2. Die drei Prinzipien (pag. 35 A B).

[361] Zur Orientierung dient, daß schon im Philebus (30 B und 32 B), wenn auch nur in ganz kurzen Worten, besonders die Beseelung auf den Eintritt der Bestimmung ins Bestimmungslose zurückgeführt wurde. Die nächstliegende Erwartung ist, daß dasselbe, wenn auch in andrer Fassung, sich hier wiederfinden werde.

»Aus der ungeteilten, sich immer gleich verhaltenden Wesenheit, und andererseits der geteilten, dem Werden unterworfenen, körperlichen, brachte er (der Weltbildner) durch Mischung, als eine dritte, zwischen beiden in der Mitte stehende Art, die des Seins hervor«;25 als dritte zwischen beiden, nämlich »der Natur des Selbigen und des Verschiedenen; und stellte sie so in die Mitte zwischen das Teillose und das den Körpern entsprechend Geteilte. Dann nahm er sie alle drei und mischte sie zusammen in eine einzige Grundgestalt (Idee), indem er die der Mischung widerstrebende Natur des Verschiedenen durch Gewalt mit dem Selbigen zusammenfügte. Indem er sie also mit dem Sein mischte und so aus den Dreien Eins machte, zerlegte er wiederum dies Ganze in so viel Teile als angemessen, deren jeder wiederum eine Mischung darstellt aus Selbigkeit, Verschiedenheit und Sein.« Die weitere, sehr schwer deutbare Darstellung läßt wenigstens so viel klar erkennen, daß die Beseelung des Kosmos gänzlich in eins gedacht wird mit der mathematischen Anordnung des kosmischen Systems. Natürlich ist aber der sichtbare Himmel nur der Leib dieser Seele, sie selbst, als zum Ewigen gehörig, ist unsichtbar, nur dem Gedanken erfaßlich. Sie hat wohl nicht nur Teil an Berechnung (zahlbestimmtem Verhältnis) und Harmonie, sondern besteht wesentlich in der harmonischen Proportion des Baus und der Bewegungen des Weltalls, die aber von Bewußtsein und einer Art Rede, doch ohne Laut und Schall, d.i. Gedanken, begleitet sei (36 E – 37 C).

Diese sich an pythagoreische Vorstellungen eng anlehnende, später in den Gesetzen noch mehr ausgeführte Konstruktion dürfen wir hier auf sich beruhen lassen. Nur das geht uns[361] für jetzt an, wie die dabei zu Grunde gelegten »Seinsarten« (eidê und zwar ousias) oder Seinsgattungen (genê) sich zu den ganz ebenso benannten Gattungen des Philebus verhalten. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß das Ungeteilte d.i. Eine, welches zugleich das Selbige und Gleichartige (36 C) und das Ewige ist, mit dem Prinzip der Bestimmung, das Geteilte (also Viele), Verschiedene, Ungleichartige, Werdende mit dem des Unbestimmten identisch ist. Das Letztere wurde schon im Parmenides (158, vgl. 142 ff., 144 B – E) dem Geteilten gleichgesetzt, desgleichen das Merkmal der Verschiedenheit und damit Gegensätzlichkeit auch im Philebus (25 E) dem Unbestimmten beigelegt; ferner die identische Beharrung einerseits, der Gegensatz beider Bestimmungen andrerseits, also Verschiedenheit und Veränderlichkeit, auf den fundamentalen Gegensatz der Bestimmung und des Unbestimmten zurückgeführt (24 E). Nicht minder wurde im Staatsmann (273 D eis ton tês anomoiotêtos apeiron onta topon) der Begriff des Ungleichartigen mit dem des Unbestimmten eng verknüpft. Überhaupt war die Bestimmung des Unbestimmten im Philebus nur ein schärferer Ausdruck der ursprünglichen Korrelation des Einen und Mannigfaltigen im Urteil; Einheit aber, Identität und Gleichartigkeit, sowie deren Gegenteile, wurden auch dort (Phil. 19 B) eng zusammengefaßt, und der Gegensatz des Unwandelbaren, Ewigen und des Werdenden, Vergänglichen schon anfangs (15 B) dem des Einen und Vielen (Unendlichen) gleichgesetzt. Um so sicherer entspricht auch das »Dritte, aus beiden Gemischte«, das »Sein« (ousia), dem mit ganz denselben Ausdrücken belegten dritten Prinzip im Philebus (triton ex amphoin xynekerasato ousias eidos, Tim. 35 A B, 27 A. Vgl. Phil. 23 C toutô dê tôn eidôn ta dyo tithômetha, to de triton ex amphoin toutoin hen ti xymmisgomenon, 25 B to triton to mikton ex toutoin amphoin, 26 D triton ... hen ti toutôn to ekgonon, genesin eis ousian, 27 B ek toutôn triton miktên kai gegenêmenên ousian). Dort wie hier bedeutet die Verbindung der beiden ersten Gattungen zur dritten zugleich die Herstellung der Harmonie (Tim. 35 A xynarmottôn wie Staatsm. 269 D ho synarmosas, Tim. 37 A logismou metechousa kai harmonias, Phil. 26 A, auch 17 D, 31 CD u. bes. 64-65) und auch die Beseelung (Phil. 32 B to ek tou apeirou kai peratos empsychon gegonos eidos). Selbst die gewaltsame Zusammenfügung des der Verbindung widerstrebenden Andern mit dem Einen (Tim. 35 A), findet ihre Analogie in der »Fesselung« des Unbestimmten durch die Bestimmung (Phil. 27 D).[362]

