XII. Zureichender Grund des Zufälligen im Nothwendigen. – Jenes ist irgendwo und irgendwann; dieses allenthalben und immerdar. – Jenes nur in Beziehung auf Raum und Zeit; dieses schlechterdings das Beste und Vollkommenste. – Alles was ist, ist das Beste. – Alle Gedanken Gottes, in so weit sie das Beste zum Vorwurf haben, gelangen zur Würklichkeit.

[95] Ohne die Unmöglichkeit einer anfangslosen Reihe vorauszusetzen, sagte ich zum Beschlüsse meiner gestrigen Vorlesung, haben einige Weltweisen vom Daseyn des Zufälligen und Veränderlichen auf das Daseyn des Nothwendigen, Unveränderlichen geschlossen, und dieses gehet gar füglich an. Vermöge des sechsten Grundsatzes, den wir in unsrer Vorerkenntniß vorausgeschickt, kann von einem Subjecte A nicht anders mit Grunde der Wahrheit das würkliche Daseyn ausgesagt werden, als in so weit es mit diesem Prädicate in Verbindung stehet, entweder weil es nicht ohne würkliches objectives Daseyn gedacht werden kann, oder weil es unter gewissen Umständen das Beste geworden, und daher so und nicht anders hat gebilliget werden müssen. Die Leibnitzianer nennen dieses den Satz des zureichenden Grundes, und sagen daher, alles was würklich ist, muß einen zureichenden Grund haben, d.h. es muß sich begreiflich machen und vernünftig erklären lassen, warum es überall zur Würklichkeit gekommen, und warum es vielmehr so, als auf eine andere Weise würklich geworden ist. Nun finden wir bey einem zufälligen Wesen diesen Grund nicht in ihm selbst; denn aus seiner Denkbarkeit läßt sich sein Daseyn nicht begreiflich machen; wir finden ihn aber eben so wenig in den nächsten Ursachen desselben, wenn diese selbst zufällig sind, und ihr eigenes Daseyn nicht begründen können. Denn so lange dieses ist, geben sie keinen befriedigenden Grund, keinen begreiflichen Aufschluß von der Wahrheit seines Daseyns, und das Gegentheil hört nicht auf, denkbar zu seyn. Hat aber dieses in Ansehung der nächsten Ursachen seine Richtigkeit, so[95] wird es in Absicht der entfernten Ursachen eben so wenig geläugnet werden können, und wir mögen die Leiter der Dinge hinaufsteigen, so hoch wir wollen, wir sind dem völlig zureichenden und vernünftig erklärenden Grunde nicht um eine Sprosse näher gekommen. Ist aber dieses; so wird eine unermeßliche, eine anfangslose Kette von Ursachen diesen Grund eben so wenig enthalten können. Die Frage wird bloß verschoben, nicht aufgelöset. Sie kommt immer in derselben Stärke und in demselben Umfange wieder zum Vorschein. Eine unendliche Kette zufälliger Dinge kann also den Satz nicht zur bestimmten Wahrheit machen, auf welchen das Daseyn irgend eines zufälligen Dinges beruhet. D.h. Eine ins unendliche zurückgehende Reihe zufälliger Ursachen kann den völlig zureichenden Grund nicht enthalten, warum ein zufälliges Ding vielmehr ist, als nicht ist; vielmehr so, als anders vorhanden ist. Da also zufällige Wesen würklich vorhanden sind; so muß es auch ein nothwendiges Wesen geben, das den Grund aller zufälligen Dinge in sich enthält, das aber selbst den Grund seines Daseyns nicht wieder außer sich, sondern in sich selbst, in seinem eigenen Wesen, in seiner innern Möglichkeit hat. Diese Sätze werden in den gemeinen Lehrbüchern ausgeführet. Lasset uns versuchen, sie auf unsere Weise, und mit Rücksicht auf unsere vorausgesetzte Grundsätze, ins Licht zu setzen.

