Die erste Defension der Erfindung der neuen Medizin doctoris Theophrasti

[499] Daß ich hie, in diesem Werk, eine neue theoricam, auch physicam, mit samt neuen rationibus, welche von den philosophis, astronomis auch medicis bisher nie gehalten noch verstanden wurden hereinbringe, geschieht aus der Ursachen, deren ich euch jetzo unterrichten werde. Eine nämlich, die sich genugsam beweist, ist, daß die alten theorici die rationes und causas morborum ungewiß und ungerecht beschrieben haben, und damit einen solchen Irrsal eingeführt und denselben dermaßen bestätigt haben, daß er für recht und unwidersprechlich gehalten und geachtet worden ist, und ist so eingewurzelt und dermaßen gehalten und erhalten, daß keiner weiter ein anderes suchte, oder das selbige ein Irrsal zu sein geschätzt hat. Solches darf ich euch wohl zu erkennen geben, denn ich muß es eine große Torheit zu sein urteilen, alldieweil der Himmel für und für, im Lichte der Natur, ingenia, neue inventiones, neue artes, neue aegritudines gebiert und macht, – ob dieselben nicht auch sollten gelten? Was nutzt der Regen, der vor tausend Jahren gefallen ist? Der nützt, der jetzt zugegen, fällt. Was nützt der Sonnenlauf vor tausend Jahren dem jetzigen Jahr? Sagt nit Christus die Auslegung, wie wir das beurteilen sollen, so sprechend: es ist genug, daß der Tag sein eigen Joch trage, das ist so viel geredet: es ist genug, daß du das tust, das der selbige Tag gibt, und weiter beschließt, der morgige Tag[499] trägt auch seine Sorge, für sich selbst. Wenn nun die Sorge für sich selbst geht, und ein jeglicher Tag hat zwölf Stunden, und eine jegliche Stunde ihre besondere Wirkung, was schadet die zwölfte Stunde da der ersten? Oder welcher Nachteil ist der ersten die zwölfte, wenn ein jeglich Ding nach seiner Zeit in seine eigene monarchiam gesetzt ist? Auf das jetzige sollen wir sorgen und nit auf das vergangene. Und eine jegliche monarchia ist mit vollkommenem Licht der Natur versorgt. Und so sind die Wunderwerke Gottes: daß das Licht der Natur in den vielen monarchias zwischen dem Anfang und dem Ende der Welt sich ändert, was vielfach übersehen worden, und nit nach Inhalt dieser Monarchien gehandelt worden ist. Drum will ich, aus Kraft des jetzigen Lichts der Natur und aus praedestinierter Ordnung der jetzigen Monarchie in meinem Schreiben von männiglich ungestraft sein, und noch minder will ich wegen der Sophisterei, die ich ein Irrsal in der Arznei nenne, angetastet und auch behindert sein.

Ihre Torheit muß ich wegen des Erkennens meines Grundes und ihres Irrens deutlich an den Tag legen, und mich werden die Hohen Schulen hierin nicht umstoßen, – und das geb ich ihnen also zu erkennen. Die Arznei ist ein Werk. Weil sie nun ein Werk ist, wird das Werk seinen Meister bewähren. Jetzt erseht aus den Werken, wie jeglicher Teil erkannt und beurteilt wird. Das Werk ist eine Kunst, die Kunst gibt die Lehre des Werkes, so daß die Kunst durch ihre Lehre wirkt, das Werk zu machen. Nun ist die Frage, ob die Lehre der hochschulischen Ärzte die Kunst der Arznei sei oder die meine? Das wird durch die Werke erwiesen. Nun bemerkt, was Christus in unserer Philosophie auch vorbringt und uns das selbige zu verstehen auch notwendig ist, (Christus), der nicht allein das ewige Licht unter uns tödlichen Menschen erneuert hat, sondern auch das natürliche Licht, da er spricht: es werden aufstehen falsche Propheten, falsche Christen usw. und werden viel Zeichen geben und tun. Obgleichwohl falsche Ärzte auch Zeichen tun, wie sich befinden läßt, so sind sie doch nicht wider die rechte[500] Arznei. Denn gleicherweise wie Moses und die malefici in ihren Werken gegeneinander standen, so auch der rechte und der falsche Grund der Arznei. Wenn ich nun meinem adversam partem eine rechte Anweisung gebe, und mich in den Werken zu erkennen, und die Werke in den falschen auch gefunden werden, wie Christus De prodigiis et signis vorbringt, so will ich euch darin den Unterschied zeigen. Es wäre ein Kranker mit einem Fieber vorhanden, der hätte seinen Termin in zwölf Wochen, alsdann wäre es im Ende und Abzug, und es begäbe sich, daß der Kranke begehrte, dieses Fieber vor seinem Termin zu vertreiben, so hätte er zweierlei Ärzte vor sich, den falschen und den geredeten. Der falsche handelt so: er fängt gemächlich und langsam zu arzneien an, verbraucht viel Zeit mit syrupis, in laxativis, mit Purgazen und Habermüslein, mit Gerste, mit Kürbissen, mit citrulis, das ist Zitronen, mit Julep und anderem solchen Geschmeiß, langsam, mit der Zeit, und oft dazwischen cristiert, weiß selbst nit, womit er umgeht, und schleicht so mit der Zeit und mit seinen sanften Worten dahin, bis er auf den Termin kommt. Aber den gerechten Arzt erkennt so: diesen terminum teilt er in zwölf Teile, den einen und den halben nimmt er zu seiner Arbeit vor usw.

