Zweites Capitel.

Vom Syllogismus.

[199] §. 1. Die Analyse des Syllogismus findet sich so genau und vollständig in den gewöhnlichen Handbüchern der Logik, dass es hinreichend ist, in diesem Werk, das nicht zu einem Handbuch bestimmt ist, die Hauptresultate dieser Analyse memoriae causa anzuführen, damit sie als eine Grundlage für die Bemerkungen dienen, die wir später über die Functionen des Syllogismus und über die Stelle, welche er in der Wissenschaft einnimmt, machen werden.

Der echte Syllogismus verlangt drei und nicht mehr als drei Urtheile, nämlich den Schlusssatz (conclusio) oder das zu beweisende Urtheil, und zwei andere Urtheile, welche diesen beweisen und welche die Prämissen (propositiones praemissae) genannt werden. Es ist wesentlich, dass nur drei Hauptbegriffe vorhanden seien, nämlich das Subject und Prädicat des Schlusses, und der sogenannte Mittelbegriff (terminus medius), der in beiden Prämissen vorkommen muss, indem er die beiden anderen Begriffe mit einander verbindet. Das Prädicat des Schlusssatzes wird der Oberbegriff (terminus major) des Syllogismus genannt; das Subject des Schlusssatzes heisst Unterbegriff (terminus minor). Da nur drei Hauptbegriffe vorhanden sein können, so müssen sich der Oberbegriff und der Unterbegriff in einer und nur in einer der Prämissen mit dem Mittelbegriff, der in beiden ist, zusammenfinden. Die Prämisse, welche den Mittelbegriff und den Oberbegriff enthält, wird Obere Prämisse, diejenige, welche den Mittelbegriff und den Unterbegriff enthält, die Untere Prämisse genannt.

Von einigen Logikern wird der Syllogismus in drei Figuren eingetheilt, von anderen in vier, je nach der Stellung des Mittelsatzes, der entweder in beiden Prämissen das Subject, in beiden[199] das Prädicat, oder in dem einen das Subject und in dem andern das Prädicat sein kann. Der gewöhnlichste Fall ist der, wo der Mittelsatz das Subject der obern Prämisse ist. Dies wird als die erste Figur genommen. Wenn der Mittelsatz das Prädicat in beiden Prämissen ist, so gehört der Syllogismus zur zweiten Figur, wenn er das Subject in beiden ist, zur dritten. In der vierten Figur ist der Mittelsatz das Subject der untern Prämisse und das Prädicat der obern. Die Autoren, welche nur drei Figuren annehmen, schliessen diesen Fall in der ersten Figur mit ein.

Eine jede Figur ist in Modi eingetheilt, je nach der sogenannten Quantität und Qualität der Urtheile, d.h. je nachdem dieselben allgemein oder particular, bejahend oder verneinend sind. Die folgenden sind Beispiele aller echten Modi, d.h. aller jener in denen der Schluss in richtiger Weise aus den Prämissen folgt A ist der Unterbegriff, C der Oberbegriff, B der Mittelbegriff,


Erste Figur39

B a C B e C B a C B e C
A a B A a B A i B A i B
A a C A e C A i C A o C

Zweite Figur

C e B C a B C e B C a B
A a B A e B A i B A o B
A e C A e C A o C A o C

Dritte Figur

B a C C e C B i C B a C B o C B e C
B a A B a A B a A B i A B a A B i A
A i C A o C A i C A i C A o C A o C

[200]

Vierte Figur

C a B C a B C i B C c B C e B
B a A B e A B a A B a A B i A
A i C A e C A i C A o C A o C

In diesen Mustern oder Formularen für Syllogismen ist den Einzelurtheilen keine Stelle angewiesen; natürlich nicht weil solche Urtheile im Syllogismus nicht gebraucht werden, sondern weil sie, da ihr Prädicat von dem Ganzen des Subjects behauptet oder verneint wird, für den Zweck des Syllogismus zu den allgemeinen Urtheilen gerechnet werden. Die zwei Syllogismen:


Alle Menschen sind sterblich

Alle Könige sind Menschen

daher

Sind alle Könige sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Sokrates ist ein Mensch

daher

Ist Sokrates sterblich


sind auf diese Weise genau ähnliche Argumente und gehören beide zum ersten Modus der ersten Figur.