Etwas schwierig ist es allerdings, wie die Mischung des Selbigen und Verschiedenen ohne erkennbaren Unterschied bald schlechtweg das (konkrete) Sein, bald die Harmonie, bald die Beseelung zum Ergebnis haben soll. Es scheint das Bewußtsein eine eigentümliche Art der Korrelation des Einen und Mannigfaltigen darstellen zu sollen, in der nicht etwa das Eine im Andern oder beide in einem Dritten verschwinden, sondern in ihrer unaufheblichen Wechselbeziehung zugleich das Bewußtsein des Einen und Selbigen als Eins und Selbiges, des Vielen und Verschiedenen als Vieles und Verschiedenes erhalten bleibt. Darum wohl mag bei der Beseelung nicht schlechthin von Mischung des Selbigen und Verschiedenen zu dem Dritten, sondern von Mischung des Selbigen und des Verschiedenen mit dem Dritten aus beiden geredet sein, während einfach als Mischung des Selbigen und Verschiedenen das Sein und die Harmonie erklärt wird. Diese beiden können ganz wohl zusammenfallen, da unter dem Sein das konkrete, bestimmt charakterisierte und in seinem bestimmten Charakter sich erhaltende Sein verstanden wird; denn diese Selbsterhaltung ist durch innere Einstimmigkeit bedingt. So ist vor allem der Weltbau ein harmonisch gefügtes und kraft der in sich einstimmigen Zusammenfügung sich erhaltendes Ganzes, und zwar, sofern auch ein Bewußtsein dieser Einheit in der Mannigfaltigkeit in ihm vorausgesetzt wird, ein beseeltes Ganzes. So möchte diese eigenartige Konstruktion im Hinblick auf ältere, namentlich pythagoreische Anschauungen sowie auf sonstige Andeutungen und Ausführungen bei PLATO selbst am ehesten verständlich werden. Unabhängig von solcher Deutung, die immerhin etwas Hypothetisches behält, steht aber die Gleichsetzung der drei Seinsgattungen des Timaeus mit den drei ersten des Philebus; während, was die gleich oder ähnlich benannten unter den fünf Gattungen des Sophisten betrifft, das oben (S. 333 ff.) für den Philebus Bewiesene auf den Timaeus ebenfalls zutrifft.

Den Unterschied des gewordenen, also zeitlichen Seins vom zeitlos ewigen Sein der Ideen beleuchtet ferner das nicht sowohl über die Zeit als vielmehr über die Zeiten Gesagte, pag. 37 – 38. Das Urbild der Welt ist ewig, das Weltgebäude selbst aber ist nur das rhythmisch bewegte, wiewohl dauernde Abbild der immer identisch beharrenden wahren Ewigkeit. Und eben dies – man muß wohl verstehen, dieser Rhythmus der Weltbewegung – ist, was wir Zeit nennen. Die Zeiten nämlich:[363] Tage und Nächte, Monate und Jahre, sind erst mit der Bildung der Welt entstanden, so auch das »Es war« und »Es wird sein«. Diese legen wir fälschlich dem ewigen Sein (aidios ousia, vorher aiôn) bei, während nach richtiger Rede ihm nur das »Es ist« gebührt, denn »Es war« und »Es wird sein« paßt nur auf das in der Zeit wechselnde Werden, es sind Ausdrücke der Veränderung (kinêseis), das ewig sich gleich Bleibende aber kennt keine Änderung, kein durch die Zeit älter oder jünger Werden, kein jetzt Gewordensein oder erst künftig Werden. Umgekehrt dürfte man, streng genommen, nicht sagen, das Gewordene ist geworden, das Werdende ist im Werden, das, was künftig werden soll, ist ein solches, das künftig werden soll; wie auch nicht, das Nichtseiende ist nichtseiend. Es soll also das »Es ist« hiernach nicht etwa die Zeitbestimmung der Gegenwart im Unterschied von Vergangenheit und Zukunft, sondern ausschließlich das zeitlose Sein ausdrücken; während bei der Feststellung des Parmenides und des Sophisten, das Nichtseiende sei ein Nichtseiendes, das Sein den allgemeinen Sinn der Wahrheit des Ausgesagten hatte. Auch hier übrigens ist auf diese »genauere Redeweise« so wenig Gewicht gelegt, daß bald nachher (38 C) das Sein wieder als Ausdruck der Gegenwart im Unterschied von Vergangenheit und Zukunft gebraucht wird. Die Unterscheidung ist darum doch nicht ganz ohne Bedeutung, denn sie macht verständlicher, wieso PLATO auch noch nach dem Parmenides und dem Sophisten das Werden dem Sein schroff entgegenstellen kann, obgleich dort das Werden als eine dem ruhenden Verhalten gleichwertige Art des Seins erwiesen war. Es ist, nach dieser Erklärung, eine genauere Redeweise, aber nicht mehr, wonach dem Werden das Sein schlechthin abgesprochen wird; im auch zulässigen weiteren Sinne des Seins »ist« auch das Werden, das heißt, Wahrheit, Geltung als Erkenntnis wird ihm nicht abgesprochen.