Das Daseyn zufälliger Dinge folgt nicht aus ihrer innern Möglichkeit; sie sind nicht würklich, weil sie gedacht werden können; denn sonst wären sie schlechterdings nothwendig. Es folgt aber auch nicht, auf eine zureichende Weise, aus ihren nächsten oder entfernten hervorbringenden Ursachen, und eben so wenig aus einer anfangslosen Reihe von würkenden Ursachen; so lange diese Ursachen selbst zufällig sind, und das Gegentheil nicht ausschließen. Wenn also zufällige Dinge würklich seyn, so und nicht anders würklich seyn sollen; so muß der Wahrheitsgrund ihres Daseyns in ihrer Abhängigkeit von einer schlechterdings nothwendigen Ursache zu suchen seyn, wodurch das Gegentheil oder ihre Nichtexistenz ausgeschlossen wird. Nun kann dieses Gegentheil nicht zufolge des Erkenntnißvermögens des nothwendigen Wesens ausgeschlossen werden; d.h. das zufällige Wesen ist nicht deßwegen vorhanden, weil seine Abhängigkeit von einem nothwendigen Wesen das Gegentheil undenkbar macht; denn so würde es ja selbst nothwendig und unveränderlich seyn müssen. Was aus einer nothwendigen[96] Wahrheit auf eine nothwendige Weise folgt, muß selbst nothwendig seyn. In der Eigenschaft eines zufälligen Wesens, ein Gegenstand der Erkenntniß zu seyn, kann also der Grund seines Daseyns oder seine Abhängigkeit vom Nothwendigen nicht gefunden werden. Wenn dieses wäre, so würde es selbst nicht blos irgendwo und irgendwann zur Würklichkeit kommen, sondern allezeit unveränderlich dasselbe bleiben müssen; denn als Gegenstand der Erkenntniß ist es unveränderlich und ewig. Vielmehr wird also seine Abhängigkeit vom nothwendigen Wesen darin zu suchen seyn, daß es ein Gegenstand des Billigungsvermögens geworden. Vermöge seiner innern Güte und Vollkommenheit muß es unter gewissen Umständen irgendwo und irgendwann das Beste geworden, und als ein solches von der nothwendigen Ursache gebilliget und hervorgebracht worden seyn. Nur in dieser Beziehung läßt sich von seiner Veränderlichkeit vernünftiger Grund angeben; läßt sich begreiflich machen, warum es jetzt so, jetzt anders zur Würklichkeit kommt. Es kömmt zum Vorscheine, sobald es in der Reihe der Dinge so und nicht anders das Beste geworden. In der Billigung und in der freyen Wahl des nothwendigen Wesens liegt also der einzige wahre Grund der Abhängigkeit eines zufälligen Dinges von demselben. Nur durch diese Billigung wird das Daseyn eines zufälligen Wesens irgendwo und irgendwann, zur ausgemachten Wahrheit, wird das Gegentheil oder das Nichtseyn desselben für jetzt undenkbar, und also zur Unwahrheit.

