Drittes Capitel.

Von dem Grund der Induction.

[362] §. 1. Die Induction, wie wir sie von den Verstandesoperationen, die wir in dem vorhergehenden Capitel charakterisirten, unterschieden haben, kann summarisch als eine Generalisation von der Erfahrung aus definirt werden. Sie besteht darin, dass man schliesst, eine Erscheinung, die bei einzelnen Gelegenheiten stattgefunden hat, wird in allen Gelegenheiten einer gewissen Classe stattfinden, nämlich in allen, welche den vorhergehenden in dem, was man die wesentlichen Umstände nennt, gleichen.

In welcher Weise die wesentlichen Umstände von den unwesentlichen zu unterscheiden sind, wollen wir hier noch übergehen. Wir wollen zuerst bemerken, dass in der Festsetzung von dem, was Induction ist, ein Princip, eine Annahme in Beziehung auf den Gang der Natur und die Ordnung im Universum inbegriffen liegt, nämlich, dass es in der Natur Dinge wie parallele Fälle giebt, dass, was einmal geschehen ist, bei einem gewissen Grad von Aehnlichkeit wieder und sogar immer geschehen wird. Wenn wir den Gang der Natur beobachten, so finden wir, dass diese Annahme bestätigt wird; die Thatsache ist so, wir finden, dass das Weltall so constituirt ist, dass was in einem Falle wahr ist, in allen Fällen einer gewissen Art wahr ist; die einzige Schwierigkeit ist, zu finden welcher Art.

Die allgemeine Thatsache, welche bei allen Schlüssen von der Erfahrung aus unser Bürge ist, ist von verschiedenen Philosophen auf verschiedene Weise bezeichnet worden, wie z.B. der Gang der Natur ist gleichförmig; das Weltall ist durch allgemeine Gesetze beherrscht u.s.w. Eine der gewöhnlichsten dieser Ausdrucksweisen,[362] aber auch die mangelhafteste, ist die durch die Metaphysiker der Schule von Reid und Stewart in Umlauf gesetzte. Die Anlage des menschlichen Verstandes aus der Erfahrung zu generalisiren – eine von diesen Philosophen als ein Instinct unserer Natur betrachtete Neigung – beschreiben sie gewöhnlich unter Namen wie »eine intuitive Ueberzeugung, dass die Zukunft der Vergangenheit gleichen wird.« Es ist nun von Hrn. Bailey78 gezeigt worden, dass (die Neigung sei ein ursprüngliches und letztes Element unserer Natur oder nicht) die Zeit in ihren Modificationen als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft weder mit dem Glauben selbst, noch mit den Gründen desselben etwas zu schaffen hat. Wir glauben, dass Feuer morgen brennen wird, weil es heute und gestern brannte; aber wir glauben genau auf dieselben Gründe hin, dass es vor unserer Geburt brannte, und dass es beste in Cochinchina brennt. Nicht von der Vergangenheit auf die Zukunft als Vergangenheit und Zukunft folgern wir, sondern vom bekannten auf das unbekannte, von beobachteten Thatsachen auf nicht beobachtete Thatsachen, von dem was wir wahrgenommen haben, oder dessen wir uns direct bewusst waren, auf das was unserer Erfahrung Mitzogen war. In diesem letzten Prädicament liegt das ganze Bereich der Zukunft, aber auch der weit grössere Antheil von Vergangenheit und Gegenwart.

Welches auch die beste Art sei, sie auszudrücken, die Behauptung, dass der Gang der Natur gleichförmig ist, ist das Grundprincip, das allgemeine Axiom der Induction. Es wäre jedoch ein grosser Irrthum, diese weite Generalisation als eine Erklärung des inductiven Verfahrens zu betrachten, ich sehe sie im Gegentheil selbst als ein Beispiel von Induction und zwar nicht von der deutlichsten Art an; weit entfernt, die erste unserer Inductionen zu sein, ist sie eine der letzten, oder doch in jedem Falle eine von jenen, welche am spätesten eine philosophische Genauigkeit erlangen. Als ein allgemeiner Grundsatz hat sie in der That nur bei den Philosophen Eingang gefunden, und wie wir Gelegenheit zu bemerken haben werden, sogar von diesen sind seine Ausdehnung und Grenzen nicht immer richtig verstanden worden.

