Achtzehnter Abschnitt.
Gedanken über den Tod.
(Aus einem Briefe Pascals, den Tod seines Vaters betreffend.)
1.

[406] Wenn uns der Tod eines geliebten Menschen oder irgend ein andres Unglück, das uns begegnet, mit Kummer füllt, sollen wir Trost nicht bei uns selbst suchen noch bei den[406] Menschen noch bei allem, was geschaffen ist, sondern bei Gott allein. Und der Grund davon ist der, daß kein Geschöpf die erste Ursache der Ereignisse ist, die wir Leiden nennen; sondern daß die Vorsehung Gottes ihre einzige und wahre Ursache, die entscheidende und frei herrschende ist. Daher ist es ohne Zweifel nöthig geradezu an die Quelle zu gehen und bis an den Ursprung zurück zu steigen um eine wahrhafte Linderung zu finden. Wenn wir diese Vorschrift befolgen und den Tod, der uns betrübt, nichts als ein Werk der Zufalls ansehen, noch als eine verhängnißvolle Nothwendigkeit der Natur, noch als ein Spiel der Stoffe und Theile, aus denen der Mensch besteht (denn Gott hat nicht seine Auserwählten der Laune des Zufalls überlassen), sondern als eine unerläßliche, unvermeidliche, gerechte und heilige Folge eines Rathschlusses der göttlichen Vorsehung, der in der Erfüllung seiner Zeit ausgeführt wird und wenn wir endlich bedenken, daß alles, was geschehen, von Ewigkeit her gegenwärtig und vorausgeordnet ist in Gott, wenn wir, sage ich, durch eine Bewegung der Gnade dieses Ereigniß nicht mit Hinsicht auf dasselbe für sich und abgesehen von Gott betrachten, sondern abgesehen vom Ereigniß und mit Hinsicht auf den Willen Gottes selbst, auf die Gerechtigkeit seines Rathschlusses, auf die Ordnung seiner Vorsehung, die doch die wahre Ursache des Ereignisses ist, ohne die es nicht geschehen wäre, durch die allein es geschehen ist und gerade so geschehen ist; so werden wir mit demüthigem Schweigen vor der undurchdringlichen Höhe seiner Geheimnisse anbeten, werden die Heiligkeit seiner Rathschlüsse verehren, werden das Verfahren seiner Vorsehung segnen und unsern Willen mit dem Willen Gottes selbst vereinigend, werden wir mit ihm und in ihm und für ihn wollen eben das, was er in uns und für uns gewollt hat von aller Ewigkeit her.
[407]

2.

Es giebt keinen Trost als in der Wahrheit allein. So viel ist gewiß, Sokrates und Seneca haben nichts, was uns überzeugen und trösten kann in diesen Fällen. Sie waren befangen im Irrthum, der alle Menschen im ersten Zeitalter blind machte. Sie betrachteten alle den Tod als natürlich für den Menschen und alle Forschungen, die sie auf diesen falschen Grundsatz gegründet haben, sind so eitel und so wenig sicher, daß sie nur dazu dienen, durch ihre Fruchtlosigkeit zu zeigen, wie schwach der Mensch im Allgemeinen ist, weil die höchsten Geisteserzeugnisse der größten unter den Menschen so niedrig und kindisch sind.

Anders ist es mit Jesu Christo und mit den kanonischen Büchern. Die Wahrheit ist darin enthüllt und der Trost ist eben so unfehlbar damit verknüpft als der Irrthum unfehlbar davon geschieden ist.

Laßt uns denn den Tod im Lichte der Wahrheit betrachten, die uns die heilige Schrift gelehrt hat. Wir haben den köstlichen Vortheil zu wissen, daß wahrhaft und wirklich der Tod eine Strafe der Sünde ist, dem Menschen auferlegt zur Sühne seiner Schuld, für ihn nothwendig zur Reinigung von der Sünde, daß der Tod allein im Stande ist die Seele zu erlösen von dem sündlichen Lüsten, die in unsern Gliedern kräftig sind und ohne welche die Heiligen in dieser Welt nicht leben. Wir wissen, daß das Leben und besonders das Leben der Christen, ein beständig fortgesetztes Opfer ist, das nur durch den Tod vollendet werden kann. Wir wissen, daß Jesus Christus, da er in die Welt kam, sich als ein wahrhaftes Opfer ansah und sich als ein solches Gott darbrachte, daß seine Geburt, sein Leben, sein Tod, seine Auferstehung, seine Himmelfahrt, sein ewiges Sitzen zur Rechten des Vaters und seine Gegenwart im Abendmahl[408] nichts ist als ein einziges Opfer. Wir wissen, daß das, was in Jesu Christo geschehen ist, in allen seinen Gliedern geschehen soll.