Die Gründe, warum Syllogismen von der obigen Form echt sind, d.h. warum bei der Wahrheit der Prämissen auch der Schluss nothwendig wahr sein muss und warum dies nicht bei einem jeden andern möglichen Modus (bei einer andern Verbindung von allgemeinen und besondern, bejahenden und verneinenden Urtheilen) der Fall ist, wird jeder, der an diesen Fragen ein Interesse nimmt, entweder aus den gewöhnlichen Lehrbüchern der Logik gelernt haben, oder wird er im Stande sein, selbst zu errathen. Für eine jede nöthige Erklärung kann der Leser indessen auf Erzbischof Whately's Elemente der Logik verwiesen werden; die ganze Lehre vom Syllogismus wird er dort mit philosophischer Präcision und mit einer merkwürdigen Klarheit auseinandergesetzt finden.

Ein jeder gültige Syllogismus, ein jedes Schliessen, durch welches aus vorher zugegebenen Urtheilen gleich oder weniger allgemeine Urtheile gefolgert werden, stellt sich in einer der obigen Formen dar. Der ganze Euklid könnte ohne Schwierigkeit in eine Reihe von nach Modus und Figur regelmässigen Syllogismen gefasst werden.

Obgleich ein, nach irgend einer dieser Formeln gebildeter Syllogismus ein gültiges Argument darstellt, so lässt ein richtiges Schliessen doch nur den Syllogismus nach der ersten Figur zu.[201] Die Regeln, nach welchen ein Argument in einer der anderen Figuren der ersten Figur angepasst wird, heissen Regeln für die Reduction des Syllogismus. Es geschieht durch die Umwandlung der einen oder der andern, oder auch beider Prämissen. So kann ein Argument nach dem ersten Modus der zweiten Figur, wie

Kein C ist B

Alles A ist B

folglich ist

Kein A, C

in folgender Weise reducirt werden. Da das Urtheil, Kein C ist B, ein allgemeines negatives ist, so lässt es eine einfache Umwandlung zu und kann in, Kein B ist C, geändert werden; wie wir gezeigt haben, ist dies dieselbe Behauptung mit anderen Worten wiedergegeben, dieselbe Thatsache, nur verschieden ausgedrückt. Nach dieser Transformation nimmt das Argument folgende Form an:

Alles B ist C

Alles B ist A

folglich ist

Ein Theil von A, C,

wo die untere Prämisse, Alles B ist A, nach dem was im letzten Capitel bezüglich allgemeiner bejahender Urtheile aufgestellt worden ist, zwar keine einfache Umwandlung zulässt, aber per accidens umgewandelt werden kann, in dieser Weise nämlich: Ein Theil von A ist B. Obgleich dies nicht das ganze in dem Urtheil, Alles B ist C Behauptete ausdrückt, so drückt es doch, wie früher gezeigt wurde, einen Theil davon aus, und muss daher wahr sein, wenn das Ganze wahr ist. Als Resultat der Reduction haben wir daher den folgenden Syllogismus nach dem dritten Modus der ersten Figur:

Alles B ist C

Ein Theil von A ist B

woraus augenscheinlich folgt, dass

Ein Theil von A, C ist.

