167.
An Paul Rée

[1194] Santa Margherita,

[Ende November 1882]


Aber, lieber, lieber Freund, ich meinte, Sie würden umgekehrt empfinden und sich im stillen darüber freuen, mich für eine Zeit los zu sein! Es gab in diesem Jahre hundert Augenblicke, von Orta an, wo ich empfand, daß Sie die Freundschaft mit mir etwas »zu hoch bezahlen«. Ich habe schon viel zu viel von Ihrem römischen Funde abbekommen (ich meine Lou) – und es schien mir immer, namentlich in Leipzig, daß Sie ein Recht hätten, gegen mich ein wenig schweigsam zu werden.

Denken Sie, liebster Freund, so gut als möglich von mir, und bitten Sie auch Lou um eben dasselbe für mich. Ich gehöre Ihnen beiden mit meinen herzlichsten Gefühlen – ich meine dies durch meine Trennung mehr bewiesen zu haben als durch meine Nähe.

Alle Nähe macht so ungenügsam – und ich bin zuletzt überhaupt ein ungenügsamer Mensch.

Von Zeit zu Zeit werden wir uns schon wiedersehen, nicht wahr? Vergessen Sie nicht, daß ich von diesem Jahre an plötzlich arm an Liebe und folglich sehr bedürftig der Liebe geworden bin.[1194]

Schreiben Sie mir etwas recht Genaues über das, was uns jetzt am meisten angeht, – was »zwischen uns steht«, wie Sie schreiben.

In ganzer Liebe der Ihre

F. N.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1194-1195.
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