Achtes Buch.
Was und woher das Böse sei

[56] 1. Die Untersuchung, woher das Böse in das Seiende überhaupt oder in eine bestimmte Art des Seienden gekommen, dürfte passend mit der Frage beginnen, was eigentlich das Böse und die Natur des Bösen sei. Denn so liesse sich erkennen, woher es gekommen, wo es seinen Sitz hat, und wem es zustösst, überhaupt entscheiden, ob es zur Klasse des Seienden gehöre. Durch welches Vermögen in uns wir jedoch die Natur des Bösen erkennen sollen, da die Erkenntniss jedes Dinges auf Grund einer Aehnlichkeit mit demselben vor sich geht, dürfte eine schwierige Frage sein. Denn Geist und Seele können als Ideen auch nur die Erkenntniss von Ideen zu Wege bringen und auf sie ihr Streben richten; wie will aber jemand das Böse sich als Idee vorstellen, das gerade in der Abwesenheit alles Guten zur Erscheinung kommt? Wenn aber, weil es für die Gegensätze ein und dieselbe Erkenntniss giebt und dem Guten das Böse entgegengesetzt ist, die Kenntniss des Guten auch die des Bösen sein wird, so müssen diejenigen, welche das Böse erkennen wollen, genau das Gute kennen, da ja das Bessere dem Schlechteren vorangeht und Form ist, dieses aber nicht, sondern vielmehr Beraubung derselben. Gleichwohl ist es noch die Frage, wie denn das Gute dem Bösen entgegengesetzt ist: ob das eine die erste, das andere die letzte Stelle einnimmt, ob das eine als Form, das andere als Beraubung betrachtet wird. Doch davon später.

2. Jetzt soll gesagt werden, welches die Natur des Guten ist, soweit es die gegenwärtige Untersuchung erfordert. Es ist aber dasjenige, an dem alles hängt, nach dem alles Seiende strebt, da es dasselbe zu seinem Princip hat und seiner bedarf; es selbst ist mangellos, sich selber genug, nichts bedürfend, aller Dinge Maass und Grenze, aus sich selbst Geist und Wesenheit und Seele und Leben und geistige Thätigkeit spendend. Und bis zu ihm hin ist alles schön; denn er selbst [der Geist] ist erhaben über das Schöne und jenseits des Besten, ein König im Reiche des Geistes. Dabei ist er Geist nicht in der Art wie man etwa nach dem schliessen könnte, was bei uns Geist genannt wird, Geister die aus logischen Prämissen ihren Inhalt gewinnen, welche ihr Verständniss erlangen durch logische Operationen und Reflexionen über Grund und Folge, die nach dem Salze des [zureichenden][56] Grundes das Seiende schauen, als welche vorher nicht hatten, sondern vor ihrem Lernen, obwohl Geister, doch leer waren. Fürwahr so ist jener Geist nicht beschaffen, sondern er hat alles und ist alles und bei allem, indem er bei sich ist, und hat alles ohne es zu haben. Denn er hat es nicht als ein anderes, von dem er verschieden wäre, auch besteht nicht jedes einzelne von dem, was in ihm ist, für sich gesondert. Denn jedes einzelne ist das Ganze und in allen Beziehungen alles; doch ist es auch nicht vermengt, sondern andererseits für sich gesondert. Das Theilnehmende dagegen nimmt nicht zugleich an allem, sondern woran es kann, Theil. Und der Geist ist die erste Thätigkeit und die erste Wesenheit jenes, obgleich er in sich selbst bleibt; es ist also in seinem Umkreis thätig gleich als ob es in seinem Umkreis lebt. Die von aussen ihn umkreisende Seele aber, indem sie auf ihn blickt und sein Inneres schaut, erblickt die Gottheit durch ihn. Und dies ist der Götter leidloses, seliges Leben und hier findet sich nirgends das Böse, und wenn es hierbei sein Bewenden hätte, so würde es kein Böses geben, sondern nur das Gute auf erster, zweiter, dritter Stufe. Dieses liegt aber alles um den König des Alls herum, er ist der Urgrund alles Schönen und alles ist sein, und das Gute der zweiten Stufe liegt um die zweite, das der dritten um die dritte Stufe herum.

