Siebentes Kapitel
Das Mysterium der Auferstehung

[89] Der dem Leiden und Tode unterworfene Mensch Christus konnte auf keinem andern Wege in die Herrlichkeit des Vaters, der als das absolute Leben die Unsterblichkeit selbst ist, eingehen, als wenn das Sterbliche die Unsterblichkeit anzog. Dies war ohne den Tod nicht möglich; denn wie sollte das Sterbliche die Unsterblichkeit anziehen, außer wenn es der Sterblichkeit entkleidet wird? und wie sollte dies geschehen, außer wenn dem Tode der Tribut entrichtet wird? Daher sagt die Wahrheit selbst, diejenigen seien unverständig und von langsamer Einsicht, welche nicht einsehen, »daß Christus sterben und so in seine Herrlichkeit eingehen mußte.« Da wir nun vorhin gezeigt haben, Christus sei für uns des grausamsten Todes gestorben, so müssen wir folgerichtig sagen: weil die menschliche Natur nicht anders, als durch den Sieg über den Tod zum Tempel der Unsterblichkeit hinaufgeführt werden konnte, so starb Christus, damit die menschliche Natur mit ihm zum ewigen Leben auferstehe und der thierische sterbliche Körper ein geistiger und unzerstörlicher werde. Er konnte kein wahrer Mensch sein, wenn er nicht sterblich war, und er konnte die sterbliche Natur nicht zur Unsterblichkeit führen, wenn nicht die Sterblichkeit durch den Tod entwaffnet war. Höre, wie schön uns die Wahrheit selbst hierüber belehrt, wenn sie sagt: »Wenn das Waizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein;[89] stirbt es aber, so bringt es viele Frucht.« Wäre also Christus immer sterblich geblieben, wenn er auch nie gestorben wäre, wie hätte er, ein sterblicher Mensch, der menschlichen Natur die Unsterblichkeit gegeben? Wäre er nie gestorben, so wäre er eben allein, ohne zu sterben, sterblich geblieben. Er mußte also von der Möglichkeit des Sterbens durch den Tod befreit werden, wenn er viele Früchte bringen sollte, auf daß er so erhöhet Alles an sich ziehe, wenn seine Macht sich nicht bloß auf die Welt und vergängliche Erde, sondern auch auf den unvergänglichen Himmel erstreckte. Wir werden dies in unserer Unwissenheit einigermaaßen erfassen, wenn wir das oft Gesagte uns vergegenwärtigen.