In derselben Weise, oder in einer Weise, über die wir uns nach diesen Beispielen nicht weiter auszulassen brauchen, kann ein jeder Modus der zweiten, dritten oder vierten Figur auf einen der vier Modi der ersten Figur reducirt werden; mit anderen Worten, ein jeder Schluss, der nach einer der drei letzteren Figuren bewiesen[202] werden kann, kann nach einer kleinen Veränderung in der Ausdrucksweise aus denselben Prämissen nach der ersten Figur bewiesen werden. Ein jeder gültige Syllogismus kann daher in der ersten Figur angegeben, d.h. in eine der folgenden Formen gekleidet werden:

Alles B ist C Kein B ist C

Alles A Jedes A

Einiges A Einiges A

ist B, ist B,

folglich folglich

Alles A Kein A ist

Einiges A Einiges A ist nicht

ist C C

Oder wenn bezeichnendere Symbole vorgezogen werden: – Um ein bejahendes Urtheil zu beweisen, muss das Argument in der folgenden Form anzugeben sein:

Alle Thiere sind sterblich

Alle Menschen

Einige Menschen } sind Thiere;

Sokrates

folglich sind

Alle Menschen.

Einige Menschen } sterblich.

Sokrates

Um ein negatives Urtheil zu beweisen, muss das Argument in folgender Form ausgedrückt werden können:

Niemand, der der Selbstbeherrschung fähig, ist nothwendig lasterhaft:

Alle Neger

Einige Neger } sind der Selbstbeherrschung fähig,

Herr N's Neger

daher

Sind Keine Neger

Sind Einige Neger nicht } nothwendig lasterhaft.

Ist Herr N's Neger nicht

Obgleich ein jeder Syllogismus in die eine oder die andere dieser Formen gefasst werden kann, und durch die Transformation zuweilen bedeutend in der Klarheit und Augenscheinlichkeit seiner Folgerichtigkeit gewinnt, so giebt es doch ohne Zweifel Fälle, wo das Argument naturgemässer einer der anderen drei Figuren angehört,[203] und wo seine Schlussrichtigkeit sich in jenen Figuren auf den ersten Blick besser zeigt, als nach der Reduction auf die erste Figur. Wenn das Urtheil wäre, dass Heiden tugendhaft sein können, und Aristides wäre das Beispiel, um dies zu beweisen, so würde ein Syllogismus von der dritten Figur:

Aristides war tugendhaft,

Aristides war ein Heide;

folglich

War ein Theil der Heiden tugendhaft,

eine natürlichere Form der Argumentation sein und würde die Ueberzeugung eher mit sich führen, als der in die erste Figur gezwängte Syllogismus, wie:

Aristides war tugendhaft,

Ein Theil der Heiden war Aristides;

folglich

War ein Theil der Heiden tugendhaft.

Ein deutscher Philosoph, Lambert, dessen Neues Organon (im Jahre 1764 veröffentlicht) unter anderen Dingen eine so durchgearbeitete und vollständige Darlegung der syllogistischen Lehre enthält, wie sie je gemacht wurde, hat besonders geprüft, welche Arten von Argumenten am natürlichsten und passendsten unter eine jede der vier Figuren fallen, und seine Untersuchung charakterisirt sich durch grossen Scharfsinn und Gedankenklarheit.40 Das Argument ist indessen ein und dasselbe, in welcher Figur es auch ausgedrückt sei, denn die Prämissen eines Syllogismus nach der zweiten, dritten oder vierten Figur, und diejenigen des Syllogismus nach der ersten Figur, auf die er zurückgeführt werden kann, sind,[204] wie wir schon sahen, in allem dieselben Prämissen ausgenommen in der Sprache, oder wenigstens ist soviel von ihnen als zum Beweis des Schlusses beiträgt, einerlei. Es steht uns daher frei, in Uebereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht der Logiker die zwei elementaren Formen der ersten Figur als die allgemeinen Typen eines richtigen Schliessens zu betrachten; die eine, wenn der zu beweisende Schluss bejahend, die andere, wenn er verneinend ist, wenn auch gewisse Argumente eine Neigung haben, sich in die Formen der zweiten, dritten und vierten Figur zu kleiden; dies kann indessen möglicherweise bei der einzigen Classe von Argumenten, die von höchster wissenschaftlicher Bedeutung sind, bei denen, wo der Schluss eine Bejahung ist, nicht vorkommen, indem derartige Schlüsse nur des Beweises in der ersten Figur fähig sind.41