Wieder von einer andern Seite strebt dem Gegensatz der Idee näher zu kommen die schon im Phaedo angebahnte Unterscheidung von Vernunft und Notwendigkeit als den zwei Arten der Ursache. Wie das »Verschiedene« zur Eintracht mit dem »Selbigen« gezwungen wird, so wird die blinde Notwendigkeit durch vernünftige Überredung »besiegt«, um dem Zwecke des Besten dienstbar zu werden (48 A). Der entscheidende, primäre Grund ist die Idee des »nach Möglichkeit Besten« (46 C), gleichbedeutend: der Logos, die Vernunft, die[364] ihren Sitz in der Seele hat. Bloß Mitursachen, Sekundärursachen sind die materiellen Organe, die nur, von etwas Anderm bewegt, auf Andres gezwungenerweise die empfangene, nicht ursprünglich ihnen eigne Bewegung übertragen, von sich aus, ohne die Leitung der Vernunft, nur ordnungslos zufällige Wirkungen haben würden (46 E). Diese Art der Ursache wird einmal geradezu als (ziellos) schweifende, d.i. ohne Wahl Vernünftiges wie Unvernünftiges wirkende bezeichnet (48 A), sie ist aber mit in Rechnung zu ziehen, wenn man das wirkliche Geschehen, wie es ist, ausdrücken will. Sie ist keineswegs gesetzlos gedacht, vielmehr wird gerade ihr der Charakter der Notwendigkeit beigelegt, zwar in dem vorwaltenden Sinne des wahl- und vernunftlosen Zwanges, aber zugleich doch im Sinne der »Natur« (hê pherein pephyke, 48 A). Sie wirkt blind, aber sie wirkt, was sie muß; sie entzieht sich also nicht der Berechnung der über sie waltenden, sich ihrer bedienenden Vernunft. Sie fügt sich, nicht gewaltsam, sondern willig, »vernünftiger Überredung« (hekousa peistheisa te, 56 C, vgl. 48 A), nicht etwa, Andres zu wirken als ihre Natur ist, sondern, die ihr natürliche Wirkung dem Zwecke dienstbar zu machen, den die Vernunft setzt, während sie ohne Leitung eines Zweckes genau so gesetzmäßig wirken, aber wahllos Zweckmäßiges wie Unzweckmäßiges zum Ergebnis haben würde. So strebt PLATO Teleologie und Kausalität zu vereinigen; er denkt nicht daran, von der »Notwendigkeit« der letzteren irgend etwas abzuziehen.

Ohne Zweifel hat diese »schweifende« Ursache »ungeordneter« Wirkungen (to tychon atakton exergazontai, 46 E) einen inneren Zusammenhang mit dem Prinzip der Unbestimmtheit oder Ungeordnetheit (ataxia, 30 A). Aber doch kann von völliger Unbestimmtheit bei ihr nicht die Rede sein, da doch die Notwendigkeit einer »Natur« ihr innewohnt. Es muß also wohl in dem »Unbestimmten« selbst etwas Positiveres, ein Fundament wenigstens zu etwas Positiverem verborgen liegen, das noch nicht genügend er gründet ist. Es kündigt sich wiederholt (im Philebus, im Parmenides und schon im Phaedo) an als das Prinzip der Ortsbestimmtheit, oder gleichbedeutend des (materiellen) Quantums (onkos), womit ja die Ortsveränderung und die in dieser vorzugsweise waltende Naturnotwendigkeit eng zusammenhängen muß. Auch wurde öfters in der Natur des Körpers der Grund des Werdens und der Veränderlichkeit gesucht, ohne daß dies bisher aus den zu Grunde gelegten[365] Prinzipien abgeleitet worden wäre. Daher zeigt sich noch eine Ergänzung der anfänglichen Aufstellung über die Prinzipien notwendig, die sich (48 D) ausdrücklich als radikaler, als noch mehr vom Anfang ausgehend ankündigt.

25

So ist zu übersetzen, da hernach, 35 B und 37 A, das Dritte schlechtweg Sein (ousia) heißt.

Quelle:
Paul Natorp: Platos Ideenlehre. Eine Einführung in den Idealismus. Leipzig 21921, S. 361-366.
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