsterdam und das Angolageld der afrikanischen Küste.«52

Steuart hält sich einfach an der Erscheinung des Geldes in der Zirkulation als Maßstab der Preise und als Rechengeld. Sind verschiedene Waren respektive zu 15 sh., 20 sh., 36 sh. im Preiskurant notiert, so interessiert mich in der Tat für die Vergleichung ihrer Wertgröße weder der silberne Gehalt noch der Name des Shillings. Die Zahlenverhältnisse 15, 20, 36 sagen nun alles, und die Zahl 1 ist die einzige Maßeinheit geworden. Rein abstrakter Ausdruck von Proportion ist überhaupt nur die abstrakte Zahlenproportion selbst. Um konsequent zu sein, mußte Steuart daher nicht nur Gold und Silber, sondern auch ihre legalen Taufnamen fahren lassen. Da er die Verwandlung des Maßes der Werte in Maßstab der Preise nicht versteht, glaubt er natürlich, das bestimmte Quantum Gold, das als Maßeinheit dient, sei als Maß nicht auf andere Goldquanta, sondern auf Werte als solche bezogen. Weil die Waren durch Verwandlung ihrer Tauschwerte in Preise als gleichnamige Größen erscheinen, leugnet er die Qualität des Maßes, die sie gleichnamig macht, und weil in dieser Vergleichung verschiedener Goldquanta die Größe des als Maßeinheit dienenden Goldquantums konventionell, leugnet er, daß sie überhaupt festgesetzt werden muß. Statt 1/360 Teil eines Kreises Grad zu nennen, mag er 1/180 Teil Grad nennen; der rechte Winkel wurde dann gemessen durch 45 statt durch 90 Grade, spitze und stumpfe Winkel entsprechend. Nichtsdestoweniger bliebe das Winkelmaß nach wie vor erstens eine qualitativ bestimmte mathematische Figur, der Kreis, und zweitens ein quantitativ bestimmter Kreisabschnitt. Was Steuarts ökonomische Beispiele betrifft, so[63] schlägt er sich mit dem einen und beweist nichts mit dem andern. Das Bankgeld von Amsterdam war in der Tat nur Rechenname für spanische Dublonen, die ihr vollwichtiges Fett durch träges Lagern im Bankkeller bewahrten, während die betriebsame Kurantmünze in harter Reibung mit der Außenwelt abgemagert war. Was aber die afrikanischen Idealisten betrifft, müssen wir sie ihrem Schicksal überlassen, bis kritische Reisebeschreiber Näheres über sie melden.53 Als annähernd ideales Geld im Sinne Steuarts könnte der französische Assignat bezeichnet werden: »Nationaleigentum. Assignat von 100 Franks.« Zwar war hier der Gebrauchswert spezifiziert, den der Assignat vorstellen sollte, nämlich der konfiszierte Grund und Boden, aber die quantitative Bestimmung der Maßeinheit war vergessen und »Frank« daher ein sinnloses Wort. Wie viel oder wenig Land ein Assignatenfrank vorstellte, hing nämlich vom Resultat der öffentlichen Versteigerung ab. In der Praxis jedoch zirkulierte der Assignatenfrank als Wertzeichen für Silbergeld, und an diesem Silbermaßstab maß sich daher seine Depreziation.

Die Epoche der Suspension der Barzahlungen der Bank von England war kaum fruchtbarer in Schlachtbulletins als in Geldtheorien. Die Depreziation der Banknoten und das Steigen des Marktpreises über den Münzpreis des Goldes riefen auf seiten einiger Verteidiger der Bank wieder die Doktrin von dem idealen Geldmaß wach. Den klassisch konfusen Ausdruck für die konfuse Ansicht fand Lord Castlereagh, indem er die Maßeinheit des Geldes bezeichnete als »a sense of value in reference to currency as compared with commodities« Als die Umstände einige Jahre nach dem Pariser Frieden die Wiederaufnahme der Barzahlungen erlaubten, erhob sich in kaum veränderter Form dieselbe Frage, die Lowndes unter Wilhelm III. angeregt hatte. Eine enorme Staatsschuld und eine während mehr als 20 Jahren aufgesummte Masse von Privatschulden, festen Obligationen usw., waren in depreziierten Banknoten kontrahiert. Sollten sie zurückgezahlt werden in Banknoten, wovon 4672 Pfd. St. 10 sh. nicht dem Namen, sondern der Sache nach 100 Pfund 22karätiges Gold vorstellten? Thomas Attwood, ein Bankier[64] von Birmingham, trat auf als Lowndes redivivus. Nominell sollten die Gläubiger so viel Shillinge zurückerhalten, als nominell kontrahiert waren, aber wenn 1/78 Unze Gold etwa nach dem alten Münzfuß Shilling hieß, sollte nun sage 1/90 Unze Shilling getauft werden. Attwoods Anhänger sind bekannt als die Birminghamer Schule der »little Shillingmen«. Der Zank über das ideale Geldmaß, der 1819 begann, dauerte 1845 immer noch fort zwischen Sir Robert Peel und Attwood, dessen eigene Weisheit, soweit sie sich auf die Funktion des Geldes als Maß bezieht. In dem folgenden Zitat erschöpfend zusammengefaßt ist:

»Sir Robert Peel in seiner Polemik mit der Birminghamer Handelskammer fragt: Was wird eure Pfundnote repräsentieren? Was ist ein Pfund?... Was dann umgekehrt ist zu verstehen unter der gegenwärtigen Maßeinheit des Wertes?... 3 Pfd. St. 17 sh. 101/2 d., bedeuten sie eine Unze Gold oder ihren Wert? Wenn die Unze selbst, warum nicht die Dinge bei ihrem Namen benennen und statt Pfd. St., sh., d. nicht vielmehr sagen, Unze, Pennyweight und Gran? Dann kehren wir zum System des unmittelbaren Tauschhandels zurück... Oder bedeuten sie den Wert? Wenn eine Unze = 3 Pfd. St. 17 sh. 101/2d., warum war sie zu verschiedenen Zeiten bald 5 Pfd. St. 4 sh., bald 3 Pfd. St. 17 sh. 9 d. wert?... Der Ausdruck Pfund (£) hat Beziehung auf den Wert, aber nicht auf den Wert, fixiert in einem unveränderlichen Gewichtteil Gold. Das Pfund ist eine ideale Einheit... Arbeit ist die Substanz, worin sich die Produktionskosten auflösen, und sie erteilt dem Gold seinen relativen Wert wie dem Eisen. Welcher besondere Rechenname daher immer gebraucht werde, um die Tages- oder Wochenarbeit eines Mannes zu bezeichnen, solcher Name drückt den Wert der produzierten Ware aus.«54

In den letzten Worten zerrinnt die nebelhafte Vorstellung vom idealen Geldmaß und bricht ihr eigentlicher Gedankeninhalt durch. Die Rechennamen des Goldes, Pfd. St., sh. usw. sollen Namen für bestimmte Quanta Arbeitszeit sein. Da die Arbeitszeit Substanz und immanentes Maß der Werte ist, würden jene Namen so in der Tat Wertproportionen selbst vorstellen. In andern Worten, die Arbeitszeit wird als wahre Maßeinheit des Geldes behauptet. Damit treten wir aus der Birminghamer Schule heraus, bemerken aber noch im Vorbeigehen, daß die Doktrin vom idealen Geldmaß neue Wichtigkeit erhielt in der Streitfrage über Konvertibilität oder Nichtkonvertibilität der Banknoten. Wenn Papier seine Denomination von Gold oder Silber erhält, bleibt die Konvertibilität der Note, d.h. ihre Umtauschbarkeit in Gold[65] oder Silber, ökonomisches Gesetz, was immer das juristische Gesetz sagen mag. So wäre ein preußischer Papiertaler, obgleich gesetzlich inkonvertibel, sofort depreziiert, wenn er im gewöhnlichen Verkehr weniger als ein Silbertaler gälte, also nicht praktisch konvertibel wäre. Die konsequenten Vertreter des inkonvertiblen Papiergeldes in England flüchteten daher zum idealen Geldmaß. Wenn die Rechennamen des Geldes, Pfd. St., sh. usw. Namen für eine bestimmte Summe, Wertatome sind, deren eine Ware bald mehr, bald weniger im Austausch mit anderen Waren einsaugt oder abgibt, ist eine englische 5-Pfund-Note z.B. ebenso unabhängig von ihrem Verhältnis zu Gold wie von dem zu Eisen und Baumwolle. Da ihr Titel aufgehört hätte, sie bestimmtem Quantum von Gold oder irgendeiner andern Ware theoretisch gleichzusetzen, wäre die Forderung ihrer Konvertibilität, d.h. ihrer praktischen Gleichung mit bestimmtem Quantum eines spezifizierten Dings durch ihren Begriff selbst ausgeschlossen.