Laßt uns denn das Leben als ein Opfer betrachten und die Ereignisse des Lebens mögen keinen Eindruck weiter auf den Geist des Christen machen, als nur in so weit sie dieses Opfer unterbrechen oder fördern. Laßt uns nichts böse nennen, als was das Opfer Gottes zu einem Opfer des Teufels in Adam zum Opfer Gottes macht. Nach diesem Grundsatz wollen wir die Natur des Todes untersuchen.

Dazu muß man auf die Person Jesu Christi zurückgehn, denn wie Gott die Menschen nur durch den Mittler Jesum Christum ansieht, so sollen auch die Menschen die andern und sich selbst nur mittelbar durch Jesum Christum betrachten.

Wenn wir nicht durch diesen Mittelpunkt durchgehn, so finden wir in uns nur wirkliche Leiden oder verabscheuungswürdige Freuden; aber wenn wir alle diese Dinge in Christo betrachten, so finden wir allen Trost, alle Befriedigung, alle Erbauung.

So wollen wir den Tod in Christo betrachten und nicht ohne ihn. Ohne Christum ist er furchtbar, entsetzlich, der Schrecken der Natur. In Christo ist er ganz anders, er ist liebenswürdig, heilig, die Freude des Gläubigen. Alles ist in Christo süß, selbst der Tod. Darum hat er gelitten und ist gestorben, um Tod und Leiden zu heiligen und als Gott und Mensch ist er alles gewesen, was groß und was niedrig ist, um in sich alles zu heiligen, ausgenommen die Sünde, und um das Muster für alle Verhältnisse zu sein.

Um zu begreifen was der Tod ist und zwar der Tod in Christo, muß man sehen, welche Bedeutung derselbe in seinem fortwährenden und ununterbrochen Opfer einnimmt[409] und dazu bedenken, daß in allen Opfern der Tod des Opferthiers die Hauptsache ist. Die Darbringung und Heiligung, die vorangehn, sind Vorbereitungen; aber die Vollendung ist der Tod, in welchem das Geschöpf durch Vernichtung des Lebens Gott alle Ehrfurcht bezeugt, deren es fähig ist, indem es sich vor den Augen seiner Hoheit demüthiget und sein allmächtiges Wesen, das allein wahrhaft existirt, anbetet. Allerdings gehört noch ein andres Stück nach dem Tode des Opfers hinzu, ohne welches der Tod unnütz ist, nämlich daß Gott das Opfer annimmt. Dies ists, was die Schrift sagt: »Und der Herr roch den lieblichen Geruch.« (1 Mos. 8. 21.) Diese Annahme freilich ist es eigentlich, was die Darbringung krönt. Aber sie ist mehr ein Thun Gottes gegen das Geschöpf als umgekehrt, und hebt also nicht auf, daß nicht das letzte Thun des Geschöpfes der Tod sei.

Alle diese Dinge haben in Jesu Christo ihre Vollendung gefunden. Indem er in die Welt kam, hat er sich zum Opfer dargebracht. »Er hat sich selbst durch den heiligen Geist Gott geopfert.« (Hebr. 9. 14.) »Da er in die Welt kommt, spricht er: Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, den Leib aber hast du mir zubereitet. Da sprach ich: Siehe, ich komme; im Buch steht vornehmlich von mir geschrieben, daß ich thun soll, Gott, deinen Willen; deinen Willen, mein Gott, thue ich gern und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen.« (Hebr. 10. 5, 7. Psalm 40. 7-9.) Das ist seine Darbringung und unmittelbar darauf ist seine Heiligung gefolgt.