3. Wenn nun dieser Art das Seiende und das über das Seiende noch Erhabene ist, so kann das Böse nicht in dem Seienden noch im Jenseits des Seienden sich befinden; denn dieses beides ist gut. Es bleibt also übrig, dass es, wenn überhaupt, in dem Nichtseienden ist, gleichsam wie eine gewisse Form des Nichtseienden und an etwas mit dem Nichtseienden Vermischtem oder irgendwie mit dem Nichtseienden in Gemeinschaft Stehendem. Das Nichtseiende ist aber keineswegs das unbedingt nicht Seiende, sondern nur etwas anderes als das Seiende: auch nicht so nichtseiend wie Bewegung und Ruhe am Seienden, sondern wie ein Bild des Seienden oder noch viel mehr nichtseiend. Dies ist aber die ganze sinnenfällige Welt und alle Affectionen am Sinnenfälligen oder noch etwas hinter diesem oder wie ein Accidens für dasselbe oder Princip desselben oder etwas, das bei gleicher Beschaffenheit dasselbe vollzählig macht. Und so könnte man sich denn etwa eine Vorstellung von ihm machen, nach der es Maasslosigkeit sei gegenüber dem Maasse, Unbegrenztes gegenüber der Grenze, Ungestaltetes gegenüber dem Gestaltenden, stets Bedürftiges gegenüber dem Selbstgenugsamen, stets unbestimmt,[57] nirgend feststehend, allleidend, ungesättigt, gänzlich Armuth – und das sind nicht seine zufälligen Eigenschaften, sondern das ist gleichsam sein Wesen und jeder Theil, den man von ihm sieht, der ist auch alles dies; das andere aber, was an ihm Theil nimmt und ihm ähnlich ist, werde zwar schlecht, sei aber nicht mit dem Schlechten identisch. Bei welcher Daseinsform ist das nun aber vorhanden ohne von ihr verschieden zu sein, sondern als sie selbst? Denn wenn das Böse einem andern als Eigenschaft zukommt, so muss es zuvor selbst etwas an und für sich sein, wenn es auch keine bestimmte Wesenheit ist. Denn wie es ein an sich Gutes, ein anderes als Eigenschaft giebt, so giebt es auch ein an sich Böses und ein Böses, das diesem gemäss sich an einem andern als Eigenschaft findet. Was giebt es nun für eine Maasslosigkeit ausser im Maasslosen? Aber wie es ein Maass giebt ausserhalb des Gemessenen, so auch eine Maasslosigkeit ausser dem Maasslosen. Denn wenn sie in einem andern ist, so ist sie entweder im Maasslosen – aber selbst maasslos bedarf es der Maasslosigkeit nicht – oder im Gemessenen – aber das Gemessene kann als solches unmöglich Maasslosigkeit haben: folglich muss es ein an sich Unbegrenztes, ebenso ein an sich Gestaltloses geben und was sonst noch die Natur des Maasslosen charakterisirte; und wenn etwas nach ihm so beschaffen ist, so hat es dies entweder durch Mischung oder es ist so durch das Hinblicken auf jenes oder es bringt etwas derartiges hervor. Also das den Gestalten und Formen und Maassen und Grenzen zu Grunde liegende und mit fremdem Schmuck geschmückte, nichts gutes an sich habende Etwas, das ein Schattenbild des Seienden, aber des Busen Wesenheit ist, wenn es anders eine Wesenheit des Bösen geben kann – dieses findet die Untersuchung als das erste Böse und an sich Böse.

4. Die Natur der Körper also, soweit sie an der Materie Theil hat, ist böse. Denn sie haben eine nicht wahrhafte Form, sind des Lebens beraubt, sie vernichten sich gegenseitig durch die von ihnen ausgehende ungeordnete Bewegung, sie hemmen die Seele in ihrer eigenthümlichen Thätigkeit, als ewig fliessend fliehen sie die Wesenheit. Die Seele aber ist nicht an sich böse, auch nicht jede böse. Aber welches ist die böse Seele? Diejenige, sagt Plato, welche sich einen Menschen dienstbar gemacht hat, dem von Natur die Schlechtigkeit der Seele angeboren ist, indem die unvernünftige Form der Seele das Böse aufnimmt, nämlich Maasslosigkeit, Uebermaass, Mangel, aus denen auch Zügellosigkeit und Feigheit[58] und die sonstige Schlechtigkeit der Seele stammt, unfreiwillige Leidenschaften, welche falsche Meinungen veranlassen, das für schlecht und gut zu halten, wovor sie flieht und wonach sie strebt. Aber was ist das, was diese Schlechtigkeit zu Wege gebracht hat, und wie willst du sie auf ein Princip und eine Ursache zurückführen? Erstens nun befindet sich ein solche Seele nicht ausserhalb der Materie und ist nicht für sich. Sie ist also mit Maasslosigkeit gemischt und untheilhaftig der schmückenden und zum Maasse führenden Form; denn sie ist dem Körper beigemischt, der Materie hat. Ferner wenn auch ihr denkender Theil beschädigt wird, so wird sie am Sehen verhindert durch die Leidenschaften und dadurch dass sie von der Materie überschattet wird und zur Materie sich hingeneigt hat, dadurch überhaupt dass sie nicht nach dem Sein sondern nach dem Werden blickt, dessen Princip die Natur der Materie, die so schlecht ist, dass sie auch das noch nicht in ihr Befindliche sondern bloss nach ihr Hinblickende mit dem ihr eigenen Bösen erfüllt. Denn da sie schlechthin untheilhaftig ist des Guten und die Verneinung desselben und der reine Mangel, so macht sie alles, was irgendwie mit ihr in Berührung kommt, sich ähnlich. Dagegen ist die vollkommene und nach dem Geiste hinneigende Seele stets rein und von der Materie abgewandt, alles Unbestimmte und Maasslose und Böse sieht sie weder noch naht sie sich ihm; sie bleibt also rein, schlechthin durch den Geist bestimmt. Diejenige aber, die das nicht bleibt sondern aus sich selbst herausgeht, sieht durch das Unvollkommne und nicht Ursprüngliche – gleichsam wie ein Schattenbild jener durch das Zurückbleiben, soweit sie zurückgeblieben, mit Unbestimmtheit erfüllt – Finsterniss und hat bereits Materie, indem sie auch das sieht was sie nicht sieht, wie man ja sagt, dass wir auch die Finsterniss sehen.