Aber dieses nothwendige Wesen selbst, wo wird der Grund seines Daseyns anzutreffen seyn? Wir haben gesagt, in seinem innern Wesen, in seiner innern Möglichkeit; d.h. es ist vorhanden, weil es denkbar ist; sein Nichtseyn kann nicht gedacht werden und ist also eine Unwahrheit. Wenn wir diesen Begrif gehörig entwickeln; so kommen wir auf die Beweisesart a priori, nach welcher das Daseyn eines nothwendigen Wesens aus der bloßen Denkbarkeit desselben geschlossen wird. Die Ausführung dieses Satzes verspare ich mir auf eine der künftigen Vorlesungen, und begnüge mich vor der Hand, aus dem unläugbaren Daseyn zufälliger veränderlicher Dinge, ihre Abhängigkeit von einer nothwendigen Ursache und zwar von der freyen Wahl dieser freyen Ursache dargethan zu haben. Denn alles, was von einer würkenden Ursache, Kraft seiner Billigung, hervorgebracht wird, ist eine Wirkung seiner Willkühr, und[97] wenn diese Willkür aus Einsicht und vernünftigen Gründen auf das Beste tritt, so wird sie eine freye Wahl genennet. Ich lasse mich den Einwurf nicht irren, daß auf solche Weise das Freiwillige selbst zur Nothwendigkeit gemacht wird, indem das Gegentheil unter der Bedingung, daß jenes das Beste ist, auf diese Weise unmöglich seyn muß. Ich weiß wohl, daß sich manche Weltweise durch diesen Einwurf haben bewegen lassen, in der freyen Wahl selbst eine Unbestimmtheit zuzugeben und den Ausschlag nicht von dem Bewegungsgrunde, sondern gleichsam von einem Ungefähr, abhängen zu lassen; allein ich erkläre mich ausdrücklich: daß ich weder für den Menschen, noch für die Gottheit selbst eine andre Freyheit anerkenne, als die von der Erkenntniß und Wahl des Besten abhängt. Das Vermögen, dieses Beste einzusehen, zu billigen und zu wählen, ist wahre Freyheit, und ein Vermögen, dieser Erkenntniß, Billigung und Wahl zuwider zu handeln, ist nach meinen Begriffen, ein wahres Unding. Will jemand diese Bestimmtheit der freyen Wahl, Nothwendigkeit, Zwang oder Fatalität nennen, so sey ihm dieses vergönnt; in so fern er dadurch den Unterschied nicht aufzuheben gedenkt, der in der Sache liegt. Umfasset mit den vielschichtigen Wörtern, Notwendigkeit, Zwang, Können und Nichtkönnen, so vielerley Begriffe ihr wollet; genug für mich, es giebt eine zwiefache Nothwendigkeit; die eine beruhet auf Wahrheit und Unwahrheit, die andre auf Güte und Vollkommenheit. Jene wird die blinde, diese die sittliche Nothwendigkeit genannt. Jene setzt weder Kenntniß des Besten, noch Billigung und Wahl desselben, weder Absicht noch Selbstentschliessung zum voraus; bey dieser hingegen werden die Endursachen mit zu hervorbringenden würkenden Ursachen, und die Handlung erfolget bloß, weil sie der Billigung und der Absicht gemäß ist, die uns dazu angetrieben, oder wenn ihr wollet, gezwungen haben. Einen Zwang oder Nothwendigkeit von dieser Art gebe ich auch in Absicht auf Gott zu, und ich muß mir es gefallen lassen, wenn man mich dieserhalb einen Fatalisten nennen will. – Ich kehre zur vorliegenden Untersuchung zurück. Wie weit sind wir gekommen?

Wir hatten herausgebracht, daß ein nothwendiges unveränderliches Wesen vorhanden seyn müsse, welches dieses veränderliche Weltall und unser veränderliches Selbst aus freyer Wahl des Besten zur Würklichkeit gebracht hat.[98]

Wahl des Besten setzt Kenntniß desselben zum Voraus; also besitzt dieses Wesen auch Erkenntnißkraft. Eben so gewiß ist es, daß dieses nothwendige Wesen auch Billigungsvermögen, Begierde und Abscheu, Vernunft und Willen besitzen muß, denn völlig ohne diese Eigenschaften läßt sich weder Wahl, noch Hervorbringung des Besten denken. Daß aber dem nothwendigen Wesen jede Eigenschaft, die es besitzt, im höchsten Grade und ohne alle Schranken zukommen müsse, ist in unzähligen Lehrbüchern ausgeführt worden, und noch hat Niemand etwas erhebliches dawider zu erinnern gefunden. Sonach hätten wir erwiesen, daß das nothwendige Wesen auch alle Eigenschaften des Verstandes und des Willens in ihrer höchsten Vollkommenheit besitzen müsse? – Der Schritt scheint zu rasch. – Lasset uns einen Ueberblick auf die Gründe werfen, die uns hieher geführet haben, um zu sehen: ob nicht der Weg besser geebnet werden könne!