Dieses Opfer dauerte sein ganzes Leben und ist vollendet durch seinen Tod. »Christus mußte solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehn.« (Luc. 24. 26.) »Er hat am Tage seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen geopfert zu dem, der ihm von dem Tode konnte aushelfen und ist auch erhöret, darum daß er Gott in Ehren[410] hatte und wiewohl er Gottes Sohn war, hat er doch an dem, das er litte, Gehorsam gelernet.« (Hebr. 5. 7, 8.) Und Gott hat ihn auferweckt und ihm seine Herrlichkeit gesandt (die ehemals durch das Feuer des Himmels, das auf die Opfer fiel, vorgebildet wurde) um gleichsam seinen Leib zu verbrennen und zu verzehren und ihm das Leben der Herrlichkeit zu geben. Das ists, was Jesus Christus erlangt hat und was durch seine Auferstehung vollendet worden ist.

Dieses Opfer war durch den Tod Jesu Christi vollbracht und sogar in seinem Leibe vollendet durch seine Auferstehung, wo das Bild des Fleisches der Sünde durch die Herrlichkeit verschlungen worden ist, und so hatte Jesus von seiner Seite alles vollendet und es blieb nichts mehr übrig als nur, daß Gott das Opfer annahm und daß, wie der Rauch sich erhob und den Geruch zum Throne Gottes trug, so auch Jesus Christus in diesem Zustand der vollkommenen Opferung dargeboten, gebracht und empfangen würde am Throne Gottes selbst. Und das ist erfüllt in seiner Himmelfahrt, da er auffuhr aus eigner Kraft und aus Kraft seines heiligen Geistes, der ihn von allen Seiten umgab. Er ist in die Höhe gestiegen wie der Rauch von den Opfern, der das Bild Jesu Christi ist, empor getragen ward durch die Luft, die das Bild des heiligen Geistes ist, und die Apfelgeschichte sagt uns ausdrücklich, daß er in den Himmel aufgenommen ward um uns gewiß zu machen, dieses heilige Opfer, auf Erden vollendet, sei auch von Gott angenommen und empfangen.

So ist die Sache bei unserm Herrn. Betrachten wir jetzt, wie sie bei uns ist. Wir treten in die Kirche ein,[411] welche die Welt der Gläubigen ist und besonders der Auserwählten, in welche Christus durch ein besondres Vorrecht des eingebornen Sohnes Gottes in dem Augenblick eintrat, da er Mensch ward, und gleich bei unserm Eintritt werden wir dargebracht und geheiligt. Dieses Opfer fährt fort durchs ganze Leben und vollendet sich im Tode; dann verläßt die Seele wahrhaft alle Sünde und die Liebe zur Welt, deren Ansteckung sie während dieses Lebens immer erfährt, und vollendet so das Opfer und wird aufgenommen von Gott.

Laßt uns denn nicht traurig sein über den Tod der Gläubigen wie die Heiden, die keine Hoffnung haben. Wir verlieren sie nicht im Augenblick ihres Todes. Wir hatten sie, so zu sagen, verloren von der Zeit an, da sie durch die Taufe in die Kirche eintraten. Seitdem gehörten sie Gott, ihr Leben war Gott geweiht, ihre Handlungen bezogen sich auf die Welt nur um Gott zu dienen. In ihrem Tode haben sie sich losgerissen von den Sünden und in dem Augenblick wurden sie von Gott aufgenommen und ihr Opfer erhielt seine Vollendung und seine Krone.

Sie haben gethan, was sie gelobt hatten, sie haben das Werk vollbracht, das ihnen Gott gegeben hatte zu thun, sie haben erfüllt, warum allein sie geschaffen waren. Der Willen Gottes ist erfüllt in ihnen und ihr Willen ist verflossen in Gott. So scheide denn unser Willen nicht was Gott vereiniget hat und durch die Erkenntniß der Wahrheit müssen wir die Empfindungen der verdorbenen und gefallenen Natur ersticken oder wenigstens mäßigen. Sie hat nur unwahre Bilder und trübt durch ihre Täuschungen die Heiligkeit der Empfindungen, welche die Wahrheit des Evangelii uns einflößen soll.

Laßt uns denn also den Tod nicht mehr wie Heiden betrachten sondern wie Christen, d.h. mit der Hoffnung,[412] wie der heilige Paulus ermahnt, weil sie das besondere Vorrecht der Christen ist. Laßt uns nicht mehr einen Leichnam betrachten als ein verpestetes Aas, wie freilich die trügerische Natur ihn uns vorstellt, sondern als den unverwüstlichen und ewigen Tempel des heiligen Geistes, wie der Glaube lehrt.