5. Wenn nun aber der Mangel des Guten die Ursache ist für das Sehen der Finsterniss und die Gemeinschaft mit ihr, so wird das Böse für die Seele in dem Mangel oder der Finsterniss sein, und zwar das erste Böse; das zweite aber wird die Finsterniss sein; und die Natur des Bösen liegt nicht mehr in der Materie sondern noch vor der Materie. Allein nicht in dem irgendwie bestimmten sondern in dem schlechthinnigen Mangel liegt das Böse; dasjenige wenigstens, was des Guten nur wenig ermangelt, ist nicht böse; es kann ja sogar vollkommen sein in Anbetracht seiner Natur. Aber wenn es schlechthin mangelt, was bei der Materie der Fall, so ist dies das wesentlich Böse, welches gar keinen Theil am Guten[59] hat. Denn auch das Sein hat die Materie nicht, um somit am Guten Theil zu haben, sondern ist das Sein nur dem Namen nicht der Sache nach, so dass man in Wahrheit sagen kann, es sei Nichtsein. Der Mangel also hat das Nichtgutsein an sich, der schlechthinnige das Böse, der grössere die Möglichkeit ins Böse zu fallen und bereits böse zu sein. Deshalb muss unter dem Bösen verstanden werden nicht dieses bestimmte Böse, wie Ungerechtigkeit oder irgend eine lindere Schlechtigkeit, sondern jenes, was noch nichts von diesem ist, dieses aber gleichsam wie Arien von jenem durch individualisirende Zusätze als Gestalten formt, z.B. die Schlechtigkeit in der Seele mit ihren verschiedenen Arien entweder durch die Materie, an der sie sich findet, oder durch die Theile der Seele oder dadurch dass die eine gleichsam ein Sehen, die andere ein Streben oder Leiden ist. Will aber jemand annehmen, dass auch das ausserhalb der Seele befindliche böse sei, wie will er es auf jene Natur zurückführen, als Krankheit, Armuth? Etwa die Krankheit als Mangel und Uebermaass materieller Körper, die keine Ordnung und Maass ertragen, Hässlichkeit als die von der Form nicht bewältigte Materie, Armuth als Mangel und Beraubung dessen, was wir der Materie wegen, mit der wir zusammengejocht sind, nöthig haben, dir ihrer Natur nach selber Bedürftigkeit ist. Wenn dies mit Recht gesagt wird, so darf man nicht annehmen, dass wir das Princip des Bösen seien als an sich böse, sondern dass dies vor uns liegt, dass aber dasjenige, was die Menschen ergriffen hat, sie nicht freiwillig ergreift, sondern dass es eine Flucht giebt vor dem Bösen in der Seele für die, welche es können, nicht aber alle es können. Hieraus ergiebt sich der Satz: da die Materie an den sinnlich wahrnehmbaren Dingen als das Böse vorhanden ist, so kann als solches die Schlechtigkeit nicht vorhanden sein, welche die Menschen haben, da sie ja nicht einmal allen Menschen zukommt – denn sie lässt sich bewältigen, (besser aber sind diejenigen, bei denen sie gar nicht vorhanden) und dadurch gerade bewältigen sie dieselbe dass in ihnen das Nichtmaterielle ist.

