Siebentes Kapitel
Von der Dreieinigkeit des Universums

[49] Da die absolute Einheit nothwendig, zwar nicht concret, wohl aber absolut dreieinig ist (denn die absolute Einheit ist nichts Anderes, als die Dreieinigkeit, die in ihren inneren Beziehungen gleichsam intimer erfaßt wird) (quae quidem in quadam correlatione familiarius apprehenditur), wie im ersten Buche hinlänglich gezeigt ist, so ist auch die concret größte Einheit, als Einheit, gleichfalls dreieinig, nicht absolut, so daß die Dreieinigkeit Einheit ist, sondern concret, so daß die Einheit nur in Dreiheit besteht, wie das Ganze in seinen Theilen. In der Gottheit ist jede Person die Einheit selbst, und weil die Einheit Dreieinigkeit ist, so ist eine Person nicht die andere. Im Universum kann es nicht so sein; deßhalb haben die drei Correlationen, die im Göttlichen Personen heißen, kein anderes wirkliches Sein, außer in ihrer Einheit zumal (nisi in unitate simul). Man muß das genau beachten, denn im Göttlichen ist die Vollkommenheit der Einheit, die Dreieinigkeit ist, so groß, daß der Vater wirklich (actu) Gott, der Sohn wirklich Gott, der hl. Geist wirklich Gott ist, der Sohn und hl.[49] Geist wirklich im Vater, der Sohn und Vater im hl. Geiste, der Vater und hl. Geist im Sohne ist. Im concret Größten kann dies nicht sein, denn die Beziehungen (correlationes) haben kein Bestehen aus und durch sich, außer in ihrer Verbindung (correlationes non sunt subsistentes per se, nisi copulate). Es kann daher nicht jede das Universum sein, sondern nur alle zusammen. Es ist nicht eine in Wirklichkeit in der andern, sondern sie sind, so gut es nur immer die Natur des Concreten zuläßt, auf das Vollkommenste gegenseitig verbunden, so daß sich aus ihnen das Eine Universum gestaltet, daß ohne diese Dreifachheit nicht Eines sein könnte. Denn die Concretheit kann nicht ohne ein der Concretheit Fähiges (contrahibile), ein concret Machendes (contrahens) und eine Verbindung, die sich in der gemeinsamen Thätigkeit der beiden Erstgenannten vollzieht, gedacht werden. Jene Fähigkeit bezeichnet die Möglichkeit, die aus der zeugenden göttlichen Einheit herabsteigt, die allem Sein vorhergeht. So geht im concreten Sein nichts dem Sein-Können vorher. Denn wie sollte etwas sein, wenn es nicht sein könnte? Die Möglichkeit steigt somit von der ewigen Einheit herab. Das concret Machende steigt, da es die Möglichkeit begränzt, von der Gleichheit der Einheit herab. Die Gleichheit der Einheit ist die Gleichheit des Seins. Sein und Einheit sind Wechselbegriffe. Da nun das concret Machende die Möglichkeit gleichmacht, daß sie Dieses oder Jenessei, so sagt man mit Recht, daß es aus der Gleichheit des Seins, welche im Göttlichen das Wort ist, herabsteige. Und da dieses Wort oder die Vernunft und Idee oder auch die absolute Notwendigkeit der Dinge die Möglichkeit durch das concret Machende nöthiget und bindet, so haben Einige das Concretmachende das bildende Princip der Welt oder die Weltseele genannt, die Möglichkeit – die Materie, Andere das Fatum der Substanz (fatum in substantia), wieder Andere, wie die Platoniker, das Alles umschließende Band (necessitatem complexionis), weil es von der absoluten Nothwendigkeit herabsteigt, so daß es eine Art concreter Nothwendigkeit ist, ein concretes bildendes Princip, in dem alle andern Bildungsprincipien als in ihrem Urbilde enthalten sind, wovon später die Rede sein wird. Endlich gibt es eine Verbindung des concret Machenden und des der Concretheit Fähigen oder der Materie und Form, oder der Möglichkeit und Nothwendigkeit, die sich durch einen gewissen Geist der Liebe, der durch seine Bewegung jene Vereinigung bewirkt, vollzieht. Es ist klar, daß diese Verbindung von dem hl. Geiste, der die unendliche Verbindung ist, herabsteige.

Es ergeben sich sonach vier allgemeine Modalitäten des Seins: jene Modalität des Seins, welche die absolute Nothwendigkeit – Gott ist; in dieser Weise des Seins ist Alles in Gott – die absolute[50] Nothwendigkeit. Die zweite Art des Seins ist jene, vermöge welcher die Dinge in dem Alles umschlingenden Bande sind, wo die an sich wahren Bilder der Dinge sind, wie in unserm Geiste (ob das wirklich so sei, werden wir unten sehen). Die dritte Weise des Seins ist die der determinirten Möglichkeit, in Wirklichkeit Dies oder Jenes zu sein. Die letzte Weise ist die der reinen Möglichkeit – wie die Dinge sein können. Die letzten drei Wesen des Seins bilden im Universum Eine universelle Art des Seins, jedoch nicht so, als wäre es aus jenen drei Weisen wie aus Theilen zusammengesetzt, sondern aus besondern Weisen des Seins, wie z.B. eine Rose, die an einem Rosenstocke im Winter der Potenz nach, im Sommer in der Wirklichkeit sich befindet, aus der einen Seinsweise der Möglichkeit in die andere der Determination durch die Wirklichkeit übergegangen ist.

Quelle:
Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, S. 49-51.
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