38. Die Überlieferung der Wahrheit

[208] Mong Dsï sprach: »Von Yau und Schun bis auf Tang waren's über fünfhundert Jahre. Ein Yü und ein Gau Yau haben sie gesehen und erkannt. Tang hat von ihnen gehört und sie erkannt. Von Tang bis auf den König Wen waren's über fünfhundert Jahre. Ein I Yin und Lai Dschu haben ihn gesehen und erkannt; ein König Wen hat von ihm gehört und ihn erkannt. Von König Wen bis auf den Meister Kung waren's über fünfhundert Jahre. Ein Tai Gung Wang und San I Schong haben ihn gesehen und erkannt. Meister Kung hat von ihm gehört und ihn erkannt. Von Meister Kung an bis heute sind's etwas über hundert Jahre. So nahe sind wir noch der Zeit des Heiligen, und so benachbart sind wir dem Ort, wo er geweilt. Und dennoch sollten wir nichts von ihm besitzen, ja, wirklich nichts von ihm besitzen?«

Fußnoten

1 Vgl. I, A, 5.


2 Das Buch von dem Auf- und Niedergang der Staaten, die sogenannten Tschun Tsiu (Frühlings- und Herbstannalen), behandelt die Zeit, da nach dem Niedergang der Zentralgewalt der Reihe nach die fünf Schogune oder Ba die Vorherrschaft im Reiche ausübten. Vgl. zur Sache VI, B, 7.


3 Diese kritische Bemerkung des Mong Dsï über den Schu Ging zeigt, daß auch schon vor der Bücherverbrennung durch Tsin Schï Huang gegen den Text des Schu Ging Bedenken geltend gemacht wurden. Nun ist allerdings das Bedenken des Mong Dsï mehr von der Art eines moralischen Postulats als eine textkritische Untersuchung. Eine Nachprüfung der Bemerkung des Mong Dsï ist übrigens heute nicht mehr möglich, da der genannte Abschnitt im heutigen Schu Ging nicht zu den 28 gehört, die mit einiger Wahrscheinlichkeit als genuin bezeichnet werden können.


4 Vgl. zu den verschiedenen Sätzen IV, A, 14; I, A, 5; I, B, 11.


5 Vgl. VII, A, 41 und auch die Geschichte von Wagner Flach in Dschuang Dsï XIII, 10. Über die genannten Handwerker vgl. III, B, 4.


6 Der Ausspruch ist wohl aus einem bestimmten, heute nicht mehr feststellbaren Anlaß getan. Der letzte Satz hat die Bedeutung: Er ist davon, daß er seine eignen Verwandten getötet hat, nur durch ein Zwischenglied geschieden. Er hat sie also indirekt tatsächlich getötet.


7 Ehrgeizig ist in schlechtem Sinn gebraucht. Dschu Hi bemerkt sehr gut dazu: »Man darf die Leute nicht beurteilen nach Dingen, bei denen sie sich Mühe geben, sondern nach solchen, die ihnen unwichtig sind. Da erst wird man herausfinden, wie es ihnen wirklich zumute ist.«


8 Die Götter des Bodens und Korns sind die geistigen Repräsentanten der Naturbasis eines Staates. Jeder Berg, jeder Fluß, jede Gemarkung und so auch jedes Land hat außer der sichtbaren, äußeren Seite auch noch ein Seelisches, Bewußtes. Die himmlischen Genien heißen Schen (die Aktiven, die Ausdehnenden), die chthonischen Gottheiten heißen Ki, die menschlichen Ahnen heißen Gui (die sich Zusammenziehenden, Passiven), doch kommt auch Gui-Schen (Dämonen und Götter) in allgemeiner Bedeutung vor. Jeder himmlische oder irdische Gott nun, der an sich dem Menschlichen zu fremd und unfaßbar wäre (ein Berggott z.B. hat nicht eine besondere Leiblichkeit wie in Griechenland die Naturgeister, sein Leib ist vielmehr eben der Berg, in dem sein Seelisches wohnt, wie die Menschenseele in ihrem Leib), erhält von den Ahnengeistern einen beigeordnet, der die Vermittlung zwischen ihm und den Menschen herstellt. So ist der Ahn des Weltherrschers dem Himmelsgott beigeordnet, weshalb der Herrscher den Namen Himmelssohn führt, und so sind auch den Naturgeistern eines Landes menschliche Vertreter beigegeben. Wenn nun trotz gewissenhafter Erfüllung der religiösen Pflichten Störungen im Naturverlauf eintreten, so werden zunächst die Altäre niedergerissen und an einem andern Platz errichtet. Der Bund mit den Überirdischen wird gleichsam aufgelöst und neu geschlossen. Schon darin liegt eine gewisse Remonstration. In schlimmen Fällen endlich wird der menschliche Vertreter abgesetzt und dem Naturgeist ein neuer beigegeben, wie das einmal mindestens unter dem Vollender Tang geschah, als infolge schlechter Jahre der dem Korn beigeordnete Geist abgesetzt und Gou Dsï, der Ahn der späteren Dschoudynastie, an seine Stelle gesetzt wurde.


9 Über Be-I und Liu-Hia Hui vgl. V, B, 1.


10 Vgl. V, B, 1.


11 Der »Edle« ist Kung Dsï. Über die Not in Tschen und Tsai vgl. Lun Yü XI, 2.


12 Von Mo Gi ist weiter nichts bekannt. Das erste Zitat steht Schï-Ging I, III, 1 v. 4; es bezieht sich dort auf einen viel verleumdeten Mann (oder Frau) aus We. Das zweite Zitat steht Schï-Ging III, I, 3 v. 8, wo es sich auf den großen König und sein Verhältnis zu den Kun-Barbaren bezieht.


13 Der Schüler Gau Dsï, der, wie Dschau Ki zu berichten weiß, dem Mong Dsï untreu wurde, ist nicht zu verwechseln mit dem alten Gau, über den Mong Dsï in VI, B, 3 redet, noch mit dem Sophisten Gau Dsï, der im Chinesischen ganz anders geschrieben wird. Die Übersetzung gründet sich auf Mong Dsï Dschong I.


14 Es ist hier derselbe Gau Dsï genannt wie im letzten Abschnitt, von dessen Torheit wohl ein Beispiel gebracht werden soll. Er schließt daraus, daß die Glocke des großen Yü mehr abgenützt sei als die des Königs Wen, darauf, daß die Musik des ersteren besser sei, während Mong Dsï darauf hinweist, daß sie älter sei, daher die Abnützung sich erkläre.


15 Tschen Dschen ist ein schon mehrfach genannter Jünger des Mong Dsï.


16 Hau-Schong Bu-Hai war nach Dschau Ki ein Mann aus Tsi. Der Vorname Bu-Hai kommt auch sonst vor. Yo-Dschong Dsï ist der Jünger, auf dessen Anstellung in Tsi Mong Dsï so große Hoffnungen gesetzt hatte. Vgl. VI, B, 13 und I, B, 16.


17 Pen-Tschong Guo soll einmal eine zeitlang Schüler des Mong Dsï gewesen sein. Er gehörte zu der Klasse von Leuten, von der Kung in Lun Yü XV, 16 spricht.


18 Dazu bemerkt Dschu Hi: »Im Altertum richteten die Leute ihre Blicke nicht tiefer als den Gürtel. Was also oberhalb des Gürtels ist, das sind die alltäglichen, immer vor Augen liegenden Dinge, in denen aber auch die höchste Vernunft zum Ausdruck kommt.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 208.
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