6. Es ist aber auch zu untersuchen, was das heisst: das Böse könne nicht vertilgt werden sondern sei aus Nothwendigkeit, und zwar bei den Göttern sei es nicht, wohl aber wandle es stets bei der sterblichen Natur und dieser Welt umher. Soll dies etwa soviel heissen: der Himmel sei rein vom Bösen, da er stets geordnet einhergeht und in geregelter Bahn sich bewegt, es gebe dort weder Ungerechtigkeit noch[60] andere Schlechtigkeit noch Dinge, die einander beeinträchtigen, vielmehr in geregelter Bahn sich bewegen, dagegen auf Erden sei Ungerechtigkeit und Unordnung? Denn das ist die sterbliche Natur und diese Welt. Aber die Nothwendigkeit von hier zu entfliehen, wird nicht mehr von den Dingen auf Erden ausgesagt. Denn Flucht, sagt Plato, heisst nicht von der Erde weggehen, sondern auf Erden gerecht und heilig sein mit vernünftiger Einsicht. Der Sinn seiner Worte ist also, man müsse die Schlechtigkeit fliehen, so dass für ihn das Böse die Schlechtigkeit ist mit allen ihren Folgen. Und wenn der Unterredner sagt, das Böse werde aufhören, falls er nur die Menschen von seiner Meinung überzeuge, so entgegnet er, dies sei unmöglich; denn das Böse sei mit Nothwendigkeit, da es ja irgend einen Gegensatz zum Guten geben müsse. Die Schlechtigkeit am Menschen aber, wie kann sie jenem Guten entgegengesetzt sein? Denn sie ist der Tugend entgegengesetzt, diese aber ist nicht das Gute, sondern ein Gut, das die Materie überwältigen hilft. Wie soll aber jenem Guten etwas entgegengesetzt sein? Es ist ja keine Qualität, kein Quale. Sodann wo besteht überall die Nothwendigkeit, dass mit dem einen der Gegensätze auch der andere da sein? Nun mag es immerhin möglich sein, es sei mit dem Gegensatz auch das ihm Entgegengesetzte – z.B. wenn Gesundheit ist kann möglicherweise auch Krankheit sein – nur nicht aus Nothwendigkeit. Jedoch braucht er auch nicht zu sagen, dass dies von allen Gegensätzen wahr sei, aber vom Guten ist es gesagt. Aber wenn das Gute Wesenheit ist oder über alle Wesenheit hinaus, wie kann ihm etwas entgegengesetzt sein? Dass nun der Wesenheit nichts entgegengesetzt ist, ist hinsichtlich der Wesenheiten im einzelnen durch einen Inductionsbeweis glaublich, allgemein aber ists nicht bewiesen. Aber was wird der allgemeinen Wesenheit entgegengesetzt sein und überhaupt dem Ersten? Der Wesenheit doch wohl die Nichtwesenheit, der Natur des Guten die, welche, des Bösen Natur und Princip ist; denn Principien sind beide, die eine das des Guten, die andere das des Bösen; so wäre alles in jeder dieser beiden Naturen sich entgegengesetzt, folglich sind auch die Ganzen sich entgegengesetzt, und mehr noch als das andere. Denn das andere ist sich entgegengesetzt als entweder zu derselben Art oder derselben Gattung gehörig und wo es ist hat es an etwas Gemeinsamem Theil; was aber getrennt ist und sich in dem andern befindet als das Gegentheil von dem, was für das eine die Bestandtheile seines Wesens ausmacht: wie sollte sich das nicht am meisten entgegengesetzt sein,[61] wenn anders das sich entgegengesetzt ist, was am weitesten von einander absteht? Der Grenze aber und dem Maasse und dem, was sonst noch in der göttlichen Natur enthalten, steht Unbegrenztheit und Maasslosigkeit und was sonst noch der schlechten Natur eignet, gegenüber, folglich auch das Ganze dem Ganzen entgegengesetzt. Auch das Sein hat es fälschlich und zwar als ein ursprünglich und wesentlich Falsches, jenem aber kommt das wahre Sein zu, so dass es auch hinsichtlich des Falschen dem Wahren entgegengesetzt ist und bei beiden ein Gegensatz dem Wesen nach stattfindet. Es hat sich uns also ergeben und erhellt, dass nicht überall der Wesenheit nichts entgegengesetzt ist, da wir ja auch bei Feuer und Wasser einen Gegensatz zugeben würden, wenn nicht die Materie in ihnen etwas Gemeinsames wäre, welche das Warme und Trockene und Feuchte und Kalte als Eigenschaften hat; wenn sie aber allein für sich ihre Wesenheit ausmachten ohne ein Gemeinsames, so wurde auch hier sich Wesenheit der Wesenheit entgegengesetzt finden. Was also durchaus getrennt ist und nichts gemeinsames hat und den grössten Abstand in seiner Natur, das ist entgegengesetzt, da ja die Entgegensetzung nicht geschieht, insofern eine bestimmte Eigenschaft oder überhaupt irgend eine Gattung des Seienden vorhanden ist, sondern insofern die Dinge am weitesten von einander getrennt sind und aus Gegensätzen bestehen und das Entgegengesetzte thun.

7. Aber wie ist nun, wenn das Gute, so auch das Böse aus Nothwendigkeit? Etwa so, weil im All die Materie sein muss? Denn aus Entgegengesetztem bestellt aus Nothwendigkeit dieses All; ja es wurde nicht einmal sein, wenn die Materie nicht wäre. Gemischt also ist die Natur dieser Welt aus Geist und Nothwendigkeit, und was von Gott in kommt ist gut, das Böse aber ist aus der alten Natur, worunter Plato die zu Grunde liegende Materie verstellt, die noch nicht geschmückt ist durch Formen. Aber wieso sterbliche Natur? Der Ausdruck ›dieser Ort hier‹ soll nämlich das All bezeichnen, oder die Worte: ›da ihr aber geworden seid, so seid ihr zwar nicht unsterblich, doch sollt ihr auch durch mich nicht aufgelöst werden‹. Stünde es so, dann würde mit Recht gesagt werden, das Böse könne nicht vertilgt werden. Wie wird man nun entfliehen? Nicht durch den Wechsel des Orts, sagt er, sondern dadurch dass man sich Tugend erwirbt und sich vom Leibe trennt d.h. ebenso auch von der Materie, denn wer am Leibe klebt, klebt auch an der Materie. Das Trennen und Nichttrennen macht er irgendwo selbst klar: aber bei[62] den Göttern sein heisst im Intelligibeln sein, denn dort sind die Unsterblichen. Man kann die Nothwendigkeit des Bösen aber auch so begreifen: da nämlich das Gute nicht allein ist, so entsteht nothwendig durch das Ausgehen von ihm oder wenn man's so ausdrucken will, durch das stete Hervorgehen und die stete Entfernung das Letzte d.h. nach dem nichts mehr entstehen konnte. Dies sei das Böse. Nothwendig aber sei etwas nach dem Ersten, folglich auch das Letzte. Dies ist aber die Materie, die nichts mehr von ihm hat. Und dies ist die Nothwendigkeit des Bösen.

