Achtzehntes Kapitel
Das Bisherige führt uns auch zum Verständnisse des Participirens an dem Sein

[20] Lebhaft durch das Bisherige angeregt, forscht unser unersättlicher Erkenntnißtrieb mit größter Lust weiter, wie er sich das Participiren an dem Einen Größten noch deutlicher denken möge, und indem er wieder die Vergleichung mit der unendlichen, der geradesten Linie zu Hülfe zieht, sagt er:

Die krumme Linie, die ein Mehr oder Weniger zuläßt, kann nicht die absolut größte sein, sie ist als krumme Linie an sich nichts, weil das Krumme der Abfall vom Geraden ist. Das Sein der krummen Linie rührt also von der Theilnahme an der geraden Linie her, denn die absolut größte oder kleinste Krümmung ist eben das Gerade. In ähnlicher Weise participiren nun die Dinge an dem Sein, wie das Krumme am Geraden. Wie aber die gerade endliche Linie einfacher und unmittelbarer, die krummen aber vermittelst der geraden an der unendlichen Linie participiren, so ist es auch bei den wirklichen Dingen, woraus sich der Unterschied von Substanz und Accidens und der größere oder geringere Werth der Substanzen und Accidenzen ergibt. Das adäquateste Maaß für beide ist das Größte, das eben deßhalb selbst weder Substanz noch Accidens ist, indeß doch eher den Namen von dem unmittelbar am Sein Participirenden, der Substanz, entlehnt und daher mit dem großen Dionysius das mehr als Substanziale d.i. das Supersubstantiale genannt wird.[20]

Quelle:
Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, S. 20-21.
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