Zwölftes Kapitel
Von den Zuständen der Erde

[64] Das eben Ausgeführte kannten die Alten nicht, weil ihnen die Wissenschaft des Nichtwissens fehlte. Uns ist es jetzt ganz klar, daß diese Erde sich wirklich bewegt, wenn wir es gleich nicht bemerken, da wir die Bewegung nur durch Vergleichung mit etwas Unbeweglichem wahrnehmen. Wüßte Jemand nicht, daß das Wasser fließe und sähe er das Ufer nicht, wie würde er, wenn er in einem auf dem Wasser hingleitenden Schiffe steht, bemerken, daß das Schiff sich bewegt? Da es daher Jedem, er mag auf der Erde oder Sonne oder einem andern Sterne sich befinden, vorkommt, er stehe im unbeweglichen Mittelpunkte, während Alles um ihn her sich bewege, so würde er, in der Sonne, im Monde, Mars etc. stehend, immer wieder andere Pole angeben. Der Bau der Welt ist daher so, als hätte sie überall ihr Centrum und nirgends eine Peripherie, denn Umkreis und Centrum ist Gott, der überall und nirgends ist. Diese Erde ist nicht kugelförmig, wie Einige gesagt haben, wiewohl sie der Kugelform sich zuneigt, denn die Gestalt der Welt ist, wie[64] auch ihre Bewegung, in ihren Theilen beschränkt. Wird aber die unendliche Linie als concret gedacht, in der Art, daß sie, als concret, nicht mehr vollkommener und umfassender (capacior) sein könnte, so ist sie kreisförmig, denn hier trifft Anfang und Ende zusammen. Wie daher die vollkommenerer Bewegung die kreisförmige ist, so ist die vollkommenere körperliche Gestalt die kugelförmige. Jede Bewegung des Theiles hat daher Beziehung zur Vollkommenheit des Ganzen; Das Schwere strebt nach der Erde, das Leichte nach Oben, Erde zu Erde, Wasser zu Wasser, Luft zu Luft, Feuer zu Feuer. Die Bewegung des Ganzen folgt so viel als möglich der kreisförmigen Bewegung, jede Figur der kugelförmigen Figur, wie wir an den Theilen der Thiere, an den Bäumen und dem Himmel sehen. Eine Bewegung ist kreisförmiger und vollkommener als die andere, ebenso sind auch die Gestalten verschieden. Die Gestalt der Erde ist beweglich und kugelförmig, ihre Bewegung kreisförmig, könnte aber vollkommener sein.

Da es in allen Vollkommenheiten, Bewegungen und Gestalten der Welt kein Größtes gibt (wie aus dem Gesagten erhellt), so ist es unwahr, daß diese Erde der geringste und unterste Theil der Welt ist; denn wenn sie gleich im Verhältniß zur Welt mehr im Centrum zu sein scheint, so ist sie doch aus demselben Grunde, wie schon gezeigt, auch dem Pole näher. Die Erde ist nicht ein aliquoter Theil der Welt, denn da die Welt kein Größtes und Kleinstes hat, so hat sie auch keine Mitte und keine aliquoten Theile, wie dies auch nicht vom Menschen oder Thiere gilt, denn die Hand ist kein aliquoter Theil des Menschen, wiewohl ihr Gewicht ein Verhältniß zum Körper hat.