8. Wenn aber jemand sagen wollte, dass wir nicht durch die Materie böse wurden – denn weder die Unwissenheit sei durch die Materie noch die schlechten Begierden; denn wenn der Zustand durch die Schlechtigkeit des Leibes entstehe, so thue das nicht die Materie sondern die Form, z.B. Wärme, Kälte, Bitteres und was es sonst für Geschmacksarten giebt, ferner Vollsein und Leersein und zwar Vollsein nicht schlechthin sondern Vollsein von bestimmten Dingen, und überhaupt sei es das bestimmte Sein, welches den Unterschied der Begierden und, wenn man will, der falschen Meinungen mache, so dass also mehr die Form als die Materie das Böse sei – : so wird er nichtsdestoweniger auch so zu dem Zugeständniss genöthigt werden, dass die Materie das Böse sei. Denn was die bestimmte Eigenschaft an der Materie thut, das thut sie nicht als eine getrennte, wie auch die Gestalt der Axt nicht ohne Eisen wirkt. Ferner sind auch die Formen in der Materie nicht dieselben, die sie sein würden, wenn sie für sich bestünden, sondern materielle Begriffe, in der Materie verdorben und mit ihrer Natur erfüllt; denn auch das Feuer an und für sich brennt nicht, noch etwas anderes von den Dingen an sich wirkt dasjenige, was wenn es in der Materie vor sich geht, als Wirkung bezeichnet wird. Denn als Herrin über das, was in sie eingestrahlt ist, verdirbt und vernichtet sie es, indem sie ihre eigene entgegengesetzte Natur daneben stellt, nicht so zwar dass sie das Kalte an das Warme heranbringt, sondern so dass sie an die Form des Warmen ihre eigene Formlosigkeit heranführt, und die Gestaltlosigkeit an die Gestalt und Uebermaass und Mangel an das Gemessene, bis sie es zu einem Theil von sich macht und ihm sein eigenes Wesen nimmt, wie bei der Nahrung der Thiere das Hineingebrachte nicht mehr ist als was es hineinkam, sondern etwa Hundeblut und ganz hundeartig, und alle Säfte entsprechend dem, was sie aufgenommen hat. Wenn also der Leib die Ursache des Bösen ist,[63] so würde auch in diesem Falle die Materie das Böse sein. Aber er hätte sie bewältigen sollen, wird ein anderer sagen. Allein das was sie bewältigen kann, ist nicht rein, wenn es nicht flieht. Auch sind die Begierden heftiger durch diese oder jene bestimmte Mischung der Körper, in diesem solche, in einem andern andere, so dass die Bewältigung nicht möglich ist in einem jeden – so sind auch einige stumpf zum Urtheilen, denn durch die Schlechtigkeit der Körper sind sie erkaltet und gehindert –; die entgegengesetzten hinwiederum machen die Menschen leichtfertig und wankelmüthig. Dies bezeugen auch die zeitweiligen Stimmungen. Denn sind wir voll, so haben wir andere Begierden und Gedanken als wenn wir leer sind, und anders sind wir wenn wir auf diese, anders wenn wir auf jene Weise vollgefüllt sind. Es sei also in erster Linie das Maasslose böse, das aber, was in dieser Maasslosigkeit sich befindet, gleichviel ob es durch Verähnlichung oder Theilnahme dieselbe zur Eigenschaft erhalten hat, in zweiter Linie böse; und gleicherweise in erster Linie die Finsterniss, in zweiter das Verfinsterte. Die Schlechtigkeit nun als Unwissenheit und Maasslosigkeit an der Seele ist in zweiter Linie böse und nicht an sich böse; ist doch auch die Tugend nicht ein erstes Gute, sondern weil sie ihm ähnlich geworden ist oder Antheil an ihm genommen hat.