[205] §. 2. Wenn wir daher diese beiden allgemeinen Formeln prüfen, so finden wir, dass in beiden die eine Prämisse, die obere, ein allgemeines[206] Urtheil, und je nachdem dieses bejahend oder verneinend ist, es auch der Schluss ist. Ein jeder Syllogismus geht daher[207] von einem allgemeinen Urtheil, Princip oder Annahme aus, von einem Urtheil, in dem das Prädicat von einer ganzen Classe affirmirt oder negirt wird, d.h. in welchem ein Attribut oder die Negation eines Attributs von einer unbestimmten Anzahl von durch ein gemeinsames charakteristisches Merkmal unterschiedenen und daher mit einem gemeinsamen Namen bezeichneten Gegenständen behauptet wird.

Die andere Prämisse ist immer bejahend und behauptet, dass etwas (was ein Individuum, eine Classe oder ein Theil einer Classe sein kann) der Classe, in Betreff deren in der oberen Prämisse etwas behauptet oder verneint worden ist, angehört oder in ihr eingeschlossen ist. Es folgt hieraus, dass die von der ganzen Classe behaupteten Attribute (wenn wahr) von dem in der Classe eingeschlossenen Gegenstand oder Gegenständen behauptet oder verneint werden können, und dies ist genau die in dem Schlusssatz gemachte Behauptung.[208]

Ob das Vorhergehende eine angemessene Beschreibung der Bestandtheile des Syllogismus ist oder nicht, soll sogleich untersucht werden, eine treue Beschreibung ist sie soweit sie geht. Auch ist sie demgemäss generalisirt und zu einem logischen Grundsatz erhoben worden, auf den ein jedes syllogistische Schliessen dergestalt gegründet ist, dass man annimmt, schliessen und diesen Grundsatz anwenden, sei ein und dasselbe. Der Grundsatz lautet, dass das, was von einer Classe behauptet (oder verneint) werden kann, auch von jedem in der Classe eingeschlossenen Individuum behauptet (oder verneint) werden kann. Dieses Axiom, das man für das Fundament der syllogistischen Lehre hält, heisst bei den Logikern das dictum de omni et nullo.42

Als ein Princip des Schliessen betrachtet, scheint dieser Grundsatz einer Metaphysik angepasst, die man in den letzten zwei Jahrhunderten allgemein als aufgegeben ansah, wenn es auch in unseren Tagen nicht an Versuchen gefehlt hat, sie wieder zu beleben. So lange die sogenannten Allgemeinen Dinge (Universalien) als eine besondere Art von Substanzen betrachtet wurden, die eine, von den unter ihnen classificirten individuellen Gegenständen unterschiedene, objective Existenz besitzen, hatte das dictum de omni et nullo eine wichtige Bedeutung, denn es drückte die Gemeinschaft der Natur aus, welche man nach jener Lehre nothwendig als zwischen den allgemeinen Dingen und den ihnen untergeordneten besonderen Dingen bestehend annehmen musste. Dass man alles, was von den allgemeinen Dingen ausgesagt werden kann, auch von den in ihnen enthaltenen verschiedenen individuellen Dingen aussagen kann, war damals kein identisches Urtheil, sondern die Angabe eines fundamentalen Gesetzes des Universums. Die Behauptung, dass die ganze Natur und die Eigenschaften der substantia secunda einen Theil der Natur und Eigenschaften einer jeden mit demselben Namen benannten individuellen Substanz ausmachen, dass die Eigenschaften des Menschen z.B. die Eigenschaften aller Menschen seien, war ein Satz, der eine wirkliche Bedeutung[209] hatte, als der Mensch nicht alle Menschen bedeutete, sondern etwas den Menschen Inhärentes, an Würde weit über ihnen Stehendes. Gegenwärtig aber, wo es bekannt ist, dass eine Classe, ein allgemeines Ding, ein Genus oder eine Species keine Entität per se ist, sondern nichts mehr und nichts weniger, als die in die Classe eingeordneten individuellen Substanzen selbst, und dass an der Sache nichts Reales ist, als diese Gegenstände selbst, ein ihnen gemeinsam gegebener Name, und die durch diesen Namen bezeichneten gemeinsamen Attribute; gegenwärtig also möchte ich gern wissen, was wir dadurch lernen, dass man uns sagt, dass was von einer Classe affirmirt werden kann, auch von jedem in der Classe enthaltenen Individuum affirmirt werden kann? Die Classe ist nichts als die in ihr enthaltenen Gegenstände, und das dictum de omni et nullo ist nichts als das identische Urtheil, dass was von gewissen Gegenständen wahr ist, auch von einem jeden dieser Gegenstände wahr ist. Wenn alles syllogistische Schliessen nichts als die Anwendung dieses Grundsatzes auf besondere Fälle wäre, so wäre der Syllogismus in der That das, wofür er so oft erklärt worden ist, eine blosse Spielerei. Der Syllogismus steht auf gleicher Linie mit einer andern Wahrheit, der man seiner Zeit auch eine grosse Wichtigkeit beigelegt hat, »Was ist, ist.« Um dem dictum de omni et nullo eine wirkliche Bedeutung zu geben, muss man es nicht als ein Axiom, sondern man muss es als eine Definition betrachten; wir müssen annehmen, dass es die Bestimmung habe, die Bedeutung des Wortes Classe in einer weitschweifigen und paraphrastischen Weise zu erklären.