Die Wahrheit ist, dass diese grosse Generalisation selbst auf frühere Generalisationen gegründet ist. Die dunkleren Naturgesetze[363] wurden mit ihrer Hülfe entdeckt, aber die mehr sichtbaren mussten verstanden und als allgemeine Wahrheiten angenommen gewesen sein, ehe man von ihr hörte. Es würde uns niemals eingefallen sein, zu behaupten, dass alle Erscheinungen nach allgemeinen Gesetzen stattfinden, wenn wir nicht schon bei einer grossen Menge von Erscheinungen zu einiger Kenntniss der Gesetze selbst gelangt gewesen wären, was nur durch Induction geschehen konnte. In welchem Sinne kann nun aber ein Princip, das soweit davon entfernt ist, unsere früheste Induction zu sein, als unsere Gewähr für alle anderen Inductionen betrachtet werden? Nur in dem Sinne, in dem (wie wir sahen) das allgemeine Urtheil, das wir an die Spitze unserer Schlüsse stellen, wenn wir sie in einen Syllogismus fassen, überhaupt zu deren Gültigkeit beiträgt. Eine jede Induction ist, wie Erzbischof Whately bemerkt, ein Syllogismus mit unterdrückter oberer Prämisse; oder (wie ich vorziehe) eine jede Induction kann in die Form eines Syllogismus gefasst werden, indem eine obere Prämisse hergestellt wird. Wenn dies wirklich ausgeführt wird, so wird der Grundsatz von der Gleichförmigkeit im Gang der Natur als die letzte obere Prämisse aller Inductionen erscheinen, und wird daher zu allen Inductionen in dem Verhältniss stehen, wie der Obersatz eines Syllogismus zum Schluss, nichts zu dem Beweise desselben beitragend, aber eine nothwendige Bedingung dieses Beweises, indem kein Schluss wahr ist, wenn sich nicht eine wahre obere Prämisse für ihn finden lässt.

Die Behauptung, die Gleichförmigkeit im Lauf der Natur sei die letzte obere Prämisse aller Inductionen, mag man einer Erklärung bedürftig halten. Gewiss ist sie nicht die unmittelbare obere Prämisse in einem jeden inductiven Argument. Whately giebt hierüber die beste Erklärung. Die Induction »Johann, Peter etc. sind sterblich, daher sind alle Menschen sterblich« kann, Wie er richtig bemerkt, in einen Syllogismus gefasst werden, indem man (was jedenfalls eine nothwendige Bedingung der Gültigkeit des Arguments ist) als obere Prämisse voransetzt, dass was von Johann, Peter etc. wahr ist, von allen Menschen wahr ist. Aber wie kamen wir zu dieser oberen Prämisse? Sie ist nicht selbstverständlich, und in allen Fällen von ungerechtfertigter Generalisation ist sie nicht einmal wahr. Wie also gelangt man dazu?[364] Nothwendigerweise entweder durch Induction, oder durch Syllogisiren; und wann durch Induction, so kann das Verfahren wie alle anderen inductiven Argumente in die Form eines Syllogismus gefasst werden. Es ist daher nöthig, diesen vorausgängigen Syllogismus zu construiren. Am Ende ist nur eine Construction möglich. Der wirkliche Beweis davon, dass was von Johann, Peter etc. wahr, auch von allen Menschen wahr ist, kann nur der sein, dass eine andere Voraussetzung mit der Gleichförmigkeit, von der wir wissen, dass sie im Lauf der Natur existirt, unverträglich wäre. Ob diese Unverträglichkeit bestehen würde oder nicht, mag ein Gegenstand langer und delicater Forschung sein, aber nur wenn sie bestehen würde, haben wir einen zureichenden Grund für die obere Prämisse des inductiven Syllogismus. Es geht hieraus hervor, dass wenn wir den ganzen Gang irgend eines inductiven Arguments in eine Reihe von Syllogismen fassen, wir durch mehr oder weniger Stufen zu einem letzten Syllogismus gelangen werden, der als obere Prämisse den Grundsatz oder das Axiom von der Gleichförmigkeit im Gange der Natur haben wird.79[365]