9. Womit haben wir das nun erkannt? und vorab womit die Schlechtigkeit? Die Tugend sicherlich mit dem Geiste selbst und dem Denken – denn sie erkennt sich selbst – aber die Schlechtigkeit wie? Etwa wie mit einem Richtscheit das Grade und Nichtgrade, so auch das zur Tugend nicht Passende? Erkennen wir es nun sehend oder nicht sehend? Die Schlechtigkeit meine ich. Die absolute Schlechtigkeit gewiss nicht sehend, denn sie ist ein Unbegrenztes; durch Abstraction also das, was nirgends ein Concretes ist, die nicht absolute aber an dem Mangel dieses. Indem wir nun einen Theil sehen, schliessen wir von dem vorhandenen Theil auf den fehlenden, welcher in der ganzen Gestalt ist, hier aber fehlt, und sprechen so von Schlechtigkeit, indem wir das Fehlende im Unbestimmten lassen. Und sehen wir an der Materie gleichsam ein hässliches Gesicht, da der Begriff in ihr nicht genug zur Herrschaft gekommen um die Hässlichkeit der Materie zu verbergen, so stellen wir es uns als hässlich vor durch den Mangel der Form. Aber was ganz und gar keine Form erhalten hat, wie das? Indem wir durchaus von jeglicher Form abstrahiren, bezeichnen wir das, worin sich[64] keine Formen finden, als Materie, sowie wir in uns ebenfalls durch Abstrahiren von jeder Form Gestaltlosigkeit wahrnahmen, wenn wir die Materie sehen wollten. Daher ist dieser Geist auch ein anderer, ein Ungeist, der das zu sehen sich erkühnt, was nicht seines Wesens ist. Wie ein Auge, das sich vom Licht entfernt um die Finsterniss zu sehen und nicht zu sehen durch Verlassen des Lichts, mit welchem es jene nicht sehen konnte – andererseits war ihm ohne dasselbe auch das Sehen unmöglich, aber das Nichtsehen möglich, damit es ihm vorkomme als sei ein Sehen der Finsterniss möglich – so also lässt auch der Geist, sein eigenes innerliches Licht aufgebend und aus sich gleichsam heraustretend in das, was nicht seines Wesens ist, ohne sein eigenes Licht daranzuhalten das Gegentheil von seinem Wesen auf sich wirken, um sein Gegentheil zu sehen.

10. Doch soweit hiervon. Da aber die Materie qualitätslos ist, wie kann sie böse sein? Qualitätslos wird sie genannt, insofern sie an sich selbst nichts von den Qualitäten hat, die sie aufnehmen soll und die an ihr wie an einem Substrat haften sollen, nicht jedoch so als habe sie keine Natur. Hat sie aber eine Natur, was hindert, dass diese Natur schlecht sei, freilich nicht im Sinne einer Qualität schlecht? Ist doch auch Qualität dasjenige, demgemäss ein anderes irgendwie qualificirt wird. Die Qualität ist also ein Accidens und an einem andern; die Materie aber ist nicht in einem andern sondern das Substrat, und das Accidens findet sich an diesem. Da ihr also keine Qualität zukommt, welche die Natur eines Accidens hat, so wird sie qualitätslos genannt. Wenn nun also auch die Qualität selbst qualitätslos ist, wie sollte die Materie, die eine Qualität nicht angenommen hat, irgendwie qualificirt genannt werden? Mit Recht also wird sie qualitätslos und böse genannt; denn sie wird nicht böse genannt, weil sie Qualität hat, sondern vielmehr weil sie Qualität nicht hat, damit sie nicht etwa böse wäre als Form und nicht vielmehr als die der Form entgegengesetzte Natur.

11. Aber die jeder Form entgegengesetzte Natur ist Beraubung; Beraubung aber findet sich stets in einem andern und ist an sich keine Substanz; daher wird das Böse, wenn es in der Beraubung liegt, in dem liegen was der Form beraubt ist, also an sich selbst nicht sein können. Wenn nun in der Seele Böses ist, so wird die Beraubung in ihr das Böse und die Schlechtigkeit sein und nichts ausserhalb. Allerdings wollen nun einige Lehren die Materie ganz aufheben, andere behaupten,[65] sie sei nicht böse. Jedenfalls also darf man das Böse nicht von anderswoher suchen, sondern man muss es in die Seele setzen und zwar als Abwesenheit des Guten. Aber wenn die Verneinung die einer nach dem Sein sich streckenden Form ist, so hat, wenn die Beraubung des Guten in der Seele geschieht und diese die Schlechtigkeit in sich durch ihren Begriff hervorbringt, die Seele nichts Gutes, also auch, obwohl sie Seele ist, doch kein Leben. So wird also die Seele etwas unbeseeltes sein, wenn sie nicht einmal Leben hat, so dass sie als Seele nicht Seele sein wird. Nun hat sie aber durch ihren Begriff Leben, also hat sie die Verneinung des Guten nicht aus sich. Demnach ist sie etwas gutartiges, indem sie eine gute Spur des Geistes hat, und ist nicht schlecht aus sich; also ist sie auch nicht das ursprünglich Böse noch hat sie das ursprünglich Böse als ihr Accidens, weil nicht jedes Gute gänzlich von ihr fern ist.

