231

[697] Das Lernen verwandelt uns, es tut das, was alle Ernährung tut, die auch nicht bloß »erhält« –: wie der Physiologe weiß. Aber im Grunde von uns, ganz »da unten«, gibt es freilich etwas Unbelehrbares, einen Granit von geistigem Fatum, von vorherbestimmter Entscheidung und Antwort auf vorherbestimmte ausgelesene Fragen. Bei jedem kardinalen Probleme redet ein unwandelbares »das bin ich«; über Mann und Weib zum Beispiel kann ein Denker nicht umlernen, sondern nur auslernen – nur zu Ende entdecken, was darüber bei ihm »feststeht«. Man findet beizeiten gewisse Lösungen von Problemen, die gerade uns starken Glauben machen; vielleicht nennt man sie fürderhin seine »Überzeugungen«. Später – sieht man in ihnen nur Fußtapfen zur Selbsterkenntnis, Wegweiser zum Probleme, das wir sind – richtiger, zur großen Dummheit, die wir sind, zu unserm geistigen Fatum, zum Unbelehrbaren ganz »da unten«. – Auf diese reichliche Artigkeit hin, wie ich sie eben gegen mich selbst begangen habe, wird es mir vielleicht eher schon gestattet sein, über das »Weib an sich« einige Wahrheiten herauszusagen: gesetzt, daß man es von vornherein nunmehr weiß, wie sehr es eben nur – meine Wahrheiten sind. –


232

Das Weib will selbständig werden: und dazu fängt es an, die Männer über das »Weib an sich« aufzuklären – das gehört zu den schlimmsten Fortschritten der allgemeinen Verhäßlichung Europas. Denn was müssen diese plumpen Versuche der weiblichen Wissenschaftlichkeit und Selbst-Entblößung alles ans Licht bringen! Das Weib hat so viel Grund zur Scham; im Weibe ist so viel Pedantisches, Oberflächliches, Schulmeisterliches, Kleinlich-Anmaßliches, Kleinlich-Zügelloses[697] und -Unbescheidnes versteckt – man studiere nur seinen Verkehr mit Kindern! –, das im Grunde bisher durch die Furcht vor dem Manne am besten zurückgedrängt und gebändigt wurde. Wehe, wenn erst das »Ewig-Langweilige am Weibe« – es ist reich daran! – sich hervorwagen darf! Wenn es seine Klugheit und Kunst, die der Anmut, des Spielens, Sorgen-Wegscheuchens, Erleichterns und Leicht-Nehmens, wenn es seine feine Anstelligkeit zu angenehmen Begierden gründlich und grundsätzlich zu verlernen beginnt! Es werden schon jetzt weibliche Stimmen laut, welche, beim heiligen Aristophanes! Schrecken machen, es wird mit medizinischer Deutlichkeit gedroht, was zuerst und zuletzt das Weib vom Manne will. Ist es nicht vom schlechtesten Geschmacke, wenn das Weib sich dergestalt anschickt, wissenschaftlich zu werden? Bisher war glücklicherweise das Aufklären Männer-Sache, Männer-Gabe – man blieb damit »unter sich«; und man darf sich zuletzt, bei allem, was Weiber über »das Weib« schreiben, ein gutes Mißtrauen vorbehalten, ob das Weib über sich selbst eigentlich Aufklärung will – und wollen kann... Wenn ein Weib damit nicht einen neuen Putz für sich sucht – ich denke doch, das Sich-Putzen gehört zum Ewig-Weiblichen? – nun, so will es vor sich Furcht erregen – es will damit vielleicht Herrschaft. Aber es will nicht Wahrheit: was liegt dem Weibe an Wahrheit! Nichts ist von Anbeginn an dem Weibe fremder, widriger, feindlicher als Wahrheit – seine große Kunst ist die Lüge, seine höchste Angelegenheit ist der Schein und die Schönheit. Gestehen wir es, wir Männer: wir ehren und lieben gerade diese Kunst und diesen Instinkt am Weibe: wir, die wir es schwer haben und uns gerne zu unsrer Erleichterung zu Wesen gesellen, unter deren Händen, Blicken und zarten Torheiten uns unser Ernst, unsre Schwere und Tiefe beinahe wie eine Torheit erscheint. Zuletzt stelle ich die Frage: hat jemals ein Weib selber schon einem Weibskopfe Tiefe, einem Weibsherzen Gerechtigkeit zugestanden? Und ist es nicht wahr, daß, im großen gerechnet, »das Weib« bisher vom Weibe selbst am meisten mißachtet wurde – und ganz und gar nicht von uns? – Wir Männer wünschen, daß das Weib nicht fortfahre, sich durch Aufklärung zu kompromittieren: wie es Manns-Fürsorge und Schonung des Weibes war, als die Kirche dekretierte: mulier taceat in ecclesia! Es geschah zum Nutzen des Weibes, als Napoleon der allzu beredten[698] Madame de Staël zu verstehen gab: mulier taceat in politicis! – und ich denke, daß es ein rechter Weiberfreund ist, der den Frauen heute zuruft: mulier taceat de muliere!