Auch die schwarze Farbe ist kein Beweis für die schlechte Beschaffenheit (vilitatis) der Erde. Wer in der Sonne wäre, der würde nicht die große Helle, wie wir auf Erden, wahrnehmen. Denn betrachtet man den Sonnenkörper, so hat er eine mehr concentrirte Erde und eine wie Feuer leuchtende Peripherie, dazwischen eine Art Wolken und reinere Luft, gerade wie unsere Erde ihre Elemente hat. Stünde daher Jemand außerhalb der Region des Feuers, so würde ihm diese Erde durch das Medium des Feuers wie ein heller Stein vorkommen, wie uns, die wir im Umkreis der Region der Sonne sind, die Sonne überaus hell leuchtend vorkommt. Der Mond erscheint uns nicht so hell, vielleicht weil wir in seinem Umkreis mehr den centralen Theilen desselben zugekehrt sind, etwa der wässerigen Region desselben. Daher erscheint uns sein Licht nicht, obgleich er ein eigenes Licht hat, das nur denen erscheint, die in den äußersten Grenzen seines Umkreises stehen, während uns nur der Reflex des Sonnenlichtes sichtbar ist. Deßhalb wird auch die Wärme des Monds, die ohne Zweifel durch die Bewegung entsteht, und daher[65] in der Peripherie, wo die größere Bewegung ist, größer ist, uns nicht so mitgetheilt, wie von der Sonne. Unsere Erde ist zwischen die Region der Sonne und des Mondes gestellt, durch deren Vermittlung sie an der Einwirkung anderer Sterne participirt, die wir nicht sehen, weil wir außerhalb ihrer Region uns befinden, denn wir sehen nur die Region derjenigen Sterne, welche leuchten. Die Erde ist ein edler Stern, der Licht, Wärme und Einwirkung von allen andern Sternen in verschiedener Weise empfängt. Jeder Stern unterscheidet sich von jedem durch Licht, natürliche Beschaffenheit und Einwirkung, wie auch jeder Stern dem andern Licht und Einwirkung mittheilt, nicht absichtlich (ex intentione); denn alle Sterne haben nur Bewegung und Glanz, um auf die beste Weise zu sein, woraus als Folge das Participiren entsteht, wie das Licht seiner Natur nachleuchtet, nicht damit ich sehe, sondern das Participiren an demselben ist Folge, indem ich das Licht zum Zwecke des Sehens benütze. Der gütige Gott hat Alles so erschaffen, daß jedes Wesen, indem es sein Sein wie ein göttlichen Beruf zu erhalten strebt, dieses in Gemeinschaft mit andern vollzieht. Wie der Fuß nicht sich allein, sondern auch dem Auge, den Händen, dem Leibe, ja dem ganzen Menschen dadurch dient, daß er nur zum Gehen gebildet ist, so gilt das Gleiche von den Theilen der Welt. Plato nannte die Welt ein lebendes Wesen; denkst du dir als ihre Seele – jedoch ohne Verschmelzung – Gott, so wird dir Vieles von dem bisher Gesagten klar werden.

Man kann auch nicht sagen, die Erde sei deßwegen von geringer Beschaffenheit, weil sie kleiner als die Sonne und ihrer Einwirkung unterworfen ist, denn die ganze Region der Erde, die sich bis zum Umkreis des Feuers ausdehnt, ist allerdings groß. Ist gleich die Erde kleiner als die Sonne, wie wir aus dem Schatten und den Eclipsen wissen, so ist doch nicht bekannt, um wie viel die Region der Sonne größer oder kleiner als die der Erde ist. Vollkommen gleich kann sie auf keinen Fall sein, da kein Stern dem andern gleich sein kann. Die Erde ist auch deßhalb nicht der kleinste Stern, weil sie größer als der Mond ist, wie die Eclipsen beweisen, und als der Merkur, wie Einige sagen, vielleicht auch größer als andere Sterne. Aus ihrem Umfang ist man daher nicht auf ihre Unbedeutendheit zu schließen berechtigt.