12. Wie aber, wenn nun jemand die Schlechtigkeit und das Schlechte in der Seele nicht als völlige Verneinung bezeichnet, sondern nur als theilweise Verneinung? Ist dies, so wird sie, einerseits im Besitze des Guten, andererseits desselben beraubt, eine gemischte Empfindung haben und kein gemischtes Böse, und das erste und eingemischte Böse ist noch nicht gefunden; dann wird die Seele das Gute haben als ihr Wesen, das Böse als ein Accidens.

13. Vielleicht aber ist es für das Gute böse als ein Hinderniss, wie es dergleichen für das Auge giebt zum Sehen. Aber so wird für sie das Böse Veranlassung und Grund in der Weise sein, dass das Böse an sich hiervon verschieden ist. Wenn nun die Schlechtigkeit ein Hinderniss ist für die Seele, so wird sie Böses hervorrufen, aber die Schlechtigkeit wird nicht das Böse sein. So auch die Tugend nicht das Gute, vielmehr gleichsam nur behülflich dazu; folglich wenn die Tugend nicht das Gute ist, auch die Schlechtigkeit nicht das Böse. Ferner ist auch die Tugend nicht das Schöne selbst noch das an sich Gute, also auch die Schlechtigkeit nicht das Hässliche selbst noch das an sich Böse. Wir bezeichneten aber die Tugend nicht als das an sich Schöne noch an sich Gute, weil das an sich Schöne und an sich Gute vor und jenseits derselben liegt; und irgendwie durch Theilnehmen ist sie gut und schön. Wie wir nun von der Tugend aufsteigend zu dem Schönen und dem Guten gelangen, so auch von der Schlechtigkeit herabsteigend zu dem Bösen selbst; wir schauen es soweit ein Schauen des an sich Bösen möglich, wir werden es durch[66] das Theilnehmen daran; denn man geräth gänzlich in den Ort der Unähnlichkeit, dort taucht man in dieselbe ein und wird in dunkeln Schmutz hineinfallen; hat ja auch die Seele, wenn sie völlig in das vollendete Böse gehen sollte, nicht mehr die Schlechtigkeit, sondern eine andere und zwar schlechtere Natur hat sie eingetauscht; denn die Schlechtigkeit ist doch noch etwas menschliches, mit einem ihr Entgegengesetzten gemischt. Sie stirbt also, soweit eine Seele sterilen kann, und der Tod besteht für sie, wenn sie noch in den Körper versenkt ist, darin dass sie in der Materie untersinkt und mit ihr angefüllt wird, wenn sie ihn verlassen hat, darin dass sie dort liegt, bis sie wieder emporeilt und irgendwie den Blick vom Schmutz hinwegwendet; und dies bedeutet es, in den Hades gehen und einschlafen.

14. Wenn aber jemand die Schlechtigkeit eine Schwäche der Seele nennt – denn die schlechte Seele sei leicht afficirbar und leicht beweglich, von jedwedem zu jedwedem Bösen getragen, leicht beweglich zu Begierden, leicht reizbar zum Zorn, sehr schnell zum Nachgeben, dunkeln Vorstellungen leicht nachgebend, vergleichbar einem äusserst schwachen Machwerk der Kunst oder Natur, das leicht durch einen Lufthauch oder Sonnenstrahl zerstört wird – : so wäre es der Untersuchung wohl werth, worin die Schwäche der Seele besteht und woher sie ihr kommt. Denn die Schwäche in der Seele ist doch nicht wie die in den Körpern, sondern wie dort das Unvermögen zur Thätigkeit und die Reizbarkeit Schwäche heisst, so ist hier nach der Analogie dasselbe Wort übertragen; es müsste denn sein, dass für sie auf dieselbe Weise die Materie Grund der Schwäche wäre. Aber treten wir näher mit dem begrifflichen Denken heran um zu fragen, welches die Ursache in der sogenannten Schwäche der Seele sei; denn sicherlich macht weder Dichtigkeit oder Lockerheit, noch auch Magerkeit oder Dicke oder Krankheit wie eine Art Fieber die Seele schwach. Nothwendig muss nun eine solche Schwäche der Seele sich entweder in den gänzlich abgetrennten oder den materiellen Seelen oder in beiden finden. Wenn aber nicht in den von der Materie abgesonderten – denn sie sind alle rein und wie man sagt beflügelt und vollkommen und verrichten ungehindert ihr Werk – so bleibt übrig, dass die Schwäche in den gefallenen sei, die weder rein noch gereinigt sind, und für sie würde die Schwäche nicht Wegnahme von etwas, sondern Anwesenheit eines Fremdartigen sein, wie von Schleim oder Galle im Körper. Nimmt man aber die Ursache[67] des Falls der Seele genauer und zuverlässig, wie man es muss, so wird das Gesuchte klar werden. Es giebt nun im Seienden Materie, es giebt auch Seele, und gewissermaassen einen Ort [für beide]. Denn nicht ist der Ort gesondert für die Materie, gesondert auch für die Seele – etwa in der Erde für die Materie, in der Luft für die Seele – sondern der Ort für die Seele ist dadurch gesondert dass er nicht in der Materie ist, das aber will heissen, dass die Materie nicht mit der Materie vereinigt ist und dies wieder, dass nicht ein Ding aus ihr und der Materie geworden, und dies, dass sie nicht an der Materie als ihrem Substrat geworden, und das endlich heisst ›gesondert sein‹. Es giebt aber viele Kräfte der Seele und die Seele hat Anfang, Mitte und Ende; die Materie aber, die zugegen ist, verlangt mehr und stürmt gleichkam und will in das Innere eindringen; der Ort im ganzen aber ist heilig und es giebt nichts, was der Seele untheilhaftig wäre. Sie wird nun erleuchtet, indem sie sich unterschiebt, dasjenige jedoch, von dem aus sie erleuchtet wird, kann sie nicht lassen; denn jenes liebt sie nicht trotz ihrer Anwesenheit, ja es sieht sie nicht einmal wegen ihrer Schlechtigkeit. Die Einstrahlung aber und das Licht von dort verdunkelt sie ihrerseits durch Mischung und macht es schwach, indem sie selbst das Werden darreicht und die Ursache für das Hineinkommen, denn zu dem nicht Vorhandenen wurde die Seele nicht kommen. Und das ist der Fall der Seele, auf diese Weise in die Materie zu kommen und schwach zu sein, deshalb weil nicht alle Kräfte in Wirksamkeit treten, da die Materie sie am Erscheinen hindert, dadurch dass sie den Ort, den jene inne hat, in Beschlag nimmt und so gleichsam jene auf einen kleinen Raum beschränkt, was sie aber, wie durch Diebstahl eingenommen, schlecht macht, bis die Seele etwa wieder von ihr enteilen kann. Die Materie ist also für die Seele Ursache der Schwache und Ursache der Schlechtigkeit. Sie ist also ursprünglicher böse und das Urböse. Denn auch wenn die Seele selbst, von der Materie afficirt, ihre erzeugende Thätigkeit begonnen und mit ihr sich verbunden hätte und schlecht geworden wäre, so bleibt doch die Materie die Ursache durch ihr Dasein; denn sie wurde nicht in dieselbe gerathen sein, hatte sie nicht durch das Vorhandensein derselben ihre zeugende Kraft erhalten.

