Siebentes Buch.
Ueber die totale Mischung

[123] 1. Wir wollen eine Untersuchung über die sogenannte totale Mischung der Körper anstellen. Ist es möglich, dass wenn ein flüssiger Körper total mit einem andern flüssigen Körper zusammengemischt wird, jeder von beiden durch den andern oder nur der eine von beiden durch den andern ganz und gar hindurchgeht? Denn es ist kein Unterschied, wenn die Mischung überhaupt vor sich gebt, auf welche von beiden Weisen sie vor sich geht. Wir lassen diejenigen bei Seite,[123] welcher den Vorgang auf Nebeneinandersetzung beruhen lassen, da sie nicht sowohl mischen als mengen, wenn anders die Mischung des Ganzen zu etwas aus gleichartigen Theilen Bestehendem machen muss und jeder kleinste Theil aus den Stoffen bestehen muss, welche betreffenden Falls gemischt werden. Diejenigen nun, welche bloss die Qualitäten mischen, die Materie beider Körper aber nebeneinanderstellen und über sie die beiderseitigen Qualitäten hinführen, mögen eher Beachtung verdienen, indem sie die totale Mischung damit angreifen, dass die Grössen der Massen in Schnitte aufgehen müssen, wenn kein Zwischenraum zwischen einem der beiden Körper sich vorfindet, wenn die Zertheilung dadurch dass in jeder Hinsicht eine beiderseitige Durchdringung stattfindet continuirlich wird, und ferner, wenn das Gemischte einen grössern Raum einnimmt als das eine von beiden und zwar einen so grossen als der Ort eines jeden einzelnen ist, nachdem sie zusammengebracht sind. Und doch, wenn ein Ganzes durch ein Ganzes total hindurchgegangen wäre, sagen sie, müsste der Ort des einen, in welchen der andere hineingeworfen wurde, derselbe bleiben. Wo aber der Ort nicht grösser wird, da geben sie gewisse Ausströmungen von Luft als Grund an, an deren Stelle das eine eindrang. Und wie soll das Kleine im Grössern so ausgebreitet werden, um total hindurchzugehen? Und noch vieles andere sagen sie. Diejenigen Philosophen, welche eine totale Mischung annehmen, können sagen, dass ein Schneiden stattfindet ohne dass die Grösse der Massen dabei aufzugehen braucht, auch wenn totale Mischung stattfindet; wird man doch auch nicht sagen, dass der Schweiss ein Zerschneiden oder Durchbohren des Körpers zu Wege bringt. Denn wenn auch einer sagen wollte, immerhin könne die Natur es so veranstaltet haben um den Schweiss durchzulassen, so könne man doch an künstlich gearbeiteten Gegenständen, wenn sie dünn sind und mit einander zusammenhängen, sehen, dass das Feuchte sie total durchzieht und auf der einen Seite durchfliesst. Aber wenn es Körper sind, wie kann dies stattfinden? Denn dass sie durchgehen ohne zu schneiden, kann man sich nicht leicht denken; wenn sie sich aber überall schneiden, so werden sie sich offenbar vernichten. Wenn sie aber sagen, oftmals fänden keine Vergrösserungen statt, so räumen sie ihren Gegnern ein, Ausströmungen der Luft als Grund anzugeben. Hinsichtlich der Vergrösserung der Oerter ist es zwar schwer Auskunft zu geben, immerhin lässt sich jedoch sagen, dass da jeder Körper mit den andern Beschaffenheiten auch die Grösse mit sich[124] bringt, nothwendig auch die Vergrösserung stattfinden müsse. Denn diese könne sowenig wie die andern Eigenschaften zu Grunde gehen, und wie dort eine andere aus beiden gemischte Form entstehe, so auch eine andere Grösse, wobei denn das Gemisch die Grösse aus beiden hervorbringt. Aber hier können ihnen die Gegner erwidern: wenn Materie neben Materie und Masse neben Masse liegt, welcher die Grösse anhaftet, so sprecht ihr unsre Meinung aus. Wenn aber bei totaler Mischung auch die Materie mit der an ihr ursprünglich befindlichen Grösse hindurchdringt, so geschieht es nicht so wie wenn eine Linie an der andern liegt, so dass sie sich mit ihren Endpunkten berühren, wo allerdings Vergrösserung stattfindet, sondern so wie wenn eine Linie mit einer andern zusammenfällt, woher keine Vergrösserung stattfindet. Das Kleinere aber geht durch das ganze Grössere und das Kleinste durch das Grösste, wo eine offenbare Mischung vorliegt. Denn wo es nicht offenbar ist, kann man sagen, dass es nicht gänzlich durchdringt, aber wo es offenbar der Fall ist, lässt sich das nicht sagen; und wenn sie von Ausdehnung der Massen sprechen, so sagen sie nichts recht glaubliches, indem sie die kleinste Masse so sehr ausdehnen; denn nicht durch Veränderung des Körpers geben sie ihm mehr Grösse, wie wenn aus Wasser Luft wird.