Die Lehre von der Arbeitszeit als unmittelbarer Maßeinheit des Geldes ist zuerst systematisch entwickelt worden von John Gray55 Er läßt eine nationale Zentralbank vermittelst ihrer Zweigbanken die Arbeitszeit vergewissern, die in der Produktion der verschiedenen Waren verbraucht wird. Im Austausch für die Ware erhält der Produzent ein offizielles Zertifikat des Werts, d.h. einen Empfangsschein für so viel Arbeitszeit, als seine Ware enthält56, und diese Banknoten von 1 Arbeitswoche, 1 Arbeitstag, 1 Arbeitsstunde usw. dienen zugleich als Anweisung auf ein Äquivalent in allen andern in den Bankdocks gelagerten Waren.57 Das ist das Grundprinzip, sorgfältig durchgeführt[66] im Detail und überall angelehnt an vorhandene englische Einrichtungen. Unter diesem System, sagt Gray,

»wäre es zu allen Zeiten ebenso leicht gemacht, für Geld zu verkaufen, als es nun ist, mit Geld zu kaufen; die Produktion würde die gleichförmige und nie versiegende Quelle der Nachfrage sein«58.

Die edeln Metalle würden ihr »Privilegium« gegen andere Waren verlieren und

»den ihnen gebührenden Platz im Markt einnehmen neben Butter und Eiern und Tuch und Kaliko, und ihr Wert würde uns nicht mehr interessieren als der der Diamanten«.59

»Sollen wir unser eingebildetes Maß der Werte beibehalten, Gold, und so die Produktivkräfte des Landes fesseln, oder sollen wir uns zum natürlichen Maß der Werte wenden, zur Arbeit, und die Produktivkräfte des Landes freisetzen?«60

Da die Arbeitszeit das immanente Maß der Werte ist, warum neben ihr ein anderes äußerliches Maß? Warum entwickelt sich der Tauschwert zum Preis? Warum schätzen alle Waren ihren Wert in einer ausschließlichen Ware, die so in das adäquate Dasein des Tauschwerts verwandelt wird, in Geld? Dies war das Problem, das Gray zu lösen hatte. Statt es zu lösen, bildet er sich ein, die Waren könnten sich unmittelbar aufeinander als Produkte der gesellschaftlichen Arbeit beziehen. Sie können sich aber nur aufeinander beziehen als das, was sie sind. Die Waren sind unmittelbar Produkte vereinzelter unabhängiger Privatarbeiten, die sich durch ihre Entäußerung im Prozeß des Privataustausches als allgemeine gesellschaftliche Arbeit bestätigen müssen, oder die Arbeit auf Grundlage der Warenproduktion wird erst gesellschaftliche Arbeit durch die allseitige Entäußerung der individuellen Arbeiten. Unterstellt Gray aber die in den Waren enthaltene Arbeitszeit als unmittelbar gesellschaftliche, so unterstellt er sie als gemeinschaftliche Arbeitszeit oder als Arbeitszeit direkt assoziierter Individuen. So könnte in der Tat eine spezifische Ware, wie Gold und Silber, den andern Waren nicht als Inkarnation der allgemeinen Arbeit gegenübertreten, der Tauschwert würde nicht zum Preis, aber der Gebrauchswert würde auch nicht zum Tauschwert, das[67] Produkt würde nicht zur Ware, und so wäre die Grundlage der bürgerlichen Produktion selbst aufgehoben. Das ist aber keineswegs Grays Meinung. Die Produkte sollen als Waren produziert, aber nicht als Waren ausgetauscht werden. Gray überträgt einer Nationalbank die Ausführung dieses frommen Wunsches. Einerseits macht die Gesellschaft in der Form der Bank die Individuen unabhängig von den Bedingungen des Privataustausches und andererseits läßt sie dieselben fortproduzieren auf der Grundlage des Privataustausches. Die innere Konsequenz indes treibt Gray, eine bürgerliche Produktionsbedingung nach der andern wegzuleugnen, obgleich er bloß das aus dem Warenaustausch hervorgehende Geld »reformieren« will. So verwandelt er Kapital in Nationalkapital61, das Grundeigentum in Nationaleigentum62, und wenn seiner Bank auf die Finger gesehen wird, findet sich, daß sie nicht bloß mit der einen Hand Waren empfängt und mit der andern Zertifikate gelieferter Arbeit ausgibt, sondern die Produktion selbst reguliert. In seiner letzten Schrift »Lectures on money«, worin Gray ängstlich sein Arbeitsgeld als rein bürgerliche Reform darzustellen sucht, verwickelt er sich in noch schreiendem Widersinn.