Ein Irrthum, der für immer widerlegt und aus den Gedanken verwischt scheint, bedarf häufig nur einer neuen Bekleidung von Phrasen, damit ihm in seinem alten Quartier ein Willkomm bereitet und für einen neuen Cyclus von Jahrhunderten eine unangefochtene Ruhe zugestanden werde. Die neuern Philosophen sparten keine Verachtung für das scholastische Dogma: dass die Genera und Species eine besondere Art von Substanzen sind, welche allgemeinen Substanzen die einzigen beständigen Dinge darstellen, während die in ihnen enthaltenen individuellen Substanzen in einem fortwährenden Fluss bleiben, dass sich also die Erkenntniss, worin nothwendig Stabilität inbegriffen ist, nur auf diese allgemeinen Substanzen oder Dinge und auf die in ihnen enthaltenen Thatsachen[210] oder besonderen Dingen beziehen kann. Aber wenn auch dem Namen nach aufgegeben, so hat diese Lehre doch niemals aufgehört, sei es unter der Maske der abstracten Ideen von Locke (dessen Speculationen indessen vielleicht weniger dadurch verschändet wurden als die eines jeden andern dadurch inficirten Schriftstellers), unter dem Ultranominalismus von Hobbes und Condillac, oder der Ontologie der späteren Kantianer die Philosophie zu vergiften. Da die Menschen einmal gewöhnt waren, die wissenschaftliche Forschung als wesentlich in dem Studium der Universalien bestehend zu betrachten, so gaben sie diese Gewohnheit auch nicht auf, nachdem sie den Universalien ihre unabhängige Existenz benommen hatten; und sogar diejenigen, welche soweit gingen, sie als blosse Namen zu betrachten, konnten sich von der Vorstellung nicht frei machen, dass die Erforschung der Wahrheit gänzlich oder theilweise in einer Art Beschwörung oder einer Gaukelei mit diesen Namen bestehe. Ein Philosoph, der die nominalistische Ansicht von der Bedeutung der allgemeinen Sprache vollständig annahm, und zugleich das dictum de omni als die Grundlage alles Schliessens beibehielt, musste, wenn er ein consequenter Denker war, durch zwei solcher gehörig zusammengestellter Prämissen zu überraschenden Schlüssen geführt werden. Es behaupteten demgemäss Autoren von verdienter Berühmtheit, dass das Verfahren, durch Schliessen zu neuen Wahrheiten zu gelangen, einzig in der Substitution einer Reihe von willkürlichen Zeichen für eine andere Reihe bestehe, eine Lehre, welche nach ihrer Meinung durch das Beispiel der Algebra eine unwiderstehliche Bestätigung erhielt. Ich würde mich sehr verwundern, wenn es in der Hexerei und Necromancie ein übernatürlicheres Verführen gäbe, als dieses. Den Culminationspunkt dieser Philosophie bildet der bekannte Aphorismus von Condillac, wonach eine Wissenschaft nichts oder kaum mehr ist, als une langue bien faite, wonach mit anderen Worten die einzige genügende Regel für die Entdeckung der Natur und Eigenschaften der Gegenstände in einer passenden Benennung derselben besteht; als wenn das Umgekehrte nicht wahr wäre, dass es unmöglich ist, sie in geeigneter Weise zu benennen, wenn nicht im Verhältniss als wir mit ihrer Natur und ihren Eigenschaften bekannt werden. Kann es nöthig werden zu sagen, dass auch nicht das geringfügigste Wissen in Beziehung auf[211] die Dinge durch irgend eine denkbare Manipulation blosser Namen jemals erlangt werden könnte, und dass das, was wir von den Namen lernen können, nichts anderes ist, als was der sie gebrauchende schon vorher wusste? Die philosophische Analyse bestätigt den Ausspruch des gemeinen Menschenverstandes, dass die Function der Namen nur die ist, uns in Stand zu setzen, uns unserer Gedanken zu erinnern und sie mitzutheilen. Dass sie auch, und zwar bis zu einer unberechenbaren Weite, das Denkvermögen selbst starten, ist sehr wahr; aber sie thun dies nicht durch eine innerliche und eigenthümliche Tugend, sondern durch das einem künstlichen Gedächtniss inhärente Vermögen, durch ein Instrument also, dessen mächtige Wirksamkeit nur Wenige gehörig erwogen haben. Als ein künstliches Gedächtniss ist die Sprache wahrhaft das, was sie so oft genannt wurde, ein Werkzeug des Gedankens; aber es ist ein Ding, das Werkzeug zu sein, und ein anderes Ding, der ausschliessliche Gegenstand zu sein, an dem das Werkzeug gebraucht wird. Wir denken in der That vermittelst der Namen in einer ausgedehnten Weise, aber die mit diesen Namen benannten Dinge sind es, die wir denken, und es kann keinen grössern Irrthum geben, als der Glaube, dass wenn in unserm Geist nichts wäre als Namen, wir Gedanken ausführen könnten, dass es möglich wäre, die Namen für uns denken zu lassen.