233

Es verrät Korruption der Instinkte – noch abgesehn davon, daß es schlechten Geschmack verrät –, wenn ein Weib sich gerade auf Madame Roland oder Madame de Staël oder Monsieur George Sand beruft, wie als ob damit etwas zugunsten des »Weibs an sich« bewiesen wäre. Unter Männern sind die Genannten die drei komischen Weiber an sich – nichts mehr! – und gerade die besten unfreiwilligen Gegen-Argumente gegen Emanzipation und weibliche Selbstherrlichkeit.


234

Die Dummheit in der Küche; das Weib als Köchin; die schauerliche Gedankenlosigkeit, mit der die Ernährung der Familie und des Hausherrn besorgt wird! Das Weib versteht nicht, was die Speise bedeutet: und will Köchin sein! Wenn das Weib ein denkendes Geschöpf wäre, so hätte es ja, als Köchin seit Jahrtausenden, die größten physiologischen Tatsachen finden, insgleichen die Heilkunst in seinen Besitz bringen müssen! Durch schlechte Köchinnen – durch den vollkommnen Mangel an Vernunft in der Küche ist die Entwicklung des Menschen am längsten aufgehalten, am schlimmsten beeinträchtigt worden: es steht heute selbst noch wenig besser. Eine Rede an höhere Töchter.


235

Es gibt Wendungen und Würfe des Geistes, es gibt Sentenzen, eine kleine Handvoll Worte, in denen eine ganze Kultur, eine ganze Gesellschaft sich plötzlich kristallisiert. Dahin gehört jenes gelegentliche Wort der Madame de Lambert an ihren Sohn: »mon ami, ne vous permettez jamais que de folies, qui vous feront grand plaisir« – beiläufig das mütterlichste und klügste Wort, das je an einen Sohn gerichtet worden ist.


236

[699] Das, was Dante und Goethe vom Weibe geglaubt haben – jener, indem er sang »ella guardava suso, ed io in lei«, dieser, indem er es übersetzte »das Ewig-Weibliche zieht uns hinan« –: ich zweifle nicht, daß jedes edlere Weib sich gegen diesen Glauben wehren wird, denn es glaubt eben das vom Ewig-Männlichen...


237

Sieben Weibs-Sprüchlein


Wie die längste Weile fleucht, kommt ein Mann zu uns gekreucht!


Alter, ach! und Wissenschaft gibt auch schwacher Tugend Kraft.


Schwarz Gewand und Schweigsamkeit kleidet jeglich Weib – gescheit.


Wem im Glück ich dankbar bin? Gott! – und meiner Schneiderin.


Jung: beblümtes Höhlenhaus. Alt: ein Drache fährt heraus.


Edler Name, hübsches Bein, Mann dazu: o wär er mein!


Kurze Rede, langer Sinn – Glatteis für die Eselin!


Die Frauen sind von den Männern bisher wie Vögel behandelt worden, die von irgendwelcher Höhe sich hinab zu ihnen verirrt haben: als etwas Feineres, Verletzlicheres, Wilderes, Wunderlicheres, Süßeres, Seelenvolleres – aber als etwas, das man einsperren muß, damit es nicht davonfliegt.


