160.
An Lou von Salomé

[1187] Naumburg, Ende August 1882


Meine liebe Lou, einen Tag später als Sie ging ich von Tautenburg weg, im Herzen sehr stolz, sehr mutig – wodurch eigentlich?

Mit meiner Schwester habe ich nur wenig noch gesprochen, doch genug, um das neue auftauchende Gespenst in das Nichts zurückzuschicken, aus dem es geboren war.

In Naumburg kam wieder der Dämon der Musik über mich – ich habe Ihr »Gebet an das Leben« komponiert; und meine Pariser Freundin Ott, die im Besitz einer wundervoll starken und ausdrucksreichen Stimme ist, soll es Ihnen und mir einmal vorsingen.

Zuletzt, meine liebe Lou, die alte tiefe herzliche Bitte: werden Sie, die Sie sind! Erst hat man Not, sich von seinen Ketten zu emanzipieren, und schließlich muß man sich noch von dieser Emanzipation emanzipieren! Es hat jeder von uns, wenn auch in sehr verschiedener Weise an der Ketten-Krankheit zu laborieren, auch nachdem er die Ketten zerbrochen hat.

Von Herzen Ihrem Schicksale gewogen – denn ich liebe auch in Ihnen meine Hoffnungen

F. N.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1187.
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Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
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