Weiter ist noch ein großer Unverstand, der mich, dieses Werk zu schreiben, mächtig verursacht. Nämlich daß sie sagen: die Krankheiten, welche ich in diesem Werk beschreibe, seien unheilbar. Nun seht da ihre große Torheit! Wie kann ein Arzt sprechen, daß eine Krankheit, in der nit der Tod ist, nit zu heilen sei?! Allein die sind unheilbar, in denen der Tod ist. Aber so sagen sie von dem Podagra, so von dem Fallenden Sichtage usw. O ihr tollen Köpfe, wer heißt euch reden, wenn ihr nichts könnt noch wisset. Warum betrachtet ihr nit die Rede Christi, der sagt: die Kranken bedürfen des Arztes? Sind denn die nit krank, die ihr verwerft? Ich mein: ja. Sind sie nun krank, wie es sich erweist, so bedürfen sie eines Arztes. Bedürfen sie nun des Arztes, warum sprecht ihr dann, ihnen sei nit zu helfen? Darum bedürfen sie sein, daß[501] ihnen durch die Ärzte geholfen werde. Warum sagen sie dann, ihnen sei nit zu helfen? Darum sagen sie es, weil sie aus dem Irrsal der Arznei geboren sind, und der Unverstand ist ihre Mutter, der sie geboren hat. Eine jegliche Krankheit hat ihre eigne Arznei, denn Gott will mit den Kranken wunderbarlich gesehen werden, wie nämlich in den Krankheiten des Fallenden Siechtages, im jähen Schlag, im S. Veitstanz, in allen andern, nit not hie zu melden. Denn Gott ist der, der da geboten hat, du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, und Gott lieben vor allen Dingen. Willst du nun Gott lieben, so mußt du auch sein Werk lieben; willst du deinen Nächsten lieben, so mußt du nit sagen: dir ist nit zu helfen. Sondern du mußt sagen: ich kann es nit und versteh es nit. Diese Wahrheit entschuldigt dich von dem Fluch, der wider die Falschen geht. Also merke: daß weiter gesucht werden muß, so lange, bis die Kunst, aus welcher die rechten Werke gehen, gefunden wird. Denn wenn Christus sagt: perscrutamini scripturas, das ist: durchforscht die Schriften, warum wollt ihr nicht auch hiervon sagen: perscrutamini naturas rerum?

So will ich mich defendiert haben, daß ich billig nach der jetzigen monarchia eine neue Medizin hervorbringe und an den Tag tue. Und wenn gleichwohl gefragt würde: wer lehrt dich das zu tun? frag ich dich: wer lehrt das heutige Laub und Gras wachsen? Denn der selbige hat gesagt: kommt zu mir und lernt von mir, denn ich bin eines milden und demütigen Herzens. Aus dem fließt der Grund der Wahrheit; was nicht aus dem geht, das ist Verführung. Der Teufel ist mille artifex, in dem viel falscher signa und prodigia stecken, und der da nicht feiert, wie ein brummender Leu uns nachstreicht, auf daß er uns samt sich als Lügner innehabe.

Ihr sollt euch dess' nicht wundern, daß ich euch im Beschluß dieser Defension auf den weise und zeige, der da gesagt hat: ich bin mild und eines demütigen Herzens, um von ihm, der doch ein Lehrer des Ewigen ist, die Arznei zu lernen. Was ist aber in uns Tödlichen, das nicht[502] aus Gott an uns reiche und komme? Der das Ewige lehrt, der lehrt uns auch das Tödliche, denn beide entspringen aus dem selben, wiewohl das so ist, daß die ewige Lehre mündlich geredet hat und die Arznei nicht. Wenn er aber spricht: die Kranken bedürfen eines Arztes, und der Arzt ist aus Gott, wie kann dann der Arzt den selbigen nicht als seinen Lehrmeister, aus dem er ja ist, erkennen? Der Arzt ist der, der in den leiblichen Krankheiten Gott vertritt und verwest, drum muß er dasjenige, das er kann, aus Gott haben. Denn gleicherweise, wie die Arznei nicht vom Arzt, sondern aus Gott ist, so ist auch die Kunst des Arztes nicht vom Arzt, sondern aus Gott. Dreierlei Arten des Arztes sind: eine, die aus der Natur durch die Ärzte des Himmels in der constellierten Influenz der Conception geboren wird, wie denn auch die musici und mechanici, die rhetorici und die artes geboren worden sind. Dann ist auch eine Art, das sind die Ärzte, die durch Menschen gelehrt werden, in der Arznei auferzogen und mit der selbigen bekannt gemacht, so sehr, wie dem Menschen zu lernen möglich ist, oder nachdem er kann. Zum dritten ist eine Art, die Gott gibt, und das sind die, die aus Gott gelehrt werden, wie denn Christus spricht: es wird ein jeglicher Schreiber aus Gott gelehrt werden, was soviel ist: was wir können, das haben wir von Gott. Wenn nun die Arznei in dreierlei Weg ihre professores, das ist Beauftragte, zeigt, soll man es nicht beachten, ob sie in ihrer theorica und rationibus nicht zusammenstimmen, – im Werk kommen sie alle zusammen und am Schluß zu einem End und terminuni. Die Natur gibt ihre Art, darnach wie die Conception ihre Influenz empfangen hat, so lernt der Mensch auch nach dem und nach dem er kann; und so lehrt Gott, wie er will. Das ist aber der Beschluß in den Dingen allen, daß der Mensch, der den Menschen lehren will, sein Wissen aus Gott und aus der Natur nehmen muß, und aus demselbigen müssen die Menschen lernen.

Wer anderes lehrt denn aus diesem Gründe, der ist, wie im nächsten Irrsal behandelt wird.[503]

Quelle:
Theophrast Paracelsus: Werke. Bd. 2, Darmstadt 1965, S. 499-504.
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