§. 3. Diejenigen, welche das dictum de omni als die Grundlage des Syllogismus betrachteten, hatten von den Argumenten eine eben so irrthümliche Ansicht, wie Hobbes von den Urtheilen hatte. Da es einige bloss wörtliche Urtheile giebt, so definirte Hobbes, anscheinend um seine Definition streng allgemein zu machen, ein Urtheil so, als ob die Urtheile nichts erklärten als die Bedeutung von Wörtern. Wenn Hobbes Recht hatte, wenn von dem Inhalt der Urtheile keine andere Erklärung zu geben war als diese, so konnte keine andere als die allgemein angenommene Theorie von der Verbindung der Urtheile in einem Syllogismus aufgestellt werden. Wenn die untere Prämisse nichts behauptete, als dass etwas zu einer Classe gehört, und wenn die obere Prämisse von dieser Classe nichts behauptete, als dass sie in einer andern Classe eingeschlossen ist, so würde der Schluss nur sein, dass was in der untern Classe eingeschlossen ist, es auch in der obern ist, und[212] das Resultat würde demnach nur sein, dass die Classification mit sich selbst übereinstimmt. Wir haben aber gesehen, dass es nicht genügt, von den Urtheilen zu sagen, dass sie etwas auf eine Classe beziehen oder von ihr ausschliessen. Ein jedes wirklich informirende Urtheil behauptet eine von Naturgesetzen, und nicht von einer künstlichen Classification abhängige Thatsache. Es behauptet, dass ein gegebener Gegenstand ein gegebenes Attribut besitzt oder nicht; oder es behauptet, dass zwei Attribute, oder Reihen von Attributen (beständig oder gelegentlich) zugleich existiren oder nicht. Da dies der Sinn aller Urtheile ist, die reales Wissen mittheilen, und da der Syllogismus ein Modus ist, um reales Wissen zu erlangen, so kann keine Theorie des Syllogisirens, welche diesen Inhalt der Urtheile nicht anerkennt, die wahre sein.

