Dreizehnter Abschnitt.
Von dem Rathschluß Gottes sich dem einen zu verbergen und dem andern zu offenbaren.
1.

[324] Gott wollte die Menschen erlösen und das Heil eröffnen denen, die es suchen würden. Aber die Menschen machen sich dessen so unwürdig, daß es gerecht ist, wenn er einigen wegen ihrer Verstocktheit versagt, was er den andern zusagt, aus einer Barmherzigkeit, die er ihnen nicht schuldig ist. Hätte er wollen die Hartnäckigkeit der Verstocktesten überwinden, so hätte er es gekonnt, wenn er sich ihnen so deutlich geoffenbart hätte, daß sie an der Wahrheit seines Daseins nicht hätten zweifeln können und so wird er am jüngsten Tag erscheinen mit einem solchen Glanz von Blitzen und mit einer solchen Zerstörung der Natur, daß die Blindesten ihn sehn werden.

Aber nicht so wollte er erscheinen, als er kam sanftmüthig und von Herzen demüthig, denn weil so viele Menschen sich seiner Gnade unwerth machen, so beschloß er sie zu lassen in der Entbehrung des Guts, das sie nicht wollen. Es war also nicht angemessen, wenn er in eine offenbar göttlichen Weise er schien, die unbedingt alle Menschen hätte überzeugen müssen; aber es war auch eben so wenig angemessen, wenn er auf eine so verborgene Weise kam, daß er von denen, die ihn aufrichtig suchten, nicht erkannt werden konnte. Diesen hat er sich vollkommen kenntlich machen wollen. Indem er sich so denen, die ihn von ganzem Herzen suchen, offenbar, denen aber, die ihn von ganzem Herzen fliehen, nur verborgen zeigen wollte, mäßigt er seine Erkenntniß dergestalt, daß er von sich Zeichen gegeben hat,[324] sichtbar denen, die ihn suchen, und dunkel denen, die ihn nicht suchen.


2.

Für diejenigen, welche nichts begehren als zu sehen, ist genug Licht da und genug Finsterniß für diejenigen, die eine entgegengesetzte Neigung haben. Es ist genug Klarheit da, um die Erwählten zu erleuchten und genug Dunkelheit um sie zu demüthigen; genug Dunkelheit um die Verworfenen blind zu machen und genug Klarheit um sie zu verdammen und ihnen alle Entschuldigung zu benehmen.

Wäre die Welt nur dazu da, um den Menschen von dem Dasein Gottes zu beleben, so würde seine Gottheit darin von allen Zeiten auf eine unbestrittene Weise hervorleuchten. Aber da sie nur da ist durch Christum und für Christum und die Menschen zu belehren über ihr Verderben wie über die Erlösung, so glänzt alles darin von Beweisen für diese beiden Wahrheiten. Was darin zur Erscheinung kommt, zeigt weder ein gänzliches Ausgeschlossensein noch ein offenbares Gegenwärtigsein der Gottheit, sondern das Gegenwärtigsein eines Gottes, der sich verbirgt. Alles trägt diesen Charakter.

Wenn nie etwas von Gott offenbar geworden wäre, so würde diese ewige Entbehrung auf doppelte Weise zu erklären sein, sie könnte sich eben so gut auf die Abwesenheit aller Gottheit beziehn als auf die Unwürdigkeit der Menschen sie zu erkennen. Aber daß er bisweilen erscheint und nicht immer, das hebt die Zweideutigkeit auf. Erscheint er ein Mal, so ist er immer und deswegen kann man daraus nichts anderes schließen, als daß ein Gott ist und daß die Menschen seiner nicht würdig sind.


3.

Die Absicht Gottes ist mehr den Willen zu vervollkommen als den Geist. Nun würde die völlige Klarheit nur[325] dem Geiste dienen und dem Willen schaden. Wäre keine Dunkelheit da, so würde der Mensch nicht sein Verderben fühlen; wäre kein Licht da, so würde der Mensch keine Heilung hoffen. So ist es also nicht allein angemessen, sondern auch für uns heilsam, daß Gott zum Theil verborgen ist, zum Theil enthüllt, weil es für den Menschen gleich verderblich ist Gott zu kennen ohne sein Elend zu kennen, und sein Elend zu kennen ohne Gott zu kennen.


4.

Alles belehrt den Menschen über seinen Zustand, aber man muß es wohl verstehen, denn es ist nicht wahr, daß Gott sich in allem offenbart und eben so wenig, daß er sich in allem verbirgt. Das ist aber zugleich wahr, daß er sich verbirgt von denen, die ihn versuchen und sich offenbart vor denen, die nach ihm verlangen, weil die Menschen zugleich beides sind, Gottes unwürdig und Gottes fähig, unwürdig durch ihr Verderben, fähig durch ihre ursprüngliche Natur.


5.

Es giebt nichts auf der Erde, das nicht entweder das Elend des Menschen zeige oder die Barmherzigkeit Gottes, entweder die Ohnmacht des Menschen ohne Gott oder seine Macht mit Gott. Das ganze All lehrt den Menschen, entweder daß er verderbt oder daß er erlöst ist; alles lehrt ihn seine Größe und sein Elend. Das Verlassensein von Gott erscheint bei den Heiden, der Schutz Gottes bei den Juden.


6.

