2. Gespräch zwischen Schwester Kathrei und dem Beichtvater

[158] Der Beichtvater geht oft zu der Tochter und spricht: Sage mir, wie geht es dir jetzt. – Sie spricht: Es geht mir übel, mir ist Himmel und Erde zu eng. – Er bittet sie, ihm etwas zu sagen. Sie spricht: Ich weiss nicht, was so klar ist, dass ich es sagen könnte. – Er spricht: Tu es Gott zulieb, sage mir ein Wort. – Er gewinnt ihr mit vielem Bitten ein Wörtlein ab. Da redete sie mit ihm so wunderbar und so tiefe Sprüche von der nackten Findung göttlicher Wahrheit, dass er spricht: Weisst du, das ist allen Menschen unbekannt, und wäre ich nicht ein so grosser Gelehrter, dass ich es selbst in der Gotteswissenschaft gefunden hätte, so wäre es mir auch unbekannt. – Sie spricht: Das gönne ich euch schlecht; ich wollte, ihr hättet's mit dem Leben gefunden. – Er spricht: Du sollst wissen, dass,[158] ich davon so viel gefunden habe, dass ich es so gut weiss, wie ich es weiss, dass ich heute die Messe gelesen habe. Aber dass ich es nicht mit dem Leben in Besitz genommen habe, das ist mir leid. – Die Tochter spricht: Bittet Gott für mich, und geht wieder in ihre Einsamkeit zurück und verkehrt mit Gott. Es dauert aber nicht lange, so kommt sie wieder vor die Pforte, fragt nach ihrem würdigen Beichtvater und spricht: Herr, freuet euch mit mir, ich bin Gott geworden. – Er spricht: Gott sei gelobt! Geh weg von allen Leuten in deine Einsamkeit, bleibst du Gott, ich gönne ihn dir gern. – Sie ist dem Beichtvater gehorsam und geht in die Kirche in einen Winkel. Da kam sie dazu, dass sie alles dessen vergass, was je Namen trug, und ward so fern aus sich selbst und aus allen erschaffenen Dingen herausgezogen, dass man sie aus der Kirche tragen musste, und sie lag bis an den dritten Tag, und sie hielten sie für sicherlich tot. Der Beichtvater sprach: Ich glaube nicht, dass sie tot ist. – Wisset, wäre der Beichtvater nicht gewesen, so hätte man sie begraben. Man versuchte es mit allem, was man nur wusste, aber man konnte nicht finden, ob die Seele noch in dem Körper sei. Man sprach: Sie ist sicher tot. – Der Beichtvater sprach: Nein, gewiss nicht. – Am dritten Tag kam die Tochter wieder zu sich. Sie sprach: Ach,[159] ich Arme, bin ich wieder hier? – Der Beichtvater war alsbald da und redete zu ihr und sprach: Lass mich göttlichen Wortes geniessen und tue mir kund, was du gefunden. – Sie sprach: Gott weiss wohl, ich kann nicht. Was ich gefunden habe, das kann niemand in Worte fassen. – Er sprach: Hast du nun alles, was du willst? – Sie sprach: Ja, ich bin bewähret. – Er sprach: Wisse, diese Rede höre ich gerne, liebe Tochter, rede weiter. – Sie sprach: Wo ich stehe, da kann keine Kreatur in kreatürlicher Weise hinkommen. – Er sprach: Berichte mich besser. – Sie sprach: Ich bin da, wo ich war, ehe ich geschaffen wurde, da ist bloss Gott und Gott. Da gibt es weder Engel noch Heilige, noch Chöre, noch Himmel. Manche Leute sagen von acht Himmeln und von neun Chören; davon ist da nichts, wo ich bin. Ihr sollt wissen, alles was man so in Worte fasst und den Leuten mit Bildern vorlegt, das ist nichts als ein Mittel zu Gott zu locken. Wisset, dass in Gott nichts ist als Gott; wisset, dass keine Seele in Gott hineinkommen kann, bevor sie nicht, so Gott wird, wie sie Gott war, bevor sie geschaffen wurde. – Er sprach: Liebe Tochter, du sprichst wahr. Nun tu es um Gottes willen und rate mir deinen nächsten Rat, wie ich dazu komme, dass ich dies Gut besitze. – Sie sprach: Ich gebe euch einen getreuen Rat. Ihr wisset wohl,[160] dass alle Kreaturen von Nichts geschaffen sind und wieder zu Nichts werden müssen, ehe sie in ihren Ursprung kommen. – Er sprach: Das ist wahr. – Sie sprach: So ist euch genug gesagt. Prüfet, was ist Nichts ? – Er sprach: Ich weiss, was Nichts ist, und weiss wohl, was weniger ist als Nichts. Das sollst du so verstehn; alle vergänglichen Dinge sind vor Gott nichts. Wer also Vergängliches übt, der ist weniger als Nichts. – Warum? – Er ist des Vergänglichen Knecht. Nichts ist Nichts. Wer dem Nichts dient, ist weniger als Nichts. – Sie sprach: Das ist wahr. Danach richtet euch, wenn ihr zu eurem Gut kommen wollt, und ihr sollt euch vernichten unter euch selbst und unter alle Kreatur, so dass ihr nichts mehr zu tun findet, damit Gott in euch wirken könne. – Er sprach: Du sagst die Wahrheit. Ein Meister spricht: »Wer Gott als seinen Gott liebt und Gott als seinen Gott anbetet und sich damit genügen lässt, das ist für mich ein ungläubiger Mensch.« – Sie sprach: Selig sei der Meister, der dies je gesprochen hat: er erkannte die Wahrheit. Ihr sollt wissen, wer sich damit genügen lässt, mit dem, was man in Worte fassen kann: Gott ist ein Wort, Himmelreich ist ein Wort; wer nicht weiter kommen will mit den Kräften der Seele, mit Erkenntnis und mit Liebe, als je in Worte gefasst ward, der soll mit Fug ein Ungläubiger heissen.[161]

