Sechsundzwanzigster Abschnitt.
Die zwölf Glieder.

[175] Frage: Durch das große Fahrzeug (mahāyāna) lehrt ihr den Weg des höchsten Sinnes. Ich will jetzt den śrāvaka-dharma (-Lehre) lehren hören (und) den Weg des höchsten Sinnes betreten.

Antwort:

Die von Verblendung (moha) umhüllten Lebewesen (sattva) erzeugen für später drei Wirkungen (saṃskāra); weil sie diese saṃskāras erzeugen, ist entsprechend den saṃskāras Eintreten1 in sechs gatis (»Gange« der Seelenwanderung). (XXVI. 1.)

Durch der saṃskāras Verursachung nimmt Bewußtsein (vijñāna) den sechs-gati-Leib an; weil Haften des Bewußtseins ist, ist Vermehren und Vergrößern (von) Name-und-Form (nāma-rūpa). (XXVI. 2.)

Weil Name-und-Form sich vermehrt (und) vergrößert, dadurch entstehen aber die sechs Gebiete (āyatana); Leidenschaft, Sinnesbereich (gocara) und Bewußtsein: durch deren Zusammensein entstehen die sechs Berührungen (sparśa). (XXVI. 3.)

Weil abhängig von den sechs Berührungen, entstehen dann die drei Empfindungen, (vedanā); [weil] abhängig von den drei Empfindungen aber entsteht Verlangen (tṛṣṇā) und Begierde (kāma). (XXVI. 4.)

Abhängig von Verlangen sind die vier Annahmen (upādāna); weil abhängig (von den vier upādānas), ist Sein (bhava); wenn der Annehmende nicht annimmt, dann ist Erlösung (mokṣa) nicht mit Sein. (XXVI. 5.)

Durch Sein aber ist Entstehen (jāti), durch Entstehen (Geburt) ist Alter (und) Tod; weil Alter (und)[176] Tod ist, ist Trauer, Bedauern, Leid (und) Qualen (kleśa). (XXVI. 6.)

Solche Sachen ausnahmslos aber sind durch Entstehen, nur durch diese Bedingungen sammelt sich aber große Leidesanhäufung an. (XXVI. 7.)

Das wird bezeichnet als Alter (und) Tod, der Ursprung der saṃskāras (Wirkungen); vom Nichtwissenden wird getan, vom Wissenden wird nicht getan. (XXVI. 8.)

Weil diese Sache vergeht, entsteht diese Sache eben nicht; nur diese Leidesanhäufung vereinigt sich, so aber ist richtiges Vergehen. (XXVI. 9.)2

Gewöhnliche Leute, weil von Nichtwissen (avidyā) geblendet, erzeugen durch Handlungen (karma) des Leibes, der Rede, des Geistes für späteren Leib sechs-gati-saṃskāras. Nach erzeugten saṃskāras gibt es obere, mittlere, untere (Wesen). Das Bewußtsein (vijñāna) tritt in die sechs gatis ein, abhängig von den saṃskāras empfängt (man) den Leib. Durch die Verursachung des Haftens des Bewußtseins ist Entstehung (samudaya) von Name-und-Form (nāma-rūpa); wegen Entstehens von Name-und-Form sind sechs Sinnesgebiete (āyatana). Weil von den sechs Sinnesgebieten abhängig, sind sechs Berührungen (sparśa). Weil von sechs Berührungen abhängig, sind drei Empfindungen (vedanā). Von den drei Empfindungen abhängig entsteht Begierde (kāma) (und) Verlangen (tṛṣṇā). Abhängig von Begierde und Verlangen sind vier (Arten von) Annehmen (upādāna). Die upādānas, zur Zeit des Annehmens (upādāna), veranlassen durch Handlungen des Leibes, der Rede, des Geistes Böses und Gutes und bewirken später den Zusammenhang der drei Zustände (bhava). Durch Sein aber ist Entstehen (jāti), durch Geburt ist Alter (und) Tod, durch Alter (und) Tod ist Trauer, Bedauern, Leid, Qualen (kleśa), verschiedenartiger Kummer. Nur ist Entstehung von großer Leidesanhäufung (duḥkha-skandha-samudaya). Deshalb erkennt man: gewöhnliche Leute ohne Verstand verursachen Ursprung und Ursache dieser saṃskāras von Alter (und) Tod. Das wird vom Verständigen nicht verursacht, weil er, wie tatsächlich, sieht. Dann vergeht[177] Nichtwissen (avidyā). Weil Nichtwissen vergeht, vergehen auch die Wirkungen (saṃskāra). Weil der Grund (hetu) vergeht, vergeht auch die Folge (phala). So (durch) Üben, Wiederholen (und) Prüfen der Kenntnis vom Entstehen und Vergehen der zwölf nidānas vergeht diese Sache; weil diese Sache vergeht, vergeht bis zu Geburt, Alter, Tod, Trauer, Kummer die große Leidesanhäufung (duḥkha-skandha) ausnahmslos tatsächlich. Das tatsächlich Vergehende vergeht vollständig. Die Bedeutung (Sinn) dieses Entstehens (und) Vergehens der zwölf nidānas (ist), wie im abhidharma und (in den) sūtras ausführlich gelehrt.

1

TE.: »Fallen.«

2

Die kārikās dieses Abschnittes stimmen teilweise nicht mit denen der anderen Versionen überein.

Quelle:
Die mittlere Lehre des Nāgārjuna. Heidelberg 1912, S. 175-178.
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