Wenn wir diese Ansicht von den Urtheilen auf die zwei Prämissen des Syllogismus anwenden, so kommen wir zu folgendem Resultat. Die obere Prämisse, welche, wie bereite bemerkt, immer universell ist, behauptet, dass alle Dinge, die ein gewisses Attribut (oder Attribute) besitzen, damit zugleich ein anderes Attribut (oder Attribute) besitzen. Die untere Prämisse behauptet, dass das Ding oder die Reihe von Dingen, woraus das Subject dieser Prämisse besteht, das zuerst erwähnte Attribut besitzt, und der Schluss ist, dass sie das zweite besitzt (oder nicht). So sind in dem vorhergehenden Beispiel:

Alle Menschen sind sterblich,

Sokrates ist ein Mensch,

daher ist

Sokrates sterblich,

das Subject und Prädicat der obern Prämisse mitbezeichnende Wörter, welche Gegenstände bezeichnen und Attribute mitbezeichnen. Die Behauptung der obern Prämisse ist, dass wir mit der einen der zwei Reihen von Attributen immer auch die andere vorfinden, dass die durch »Mensch« mitbezeichneten Attribute niemals anders, als von dem Sterblichkeit genannten Attribut begleitet existiren. Die Behauptung der untern Prämisse ist, das das Individuum Sokrates die ersteren Attribute besitzt, und hieraus wird geschlossen, dass es auch das Attribut Sterblichkeit besitzt. Oder wenn beide Prämisse allgemein sind:[213]

Alle Menschen sind sterblich,

Alle Könige sind Menschen,

daher sind

Alle Könige sterblich,

so behauptet die untere Prämisse, dass die durch Königthum bezeichneten Attribute nur in Verbindung mit denen durch Mensch bezeichneten existiren. Die obere Prämisse behauptet wie vorher, dass die letztgenannten Attribute niemals ohne das Attribut Sterblichkeit angetroffen werden. Der Schluss ist, dass, wo die Attribute der Königswürde sind, sich auch das Attribut Sterblichkeit findet.

Wenn die obere Prämisse negativ wäre, wie: Keine Menschen sind allmächtig, so würde sie behaupten, nicht dass sich die durch »Mensch« mitbezeichneten Attribute mit dem durch »allmächtig« mitbezeichneten Attribut immer zusammenfinden, sondern dass sie niemals mit ihm zugleich vorkommen; woraus in Verbindung mit der untern Prämisse geschlossen wird, dass dieselbe Unverträglichkeit zwischen den Attributen Allmacht und den Attributen eines Könige stattfindet. In ähnlicher Weise können wir ein jedes andere Beispiel von einem Syllogismus zerlegen.

Wenn wir dieses Verfahren verallgemeinern, und das Princip oder das Gesetz suchen, das in einer jeden derartigen Folgerung enthalten ist und bei einem jeden Syllogismus, dessen Urtheile etwas mehr als Wörtlich sind, vorausgesetzt wird: so finden wir, nicht das bedeutungslose dictum de omni et nullo, sondern einen fundamentalen Grundsatz, oder vielmehr zwei Grundsätze, welche den Axiomen der Mathematik auffallend ähnlich sind. Das erste ist der Grundsatz des bejahenden Syllogismus und lautet: Dinge, welche mit demselben Ding coexistiren (zugleich sind), coexistiren miteinander. Der zweite ist der Grundsatz des verneinenden Syllogismus und heisst: Ein Ding, das mit einem andern Dinge existirt, mit dem ein drittes Ding nicht zugleich ist, coexistirt nicht mit diesem dritten Ding. Diese Axiome beziehen sich offenbar auf Thatsachen und nicht auf etwas Conventionelles, und das eine oder das andere bildet den Grund der Gültigkeit eines jeden Arguments, in dem Thatsachen und nicht etwas Conventionelles den behandelten Gegenstand ausmachen.43[214]