2. Das aber muss für sich besonders untersucht werden, was geschieht wenn dasjenige, was eine Wassermasse war, Luft wird, woher die grössere Masse in dem Gewordenen kommt. Für jetzt indessen möge das Mitgetheilte genügen, obgleich noch vieles andere von beiden Seiten gesagt wird. Wir wollen vielmehr für uns betrachten, was man hierüber sagen muss, welche Ansicht sich mit dem Gesagten als übereinstimmend oder als sonstwie ausser den vorgebrachten vorhanden ergeben wird. Wenn nun das Wasser durch die Wolle fliesst oder das Papier das in ihm befindliche Wasser austropfen lässt, wie geht es zu, dass nicht der ganze wässrige Körper durch dasselbe hindurchgeht? Oder auch, wenn es nicht hindurchfliesst, wie wollen wir die Materie mit der Materie und die Masse mit der Masse in Berührung bringen, dagegen die Beschaffenheiten allein eine Mischung eingehen lassen? Denn die Materie des Wassers wird doch nicht ausserhalb des Papiers daneben liegen, noch auch andererseits in einigen Poren desselben; denn das Papier ist ganz und gar feucht und nirgends ist die Materie der Qualität bar. Ist aber überall die Materie mit ihrer Qualität, so ist überall im Papier das Wasser. Sagt man nicht das Wasser sondern die Qualität des Wassers, wo ist dann[125] das Wasser? Wie kommt es denn, dass die Masse nicht dieselbe ist? Nun, das Hinzugefügte hat das Papier ausgedehnt, es empfing Grösse von dem Hineingekommenen. Aber, wenn es empfing, wurde eine gewisse Masse hinzugefügt; wurde sie aber hinzugefügt, so wurde sie nicht in dem andern verschluckt. Es muss also die Materie an verschiedenen Orten sein. Aber weshalb sollte nicht, wie der eine Körper dem andern von seiner Beschaffenheit mittheilt und von ihm empfängt, es so auch bei der Grösse sein? Denn wenn eine Qualität mit einer Qualität zusammenkommt, ohne jene zu sein, sondern in Verbindung mit einer andern, so ist sie, eben durch ihre Verbindung mit einer andern nicht rein und darum nicht vollständig jene sondern geschwächt; Grösse aber, die mit einer Grösse zusammenkommt, verschwindet nicht. Mit welchem Recht indessen von einem Körper, der ganz durch einen andern geht, gesagt wird, er durchschneide ihn, lässt sich beanstanden. Wir wenigstens sagen, dass die Qualitäten durch die Körper gehen ohne sie zu durchschneiden. Man wird sagen, weil sie unkörperlich sind. Aber wenn die Materie selbst körperlos ist, warum gehen, wenn dir Materie körperlos ist und von den Qualitäten einige wenige so beschaffen sind, diese mit der Materie nicht auf dieselbe Weise hindurch, während das Feste nicht hindurchgeht, weil es durch seine Qualitäten verhindert wird hindurchzugehen, oder weil viele Qualitäten zugleich nicht im Stande sind mit der Materie dies zu thun? Wenn nun die Menge der Qualitäten den sogenannten dichten Körper macht, so würde die Menge die Ursache davon sein. Wenn aber die Dichtigkeit eine besondere Qualität ist, wie desgleichen die sogenannte Körperlichkeit, so ist die besondere Qualität die Ursache. Folglich werden nicht die Qualitäten als solche die Mischung hervorbringen, sondern als so und so beschaffene, und es wird auch nicht die Materie als solche sich gegen die Mischung streuben, sondern als Materie mit der und der Qualität, und zumal, wenn sie eigene Grösse nicht hat ausser in dem Fall, wo sie die Grösse nicht verschmäht hat. Hierüber also möge diese Reflexion genügen.

3. Da wir aber die Körperlichkeit erwähnt haben, so wollen wir untersuchen, ob die Körperlichkeit das aus allem Zusammengesetzte oder ob sie eine Form und ein Begriff ist, der in die Materie hineingedrungen den Körper macht. Wenn nun das aus allen Beschaffenheiten mit der Materie Bestehende eben der Körper ist, so ist das auch die Körperlichkeit. Wenn es aber der Begriff ist, der durch sein Hinzutretenden Körper[126] macht, so hat offenbar der Begriff alle Qualitäten in sich befasst. Es muss aber dieser Begriff, wenn er nicht bloss eine Art erklärender Definition vom Wesen des Dinges ist, sondern ein das Ding erschaffender Begriff, die Materie nicht mit belassen, sondern ein Begriff an der Materie sein und in sie hineindringend den Körper zu Stande bringen, und es muss der Körper Materie mit dem ihm innewohnenden Begriff sein, er selbst aber als Form für sich ohne Materie betrachtet werden, auch wenn er selbst noch so untrennbar wäre. Denn der getrennte ist ein anderer, der Begriff in der Intelligenz; er ist aber in der Intelligenz, weil er selbst Intelligenz ist. Aber davon an einem andern Ort.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 123-127.
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