Denn wir wissen, daß der heilige Geist in den Leibern der Heiligen wohnt bis zur Auferstehung, die durch die Kraft dieses Geistes geschieht, und daß er eben dazu in ihnen Wohnung gemacht hat. Das ist die Meinung der Kirchenväter. Deshalb ehren wir die Reliquien der Todten und von diesem wahren Grundsatz geleitet, gab man ehemals den Todten das Sacrament in den Mund, weil man wußte, daß sie der Tempel des heiligen Geistes waren und daher glaubte, daß sie auch werth waren an dem heiligen Sacrament Theil zu haben. Aber die Kirche hat diesen Gebrauch abgeändert, nicht weil sie glaubt, daß jene Körper nicht heilig sind, sondern aus dem Grunde, weil der Leib Christi als das Brod des Lebens und der Lebenden nicht den Todten gegeben werden solle.

Laßt uns die Gläubigen, die in der Gnade Gottes gestorben sind, nicht mehr betrachten, als hätten sie aufgehört zu leben, obgleich die Natur es uns glauben machen will, sondern als fingen sie an zu leben, wie die Wahrheit es versichert. Laßt uns nicht mehr ihre Seelen ansehn als untergegangen und ins Nichts versunken, sondern als lebendig gemacht und mit dem Herrn des Lebens vereinigt und laßt uns so durch die Erwägung dieser Wahrheiten die irrthümlichen Vorstellungen, die uns so tief eingeprägt sind, berichtigen und jene, dem Menschen so natürlichen Regungen des Schreckens überwinden.


3.

[413] Gott hat den Menschen mit einer doppelten Liebe geschaffen, mit der Liebe zu Gott und mit der Liebe zu sich selbst, aber mit dem Gesetz, daß die Liebe zu Gott unendlich sein sollte, d.h. ohne ein andres Ende als Gott, die Liebe zu uns selbst aber sollte endlich sein und immer bezüglich auf Gott.

In diesem Zustand liebte der Mensch sich nicht nur ohne Sünde, sondern mußte sich auch lieben, wenn er sich nicht versündigen wollte.

Seitdem ist die Sünde geschehn und der Mensch hat die erste Liebe verloren und nun ist in dieser großen, weiten Seele, die einer unbegränzten Liebe fähig ist, die Selbstliebe allein übrig geblieben und hat sich ausgebreitet und ergossen in dem leeren Raum, welchen die Liebe zu Gott zurückgelassen hat und so hat er nur sich allein geliebt und alles andre nur um seinetwillen, d.h. unendlich.

Das ist der Ursprung der Selbstliebe. Sie war Adam natürlich und gerecht in seiner Unschuld, sie ist aber strafbar und unmäßig geworden in Folge seiner Sünde. Das ist die Quelle dieser Liebe und die Ursache ihrer und ihres Uebermaßes.

Eben so ist es mit der Herrschsucht, der Trägheit und den andern Lastern. Es ist leicht davon die Anwendung zu machen auf die Furcht, die wir vor dem Tode haben. Diese Furcht war natürlich und gerecht in Adam, da er noch unschuldig war, weil sein Leben, Gott sehr angenehm, auch dem Menschen lieb sein mußte und sein Tod wäre furchtbar gewesen, weil er ein Leben nach dem Willen Gottes geendet hätte. Darnach, als der Mensch gesündigt, ist sein Leib verderbt, sein Leib und seine Seele sind Feinde geworden einer gegen den andern und alle beide gegen Gott. Diese Veränderung hat wohl ein so heiliges Leben vergiftet, aber die[414] Liebe zum Leben ist doch geblieben und die Furcht vor dem Tode ist noch dieselbe. Was aber in Adam gerecht war, ist ungerecht in uns.

Das ist der Ursprung des Todesfurcht und der Grund, warum sie ein Gebrechen ist. Den Irrthum der Natur wollen wir aufklären durch das Licht des Glaubens.