Es war nicht zu Erwarten, dass unter den Denkern bezüglich der Gründe, auf welche hin dieses Axiom als wahr anzunehmen ist, eine grössere Uebereinstimmung herrsche, als bei anderen Axiomen. Ich habe bereits angegeben, dass ich es selbst als eine Generalisation aus der Erfahrung halte. Andere halten es für einen Grundsatz, den wir durch die Einrichtung unseres Denkvermögens gezwungen sind, vor einer jeden Bestätigung durch die Erfahrung für wahr zu halten. Da ich erst kurz vorher eine ähnliche Lehre in Betreff der Axiome der Mathematik durch Argumente bekämpft habe, die grösstentheils auch auf den gegenwärtigen Fall anwendbar sind, so verschiebe ich die besondere Erörterung des streitigen Punktes in Betreff des fundamentalen Axioms der Induction bis zu einer spätern Periode unserer Untersuchung (Capitel XXI). Für jetzt ist es wichtiger, dass der Inhalt des Axioms selbst vollständig verstanden werde. Denn das Urtheil, der Gang der Natur ist gleichförmig, besitzt mehr die der populären Sprache angepasste Kürze, als die in der philosophischen Sprache erforderliche Präcision; die Worte desselben bedürfen der Erklärung, und es muss ihnen eine strengere Bedeutung als die gewöhnliche beigelegt werden, ehe die Wahrheit der Behauptung zugegeben werden kann.

§. 2. Das Bewusstsein eines Jeden sagt ihm, dass er nicht immer eine Gleichförmigkeit in dem Laufe der Ereignisse erwartet; er glaubt nicht immer, dass das Unbekannte dem Bekannten ähnlich sein, dass die Zukunft der Gegenwart gleichen wird. Niemand glaubt, dass die Folge von Regen und Sonnenschein in jedem künftigen Jahre dieselbe sein wird, wie in dem laufenden, Niemand, dass dieselben Träume sich in jeder Nacht wiederholen werden. Im Gegentheil nennt es Jedermann etwas Ungewöhnliches, wenn der Gang der Natur in diesen Einzelheiten stetig und sich selbst gleich ist. Beständigkeit zu erwarten, wo sie nicht ist, wie z.B. dass ein Tag, welcher einmal Glück brachte, nun immer ein glücklicher Tag sein wird, wird mit Recht als Aberglaube angesehen.

Der Gang der Natur ist in Wahrheit nicht allein gleichförmig, er ist auch unendlich veränderlich. Wir sehen einige Erscheinungen immer unter denselben Umständen auftreten, unter denen wir sie[366] zuerst beobachtet haben; andere scheinen ganz launenhaft zu sein; während wiederum andere, die wir gewohnt sind als ausschliesslich an besondere Reihen von Combinationen gebunden zu betrachten, unerwartet von An Elementen, womit wir sie bisher verbunden sahen, getrennt und mit anderen, die von ganz entgegengesetzter Art sind, vereinigt werden. Vor fünfzig Jahren schien einem Centralafrikaner wahrscheinlich keine Thatsache auf eine gleichmässigere Erfahrung gegründet, als die Thatsache, dass alle Menschen schwarz sind. Vor Wenigen Jahren noch schien einem Europäer die Behauptung, alle Schwanen sind weiss, ein eben so unzweifelhaftes Beispiel von der Gleichförmigkeit in dem Gange der Natur zu sein. Eine spätere Erfahrung hat gezeigt, dass Beide im Irrthum wären, aber fünfzig Jahrhunderte musste auf diese Erfahrung gewartet werden. Während dieser langen Zeit glaubte die Menschheit an eine Gleichförmigkeit in dem Gange der Natur, welche nicht existirte.

Nach den Begriffen, welche die Alten von der Induction hatten, waren die vorhergehenden Fälle so echte Inductionen, als es immer welche geben mag. In diesen beiden Fällen, in welchen der Grund der Induction unzureichend gewesen sein muss, indem der Schluss falsch war, lag nichtsdestoweniger so viel Grund zu einer Induction, als dieser Begriff von ihr zuliess. Die Induction der Alten hat Bacon sehr gut unter dem Namen: »Inductio per enumerationem simplicem, ubi non reperitur instantia contradictoria«, beschrieben. Sie besteht darin, dass wir den Charakter allgemeiner Wahrheiten allen Urtheilen geben, die in einem jeden Falle wahr sind, mit dem wir zufällig bekannt sind. Diese Art von Induction, wenn sie diesen Namen verdient, ist dem an wissenschaftliche Methoden nicht gewohnten Geist natürlich. Die Neigung, das Künftige aus dem Vergangenen, das Unbekannte aus dem Bekannten zu folgern, welche Einige einen Instinct nennen, Andere durch Ideensociation erklären, ist einfach die Gewohnheit, zu erwarten, dass was einmal oder wiederholt als wahr befanden worden ist, ohne sich einmal als falsch zu erweisen, wieder als wahr befunden werden wird. Ob der Beispiele viele oder wenige sind, ob entscheidend oder nicht, thut nicht viel zur Sache; dies sind Betrachtungen, welche erst bei der Reflexion vorkommen. Die natürliche Neigung des Geistes ist, seine Erfahrung zu generalisiren, vorausgesetzt, dass diese in[367] einer Richtung stattfindet und dass keine andere Erfahrung von einem widerstreitigen Charakter ungesucht dazu kommt. Der Gedanke, diese zu suchen, deshalb zu experimentiren, die Natur zu befragen (wie Bacon sagt), entsteht viel später. Die Beobachtung der Natur bei uncultivirtem Verstande ist rein passiv; er nimmt die Thatsachen, welche sich darbieten, ohne sich die Mühe zu nehmen, nach weiteren zu suchen; nur ein höherer Verstand fragt sich, welcher Thatsachen er bedarf, um zu einem sichern Schlusse zu kommen, und sucht diese alsdann auf.