238

Sich im Grundprobleme »Mann und Weib« zu vergreifen, hier den abgründlichsten Antagonismus und die Notwendigkeit einer[700] ewigfeindseligen Spannung zu leugnen, hier vielleicht von gleichen Rechten, gleicher Erziehung, gleichen Ansprüchen und Verpflichtungen zu träumen: dies ist ein typisches Zeichen von Flachköpfigkeit, und ein Denker, der an dieser gefährlichen Stelle sich flach erwiesen hat – flach im Instinkte! –, darf überhaupt als verdächtig, mehr noch, als verraten, als aufgedeckt gelten: wahrscheinlich wird er für alle Grundfragen des Lebens, auch des zukünftigen Lebens, zu »kurz« sein und in keine Tiefe hinunterkönnen. Ein Mann hingegen, der Tiefe hat, in seinem Geiste wie in seinen Begierden, auch jene Tiefe des Wohlwollens, welche der Strenge und Härte fähig ist und leicht mit ihnen verwechselt wird, kann über das Weib immer nur orientalisch denken – er muß das Weib als Besitz, als verschließbares Eigentum, als etwas zur Dienstbarkeit Vorbestimmtes und in ihr sich Vollendendes fassen – er muß sich hierin auf die ungeheure Vernunft Asiens, auf Asiens Instinkt-Überlegenheit stellen, wie dies ehemals die Griechen getan haben, diese besten Erben und Schüler Asiens, welche, wie bekannt, von Homer bis zu den Zeiten des Perikles, mit zunehmender Kultur und Umfänglichkeit an Kraft, Schritt für Schritt auch strenger gegen das Weib, kurz, orientalischer geworden sind. Wie notwendig, wie logisch, wie selbst menschlich-wünschbar dies war: möge man darüber bei sich nachdenken!