Jede Ware ist unmittelbar Geld. Dies war Grays Theorie, abgeleitet aus seiner unvollständigen und daher falschen Analyse der Ware. Die »organische« Konstruktion von »Arbeitsgeld« und »Nationalbank« und »Warendocks« ist nur Traumgebild, worin das Dogma als weltbeherrschendes Gesetz vorgegaukelt wird. Das Dogma, daß die Ware unmittelbar Geld oder die in ihr enthaltene Sonderarbeit des Privatindividuums unmittelbar gesellschaftliche Arbeit ist, wird natürlich nicht dadurch wahr, daß eine Bank an es glaubt und ihm gemäß operiert. Der Bankerott würde in solchem Falle vielmehr die Rolle der praktischen Kritik übernehmen. Was bei Gray versteckt und namentlich ihm selbst verheimlicht bleibt, nämlich daß das Arbeitsgeld eine ökonomisch klingende Phrase ist für den frommen Wunsch, das Geld, mit dem Geld den Tauschwert, mit dem Tauschwert die Ware, und mit der Ware die bürgerliche Form der Produktion loszuwerden, wird geradezu herausgesagt von einigen englischen Sozialisten, die teils vor, teils nach Gray schrieben.63 Herrn Proudhon aber und seiner Schule blieb es vorbehalten, die Degradation des Geldes und die Himmelfahrt der Ware ernsthaft als Kern des Sozialismus[68] zu predigen und damit den Sozialismus in ein elementares Mißverständnis über den notwendigen Zusammenhang zwischen Ware und Geld aufzulösen.64

48

Locke sagt u. a.: »Nennt eine Krone, was früher eine halbe Krone hieß. Der Wert bleibt bestimmt durch den Metallgehalt. Wenn ihr 1/20 Silbergewicht von einer Münze abschlagen könnt, ohne ihren Wert zu verringern, so könnt ihr ebensogut 19/20 von ihrem Silbergewicht abschlagen. Nach dieser Theorie müßte ein farthing, wenn er Krone genannt wird, so viel von Gewürz, Seide oder andern Waren kaufen, als ein Kronstück, das 60mal so viel Silber enthält. Alles, was ihr tun könnt, ist, einer geringeren Quantität Silber den Stempel und den Namen einer höhern Quantität geben. Es ist aber Silber, nicht Namen, die Schulden zahlen und Waren kaufen. Wenn euer Erhöhen des Geldwerts nichts heißt als den aliquoten Teilen eines Silberstücks nach Belieben Namen geben, z.B. den achten Teil einer Unze Silber Penny nennen, so könnt ihr in der Tat Geld so hoch ansetzen als es euch beliebt.« Locke antwortete Lowndes zugleich, daß das Steigen des Marktpreises über den Münzpreis nicht vom »Steigen des Silberwerts, sondern vom Leichterwerden der Silbermünze« herrühre. 77 gekippte und gewippte Shillinge wögen keinen Deut mehr als 62 vollwichtige. Endlich hob er mit Recht hervor, daß, abgesehen von der Entsilberung der zirkulierenden Münze, der Marktpreis des Rohsilbers in England einigermaßen über den Münzpreis steigen könne, weil die Ausfuhr von Rohsilber erlaubt, die von Silbermünze verboten sei. (Sieh l. c. p. 54-116 passim.) Locke hütete sich ungemein, den brennenden Punkt der Staatsschulden zu berühren, wie er ebenso vorsichtig vermied, auf die delikate ökonomische Frage einzugehen. Letztere war diese: Wechselkurs sowohl wie das Verhältnis von Rohsilber zur Silbermünze bewiesen, daß das zirkulierende Geld bei weitem nicht im Verhältnis zu seiner wirklichen Entsilberung depreziiert war. Wir kommen auf diese Frage in allgemeiner Form im Abschnitt vom Zirkulationsmittel zurück. Nicholas Barbon in »A discourse concerning coining the new money lighter, in answer to Mr. Lock's considerations etc.«, London 1696, versuchte vergebens, Locke auf schwieriges Terrain zu locken.

