Vierzehntes Kapitel
Die unendliche Linie ist Dreieck

[17] Was die Vorstellung (imaginativa), die über das Sinnliche nicht hinauskommt, nicht fassen kann, die Linie könne ein Dreieck sein, ist der Vernunft leicht verständlich.

Nach einem geometrischen Lehrsatze können von einem Dreieck, dessen eine Seite eine unendliche ist, die beiden andern zusammen nicht kleiner sein. Weil nun jeder Theil des Unendlichen unendlich ist, so müssen auch diese beiden andern Seiten unendlich sein. Da es nun aber nicht mehrere Unendliche geben kann, so kann das unendliche Dreieck nicht aus mehreren Linien zusammengesetzt sein. Es ist daher Eine unendliche Linie, aber als wahres Dreieck hat es doch drei Linien: Eine Linie sind Drei und Drei Eine. Ebenso verhält es sich mit den Winkeln: es ist nur Ein unendlicher Winkel und dieser ist drei Winkel und drei Winkel sind Einer. Das größte Dreieck ist nicht aus Seiten und Winkeln zusammengesetzt, sondern die unendliche Linie und Winkel ist Ein und Dasselbe. Denkt man sich den einen der drei Winkel bis zu 2 R erweitert, so jedoch, daß das Dreieck bleibt, so fällt das Dreieck zu einer Linie zusammen und es ist nur Ein Winkel, der zugleich die drei Winkel darstellt. Im Concreten ist dies freilich unmöglich, aber übergetragen auf das höhere Gebiet, wo das Quantum aufhört, sehen wir die Nothwendigkeit hievon ein.

Quelle:
Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, S. 17.
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