Auch der Einfluß, den sie aufnimmt, beweist nicht ihre Unvollkommenheit, denn als Stern übt auch sie, wie gezeigt ist, auf die Sonne und ihre Region Einfluß aus, und da unsere unmittelbare Wahrnehmung keine andere ist, als daß wir im Centrum sind, wo alle Einflüsse zusammenströmen, so haben wir von jenem Einflusse keine Erfahrung. Verhält sich die Erde wie die Möglichkeit, die Sonne, wie die Seele oder[66] geistig bildende Kraft, der Mond als die vermittelnde Verbindung, so daß diese zu Einer Region gehörenden Sterne durch gegenseitigen Einfluß vereinigt sind, und diesen Einfluß auf andere Sterne, den Merkur und die Venus und die andern über ihnen stehenden (nach der Ansicht der Alten und auch einiger Neueren) mittheilen, so ist das Verhältniß des Einflusses der Art, daß der eine Stern ohne den andern nicht bestehen kann. Der Einfluß wird daher ein einiger und dreifacher, in jedem einzelnen Sterne nach seinen Graden sein. Daraus geht hervor, der Mensch könne nicht wissen, ob die Region der Erde sich in einem vollkommeneren oder weniger vollkommeneren Grade, im Verhältniß zu den Regionen der andern Sterne, der Sonne, des Mondes befinde. Dasselbe gilt von der Erde als Wohnplatz. Es läßt sich nicht sagen, daß die Erde ein Wohnplatz von Menschen, Thieren und Pflanzen sei, die graduell geringer sind, als die Bewohner der Region der Sonne und anderer Sterne. Denn, wenn gleich Gott das Centrum und die Peripherie aller Sternenregionen ist, und von ihm Naturen von verschiedenem Werthe ausgehen, so daß jede Region bewohnt, und so viele Räume des Himmels und der Sterne nicht leer an Wesen sind, und wohl nicht diese Erde allein von geringeren Wesen bewohnt ist, so scheint es doch keine edlere und vollkommenere Natur, als die geistige, die sich auf unserer Erde vorfindet, zu geben, mögen auch Geschöpfe ganz andere Art in andern Sternen wohnen, denn der Mensch hat kein Verlangen nach einer andern Natur, er will nur in seiner Natur vollkommen sein. Es stehen daher die Bewohner anderer Sterne, wie sie nun auch sein mögen, in keinem Verhältniß (improportionabiles sunt) zu den Bewohnern dieser Erde, wenn auch jene ganze Region zu der ganzen Erde für den Zweck des Universums in einem verborgenen Verhältniß stehen mag, auf daß die Bewohner der Erdenregion zu den Bewohnern anderer Sterne durch Vermittlung der universellen Region in einem gegenseitigen angemessenen Verhältniß stehen, wie die einzelnen Glieder der Finger durch Vermittlung der Hand in einem Verhältniß zum Fuße, und die Zehen mittelst des Fußes in einem Verhältniß zur Hand stehen, so daß Alles die Proportion eines vollständigen lebenden Wesens annimmt. Da nun jene ganze Region uns unbekannt ist, so bleiben auch die Bewohner derselben uns ganz unbekannt, wie auch auf dieser Erde die Thiere Einer Species, indem sie gleichsam eine specifische Region bilden, sich vereinigen, und wechselseitig an dem, was zu dieser Region gehört, participiren, von andern Species aber nichts annehmen. Ein Geschöpf einer Species kann nicht die Natur einer andern, die sich durch bestimmte Laute kennzeichnet, erfassen, außer in ganz wenigen Zeichen äußerlich, und auch dann nur nach langer Uebung[67] und nur annähernd. Aber noch weit weniger können wir von den Bewohnern einer andern Region, die in keinem Verhältniß zu uns stehen, wissen. Wir nehmen an, in der Region der Sonne seien mehr sonnige (solares), klare, lichte, geistige Bewohner, geistiger als im Monde, wo mehr mondartige (lunatici), und auf der Erde, wo mehr materielle und massive (grossi) Wesen wohnen. Die geistigen Sonnennaturen wären in hohem Grade in Wirksamkeit, wenig in bloßer Möglichkeit, bei den Erdenbewohnern wäre die Möglichkeit überwiegend über die Wirksamkeit, die Mondbewohner bewegten sich unstät (fluctuantes) in der Mitte von beiden. Dies vermuthen wir aus dem Feuereinflusse der Sonne, dem Einflusse von Wasser und Luft aus dem Monde und der materiellen Schwere der Erde; ähnlich bei den Regionen anderer Sterne. Wir nehmen an, kein Stern sei unbewohnt. Der particularen Theile des Einen Universums sind so viele, als viele Sterne es gibt, sie lassen sich nicht zählen, außer durch den, der Alles in der Zahl erschaffen hat.