Wenn der sinnlich evidente Satz: Eine Sinnenwelt ist würklich vorhanden, oder (welches noch weniger läugbar ist) der Satz: Ich selbst bin würklich vorhanden, objective Wahrheit seyn muß; so werde ich, als Subject dieses Satzes, mit dem Daseyn, als Prädicate desselben, in Verbindung stehen, und so wie ich bin, mit allen meinen Individualbestimmungen, ohne dieses Prädicat, nicht gedacht werden können; denn jede Wahrheit muß durch das Positive der Denkungskraft zu erkennen seyn. Nun kann dieser Verbindungsgrund in dem Materialen des Begriffs nicht anzutreffen seyn. Wäre dieses; so würde ich vorhanden seyn, weil ich denkbar bin. Ich würde also unveränderlich bleiben müssen. Nun ist das subjective Bewustseyn von meiner Veränderlichkeit über allen Zweifel hinweg, und es ist eben so unläugbar, daß ein Wesen, welches sich seiner Veränderung bewußt ist, auch in der That veränderlich seyn muß. Ein unmittelbares Bewußtseyn belehrt mich, daß ich vorhin anders gewesen, als ich jetzt bin: da aber die Zeitfolge in der Denkbarkeit des Begriffs nichts vermindert; so kann das Gegentheil von dem, was ich vorher gewesen, noch jetzt nicht aufgehöret haben, denkbar zu seyn. Der Wahrheitsgrund des obigen Satzes wird also nicht in dem Materialen des Erkenntnisses, sondern in dem Formalen desselben; nicht in der Denkbarkeit des Subjects, sondern in seiner Güte und Vollkommenheit zu suchen seyn. Er liegt aber ferner nicht in meiner absoluten Vollkommenheit; denn ich besitze sie nicht ohne[99] Schranken, welches abermals durch mein subjectives Bewußtseyn von der höchsten Evidenz ist. Wenn also ein Wahrheitsgrund des Satzes zu finden ist, so muß er in der relativen Vollkommenheit anzutreffen seyn; in der Beschaffenheit, vermöge welcher ich unter gewissen Umständen, in einer gewissen Reihe von Dingen, jetzt und hier, so und nicht anders, habe das Beste werden können. So und nicht anders läßt sich von unsrer Veränderung vernünftiger Grund angeben; so und nicht anders läßt sich begreifen, wie ein zufälliger Satz, der gestern nicht wahr gewesen, heute zur Wahrheit werden kann. Unter jeder Bedingung der Zeit und des Raums erlanget irgendwo und irgendwann etwas anders die Qualität des Besten, und eben dadurch den Wahrheitsgrund seines Daseyns. Nun kann diese relative Güte eines zufälligen Wesens auf keine andere Weise seinen Würklichkeitsgrund enthalten, als in so weit es dadurch einer freyen Ursache zur Absicht dienen, und sonach von derselben gebilliget werden kann. Der Grund meines Daseyns muß also in einer freyen Ursache zu suchen seyn, die mich jetzt und hier, als zu der Reihe des Besten gehörig, erkannt und gebilliget hat, und dadurch bewogen worden ist, mich zur Würklichkeit zu bringen. Diese freye Ursache kann selbst nicht zufällig seyn; sonst wären wir der Begreiflichkeit des Satzes nicht um einen Schritt näher gekommen; der Wahrheitsgrund würde noch immer von neuem zu suchen seyn, der den Begriff des zufälligen Wesens mit der Existenz verbindet. Wir müssen also am Ende auf ein nothwendiges Wesen zurückkommen, bey welchem dieser Wahrheitsgrund in der Denkbarkeit des Subjects selbst lieget, zu einem Wesen, dessen objectives Daseyn von seiner Denkbarkeit nicht zu trennen ist; welches vorhanden ist, weil es gedacht werden kann.