49

Steuart, l. c. t. II, p. 154.

50

»The Querist« l. c. Der Abschnitt »Queries on Money« ist übrigens geistreich. Unter anderm bemerkt Berkeley mit Recht, daß gerade die Entwicklung der nordamerikanischen Kolonien »es so klar macht wie der Tag, daß Gold und Silber nicht so notwendig sind zum Reichtum einer Nation, wie es sich die Allgemeinheit vorstellt«.

51

Preis meint hier reales Äquivalent, wie bei den englischen ökonomischen Schriftstellern des 17. Jahrhunderts.

52

Steuart, l. c. t. II, p. 102-107.

53

Bei Gelegenheit der jüngsten Handelskrise pries man in England von gewisser Seite das afrikanische Idealgeld emphatisch, nachdem sein Wohnsitz diesmal von der Küste weg ins Herz der Berberei gerückt war. Man leitete die Freiheit der Berber von Handels- und Industriekrisen aus der idealen Maßeinheit ihrer Bars ab. War es nicht einfacher, zu sagen, daß Handel und Industrie die conditio sine qua non für Handels- und Industriekrisen sind?

54

»The Currency Question, the Gemini Letters«, London 1844, p. 266-272 passim.

55

John Gray, »The Social System. A Treatise on the Principle of Exchange«, Edinburgh 1831. Vgl. von demselben Schriftsteller: »Lectures on the nature and use of money«, Edinburgh 1848. Nach der Februarrevolution sandte Gray der französischen provisorischen Regierung eine Denkschrift zu, worin er sie belehrt, daß Frankreich nicht einer »Organisation of labour« bedürfe, sondern einer »Organisation of exchange«, deren Plan völlig ausgearbeitet vorliege in dem von ihm ausgeheckten Geldsystem. Der brave John ahnte nicht, daß sechzehn Jahre nach Erscheinen des »Social System« ein Patent auf dieselbe Entdeckung ausgelöst worden war von dem erfindungsreichen Proudhon.

56

Gray, »The Social System etc.«, p. 63. »Geld sollte lediglich ein Empfangsschein, ein Beweis dafür sein, daß sein Inhaber entweder bestimmten Wert zu dem vorhandenen nationalen Reichtum beigetragen hat, oder daß er auf den erwähnten Wert ein Recht erworben von irgend jemand, der ihn beigetragen hat.«

57

»Man lasse ein Produkt, das vorher einen Schätzungswert erhält, auf eine Bank legen und wieder herausnehmen, wann immer es benötigt wird. wobei lediglich durch allgemeines Übereinkommen festgesetzt wird, daß derjenige, der irgendeine Art von Eigentum in die vorgeschlagene Nationalbank einlegt, aus ihr einen gleichen Wert, was immer sie enthalten mag, herausnehmen darf, statt gezwungen zu sein, dasselbe Ding herauszunehmen, das er eingelegt hat.« l. c. p. 67/68.

58

l. c. p. 16.

59

Gray, »Lectures on money etc.«, p. 182.

60

l. c. p. 169.

61

»Das Geschäft jedes Landes sollte auf der Grundlage eines nationalen Kapitals geführt werden.« (John Gray, »The Social System etc.«, p. 171.)

62

»Der Boden muß in Nationaleigentum umgewandelt werden« (l. c. p.298).

63

Sieh z.B. W. Thompson, »An inquiry in to the distribution of wealth etc.«, London 1824. Bray, »Labour's wrongs and labour's remedy«, Leeds 1839.

64

Als Kompendium dieser melodramatischen Geldtheorie kann betrachtet werden: Alfred Darimon, »De la réforme des banques«, Paris 1856.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1961, Band 13, S. 59-69.
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