Alles dient den erwählten zum Besten, selbst die Dunkelheiten der Schrift, denn sie ehren dieselben wegen der göttlichen Klarheiten, die sie in ihnen sehen; und alles dient den Verworfenen zum Schaden, selbst die Klarheiten, denn sie lästern sie wegen der Dunkelheiten, die sie nicht verstehen.


7.

Wäre Christus nur gekommen um zu heiligen, die ganze[326] Schrift und alle Dinge würden darauf hinzielen und es würde sehr leicht sein die Ungläubigen zu überzeugen. Aber da er gekommen ist zur Heiligung und zum Aergerniß, wie Jesaias sagt (Jes. 8. 14.), so sind wir nicht im Stande die Hartnäckigkeit der Ungläubigen zu überwinden. Das beweist aber nichts gegen uns, weil wir ja behaupten, daß es in der ganzen Führung Gottes keinen überzeugenden Beweis für die Geister giebt, die versteckt sind und nicht aufrichtig die Wahrheit suchen.

Jesus Christus ist gekommen, damit die, welche nicht sahen, sehn sollten und die da sahen, blind würden, er ist gekommen zu heilen die Kranken und sterben zu lassen die Gesunden, die Sünder zu Busse zu rufen und sie zu rechtfertigen, die aber, welche sich für gerecht hielten, in ihren Sünden zu lassen, die Hungrigen mit Gütern zu füllen und leer zu lassen die Reichen.

Was sagen die Propheten von Jesu Christo? Daß er offenbar Gott sein werde? Nein, sondern daß er ein wahrhaft verborgner Gott ist, den man verkennen und von dem man nicht denken wird, daß er es sei, daß er ein Stein des Anstoßes sein wird, woran sich viele stoßen werden u.s.w.

Um den Messias den Guten kenntlich und den Bösen unkenntlich zu machen ließ Gott ihn auf solche Art voraus verkündigen. Wenn die Weise wie der Messias erscheinen sollte, klar vorausgesagt worden wäre, so hätte es keine Dunkelheit gegeben, selbst für die Bösen. Wenn die Zeit dunkel geweissagt wäre, so hätte es Dunkelheit gegeben selbst für die Guten; denn die Reinheit ihres Herzens hätte sie doch nicht fähig gemacht zu verstehn, daß z.B. ein [...] sechs hundert Jahre bedeutet.[327]

Die Zeit ist klar vorausgesagt worden und die Weise in Bildern.

Auf diese Art halten die Bösen die verheißnen Güter für zeitliche Güter und gehen in die Irre, obgleich die Zeit klar vorausgesagt ist, und die Guten irren nicht, denn das Verständniß der Güter hängt vom Herzen ab, welches gut nennt was es liebt, das Verständniß der verheißnen Zeit aber hängt nicht vom Herzen ab und so kommt es, daß die klare Weissagung der Zeit und die dunkle der Güter niemand täuscht als die Bösen.


8.

Wie mußte der Messias sein, weil das Scepter durch ihn ewig bei Juda sein und doch bei seiner Ankunft von Juda entwendet werden sollte?

Um zu machen, daß sie sehend nicht sähen und hörend nicht hörten, konnte es nicht besser eingerichtet sein.

Statt sich zu beklagen, daß Gott sich verborgen hat, muß man ihm danken, daß er sich so viel geoffenbart hat und ihm auch danken, daß er sich nicht geoffenbart hat den Weisen und den Hochmüthigen, die unwürdig sind einen so heiligen Gott zu erkennen.


9.

Das Geschlechtsregister Jesu im alten Testament ist mit so vielen andern unbedeutenden vermischt, daß man es beinahe nicht unterscheiden kann. Hätte Moses nur das Register der Voreltern Jesu verzeichnet, so wäre das zu sehr in die Augen gefallen. Aber am Ende, wer genauer zusieht,[328] findet die Genealogie Jesu wohl unterschieden durch Thamar, Ruth u.s.w.

Die auffallendsten Blößen sind starke Beweise für diejenigen, welche die Sachen recht nehmen. So z.B. die beiden Geschlechtsregister des heiligen Matthäus und des heiligen Lukas, es ist augenscheinlich, daß das nicht nach einer Verabredung verfaßt worden ist.


10.

Man werfe uns also nicht mehr den Mangel an Klarheit vor, weil wir uns dazu bekennen. Vielmehr erkenne man die Wahrheit der Religion eben in ihrer Dunkelheit, in dem wenigen Licht, das wir von ihr haben, und in der Gleichgiltigkeit, die wir zeigen sie zu erkennen.

Wenn es nur eine Religion gäbe, so wäre Gott zu offenbar, eben so, wenn es keine Märtyrer gäbe als in unsrer Religion.

Um die Bösen in der Blindheit zu lassen, sagt Jesus nicht, daß er nicht aus Nazareth, noch daß er nicht Josephs Sohn ist.


11.

Wie Jesus Christus mitten unter den Menschen unbekannt weilte, so weilt auch die Wahrheit mitten unter den Meinungen des großen Haufens, ohne äußerlichen Unterschied, desgleichen auch der Leib Christi im Abendmal unter dem gemeinen Brode.

Ist die Barmherzigkeit Gottes so groß, daß er uns zum Heil belehrt, selbst wenn er sich verbirgt, welches Licht dürfen wir nicht von ihm erwarten, wenn er sich offenbart?

Man versieht nichts von den Werken Gottes, wenn man nicht zum Grundsatz nimmt, daß er die einen blind und die andern sehend macht.[329]

Quelle:
Pascal's Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Berlin 1840, S. 324-330.
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