Wenn die Beschaffenheit eines Dinges, als relativ gut, den Grund seiner Würklichkeit enthalten soll; so muß es absichtlich gewählt worden seyn. Die nothwendige Ursache wird also das Zufällige, das von ihm sein Daseyn hat, erkannt und absichtlich gewählt haben müssen. Da nun das nothwendige Wesen alles, was es ist, im höchsten Grade der Vollkommenheit seyn muß; so wird die Erkenntniß der nothwendigen Ursache die allervollkommenste, und ihre Wahl die freywilligste seyn müssen. Sie wird also von je her alle Veränderungen der Zeit und des Orts, und so auch alle Bestimmungen und Merkmahle, durch welche ein zufälliges Ding zu seiner Zeit und an[100] seinem Orte das Beste ist, auf das deutlichste und vollkommenste gedacht, und mit dem Grade der Würksamkeit und Bestrebung, der ihnen angemessen ist, gebilliget haben. Nun gehet das Bestreben des Billigungsvermögens, wie wir in der siebenten Vorlesung gesehen, von dem Subjecte aus, hat sein Ziel in dem Objecte der Erkenntniß, und suchet dasselbe mit den gebilligten Begriffen des Subjects in Gleichstimmung zu bringen. Die nothwendige Ursache wird also, vermöge ihres höchstvollkommenen Billigungsvermögens, alles Zufällige nach Maaßgabe seiner Beschaffenheit und Fähigkeit irgendwo und irgendwann das Beste zu seyn, auch alsda und alsdann zur Würklichkeit kommen lassen: und da der Lauf der Zeit und die Ordnung des Raums veränderlich sind; so müssen es auch die Dinge seyn, die blos vermöge ihrer Beschaffenheit das Beste zu werden, zum Vorscheine kommen.

Alles, was ist, ist das Beste. 1) Schlechterdings das Beste, oder das Allervollkommenste in der Einfachheit: der Innbegriff aller Realitäten, das selbständige Wesen (Ens a se) 2) Das Beste, secundum quid, das Vollkommenste in der Vereinigung, in der Verbindung vieler, deren jedes, einzeln betrachtet, eingeschränkt und unvollkommen ist, durch Verbindung und Beytrag zum vollkommensten Ganzen aber irgendwo und irgendwann, als ein Theil des Ganzen, das Beste wird; die Welt sammt allen ihren Veränderungen in Zeit und Raume.

Alle Gedanken Gottes, in so weit sie das Beste zum Vorwurf haben, gelangen zur Würklichkeit. 1) Das absolute Beste. Gott denkt sich selber mit der lebendigsten Erkenntniß, mit der allerhöchsten Selbstbilligung. Seine allerhöchste Kraft bringt unaufhörlich in ihm selbst alle Prädicate hervor, die in einem Subjecte sich vereinigen lassen, und diese sind so nothwendig, als seine Denkbarkeit. 2) Das Beste secundum quid, oder das hypothetische. Gott denkt seine Eigenschaften mit den unendlich mannigfaltigen Einschränkungen, mit welchen sie denkbar sind. D.h. er denkt alle mögliche Abstufungen seiner Vollkommenheiten mit dem einer jeden angemessenen Grade von Billigung und Wohlgefallen. Er denkt sich alle mögliche Verbindungen dieser eingeschränkten Vollkommenheiten; nicht in Einem Subjecte; denn sie sind unvereinbar; aber er denkt sie sich in Verbindung vieler. Unter diesen möglichen Verbindungen vieler eingeschränkter Wesen, wird Eine im Ganzen, Vergleichungsweise,[101] die beste seyn; so wie Jedes Einzelne in derselben an seinem Orte und zu seiner Zeit das Beste seyn muß. Gott denkt sich diese vollkommenste Verbindung, und alle in derselben vorkommenden nach Zeit und Ordnung eingeschränkten Dinge, in so weit sie das Beste sind, mit dem höchsten Grade der Billigung. Billigungskraft hat zum Ziele die Hervorbringung des Gegenstandes, das Bestreben den Gegenstand der Vorstellung nach Maaßgebung des Ideals zur Würklichkeit zu bringen. Die Kraft des selbstständigen Wesens wird also diese eingeschränkte Grade seiner Vollkommenheit und ihre bestmögliche Verbindung hervorbringen; nicht in sich, denn sie sind mit seinen Eigenschaften nicht vereinbar, sondern außer sich, als für sich bestehende eingeschränkte Substanzen, jede mit der Veränderung in Ort und Raume, mit welcher sie in Beziehung auf das Ganze das Beste sind. Gott ist Schöpfer und Erhalter des besten Weltalls.