Aber obgleich wir stets eine Neigung haben, von der unveränderlichen Erfahrung aus zu generalisiren, so sind wir nicht immer hieran berechtigt. Ehe wir mit vollem Rechte schliessen dürfen, dass etwas allgemein wahr ist, weil wir nie ein Beispiel vom Gegentheil sahen, muss bewiesen werden, dass wenn es in der Natur solche Beispiele vom Gegentheil gäbe, wir Kenntniss davon haben müssten. Diese Sicherheit können wir in bei Weitem der grössten Anzahl von Fällen nicht oder doch nur in einem massigen Grade erreichen. Die Möglichkeit, sie zu erlangen, ist die Grundlage, auf welcher sich, wie wir später80 sehen werden, die Induction durch einfaches Aufzählen (per enumerationem simplicem) in manchen bemerkenswerthen Fällen praktisch bis zum vollen Beweis erheben kann. In Beziehung auf die gewöhnlichen Gegen stände des wissenschaftlichen Forschens kann indessen eine solche Gewissheit nicht erlangt werden. Populäre Begriffe sind gewöhnlich auf Induction per enumerationem simplicem gegründet in der Wissenschaft führt sie uns nicht weit. Wir sind gezwungen, damit zu besinnen; wir müssen uns oft vorläufig aus Mangel an besseren Mitteln der Untersuchung darauf vorlassen: aber zu dem Studium der Natur verlangen wir ein genaueres und mächtigeres Instrument.

Dadurch, dass er die Unzulänglichkeit dieses rohen und locker Begriffs von der Induction nachgewiesen hat, hat Bacon de ihm allein zuerkannten Namen des Gründers der inductiven Philosophie verdient. Der Werth seiner eigenen Beiträge zu einer mehr philosophischen Theorie des Gegenstandes ist sicher überschätzt worden. Obgleich (mit einigen fundamentalen Irrthümern)[368] seine Schriften einige der wichtigsten Principien der inductiven Methode mehr oder weniger vollständig entwickelt enthalten, so hat doch jetzt die physikalische Forschung den Bacon'schen Begriff der Induction weit überholt. Die moralische und politische Forschung sind in der That jetzt noch weit hinter diesem Begriffe zurückgeblieben. Die gangbaren und gebilligten Schlussweisen bezüglich dieser Gegenstände sind noch von derselben fehlerhaften Art, gegen welche Bacon eiferte; die Methode, welche ausschliesslich von denjenigen, welche sich mit diesen Gegenständen beschäftigen, angewendet wird, ist dieselbe Induction per enumerationem simplicem, welche er verdammt, und die Erfahrung, an welche, wie wir sehen, alle Secten, Parteien und Interessen so zuversichtlich appelliren, ist immer noch, nach seinem eigenen emphatischen Ausdrucke, mera palpatio.

§. 3. Um die Aufgabe, welche der Logiker lösen muss, um eine wissenschaftliche Theorie der Induction aufzustellen, besser zu verstehen, wollen wir einige wenige Fälle von unrichtigen Inductionen mit anderen vergleichen, welche als richtig anerkannt sind. Einige, welche Jahrhunderte lang als richtig anerkannt wurden, waren, wie wir wissen, nichtsdestoweniger unrichtig. Dass alle Schwanen weiss sind, kann keine gute Induction gewesen sein, da sich der Schluss als irrthümlich erwiesen hat. Die Erfahrung, worauf der Schluss gegründet wurde, war indessen wahr. Von den frühesten Erinnerungen an war das Zeugniss aller Bewohner der bekannten Welt in dieser Beziehung übereinstimmend. Die gleichförmige Erfahrung der Bewohner der bekannten Welt, in einem gemeinsamen Resultate übereinstimmend und ohne ein bekanntes Beispiel der Abweichung von diesem Resultate, ist also zu einem allgemeinen Schlusse nicht immer hinreichend.