§. 4. Es ist nun noch diese Darstellung des Syllogismus aus der einen in die andere der zwei Sprachen zu übersetzen, in denen[215] wie früher bemerkt44 alle Urtheile und daher auch natürlich alle Verbindungen von Urtheilen ausgedrückt werden können. Wir haben gesehen, dass ein Urtheil unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden kann, nämlich als ein Theil unserer Kenntniss der Natur, und als ein Memorandum, das uns als ein Wegweiser dienen kann. Von dem ersten oder theoretischen Gesichtspunkte aus, ist ein bejahendes allgemeines Urtheil die Behauptung einer theoretischen Wahrheit, nämlich die, dass was ein gewisses Attribut besitzt, auch ein gewisses andere Attribut besitzt. Von dem andern Gesichtspunkte aus betrachtet stellt es sich nicht als ein Theil unseres Wissens, sondern als ein Hülfsmittel für unsere praktischen Bedürfnisse dar, indem es uns in den Stand setzt, wenn wir sehen oder erfahren, dass ein Gegenstand eines der zwei Attribute besitzt, zu folgern, dass er auch das andere besitzt, indem wir so das erste Attribut als ein Merkmal oder Beweis des andern gebrauchen. So betrachtet entspricht ein jeder Syllogismus der folgenden allgemeinen Formel:[216]

Das Attribut A ist ein Merkmal vom Attribut B,

Der gegebene Gegenstand besitzt das Merkmal A,

daher

Besitzt der gegebene Gegenstand das Attribut B.

Auf diesen Typus bezogen, werden die zuletzt als Beispiele von Syllogismen angeführten Argumente in folgender Weise ausgedrückt:

Die Attribute des Menschen sind ein Merkmal des Attributs Sterblichkeit,

Sokrates besitzt die Attribute des Menschen,

daher

Besitzt Sokrates das Attribut Sterblichkeit.

Ebenso:

Die Attribute des Menschen sind ein Merkmal des Attributs Sterblichkeit,

Die Attribute eines Königs sind ein Merkmal der Attribute des Menschen,

daher

Sind die Attribute eines Königs ein Merkmal des Attributs Sterblichkeit.

Und zuletzt:

Die Attribute des Menschen sind ein Merkmal von der Abwesenheit des Attributs Allmacht,

Die Attribute eines Königs sind ein Merkmal der Attribute des Menschen,

daher

Sind die Attribute eines Königs ein Merkmal der Abwesenheit der durch das Wort allmächtig bezeichneten Attribute (oder sie sind ein Beweis von der Abwesenheit dieser Attribute).


Um mit dieser Aenderung in der Form des Syllogismus übereinzustimmen, müssen die Axiome, auf welche das syllogistische Verfahren gegründet ist, eine ähnliche Veränderung erfahren. In veränderter Ausdrucksweise können beide Axiome in einen allgemeinen Ausdruck zusammengefasst werden, in den nämlich: was irgend ein Merkmal besitzt, besitzt auch das, wovon es ein Merkmal ist. Oder wenn sowohl die untere als auch die obere Prämisse allgemein ist: Was ein Merkmal von irgend, einem[217] Merkmal, ist auch ein Merkmal von dem, wovon letzteres ein Merkmal ist.

Die Identität dieser und der früher aufgestellten Axiome aufzufinden, bleibt dem intelligenten Leser überlassen. Wir werden finden, dass die letzte Ausdrucksweise sehr bequem und besser geeignet ist, als eine jede andere mir bekannte, um genau und kräftig auszudrücken, was in einem jeden Fall von Bestimmung einer Wahrheit durch den Syllogismus bezweckt und wirklich erreicht wird.[218]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 1, Braunschweig 31868, S. 199-219.
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