Was man in Worte fasst, das begreifen die niedersten Sinne oder Kräfte der Seele. Damit begnügen sich die obersten Kräfte der Seele nicht: sie dringen immer weiter voran, bis sie in den Ursprung kommen, woraus die Seele geflossen ist. Ihr sollt aber wissen, dass die Kraft der Seele nicht in den Ursprung kommen kann. Wenn die Seele in ihrer Majestät über allen geschaffenen Dingen vor dem Ursprung steht, so bleiben alle Kräfte draussen. Das sollt ihr so verstehen. Es ist die Seele nackt und aller namentragenden Dinge entblösst, so steht sie eins in einem, so dass sie ein Vorwärtsgehen in der blossen Gottheit hat, wie das Oel auf dem Tuche, das läuft immer weiter: so läuft die Seele weiter und fliesst immer vorwärts, solange als Gott das angeordnet hat, dass sie dem Leib in der Zeit Wesen geben muss. Wisset, solange der gute Mensch auf Erden lebt, solange hat seine Seele Fortgang in der Ewigkeit Darum haben gute Menschen das Leben lieb. Wie die Guten hinaufgehen, so gehen die Bösen, die in Fehlern sind, hinab. – Fürwahr, liebe Tochter, nun erkläre mir: Man spricht von der Hölle und vom Fegefeuer und vom Himmelreich, und davon lesen wir gar viel. Nun lesen wir aber auch, dass Gott in allen Dingen ist und alle Dinge in Gott. – Sie sprach: Das sage ich dir gerne, soweit ich's in Worte fassen kann. Hölle ist nichts[162] als ein Wesen. Was hier das Wesen der Leute ist, das bleibt ihr Wesen in Ewigkeit, so wie sie drin gefunden werden. Eine Menge Leute glauben, sie hätten hier ein Wesen der Kreatur und dort besässen sie ein göttliches Wesen. Das kann nicht sein. Wisset, dass darin sich viele Leute täuschen. Das Fegefeuer ist ein angenommenes Ding wie eine Busse, das nimmt ein Ende. Man spricht vom jüngsten Tage, dass Gott da Urteil sprechen soll. Das ist wahr. Es ist aber nicht so, wie die Leute wähnen. Jeder Mensch urteilt über sich selbst: wie er da in seinem Wesen erscheint, so soll er ewiglich bleiben. – Die Tochter redete immer weiter und kam mit der Rede auf Gott und sprach so viel von Gott, dass der Beichtvater nur immer sprach: Liebe Tochter, rede weiter. – Die Tochter sagte ihm so viel von der Grösse Gottes und seiner Macht und seiner Vorsehung, dass er von allen seinen äussern Sinnen kam, und man ihn in eine stille Zelle tragen musste, und da lag er eine lange Zeit, ehe er wieder zu sich kam. Als er wieder zu sich gekommen war, hatte er Begierde, dass die Tochter zu ihm käme. Die Tochter kam zu dem Beichtvater und sprach: Wie geht es euch jetzt? – Er sprach: Von Herzen gut. Gelobt sei Gott, dass er dich je zu einem Menschen schuf! Du hast mir den Weg zu meiner ewigen Seligkeit[163] gewiesen, ich bin zur Anschauung Gottes gekommen, und mir ist ein wahres Wissen alles dessen gegeben, was ich von deinem Munde gehört habe. Fürwahr, liebe Tochter, gedenke der Liebe, die du von Gott hast, und hilf mir mit Worten und mit Werken, dass ich da, wo ich jetzt bin, ein Bleiben erlange. – Sie sprach: Wisset, das kann nicht sein. Ihr habt nicht die rechte Natur dazu. Wenn eure Seele und eure Kräfte in gewohnter Weise den Weg auf und nieder gehen, wie ein Gefolge an einem Hofe aus und eingeht, und ihr das himmlische Gefolge und alles, was Gott je schuf, so gut zu unterscheiden versteht, wie ein Mann sein Gefolge kennt, dann sollt ihr den Unterschied zwischen Gott und der Gottheit prüfen. Dann erst sollt ihr danach trachten, dass ihr bewährt werdet. Ihr sollt euch nicht verirren, ihr sollt mit den Kreaturen Kurzweil suchen, dass ihr keinen Schaden davon nehmt und auch sie von euch keinen Schaden erleiden. Hiermit sollt ihr eure Kräfte heben, damit ihr nicht in Raserei verfallet. Dies sollt ihr so oft tun, bis die Kräfte der Seele gereizt werden, bis ihr in das Wissen gelangt, von dem wir vorhin geredet haben. – Gelobt und geehrt sei der süsse Name unsres Herrn Jesu Christi. Amen.[164]

Quelle:
Meister Eckharts mystische Schriften. Berlin 1903, S. 158-165.
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