Wenden wir uns zu einem anscheinend von jenem nicht sehr verschiedenen Beispiele. Die Menschheit war, wie es scheint, im Irrthume, als sie schloss: alle Schwanen sind weiss; sind wir nun ebenfalls im Irrthume, wenn wir trotz dem widerstreitenden Zeugniss des Naturforschers Plinius schliessen, dass die Köpfe aller Menschen über ihre Schultern hinaus und niemals unterhalb derselben wachsen? So wie es schwarze Schwanen giebt, obgleich civilisirte Menschen dreitausend Jahre auf der Erde lebten ohne[369] ihnen zu begegnen, kann es nicht eben so gut Menschen geben, »deren Köpfe unterhalb ihrer Schultern wachsen«, ungeachtet einer allerdings weniger vollkommenen Uebereinstimmung des Zeugnisses von Beobachtern? Die meisten Menschen würden »Nein« sagen; es war eher glaublich, dass ein Vogel in der Farbe von der Regel abweichen kann, als ein Mensch in der relativen Lage seiner Hauptorgane; aber zu sagen, warum sie hierin Recht haben, wäre unmöglich, ohne tiefer als es gewöhnlich geschieht in die wahre Theorie der Induction einzugehen.

Um es zu wiederholen: es giebt also Fälle, in denen wir mit der unfehlbarsten Zuversicht auf Gleichförmigkeit rechnen, und andere, in welchen wir gar nicht darauf rechnen. Bei einigen haben wir die volle Gewissheit, dass die Zukunft der Vergangenheit gleichen, dass das Unbekannte dem Bekannten genau ähnlich sein wird. Wie unveränderlich in anderen Fällen das Resultat sein mag, das wir aus den beobachteten Beispielen abgeleitet haben, so ziehen wir daraus nur die schwache Vermuthung, dass das gleiche Resultat in allen anderen Fällen bestehen bleiben wird. Wir zweifeln nicht, dass es sogar in der Region der Fixsterne wahr bleiben wird, dass eine gerade Linie die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist. Wenn ein Chemiker die Existenz und die Eigenschaften einer neuentdeckten Substanz ankündigt und wir seiner Genauigkeit vertrauen, so sind wir überzeugt, dass die Schlüsse, an denen er gelangt ist, allgemein bestehen werden, obgleich die Induction nur auf einige Beispiele gegründet ist. Wir halten unsere Zustimmung nicht zurück, indem wir auf eine Wiederholung des Experiments warten; oder wenn wir dies thun, so geschieht es wegen eines Zweifels, dass ein Experiment gehörig angestellt worden, nicht ob es beweisend ist, im Fall es richtig angestellt Wurde. Hier ist also ein aus einem einzigen Beispiele ohne Anstoss gefolgertes allgemeines Naturgesetz, ein allgemeines Urtheil aus einem besondern. Wir wollen nun einen andern Fall diesem gegenüberstellen. Alle Fälle, welche seit dem Anfange der Welt, zur Stütze der Behauptung, »alle Krähen sind schwarz«, beobachtet worden sind, würden nicht als eine hinreichende Präsumtion von der Wahrheit dieser Behauptung erachtet werden, um das Zeugniss eines einzigen unverwerflichen Zeugen aufzuheben, der versichern könnte, dass in einer noch nicht gänzlich durchforschten Gegend[370] der Erde er eine Krähe gefangen und untersucht, und dass er gefunden habe, sie sei grau.

Warum ist in manchen Fällen ein einziges Beispiel zu einer vollständigen Induction hinreichend, während in anderen Fällen Myriaden übereinstimmender Fälle, ohne eine einzige bekannte oder nur vermuthete Ausnahme, einen so kleinen Schritt zur Festsetzung eines allgemeinen Urtheils thun? Wer diese Frage beantworten kann, versteht mehr von der Philosophie der Logik, als der erste Weise des Alterthums; er hätte das grosse Problem der Induction gelöst.[371]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 1, Braunschweig 31868, S. 362-372.
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