Auch die Zerstörung der Dinge auf der Erde ist kein giltiger Beweis der geringen Beschaffenheit der Erde. Denn da die Welt ein Universum ist, und alle einzelnen Sterne gegenseitigen Einfluß auf einander ausüben, so ist es nicht ausgemacht, daß irgend etwas ganz und gar zerstörlich ist, wohl aber kann es in eine andere Seinsweise übergehen, wenn die concreten Einwirkungen in Einem Individuum sich auflösen, so daß die Weise, so oder so zu sein, aufhört, ohne daß ein eigentlicher Tod eintritt, wie schon Virgil sagt. Denn der Tod scheint nichts anderes zu sein, als eine Auflösung des Zusammengesetzten in die Elemente der Zusammensetzung. Ob eine solche Auflösung nur bei den Erdenbewohnern stattfinde, wer kann das wissen? Einige sagten, es gebe so viele Arten der Dinge auf Erden, als Sterne sind. Wenn nur der Einfluß aller Sterne in allen einzelnen Arten der Erdenwesen seinen concreten Ausdruck findet, warum soll nicht Aehnliches in den Regionen anderer Sterne, welche den Einfluß der übrigen Sterne aufnehmen, stattfinden? Wer kann wissen, ob die concrete Gestaltung aller dieser Einwirkungen, die zuerst eine Zusammensetzung (zu einem Individuum) ist, in Auflösung übergehe, so daß ein lebendes Erdenwesen von irgend einer Art sich auflöse, oder ob es zu seinen Principien (Elementen) zurückkehre, indem das Bildungsprincip zu dem besonderen Sterne, von dem jene Art auf der Erde wirkliches Sein erlangt hatte, zurückkehrt? oder ob dieses Bildungsprincip zu seinem Urbilde, der Weltseele (nach den Platonikern), oder zur Möglichkeit der Materie zurückkehrt, während der die Einigung bewirkende Geist in der Bewegung der Sterne verbleibt und zu einigen aufhört, indem er sich wegen Untauglichkeit der Organe oder aus einem andern Grunde zurückzieht[68] und somit aus der nunmehr entgegengesetzten Bewegung Trennung verursacht? oder ob die gestaltenden Principien (formae) jeder Region in einem höhern Princip, etwa dem geistigen, ihren Stützpunkt finden (quiescant) und durch dieses das Ziel der Welt erreichen, während dieses höhere Princip sein Ziel in Gott findet. Dieses letztere erhebt sich vielleicht zur Peripherie, die Gott ist, hinauf, während der Körper nach dem Centrum, wo wieder Gott ist, hinabsinkt, so daß die Bewegung von Allem nach Gott hin geht, in welchem dereinst, wie Centrum und Peripherie in Gott Eines sind, der Körper, wenn er gleich zum Centrum hinabzusinken schien, und die Seele, die sich zur Peripherie erhoben, wieder vereinigt werden, indem alsdann nicht jegliche Bewegung, sondern nur die des Geschlechtlichen aufhört. Der Alles einigende Geist kehrt zurück und verbindet die Möglichkeit wieder mit dem belebenden Princip, das ihr im Leben angehört hatte. Alles das kann kein Mensch aus sich wissen, wenn er nicht eine besondere Belehrung darüber von Gott erhalten hat. Zweifelt auch Niemand daran, daß der gute Gott Alles für sich (ad se) erschaffen hat und nicht will, daß eines seiner Werke zu Grunde gehe, und wissen wir gleich, daß er der reiche Vergelter aller seiner Verehrer sei, so kennt doch die Art der göttlichen Wirksamkeit, der gegenwärtigen und zukünftigen Vergeltung nur Gott allein, er allein weiß, wie seine Wirksamkeit ist. Hierüber will ich jedoch nach dem Maaße der göttlichen Eingebung weiter unten noch Einiges sagen.

Quelle:
Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, S. 64-69.
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