[419] Erst nun kommen wir zu der zusammenhängenden Darstellung und Kritik der Ideenlehre, welche in Kap. 6 und 9 des ersten Buchs, in einer Reihe der Aporieen des dritten, endlich und hauptsächlich in den beiden letzten Büchern der Metaphysik vorliegt. Es kann nicht verlangt werden, daß wir die ganze Masse dieser oft äußerst knapp gefaßten, nicht immer sicher deutbaren, innerlich und äußerlich wenig geordneten Argumente im Einzelnen vorführen und widerlegen, sondern es muß genug sein, die bezeichnendsten und von ARISTOTELES selbst am meisten betonten Wendungen herauszuheben. Wir suchen hierbei, um etwas mehr Ordnung und Übersicht in die Darstellung zu bringen, zunächst die Unterscheidung so streng wie möglich einzuhalten, welche ARISTOTELES wiederholt aufstellt, aber in der Durchführung nicht genau beobachtet, zwischen der Ideenlehre an und für sich, in ihrer ursprünglichen, einfacheren Gestalt, und ihrer Weiterbildung zur Zahlenlehre. Die Behandlung der Ersteren zerlegen wir uns, entsprechend der doppelten Bedeutung der Substanz bei ARISTOTELES, in die abstraktere Untersuchung über[419] das Grundverhältnis des Allgemeinen und Einzelnen, und die konkretere über die Brauchbarkeit der Idee zur Erklärung des Werdens und der Veränderung. Jene betrifft die Idee als Form oder Definitionsinhalt, diese als Bewegursache; jene weist mehr auf die Logik, diese mehr auf die Physik zurück. Die die Materie und die Endursachen betreffenden Erwägungen lassen sich füglich der letzteren Gruppe von Argumenten anschließen.

Quelle:
Paul Natorp: Platos Ideenlehre. Eine Einführung in den Idealismus. Leipzig 21921, S. 419-420.
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