Sechsundzwanzigstes Kapitel
Von der negativen Theologie

[31] Da die Gottesverehrung im Geiste und in der Wahrheit sich nothwendig auf positive Aussagen von Gott gründet, so erhebt sich jede Religion in ihrer Gottesverehrung nothwendig mittelst der affirmativen Gotteslehre zur Anbetung Gottes als des Einen und Dreieinigen, weisen, gnädigen, des Lebens, der Wahrheit etc., indem sie dieser Verehrung durch den Glauben, den sie durch die Wissenschaft des Nichtwissens richtiger auffaßt (verius attingit), die Richtung gibt, durch den Glauben nämlich, der, den sie als den Einen anbetet, sei Alles in Einheit, und den sie als das unzugängliche Licht verehrt, sei nicht ein physisches Licht, das die Finsterniß zum Gegensatze hat, sondern das einfachste und unendliche Licht, in dem die Finsterniß unendliches Licht ist, das beständig in der Finsterniß unseres Nichtwissens leuchtet, aber von dieser Finsterniß nicht[31] erfaßt werden kann. Daher ist die negative Gotteslehre eine so nothwendige Ergänzung der positiven, daß ohne sie Gott nicht als unendlicher Gott, sondern vielmehr als Geschöpf verehrt würde. Diese Letztere ist Götzendienst, der dem Abbilde erweist, was nur der Wahrheit gebührt. Daher dürfte es zweckmäßig sein, über die negative Gotteslehre noch einige Worte beizufügen.

Unsere heilige Wissenschaft des Nichtwissens (sacra ignorantia) hat uns belehrt, daß Gott unaussprechlich ist, weil er größer ist, als Alles, was genannt werden kann. Da dies ausgemacht ist, so werden wir von ihm richtiger auf dem Wege des Ausschließens und Negirens, gleich dem großen Dionysius, der ihn weder Wahrheit, noch Vernunft, noch Licht, noch irgend Etwas, was sich aussprechen läßt, genannt wissen wollte, denken. Ihm folgte der Rabbiner Salomon und alle Philosophen. Nach dieser negativen Gotteslehre ist daher Gott weder Vater, noch Sohn, noch heiliger Geist, sondern nur unendlich. Die Unendlichkeit als solche ist weder zeugend, noch gezeugt, noch hervorgehend. Daher hat Hilarius von Poitiers sehr scharfsinnig in der Unterscheidung der göttlichen Personen gesagt: Im Ewigen ist Unendlichkeit, Idee, Ausübung (in aeterno infinitas, species in imagine, usus in munere). Er will sagen: obwohl wir in der Ewigkeit nur die Unendlichkeit sehen könne, so kann doch sie Unendlichkeit, die die Ewigkeit ist, weil negativ, nicht als zeugend aufgefaßt werden, wohl aber die Ewigkeit, weil sie die Affirmation der Einheit oder größten Gegenwart ist. Sie ist daher der Anfang ohne Anfang, die Idee (species in imagine) ist der Anfang vom Anfang (principium a principio), die Ausübung (usus in munere) ist das Hervorgehen aus Beidem. Dies ist durch das früher Gezeigte ganz klar; denn obwohl die Ewigkeit Unendlichkeit ist, so daß die Ewigkeit eben so wenig Ursache des Vaters ist, als die Unendlichkeit, so wird doch in der Betrachtungsweise (secundum considerationem modum) die Ewigkeit dem Vater, nicht dem Sohne und heiligen Geiste zugeschrieben, die Unendlichkeit hingegen nicht einer Person mehr, als der andern, weil die Unendlichkeit als Einheit betrachtet (secundum considerationem unitatis) der Vater, als Gleichheit der Einheit der Sohn, als Verbindung Beider der heilige Geist ist. Dagegen die Unendlichkeit, schlechthin betrachtet, ist weder Vater, noch Sohn, noch heiliger Geist. Wenn also gleich die Unendlichkeit und Ewigkeit jede der drei Personen ist und umgekehrt jede Person Unendlichkeit und Ewigkeit, so gilt dies doch nicht nach der Betrachtungsweise der Sache. Die Unendlichkeit, als solche betrachtet, ist Gott weder Einer noch Mehreres, vom Standpunkte der negativen Gotteslehre finden wir in Gott nichts Anderes, als die Unendlichkeit. Er ist daher auch nach derselben weder in dieser, noch in der künftigen Welt erkennbar, weil jede[32] Creatur, da sie das unendliche Licht nicht fassen kann, im Verhältniß zu diesem verdunkelt wird. Gott ist nur sich selbst bekannt.

Aus dem Gesagten erhellt, daß in der Gotteserkenntniß die Negationen wahr, die Affirmationen unzureichend sind. Je mehr Unvollkommenheit eine Negation von dem vollkommensten Wesen entfernt, desto wahrer ist sie. So ist es wahrer, Gott sei kein Sein, als er sei nicht das Leben oder die Intelligenz, wahrer, er sei nicht die Trunkenheit, als er sei nicht die Tugend. Das Gegentheil gilt von den Affirmationen. Es ist eine wahrere Affirmation, Gott sei die Intelligenz oder das Leben, als er sei Erde, Stein, Körper. Alles dies ist aus dem früher Gesagten ganz klar.

Als Schlußwahrheit ergibt sich, daß die präcise Wahrheit in der Finsterniß unseres Nichtwissens in unerfaßbarer Weise leuchtet, und das ist die Wissenschaft des Nichtwissens, die wir gesucht haben, durch die wir allein dem größten, dreieinigen Gott von unendlicher Güte auf den Stufen dieser Wissenschaft des Nichtwissens uns nahen können, um ihn aus allen unsern Kräften ewig dafür zu loben, daß er selbst sich uns als unbegreiflich zu erkennen gibt, der über Alles gepriesen sei in Ewigkeit. Amen.[33]

Quelle:
Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, S. 31-34.
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