Wir haben gezeigt, Jesus, der größte Mensch, habe in sich, abgesondert von der Gottheit, kein Bestehen, weil er der größte ist. Deßhalb wird der gegenseitige Austausch der göttlichen und menschlichen Prädicate (communicatio idiomatum) gestattet, so daß das Menschliche mit dem Göttlichen coincidirt, weil jene Menschheit, unzertrennlich von der Gottheit, in Folge der höchsten Einigung, gleichsam durch die Gottheit angezogen und angenommen (quasi per divinitatem induta et assumta) abgesondert kein persönliches Sein und Bestehen hat. Nun ist der Mensch aus Körper und Seele geeint; die Scheidung ist der Tod. Da nun der größte Mensch in der göttlichen Person hypostatisch ruht (suppositatur), so konnte auch nach der localen Scheidung unmöglich entweder die Seele oder der Leib im Moment des Todes von der göttlichen Person, ohne welche der größte Mensch nicht bestand, losgetrennt werden. Christus starb also nicht in der Weise, als hätte seine Person einen Mangel gehabt, sondern, abgesehen von der localen Scheidung, blieb er in Hinsicht auf das Centrum, in welchem seine Menschheit ruhte, mit der Gottheit hypostatisch geeint. Nach der niedern Natur, welche ihrem Wesen nach eine Scheidung von Seele und Leib gestattet, ist diese Scheidung zeitlich und räumlich erfolgt, so daß in der Todesstunde Seele und Leib nicht mehr in derselben Zeit und in demselben Raume zugleich waren. In Körper und Seele war eine Zerstörlichkeit nicht möglich, da sie mit der Ewigkeit geeint waren, allein die zeitliche Geburt war dem Tode und der zeitlichen Scheidung unterworfen, so daß, nachdem der Kreislauf von der Zusammensetzung zur Auflösung vollendet und namentlich der Leid von aller zeitlichen Bewegung frei geworden war, das wahre Wesen der Menschheit (veritas humanitatis), das überzeitlich mit der Gottheit geeint unversehrt geblieben, wie es dieses wahre Wesen erforderte, den wahren Leib mit der wahren Seele vereinte (veritatem corporis veritati animae adunaret), so daß das Schattenbild der Wahrheit (Idee) des Menschen entlassen wurde (dimissa umbrosa imagine veritatis hominis) und der in der Zeit erschienene wahre Mensch[90] frei von aller Einwirkung der Zeitlichkeit auferstand. Es ist also ein und derselbe Jesus, erhoben über alle zeitliche Bewegung, um nicht mehr zu sterben, in Wirklichkeit auferstanden, durch eine Wiedervereinigung der Seele und des Leibes. Ohne diese Wiedervereinigung wäre die unzerstörliche Wahrheit (Idee) der Menschheit nicht auf das Wahrste, ohne Vermischung der Naturen, mit der göttlichen Person hypostatisch vereinigt gewesen. Unterstütze die Schwäche und Unwissenheit des Geistes durch das Beispiel Christi vom Waizenkorn! Das Waizenkorn wird als ein Einzelnes zerstört, aber die specifische Wesenheit desselben bleibt unversehrt, durch welche die Natur eine Menge von neuen Körnern auferweckt. Wäre nun das einzelne Waizenkorn das größte und vollkommenste seiner Art, und würde es in dem besten und fruchtbarsten Erdreiche ersterben, so könnte es nicht bloß hundert- und tausendfache Frucht bringen, sondern so viele, als im Bereiche der ganzen Möglichkeit seiner Art enthalten ist. Das ist der Sinn jenes Wortes der ewigen Wahrheit: »es bringt viele Frucht«; denn das Viele ist eine zahllose Endlichkeit. Verstehe es wohl! Die Menschheit Jesu muß, so gut sie als concrete Erscheinung des Menschen Christus aufgefaßt wird, ebenso zugleich auch als vereint mit der Gottheit gedacht werden. In letzterer Hinsicht ist sie absolut (plurimum absoluta), sofern Christus als wahrer Mensch betrachtet wird, ist sie concret, so daß er durch die Menschheit Mensch ist. So ist die Menschheit Jesu die Mitte zwischen dem rein Absoluten und rein Concreten. Sie ist eben deßhalb nur relativ zerstörlich, schlechthin aber unzerstörlich (non fuit corruptibilis, nisi secundum quid, et simpliciter incorruptibilis). Der Zeitlichkeit nach, auf die sie eingeschränkt war, war sie zerstörlich, als frei von der Zeit, über der Zeit, mit der Gottheit geeint, war sie unzerstörlich. Die Wahrheit in ihrer zeitlichen Erscheinung (veritas ut est temporaliter contracta) ist Symbol und Abbild der überzeitlichen Wahrheit. So ist auch die zeitliche Erscheinung des Körpers gleichsam Schattenbild des wahren überzeitlichen Körpers, und die concrete Seele das Schattenbild der von der Zeitlichkeit befreiten Seele. So lange diese in der Zeit ist, wo sie ohne Bilder der Dinge (sine phantasmatibus) nichts auffaßt, erscheint sie mehr als Sein oder Verstand, denn als Vernunft; ist sie aber über die Zeitlichkeit erhaben, so ist die Vernunft (von diesen Bildern) frei und unabhängig. Da nun die Menschheit Jesu unauflöslich nach Oben in[91] der göttlichen Unzerstörlichkeit wurzelte, so konnte, nachdem der vergängliche zeitliche Lebenslauf vollendet war, die Lösung nur nach der Wurzel der Unzerstörlichkeit hin erfolgen. Daher ist Jesus nach dem Ende des zeitlichen Lebenslaufes, welches der Tod war, nach Entfernung von Allem, was sich zeitlich der Wahrheit der menschlichen Natur beigesellte, auferstanden, nicht mit einem schweren, zerstörlichen, unvollkommenen (umbrosa), leidensfähigen und mit den andern, der zeitlichen Zusammensetzung anklebende Mängel behafteten Leibe, sondern in einem wahren, verherrlichten, leidensunfähigen, beweglichen und unsterblichen Leibe, wie es die Wahrheit, frei von zeitlichen Bedingungen, erforderte. Diese Wiedervereinigung (von Seele und Leib) war durch die Wahrheit der hypostatischen Einigung der göttlichen und menschlichen Natur geboten. Es mußte also Christus von den Todten auferstehen, wie er selbst sagte: »So mußte Christus leiden und am dritten Tage von den Todten auferstehen.«

Quelle:
Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, S. 89-92.
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