239

Das schwache Geschlecht ist in keinem Zeitalter mit solcher Achtung von seiten der Männer behandelt worden als in unserm Zeitalter – das gehört zum demokratischen Hang und Grundgeschmack, ebenso wie die Unehrerbietigkeit vor dem Alter –: was wunder, daß sofort wieder mit dieser Achtung Mißbrauch getrieben wird? Man will mehr, man lernt fordern, man findet zuletzt jenen Achtungszoll beinahe schon kränkend, man würde den Wettbewerb um Rechte, ja ganz eigentlich den Kampf vorziehn: genug, das Weib verliert an Scham. Setzen wir sofort hinzu, daß es auch an Geschmack verliert. Es verlernt den Mann zu fürchten: aber das Weib, das »das Fürchten verlernt«, gibt seine weiblichsten Instinkte preis. Daß das Weib sich hervorwagt, wenn das Furcht-Einflößende am Manne, sagen wir bestimmter, wenn der Mann im Manne nicht mehr gewollt und großgezüchtet[701] wird, ist billig genug, auch begreiflich genug; was sich schwerer begreift, ist, daß ebendamit – das Weib entartet. Dies geschieht heute: täuschen wir uns nicht darüber! Wo nur der industrielle Geist über den militärischen und aristokratischen Geist gesiegt hat, strebt jetzt das Weib nach der wirtschaftlichen und rechtlichen Selbständigkeit eines Kommis: »das Weib als Kommis« steht an der Pforte der sich bildenden modernen Gesellschaft. Indem es sich dergestalt neuer Rechte bemächtigt, »Herr« zu werden trachtet und den »Fortschritt« des Weibes auf seine Fahnen und Fähnchen schreibt, vollzieht sich mit schrecklicher Deutlichkeit das Umgekehrte: das Weib geht zurück. Seit der Französischen Revolution ist in Europa der Einfluß des Weibes in dem Maße geringer geworden, als es an Rechten und Ansprüchen zugenommen hat; und die »Emanzipation des Weibes«, insofern sie von den Frauen selbst (und nicht nur von männlichen Flachköpfen) verlangt und gefördert wird, ergibt sich dergestalt als ein merkwürdiges Symptom von der zunehmenden Schwächung und Abstumpfung der allerweiblichsten Instinkte. Es ist Dummheit in dieser Bewegung, eine beinahe maskulinische Dummheit, deren sich ein wohlgeratenes Weib – das immer ein kluges Weib ist – von Grund aus zu schämen hätte. Die Witterung dafür verlieren, auf welchem Boden man am sichersten zum Siege kommt; die Übung in seiner eigentlichen Waffenkunst vernachlässigen; sich vor dem Manne gehen lassen, vielleicht sogar »bis zum Buche«, wo man sich früher in Zucht und feine listige Demut nahm; dem Glauben des Mannes an ein im Weibe verhülltes grundverschiedenes Ideal, an irgendein Ewig- und Notwendig-Weibliches mit tugendhafter Dreistigkeit entgegenarbeiten; dem Manne es nachdrücklich und geschwätzig ausreden, daß das Weib gleich einem zarteren, wunderlich wilden und oft angenehmen Haustiere erhalten, versorgt, geschützt, geschont werden müsse; das täppische und entrüstete Zusammensuchen all des Sklavenhaften und Leibeigenen, das die Stellung des Weibes in der bisherigen Ordnung der Gesellschaft an sich gehabt hat und noch hat (als ob Sklaverei ein Gegenargument und nicht vielmehr eine Bedingung jeder höheren Kultur, jeder Erhöhung der Kultur sei) – was bedeutet dies alles, wenn nicht eine Anbröckelung der weiblichen Instinkte, eine Entweiblichung? Freilich, es gibt genug blödsinnige Frauen-Freunde und[702] Weibs-Verderber unter den gelehrten Eseln männlichen Geschlechts, die dem Weibe anraten, sich dergestalt zu entweiblichen und alle die Dummheiten nachzumachen, an denen der »Mann« in Europa, die europäische »Mannhaftigkeit« krankt – welche das Weib bis zur »allgemeinen Bildung«, wohl gar zum Zeitunglesen und Politisieren herunterbringen möchten. Man will hier und da selbst Freigeister und Literaten aus den Frauen machen: als ob ein Weib ohne Frömmigkeit für einen tiefen und gottlosen Mann nicht etwas vollkommen Widriges oder Lächerliches wäre –; man verdirbt fast überall ihre Nerven mit der krankhaftesten und gefährlichsten aller Arten Musik (unsrer deutschen neuesten Musik) und macht sie täglich hysterischer und zu ihrem ersten und letzten Berufe, kräftige Kinder zu gebären, unbefähigter. Man will sie überhaupt noch mehr »kultivieren« und, wie man sagt, das »schwache Geschlecht« durch Kultur stark machen: als ob nicht die Geschichte so eindringlich wie möglich lehrte, daß »Kultivierung« des Menschen und Schwächung – nämlich Schwächung, Zersplitterung, Ankränkelung der Willenskraft, immer miteinander Schritt gegangen sind, und daß die mächtigsten und einflußreichsten Frauen der Welt (zuletzt noch die Mutter Napoleons) gerade ihrer Willenskraft – und nicht den Schulmeistern! – ihre Macht und ihr Übergewicht über die Männer verdankten. Das, was am Weibe Respekt und oft genug Furcht einflößt, ist seine Natur, die »natürlicher« ist als die des Mannes, seine echte raubtierhafte listige Geschmeidigkeit, seine Tigerkralle unter dem Handschuh, seine Naivität im Egoismus, seine Unerziehbarkeit und innerliche Wildheit, das Unfaßliche, Weite, Schweifende seiner Begierden und Tugenden... Was, bei aller Furcht, für diese gefährliche und schöne Katze »Weib« Mitleiden macht, ist, daß es leidender, verletzbarer, liebebedürftiger und zur Enttäuschung verurteilter erscheint als irgendein Tier. Furcht und Mitleiden: mit diesen Gefühlen stand bisher der Mann vor dem Weibe, immer mit einem Fuße schon in der Tragödie, welche zerreißt, indem sie entzückt. – Wie? Und damit soll es nun zu Ende sein? Und die Entzauberung des Weibes ist im Werke? Die Verlangweiligung des Weibes kommt langsam herauf? O Europa! Europa! Man kennt das Tier mit Hörnern, welches für dich immer am anziehendsten war, von dem dir immer wieder Gefahr droht! Deine alte Fabel könnte noch[703] einmal zur »Geschichte« werden – noch einmal könnte eine ungeheure Dummheit über dich Herr werden und dich davontragen! Und unter ihr kein Gott versteckt, nein! nur eine »Idee«, eine »moderne Idee«!...[704]

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 697-705.
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