Man siehet hier den Uebergang von dem Verstande Gottes auf seine Eigenschaft als Schöpfer und Erhalter der Dinge ausser ihm. Vorstellung, mit Billigung oder Theilnehmung verbunden, ist lebendige Erkenntniß, und lebendige Erkenntniß im höchsten Grade ist Anregung zur Thätigkeit, Bestreben zum Hervorbringen, zum Kraftäußern.

Auch haben einige Weltweise sich die Mühe gegeben, auf diesem Wege das sonderbare Vorgeben der Egoisten auf eine demonstrative Weise zu widerlegen. Schon der gesunde Menschenverstand verwirft dieses Vorgeben als eine unstatthafte Grille; allein es hat, wie wir gesehen, seinen Nutzen, wenn man den Ausspruch des gesunden Menschenverstandes durch Vernunftgründe wissenschaftlich zu machen sucht. Wenn alles, was Gott sich als das Beste denkt, auch zur Würklichkeit kommt, und zu dem Weltall, das der Egoist sich vorstellet, ausser ihm, noch mehrere Substanzen gehören, die als Theile zum vollkommensten Ganzen übereinstimmen; so müssen auch ausser ihm mehrere Substanzen zur Würklichkeit kommen, und von Gott hervorgebracht worden seyn. Als einzelne Substanz kann der Egoist sich nicht einbilden, ein Gegenstand der göttlichen Billigung, des göttlichen Wohlgefallens zu seyn; denn er ist sich seiner Schwäche und seiner Mängel bewußt: Also nur in Verbindung mit dem Ganzen kann sein Daseyn irgendwo und irgendwann das Beste geworden und von Gott gebilliget worden seyn. Mithin muß dieses Ganze, sammt allen Substanzen, die dazu gehören, eben so wohl,[102] als sein Ich, die Würklichkeit erlanget haben.

Ja man hat gesucht, auch die Idealisten auf diese Weise wissenschaftlich von dem Ungrunde ihrer Meinung zu überführen. Diejenige Verbindung der Dinge, in welcher die Materie, als Gegenstand der Vorstellung würklich vorhanden ist, muß nothwendig vollkommner seyn, als eine solche, in welcher die sinnlichen Beschaffenheiten äusserlich keinen Gegenstand haben. In jener ist bloß Harmonie in den Vorstellungen denkender Wesen, in so weit sie Abbildungen sind und Wahrheit enthalten; in dieser hingegen stimmen die Vorstellungen denkender Wesen nicht nur unter sich, sondern auch mit dem ausser ihnen würklich befindlichen Objecte zusammen, welches zu ihren bildlichen Vorstellungen das Vorbild ist. In jener stimmt nur Abbildung mit Abbildung, in dieser hingegen auch Abbild mit Urbild zusammen. Größre Uebereinstimmung ist größere Vollkommenheit; also wird eine Welt, in welcher ausser den Geistern auch Materie anzutreffen ist, vollkommener seyn, als eine solche, die blos aus Geistern bestehet. Da nun Gott nur das Vollkommenste zur Würklichkeit bringet; so wird die Welt, die er erschaffen hat, nicht blos idealisch seyn, sondern auch würkliche Materie enthalten, so wie es die größte Harmonie erfordert. Ihr sehet aber von selbst ein, daß durch diese Gründe blos das Daseyn eines Objects der materiellen Vorstellungen geschlossen werden kann; in wie weit sich aber bey der Darstellung materieller Beschaffenheiten das Subjective unserer sinnlichen Erkenntniß mit einmischt und solche in Erscheinungen verwandelt, bleibt hierdurch unentschieden. In der sinnlichen Erkenntniß liegt unstreitig Wahrheit. Aber diese Wahrheit ist bey uns mit Scheine, das Urbildliche ist mit dem Perspectiven verbunden und kann durch unsre Sinne nicht von demselben getrennt werden.[103]

Quelle:
Moses Mendelssohn. Gesammelte Schriften. Band 3.2, Berlin 1929 ff. [ab 1974: Stuttgart u. Bad Cannstatt], S. 95-104.
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