15. Wenn aber jemand behauptet, die Materie existire garnicht, so muss ihm aus den Abhandlungen über die Materie die Nothwendigkeit ihrer Subsistenz bewiesen werden, da dort des weiteren darüber gesprochen ist. Wenn aber jemand sagt,[68] Böses gebe es überhaupt nicht unter dem Seienden, so muss er auch das Gute aufheben und jedes Ziel des Strebens in Abrede stellen. Dann giebt es auch kein Verlangen, kein Vermeiden, kein Denken; denn das Verlangen ist auf das Gute gerichtet, das Vermeiden auf das Böse, das Denken und Ueberlegen auf das Gute und Böse und auch dieses ist eins von dem Guten. Es muss demnach sowohl ein Gutes als ungemischtes Gutes geben, so auch ein aus Bösem und Gutem Gemischtes, und dabei strebt dasjenige, bei welchem das Böse bereits den grössern Theil ausmacht, auch selbst mit zu jenem gänzlich Bösen hin, wo es aber den geringem Theil ausmacht, eben dieses geringem Gehaltes wegen, zum Guten; denn was könnte es sonst für die Seele Böses geben? oder für welche Seele, die nicht mit der schlechteren Natur in Verbindung getreten wäre? Dann gäbe es ja auch keine Begierden, keine Traurigkeit, keinen Zorn, keine Furcht; denn aus dem Zusammengesetzten entspringt die Furcht, es möchte aufgelöst werden, und Trauer und Schmerzen, wenn es aufgelöst wird; Begierden aber, wenn etwas den Bestand beunruhigt oder Vorsorge getroffen wird, damit es nicht lästig falle. Vorstellung aber ist ein von aussen kommender Eindruck eines unvernünftigen Etwas, und die Seele nimmt den Eindruck auf, weil sie nicht ungetheilt ist; falsche Meinungen kommen ihr, wenn sie ausserhalb des Wahren selbst gerathen ist, und dies geschieht dadurch dass sie nicht rein ist. Aber das Streben nach dem Geiste ist etwas anderes; denn sie soll ausschliesslich mit ihm zusammen sein und in ihm sicher wohnen ohne nach dem Schlechteren zu blicken. Das Böse aber ist nicht ausschliesslich für sich allein wegen der Macht und Natur des Guten, da es ja nothwendig mit allerlei schönen Fesseln umwunden erscheint, wie manche Gefangene mit goldenen Fesseln. Es wird aber hierdurch verhüllt, damit es in seinem Vorhandensein von den Göttern nicht gesehen werde, auch die Menschen nicht immer das Böse zu sehen brauchen, sondern, wenn sie es auch sehen, es mit Bildern des Schönen behufs der Erinnerung zu thun haben.[69]

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 56-70.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon