Zweites Buch.
Ueber die Bewegung des Himmels oder
Ueber die Kreisbewegung

[82] 1. Warum bewegt sich der Himmel im Kreise? Weil er die Vernunft nachahmt. Und wem kommt die Bewegung zu? der Seele oder dem Leibe? Wie so denn? Der Seele etwa, weil sie in sich selbst ist und immer zu sich selbst zu gehen strebt? oder weil sie ohne zusammenhängend zu sein doch in sich ist? oder indem sie sich bewegt die Bewegung zusammenhält? Aber wenn sie die Bewegung zusammenhält, müsste sie nicht mehr bewegen sondern bewegt haben d.h. vielmehr zum Stehen gebracht haben und nicht immer im Kreise bewegen. Vielleicht steht sie auch selbst still, oder wenn sie sich bewegt , so bewegt sie sich wenigstens nicht örtlich. Wie bewegt sie nun örtlich, wenn sie sich selbst auf eine andere Art bewegt? Nun, vielleicht ist auch die Kreisbewegung keine örtliche. Aber, falls sie dies doch zufällig ist, was für eine ist sie denn? Es ist eine Bewegung, deren Empfindung auf sich selbst zurückgeht, selbstbewusst, lebenerzeugend, nirgends ausserhalb noch anderwärts, da sie alles umfassen muss; denn das leitende Princip im Organismus umfasst ihn und macht ihn zu einer Einheit. Es wird ihn aber nicht lebenerzeugend umfassen, wenn es ruht, noch als etwas körperliches das Innere des Körpers erhalten; denn auch das Leben des Körpers ist Bewegung. Wenn sie nun auch eine örtliche Bewegung hat, wird sie sich bewegen so gut sie kann, und nicht als Seele allein sondern als beseelter Körper, als Organismus. Daher ist ihre Bewegung gemischt aus einer körperlichen und seelischen Bewegung, indem der Körper sich von Natur in gerader Linie bewegt, die Seele aber das zusammenhaltende Band bildet und aus beiden ein sich Bewegendes und Beharrendes entsteht. Wenn man aber die Kreisbewegung für eine Bewegung des Körpers ausgiebt, wie ist das möglich, da jeder Körper wie auch das Feuer sich in gerader Richtung bewegt? Nun, es bewegt sich in gerader Richtung, bis es dahin gelangt wo es seinen Platz hat; denn so wie es seinen Platz empfangen hat, scheint es naturgemäss stille zu stehen und sich dahin zu bewegen wo ihm sein Platz angewiesen ist. Weshalb bleibt es also nicht stehen nach seiner Ankunft? Sicherlich doch, weil das Feuer seine Natur in der Bewegung hat. Bewegt es[82] sich nun nicht im Kreise, so wird es in gerader Richtung zerstreut werden; es muss sich also im Kreise bewegen. Und dies ist ein Werk der Vorsehung oder vielmehr liegt durch die Vorsehung in ihm, so dass es, wenn es dort oben angekommen, sich aus sich selbst im Kreise bewegt. Oder aber indem das Feuer der geraden Richtung zustrebt und keinen Ort mehr hat, so gleitet es gleichsam aus und kehrt an den Ort um wo es ihm möglich ist; denn es hat keinen Ort nach sich, sein eigener Ort ist ja der äusserste. Es läuft also in dem Ort, den es inne hat, und ist sich selbst sein eigener Ort, nicht um dort oben angekommen stille stehen zu bleiben, sondern um sich zu bewegen. Nun steht im Kreise der Mittelpunkt von Natur still, und wenn auch die äussere Peripherie stehen bliebe, so würde sie ein grosser Mittelpunkt sein. Vielmehr also wird sie sich bei einem lebendigen und naturgemässen Körper um den Mittelpunkt bewegen. Denn so wird dieser sich nach dem Mittelpunkt hinneigen nicht durch Zusammenfallen mit ihm – dadurch würde er den Kreis verlieren – sondern, da er dies nicht kann, durch Herumdrehen um ihn; denn so allein wird er sein Streben erfüllen. Wenn ihn aber die Seele herumführt, so wird er nicht müde werden; denn die Seele zieht ihn nicht, auch widerspricht die Bewegung nicht seiner Natur, denn seine Natur ist das von der Weltseele Angeordnete. Da ferner die Weltseele überall ganz und ungetheilt ist, so giebt sie auch dem Himmel an seinem Theile die Eigenschaft überall zu sein, soweit er es kann; er kann es aber dadurch dass er überallhin mitgebt und mitzieht. Er würde nämlich, wenn die Seele irgendwo stille stünde, dort angekommen auch stille stehn. Nun aber, da sie ganz sich selber angehört, strebt er nach allem. Wie denn? Wird er sie niemals erreichen? Nun eben auf diese Weise erreicht er sie immer, oder vielmehr, indem sie ihn immer zu sich führt, so bewegt sie ihn stets bei dem steten Führen, und da sie ihn nicht anderswohin bewegt sondern nach sich zu demselben Orte, so führt sie ihn nicht in gerader Richtung sondern im Kreise und verleibt ihm, wohin er auch kommt, sie dort zu haben. Wenn sie stille stünde, etwa da befindlich wo alles stille steht, so wird er auch stille stehen. Wenn sie aber nicht allein dort an irgendeinem Orte ist, so wird er sich überall bewegen und zwar nicht nach aussen hin, im Kreise also.

2. Wie bewegen sich nun die andern Dinge? Von ihnen ist ja nicht jedes das Ganze sondern nur ein Theil und beschrankt auf einen besondern Ort. Jenes aber ist das Ganze[83] und gleichsam der Ort als solcher, und nichts ist ihm hinderlich, es ist selbst das All. Und wie bewegen sich die Menschen? Nun, soweit sie in Abhängigkeit stehen vom All, sind sie ein Theil; soweit ihnen das Ich zukommt, bilden sie ein eigenes Ganzes. Wenn nun der Himmel überall wo er ist die Seele hat, was braucht er herumzugehen? Doch wohl weil sie nicht ausschliesslich an jenem bestimmten Orte ist. Erstreckt sich aber ihre Kraft um ihre Mitte, so entsteht auch auf diese Weise eine Kreisbewegung. Mitte darf man aber nicht in gleicher Weise vom Körper und von der Natur der Seele verstehen, sondern dort ist die Mitte der Punkt von wo aus die andere kommt, für den Körper etwas Örtliches. Mitte ist also im Sinne einer Analogie zu nehmen. Wie dort, so muss auch hier eine Mitte sein, was eigentlich allein die Mitte eines kugelförmigen Körpers ist. Denn wie jenes sich um sich selbst bewegt, so auch dieser. Wenn also die Seele um Gott herumläuft, so umfasst sie ihn mit Liebe und hält sich soweit ihr möglich um ihn auf; denn an ihm hängt alles. Da sie nun nicht mit ihm sein kann, so ist sie um ihn. Warum nun nicht alle so? Aber doch eine jede da wo sie ist so. Warum nun nicht auch unsere Körper so? Weil die Bewegung in gerader Linie uns anhaftet und die Triebe auf anderes gehen und das Kugelförmige an uns sich nicht leicht bewegt; denn es ist erdig, dort aber gellt es als dünn und leicht beweglich mit. Weshalb sollte es auch wohl stille stehen, wenn sich die Seele in irgendwelcher Richtung bewegt? Vielleicht thut auch bei uns der die Seele umgebende Geist dasselbe. Denn wenn Gott in allem ist, so muss die Seele, die sich mit ihm vereinigen will, sich um ihn herumbewegen, da er nicht an einem bestimmten Orte ist. Und auch Plato giebt den Gestirnen nicht bloss die Kugelbewegung mit dem Weltall, sondern auch jedem einzelnen die Bewegung um seinen eigenen Mittelpunkt. Denn indem ein jedes da wo es ist Gott umfasst, so gerath es in Entzücken nicht in Folge einer vernünftigen Ueberlegung sondern in Folge einer Naturnothwendigkeit.

3. Es mag aber auch so sein: die Seele ist einerseits die niedrigste Kraft, die von der Erde ausgeht und sich durch das Allverbreitet, andererseits aber, zum Wahrnehmen geschaffen und mit der Vorstellungen bildenden Vernunft ausgerüstet, hält sie sich nach oben in den Sphären, regiert auch die niedere und theilt ihr von ihrer Kraß mit um sie lebenskräftiger zu machen. Sie wird nun im Kreise bewegt von ihr, die alles umfasst und allem anhaftet, was von ihr zu den Sphären[84] emporgeeilt ist. Indem sie nun jene im Kreise umfasst, wendet sie sich hinneigend ihr zu, und diese ihre Hinneigung setzt den Körper, mit dem sie verflochten ist, in Bewegung. Denn wenn ein Theil in einer Kugel sich irgendwie bewegt und zwar bleibend bewegt, erschüttert er das worin er ist und die Kugel erhält Bewegung. Ebenso findet bei unsern Körpern, wenn die Seele sich in ihrer besondern Weise bewegt, wie bei der Freude und dem Erscheinen des Guten, auch eine örtliche Bewegung des Körpers statt. Da nun die Seele sich dort im Guten befindet und zum Wahrnehmen geschickter geworden ist, so bewegt sie sich hin zum Guten und bringt den Körper dort seiner Natur gemäss örtlich in Bewegung. Und indem ihrerseits auch die wahrnehmende Seele von dem Höheren aus das Gute und ihr Wesen empfängt, so folgt sie ihm freudig nach, und da es überall ist, so bewegt sie sich überallhin mit. Die Vernunft aber bewegt sich keineswegs, sie steht still und bewegt sich, um sich selbst nämlich. So steht also auch das All, indem es sich im Kreise bewegt, zugleich still.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 82-85.
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