Die Furcht vor dem Tode ist natürlich, aber dies ist sie nur im Stande der Unschuld, weil er in das Paradies nicht anders hätte dringen können, als indem er ein ganz reines Leben endete. Es war gerecht ihn zu hassen, als er nicht anders hätte eintreten können, als indem er eine heilige Seele von einem heiligen Körper trennte; aber es ist gerecht ihn zu lieben, da er eine heilige Seele von einem unreinen Leibe trennt. Es war gerecht ihn zu fliehen, wenn er den Frieden zwischen Seele und Leib gefrört hätte, nicht aber da er den unversöhnlichen Zwiespalt beider stillt. Genug, wenn er einen unschuldigen Leib verletzt, wenn er dem Leibe die Freiheit Gott zu dienen genommen, wenn er von der Seele einen ihr unterwürfigen und ihrem Willen dienstbaren Leib getrennt, wenn er alles Glück, dessen der Mensch fähig ist, geendigt hätte, so wäre es gerecht ihn zu fürchten; aber da er ein unreines Leben schließt, da er dem Leibe die Freiheit nimmt zu sündigen, da er die Seele befreit von einem sehr mächtigen Empörer, der allen Antrieben zu ihrem Heil widersteht, so ist es sehr ungerecht dieselben Gesinnungen gegen ihn zu hegen.

Die Liebe zum Leben, welche die Natur und eingepflanzt hat, sollen wir also nicht aufgeben, weil wir sie von Gott empfangen haben, aber sie gehe auf dasselbe Leben, für welches Gott sie und gegeben hat und nicht auf etwas dem entgegengesetztes. Laßt uns denn einstimmen in die Liebe, die Adam für sein unschuldiges Leben hatte, und die selbst Jesus für das seinige gehabt hat und laßt uns anfangen zu hassen[415] ein Leben, das dem entgegengesetzt ist, welches Jesus geliebt hat, und zu fürchten nur den Tod, den Jesus gefürchtet, der einen Gott wohlgefälligen Leib traf, nicht aber zu fürchten einen Tod, der einen strafbaren Leib straft und einen sündigen Leib reinigt und uns gerade die entgegengesetzte Empfindung erwecken muß, wenn wir nur ein wenig Glauben, Hoffnung, Liebe haben.

Es ist eine der großen Grundlehren des Christenthums, daß alles was Jesu Christo begegnet ist, auch in der Seele und in dem Leibe jedes Christen vorgehen soll. Wie Jesus Christus während seines sterblichen Lebens gelitten hat, für dieses sterbliche Leben gestorben, mit einem neuen Leben auferstanden und gen Himmel gefahren ist, wo er sitzet zur Rechten des Vaters, sollen auch Leib und Seele leiden, sterben, auferstehn und gen Himmel fahren.

Alles dieses erfüllt sich in der Seele während dieses Lebens, aber nicht im Leibe.

Die Seele leidet und stirbt der Sünde in der Buße und in der Taufe, sie stehet auf zu einem neuen Leben in diesen Sakramenten und endlich verläßt sie die Erde und fährt gen Himmel, indem sie ein himmlisch Leben führt,[416] weshalb auch der heilige Paulus sagt: »Unser Wandel ist im Himmel.« (Phil. 3. 20.)

Nichts von dem begegnet dem Leibe während dieses Lebens, aber dasselbe geschieht mit ihm in der Folge. Denn im Tode stirbt der Leib für das sterbliche Leben, beim Gericht steht er zu einem neuen Leben auf, nach dem Gericht fährt er gen Himmel und wohnt dort ewiglich.

So widerfährt dasselbe dem Leibe wie der Seele, nur zu verschiednen Zeiten und die Veränderungen des Leibes geschehen erst, wenn die der Seele bereits erfüllt sind, d.h. nach dem Tode, so daß der Tod die Seligkeit der Seele krönt und die Seligkeit des Leibes beginnt.

Das ist das bewundernswürdige Verfahren der Weisheit Gottes in Betreff des Heiles der Seelen und der heilige Augustin lehrt uns über diesen Gegenstand, daß Gott das so geordnet habe, damit der Mensch nicht, wenn sein Leib für immer in der Taufe gestorben und auferstanden wäre, sich nur aus Liebe zum Leben in den Gehorsam gegen das Evangelium begeben hätte, wogegen die Größe des Glaubens weit mehr in die Augen leuchtet, wenn man zur Unsterblichkeit strebt durch die Schatten des Todes.


4.

Es ist unrecht, wenn wir bei den Trübsalen und traurigen Ereignissen, die uns begegnen, gefühllos und ohne Schmerz sind, wie der Engel, die kein Gefühl der Natur haben; eben so unrecht ist es auch, wenn wir ohne Trost sind wie Heiden, die kein Gefühl der Gnade haben; recht aber ist es, daß wir betrübet und getröstet sind als Christen und daß der Trost der Gnade den Sieg über die Gefühle der Natur davonträgt, damit die Gnade nicht bloß in uns sei, sondern sich auch siegreich in uns beweise, damit so, indem wir den Namen unsers Vaters heiligen, sein Wille der unsrige werde, damit seine Gnade herrsche und regiere über[417] die Natur, damit unsre Trübsale gleichsam der Stoff eines Opfers seien, das seine Gnade zur Ehre Gottes verzehrt und vernichtet und damit diese besondern Opfer das allgemeine Opfer ehren und vorbereiten, bei welchem die ganze Natur durch die Kraft Christi aufgezehrt werden soll.

So werden wir aus unsern eignen Unvollkommenheiten Nutzen ziehen, indem sie diesem Opfer den Stoff geben, denn das ist der Zweck der wahren Christen von ihren eignen Unvollkommenheiten Gewinn zu ziehen, weil alle Dinge denen zum Besten dienen, die nach dem Vorsatz berufen sind.

Wenn wir genauer darauf Acht geben, so werden wir große Vortheile für unsre Erbauung finden, indem wir die Sache der Wahrheit gemäß betrachten. Denn da es wahr ist, daß der Tod des Leibes nur das Bild vom Tode der Seele ist und weil wir auf diesen Grund bauen, daß wir hoffen dürfen für das Heil derer, deren Tod wir beweinen, so sollen wir gewiß, wenn wir unsre Traurigkeit und unser Mißbehagen nicht hemmen können, den Gewinn daraus ziehen, zu erkennen, daß, wenn der Tod des Leibes so schrecklich ist, daß er uns solche Bewegungen verursacht, der Tod der Seele uns noch untröstlichere verursachen muß. Gott hat den ersten zu denen gesandt, die wir beweinen, aber wir hoffen, daß er den zweiten abgewendet hat. Laßt uns denn die Größe unsrer Güter abmessen an der Größe unsrer Leiden und das Uebermaß unsres Schmerzes sei das Maß unsrer Freude.[418]

Nichts kann sie beschränken als die Furcht, daß ihre Seelen einige Zeit in den Qualen schmachten, die bestimmt sind den Rest der Sünden dieses Lebens zu reinigen und daher müssen wir uns sorgfältig bemühen den Zorn Gottes über sie zu besänftigen.

Das Gebet und die Opfer sind ein Hauptmittel für ihre Qualen. Aber eine der sichersten und nützlichsten Liebeserweisungen gegen die Todten ist zu thun, was sie uns gebieten würden, wenn sie noch auf der Welt wären, und uns für sie in den Zustand zu versetzen, in welchem sie uns gegenwärtig gern sähen.

Auf diese Weise machen wir sie in gewisser Art wieder lebend in uns, weil ihre Gesinnungen wieder in uns leben und handeln und wie die Stifter von Ketzereien im andern Leben gestraft werden wegen der Sünden, zu denen sie ihre Anhänger verleitet haben, in denen ihr Gift fortlebt, so werden die Todten noch über ihr eignes Verdienst belohnt für diejenigen, die sie durch ihren Rath und ihr Beispiel zur Nachfolge bewogen haben.


5.

Der Mensch ist sicherlich zu schwach um über den Verlauf der Zukunft verständig urtheilen zu können. Laßt uns denn auf Gott hoffen und uns nicht abquälen mit unbescheidenem und vermessenem Voraussehen. Gott wollen wir die Führung unsers Lebens überlassen und das Mißbehagen sein nicht herrschend in uns.

Der heilige Augustin lehrt uns, daß in jedem Menschen eine Schlange, eine Eva und ein Adam ist. Die Schlange das sind die Sinne und unsre Natur, die Eva ist die böse Lust und der Adam ist die Vernunft.[419]

Die Natur versucht uns fortwährend, die böse Lust begehrt oft; aber die Sünde wird nicht vollführt, wenn die Vernunft nicht einwilligt.

Lassen wir denn diese Schlange und diese Eva ihr Werk treiben, wenn wir es nicht hindern können; aber wir wollen Gott bitten, daß seine Gnade unsern Adam also stärke, daß er siegreich bleibe, daß Jesus Christus wieder über ihn Sieger sei und ewig in uns herrsche.

Quelle:
Pascal's Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Berlin 1840, S. 406-420.
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