Neuntes Buch.
Gegen die Gnostiker oder
Gegen die welche sagen, der Weltbildner sei schlecht und die Welt sei schlecht

[129] 1. Da sich uns also die Natur des Guten als ein Einfaches und Erstes erwiesen hat (denn alles nicht Erste ist nicht einfach), das da nichts in sich hat, sondern etwas Einiges ist und identisch mit der Natur des sogenannten Einen – denn auch diese ist nicht ein Anderes und dann das Eine, sowenig als dieses ein Anderes und dann das Gute: so müssen wir, wenn wir vom Einen und wenn wir vom Guten sprechen, dieselbe eine Natur darunter verstehen und sie als eine bezeichnen, ohne von ihr damit etwas auszusagen; wir suchen sie uns nur[129] soweit als möglich deutlich zu machen. Selbst das Prädikat das Erste legen wir ihm in dem Sinne bei, dass es das Einfachste ist, und selbstgenugsam nennen wir es, weil es nicht aus mehrerem besteht – denn dann wird es von seinen Bestandtheilen abhängig sein; es ist nicht in einem Andern, weil alles was in einem Andern ist auch von einem Andern herrührt. Wenn es nun weder von einem Andern ausgeht noch in einem Andern sich befindet noch irgend eine Zusammensetzung ist, so kann nothwendiger Weise nichts über ihm sein. Man darf also nicht zu andern Principien fortgehen, sondern muss dieses voranstellen, dann den Geist nach ihm und das Erstdenkende, dann die Seele nach dem Geist – denn dies ist die naturgemässe Anordnung; auch darf man nicht mehr noch weniger als dies im Reiche des Intelligibeln setzen. Denn setzt man weniger, so wird man entweder Seele und Geist als identisch bezeichnen, oder den Geist und das Erste. Dass diese aber von einander verschieden sind, ist vielfach gezeigt worden. So bleibt denn für jetzt zu betrachten übrig, ob es mehr als diese drei giebt. Was für Naturen konnten nun wohl ausser ihnen existiren? Ein einfacheres und höher stehendes Princip als das des Alls, wie es soeben näher bestimmt worden, kann wohl niemand finden. Denn man wird doch nicht sagen, dass es eins der Möglichkeit nach, eins der Wirklichkeit nachgebe. Es wäre ja lächerlich, auf dem Gebiete des wesentlich Wirklichen und Immateriellen durch eine Sonderung nach Möglichkeit und Wirklichkeit mehrere Naturen schaffen zu wollen. Es geht aber auch nicht auf den folgenden Stufen, und man darf sich nicht einen Geist in einer gewissen Ruhe, einen andern in einer Art von Bewegung denken. Welches wäre denn die Ruhe des Geistes, welches seine Bewegung, sein Aussichheraustreten? oder welches seine Unthätigkeit und andererseits seine Thätigkeit hinsichtlich des Andern? Denn er ist wie er ist ewig, Geist in derselben Weise, ruhend in unbeweglicher Wirklichkeit. Bewegung zu ihm und um ihn ist bereits eine Vernichtung der Seele und von ihm aus in die Seele gehende Vernunft, welche die Seele zu einer denkenden macht, nicht aber eine andere Natur zwischen Geist und Seele schafft. Aber selbst deshalb nicht darf man mehrere Geister aufstellen, wenn wirklich der eine denkt, der andere denkt, dass er denkt. Denn selbst wenn bei ihnen das Denken und das Denken des Denkens verschieden wäre, so ist dies doch nur ein einziger, seiner Thätigkeit sich bewusster Akt. Denn es ist lächerlich, dies von dem wahrhaften Geist anzunehmen;[130] im Gegentheil, mit dem Geiste welcher denkt, wird derjenige durchaus identisch sein, der da denkt, dass er denkt. Wo nicht, so wird der eine bloss denken, der andere denken, dass er denkt, während ein anderer und nicht er selbst derjenige ist, welcher gedacht hat. Wenn sie sagen, beides sei in der logischen Reflexion verschieden, so werden sie damit erstens die behauptete Mehrheit der Daseinsformen aufgeben, zweitens aber muss man zusehen, ob auch die logische Reflexion im Stande ist einen Geist zu fassen, der bloss denkt, sich aber dessen nicht bewusst ist, dass er denkt. Käme dies bei uns vor, die wir stets mit Trieben und discursiven Gedanken zu thun haben, so würden wir, selbst bei ganz erträglicher Rechtschaffenheit, uns den Vorwurf des Blödsinns zuziehen. Wenn also der wahrhafte Geist in den Gedanken sich selbst denkt und das Gedachte nicht ausserhalb seiner, sondern er selbst auch das Gedachte ist, so hat er im Denken nothwendig sich selbst und sieht sich selbst. Wenn er sich aber sieht, so sieht er sich nicht gedankenlos, sondern denkend. Also in dem ersten Denken hat er zugleich als ein einiges auch das Denken, dass er denkt, und nicht einmal für die logische Reflexion ist dort ein Doppeltes vorhanden. Wenn er aber gar ewig denkt was er ist, wo wäre da Raum für die Reflexion, welche das Denken sondert von dem Denken des Denkens? Führt man noch eine dritte Reflexion ein, welche das Denken, dass er denkt, dass er denkt besagt, so wird das Ungereimte dieser Ansicht noch deutlicher. Und weshalb nicht so ins Unendliche? Lässt man aber die Vernunft vom Geiste ausgehen, dann von dieser in der Seele eine andere entstehen, die von der Vernunft, an sich ausgeht, um diese zwischen Seele und Geist unterzubringen, so wird man die Seele des Denkens berauben, wenn sie die Vernunft nicht vom Geiste, sondern von etwas anderm dazwischen Liegenden bekommen soll; und sie wird ein Schattenbild der Vernunft, nicht Vernunft haben, sie wird überhaupt den Geist nicht kennen und überhaupt nicht denken.

2. Man darf also weder mehr Principien annehmen als diese, noch überflüssige Abstractionen in jenen, die für dieselben keinen Platz haben, sondern einen in sich identischen Geist, der sich gleich bleibt, nach allen Seiten unwandelbar, der dem Vater nachahmt soweit es ihm möglich ist. In unserer Seele dagegen hat man zu unterscheiden einen Theil, der stets bei jenem ist, einen andern, der zu dem Hiesigen in Beziehung steht, einen dritten endlich in der Mitte von beiden. Denn[131] da sie eine Natur in einer Vielheit von Kräften ist, so hat man anzunehmen, dass sich bald die ganze Seele mit dem besten Theile ihrer selbst und des Seienden zusammen erhebt, bald der schlechtere Theil derselben herabgezogen wird und den mittleren mit sich zieht; denn das Ganze derselben herabzuziehen war nicht zulässig. Und diese Affection widerfährt ihr, weil sie nicht in dem Schönsten geblieben ist, woselbst die Seele blieb, die nicht Theil ist und von der auch wir kein Theil mehr sind, die dem Körper des Weltalls verliehen hat, für sich zu haben soviel er von ihr haben kann, die selbst für sich verharrt ohne Müh' und Noth weil sie die Welt nicht aus der Reflexion heraus regiert, auch nicht etwas nachzubessern hat, sondern in der Fülle wunderbarer Kraft die Organisirung leitet durch das Schauen auf das, was vor ihr ist. Denn je mehr sie sich in das Schauen versenkt, desto schöner und mächtiger ist sie: und was sie von dorther erhält, das theilt sie den auf sie folgen den Wesen mit und es ist, als ob sie ewig erleuchtet und erleuchtet wird.

3. Ewig also erleuchtet und fortwährend im Besitz des Lichtes theilt sie es den nächstfolgenden Wesen mit, und diese wieder werden ewig durch dieses Licht erhalten und erquickt, geniessen vom Leben soviel sie im Stande sind. Es geht damit zu wie mit dem Feuer; brennt dies inmitten anderer Dinge, so wird alles erwärmt was dazu im Stande ist. Und doch ist das Feuer auf ein bestimmtes Maass beschränkt. So lange aber Kräfte, die kein Maass beschränkt, nicht aus der Zahl des Seienden gestrichen sind, wie ist es möglich, dass sie sind ohne dass etwas an ihnen Theil hat? Vielmehr muss ein jedes sein Wesen auch einem andern mittheilen, oder das Gute wird nicht gut, der Geist nicht Geist, die Seele nicht eben dieses sein, wenn nicht nach dem Lebendigen auf erster Stufe auch auf zweiter Stufe etwas lebt, und zwar so lange als jenes Erste existirt. Es muss also alles in einem gegenseitigen Nacheinander und ewig sein, geworden aber ein Theil dadurch dass es von andern ausgeht. Demnach ist nicht einmal geworden sondern wurde und wird werden alles was geworden heisst. Auch wird nur das vergehen was etwas hat, in das es vergehen kann; was ein solches nicht hat, wird auch nicht vergehen. Soll dieser Abgrund die Materie sein, warum nicht auch die Materie? Und sagt man, auch die Materie, so wer den wir sagen, warum musste sie entstehen? Will man sagen, dies sei eine nothwendige Consequenz, so ist diese Nothwendigkeit auch jetzt noch vorhanden. Soll sie aber sich selbst[132] überlassen werden, so wird in Folge davon das Göttliche nicht überall sein, sondern in einem bestimmten, abgegrenzten Raum und gleichsam durch Mauern abgesperrt. Ist aber das nicht möglich, so wird die Materie erleuchtet werden.

4. Sollten sie indessen sagen, die Seele habe gleichsam nach dem Verlust ihres Gefieders geschaffen, so trifft dieser Unfall die Weltseele nicht; und sollten sie deren Fall behaupten, so mögen sie die Ursache des Falls angeben. Wann aber fiel sie? Wenn von Ewigkeit her, so bleibt sie nach ihrer Lehre eine gefallene; hatte aber ihr Fall einen Anfang in der Zeit, weshalb fand er nicht schon früher statt? Wir nehmen als schöpferische Ursache nicht ein Sinken, sondern vielmehr ein Nichtsinken an. Ist sie aber gesunken, so geschah das offenbar durch Vergessen der Dinge droben; und hat sie vergessen, wie kann sie Weltbildner sein? Denn wonach schafft sie als nach dem, was sie dort gesehen hat? Schafft sie aber in Erinnerung an jenes, so ist sie überhaupt nicht herabgesunken. Denn auch wenn sie nur eine undeutliche Erinnerung hat, so sinkt sie erst recht nicht von dort herab, um eben nicht undeutlich zu sehen. Und weshalb hätte sie, wenn sie irgendwelche Erinnerung hat, nicht wieder emporsteigen wollen? Was hatte sie sich auch für einen Vortheil aus der Weltschöpfung versprechen sollen? Es ist lächerlich, wenn man sagt: um geehrt zu werden. Das heisst von den irdischen Bildnern etwas auf sie übertragen. Auch wenn sie durch Reflexion geschaffen und das Schaffen nicht in ihrer Natur gelegen hätte, sie selbst nicht die schaffende Kraft gewesen wäre: wie hätte sie diese Welt schaffen können? Und wann soll sie sie denn vernichten? Denn wenn es ihr leid wurde, was zögerte sie? Wenn es ihr aber noch nicht leid wurde, so wird es ihr auch nicht mehr leid werden, da sie bereits daran gewöhnt ist und sie mit der Zeit liebgewonnen hat. Wenn sie aber auf die Seelen im einzelnen wartet, so hätten diese schon längst nicht mehr zum Werden kommen dürfen, da sie bereits in dem früheren Werden das Böse dieser Welt erfahren hatten, also schon längst aufhören mussten zu kommen. Auch darf man nicht zugeben, dass diese Welt schlecht geschaffen sei, weil sich vieles Widrige in ihr befindet. Denn das heisst ihr zuviel Werth beilegen, wenn man verlangt, sie solle ebenso sein wie die intelligible und nicht vielmehr ein Abbild jener. Wo gäbe es aber wohl ein anderes schöneres Abbild derselben? Denn welches andere Feuer wäre ein besseres Abbild des dortigen Feuers als das Feuer hier? Welche Kugel ist genauer und in[133] ihrem Umschwung regelmässiger nach der Insichabgeschlossenheit jener Welt des Intelligibeln? Was giebt es nächst jener für eine andere Sonne, die besser wäre als diese sichtbare?

5. Jedoch es liegt ein Widerspruch darin, wenn sie, die einen Körper haben wie alle Menschen, die mit Begierde, Trauer, Zorn behaftet sind, ihre Kraft nicht geringschätzen sondern vielmehr sagen, es stehe ihnen zu das Intelligible zu erlassen, dagegen leugnen, dass es in der Sonne eine entsprechende Kraft gebe, die weniger der Affection ausgesetzt sei als diese, die mehr geordnet und weniger in Veränderung begriffen sei, dass sie eine bessere Einsicht habe als wir, die wir soeben erst geworden sind und durch so vieles Trügerische verhindert werden zur Wahrheit zu gelangen. Es liegt ein Widerspruch darin, dass sie ihre eigene Seele unsterblich und göttlich nennen, selbst die der schlechtesten Menschen, vom ganzen Himmel dagegen und den Gestirnen an ihm, die doch aus viel schöneren und reineren Elementen bestehen, behaupten, sie hätten keinen Theil an der unsterblichen Seele, obwohl sie sehen, dass die Dinge dort wohlgestaltet und wohlgeordnet sind, noch dazu aber die Unordnung hier auf Erden selbst tadeln, als ob die unsterbliche Seele absichtlich den schlechtern Ort gewählt und es vorgezogen hätte, der sterblichen Seele den bessern einzuräumen. Ungereimt ist aber auch bei ihnen die Einführung dieser andern Seele, die sie aus den Elementen zusammengesetzt sein lassen. Denn wie soll eine Zusammensetzung aus den Elementen irgendwie Leben haben? Denn die Mischung der Elemente bringt entweder etwas Warmes oder Kaltes oder Gemischtes hervor, etwas Trocknes oder Feuchtes oder ein Gemisch daraus. Wie soll sie die vier Elemente zusammenhalten, da sie später aus ihnen geworden ist? Wenn sie ihr gar noch obendrein Wahrnehmung und Ueberlegung und vieles andere beilegen, was soll man dazu sagen? Aber aus Nichtachtung dieser Weltschöpfung und dieser Erde sagen sie, für sie gebe es eine neue Erde, in die sie nämlich von hier aus gelangen würden, und dies sei der Begriff der Welt. Und doch, was liegt ihnen daran in das Vorbild der Welt zu gelangen, die sie hassen? Woher stammt dieses Vorbild? Ihnen zufolge nämlich entsteht es erst, nachdem der Schöpfer desselben sich bereits dem Irdischen zugeneigt hat. Wenn nun der Schöpfer selbst es sich so sehr angelegen sein lässt, nach der intelligibeln Welt, in deren Besitz er ist, noch eine andere zu schaffen – obwohl das Bedürfniss keineswegs klar ist – so schuf er sie entweder vor oder nach dieser Welt. Geschah[134] es vor dieser Welt, zu welchem Zweck? ›Damit die Seelen auf ihrer Hut sein könnten.‹ Wie kam es denn, dass sie nicht auf ihrer Hut waren, so dass sie umsonst geworden ist? Geschah es nach der Welt, indem er aus der Welt die Form nahm, nachdem er sie der Materie entkleidet, so genügte ja die Probe für die Seelen, die den Versuch gemacht hatten, um auf ihrer Hut zu sein. Wenn sie aber in den Seelen die Form der Welt erfasst wissen wollen, was hat ihre Lehre neues?

6. Was soll man aber von den andern Daseinsformen, die sie einführen, sagen? von dem Wohnen in der Fremde, von Gegenbildern, von Empfindungen der Reue? Meinen sie damit Affectionen der Seele, wenn sie im Zustande der Reue sich befindet, reden sie von Gegenbildern, wenn dieselbe gleichsam nur Bilder des Seienden aber noch nicht das Seiende selbst erschaut, so ist das leeres Gerede um ihrem eigenen System Bestand zu verschaffen. Denn das bauen sie auf, als wären sie mit der alten griechischen Schule garnicht in Berührung getreten, während doch die Griechen sehr wohl von einem Emporsteigen der Seele aus der Höhle, von einem allmähligen Fortschreiten derselben zum wahren Schauen wissen und davon ohne vielen Bombast reden. Ueberhaupt haben sie einiges von Plato entlehnt, und was sie neues zur Begründung einer eigenen Philosophie vorbringen, haben sie abseits von der Wahrheit gefunden. Auch die Strafen, die Flüsse in der Unterwelt, die Wanderungen aus einem Leibe in den andern stammen daher. Und wenn sie im Intelligibeln eine Vielheit annehmen: das Seiende, den Geist, den davon verschiedenen Weltbildner und die Seele, so ist das aus jener Stelle des Timäus entlehnt, wo Plato sagt: ›In wiefern nun der Geist im Urlebendigen die demselben innewohnenden Ideen erblickt, soviele, gedachte der Schöpfer, soll auch dieses All erhalten.‹ Das verstanden sie nicht und entnahmen daraus einen ruhenden Geist, der alles Seiende in sich habe, daneben einen andern anschauenden Geist und einen mit discursivem Denken beschäftigten – vielfach indessen ist es bei ihnen statt dieses die Seele, welche die Welt bildet – und dies sei, bilden sie sich ein, der Weltschöpfer in Platos Sinne, weit entfernt zu wissen, wer der Weltschöpfer ist. Ueberhaupt geben sie die Art der Weltbildung und vieles andere fälschlich als platonisch aus und verunglimpfen die Ansichten des Mannes, als ob sie selbst die intelligible Natur ergründet hätten, jener aber und die andern vortrefflichen Männer nicht. Ferner, indem sie eine[135] Menge intelligibler Wesen namentlich aufzählen, glauben sie den Anschein zu erwecken, als wären sie der Sache auf den Grund gekommen, während sie gerade durch die Menge die intelligible Natur der sinnlich wahrnehmbaren und schlechteren ähnlich machen. Vielmehr hätten sie dort nach einer möglichst geringen Zahl streben und sich darauf beschränken sollen, der nach dem Ersten folgenden Stufe alles zu überweisen; denn diese ist der Inbegriff aller Dinge und Urgeist und reale Wesenheit und was sonst noch herrliches nach der ersten Natur folgt. Die Seele aber ist die dritte Form, und die Unterschiede der Seelen mussten sie in ihren Affectionen oder in ihrer Natur aufsuchen, nicht aber jene göttlichen Männer in den Koth treten, sondern wohlwollend hatten sie ihre Lehren als die von älteren Leuten aufzunehmen und was sie richtig sagen anzunehmen: die Unsterblichkeit der Seele, die intelligible Welt, den ersten Gott, die Verpflichtung der Seele die Gemeinschaft mit dem Körper zu fliehen, die Trennung derselben von ihm, die Flucht aus der Region des Werdens in die des Seins: das sind klare platonische Gedanken und dass sie diese in derselben Fassung aufgenommen haben, daran haben sie recht gethan. Es trifft sie kein Vorwurf, wenn sie in gewissen Punkten ihre abweichende Meinung kundgeben, aber durch Verhöhnung und Verspottung der Griechen ihren eigenen Ansichten bei ihren Zuhörern Eingang zu verschaffen, das sollten sie nicht versuchen, sondern vielmehr aus dem Wesen der Sache zeigen, dass ihre eigenen, von der Meinung jener Männer abweichenden Behauptungen richtig seien, indem sie wohlwollend und in philosophischer Art die Ansichten derselben und ihre gerechtfertigten Einwände hinstellen, dabei allein die Wahrheit im Auge haben und nicht nach Beifall haschen, dadurch dass sie Männer tadeln, deren Tüchtigkeit längst von nicht eben schlechten Richtern anerkannt ist, mit dem Vorgeben besser als jene zu sein. Dasjenige wenigstens, was die Alten über das Intelligible gesagt haben, ist viel besser und in gebildeter Weise gesagt worden und wird von denen, die sich nicht durch die unter den Menschen rasch um sich greifende Täuschung hintergehen lassen, leicht erkannt werden, wie auch dasjenige, was durch sie später von jenen entlehnt ist und einige ungehörige Zusätze bekommen hat, gerade in den Punkten nämlich, in denen sie jenen gegenübertreten wollen, indem sie allerlei Zeugungen und vollständigen Untergang einführen, dieses All tadeln, der Seele die Gemeinschaft mit dem Leibe als Schuld vorwerfen, den Lenker dieses Weltalls tadeln, den Weltbildner[136] mit der Seele identificiren und ihm dieselben Affectionen beilegen wie dem Einzelwesen.

7. Dass nun auch diese Welt weder einen Anfang genommen hat noch ein Ende nehmen wird, sondern ewig ist solange jenes ist, haben wir gesagt. Dass die Gemeinschaft mit dem Körper für unsere Seele kein Gewinn ist, ist bereits vor ihnen gesagt. Von unserer Seele aus aber die Weltseele in Anspruch zu nehmen, ist ähnlich wie wenn jemand in einem wohl organisirten Staate das Geschlecht der Töpfer oder Schmiede herausnehmen und nun den ganzen Staat tadeln wollte. Man muss aber die Unterschiede der Weltseele hinsichtlich ihrer Weltregierung beachten: ihre Art und Weise ist eine andere, sie liegt nicht in Banden. Denn zu den andern Unterschieden, deren wir eine grosse Zahl anderswo angegeben haben, hätte man auch das bedenken sollen, dass wir vom Körper gefesselt sind, nachdem bereits eine Fesselung vorausgegangen. Denn die schon in der Weltseele gefesselte Natur des Leibes schlägt alles in Fesseln, was sie ergreift. Die Weltseele selbst aber kann nicht gefesselt werden von dem, was durch sie gefesselt ist; denn sie herrscht. Daher ist sie auch von ihm aus keinen Affectionen unterworfen, wir aber sind nicht Herr über dasselbe. Denn der Theil der Weltseele, welcher auf das Göttliche dort oben gerichtet ist, bleibt unversehrt und wird nicht behindert, der Theil dagegen, welcher dem Körper Leben giebt, nimmt nichts von ihm an. Ueberhaupt nimmt der leidende Zustand eines andern die Affection dieses nothwendig an, es selbst aber theilt jenem den seinigen nicht mehr mit, da es ein eigenes Leben hat. Z.B. wird ein Pfropfreis, wenn das, worauf es gepfropft ist, afficirt wird, mit afficirt; verdorrt es aber, so lässt es jenes im Genusse seines Lebens. Auch wenn das Feuer in dir erlischt, so erlischt darum nicht das gesammte Feuer; ja selbst wenn das gesammte Feuer zu Grunde ginge, würde die Seele dort nicht afficirt werden, sondern nur der Organismus des Körpers, und wenn es möglich wäre, dass durch das Uebrige eine Welt bestehen könnte, so würde sich die dortige Seele nichts daraus machen. Auch ist die Organisirung beim All eine andere als beim lebendigen Einzelwesen: dort führt die Seele gleichsam darüber hin und bannt durch ihren Befehl, hier sind die Dinge wie Flüchtlinge an ihren Ort gebunden mit zweifacher Fessel, während sie dort nicht wissen, wohin fliehen. Sie braucht es also weder innerlich festzuhalten noch durch äussern Zwang nach innen zu drängen, sondern es bleibt wo von Anfang[137] an ihre Natur es gewollt hat. Wenn nun einmal etwas davon in naturgemässer Weise bewegt wird, so wird dasjenige afficirt, dem diese Bewegung nicht naturgemäss ist, es selbst aber bewegt sich in schöner Weise als zum Ganzen gehörig, während jenes vernichtet wird, weil es die Ordnung des Ganzen nicht ertragen kann; ähnlich wie wenn ein grosser Chor in gemessener Ordnung sich daherbewegte und mitten auf seinem Wege von ihm eine Schildkröte ereilt und zertreten würde, weil sie der geordneten Bewegung des Chors nicht entfliehen konnte: würde sie sich in dieselbe einreihen, so würde ihr daraus kein Leid widerfahren.

8. Die Frage: weshalb hat die Seele geschaffen? ist ebenso unstatthaft wie die: weshalb ist die Seele? und weshalb hat der Demiurg geschaffen? Das heisst erstens einen zeitlichen Anfang annehmen von dem, was ewig ist, und zweitens meinen, der Demiurg sei durch eine Wandelung und einen Uebergang aus einem Zustand in einen andern der Urheber der Weltbildung geworden. Man muss sie also, falls sie es wohlwollend aufnehmen wollen, belehren, welches die Natur dieser intelligiblen Principien ist, damit sie aufhören das Ehrwürdige zu schmähen, womit sie rasch zur Hand sind statt mit gebührender Vorsicht zu verfahren. Kann doch auch niemand die Verwaltung des Weltalls mit Recht tadeln, da sie erstlich die Grösse der intelligiblen Natur an den Tag legt. Ja, wenn das All so ins Leben getreten ist, dass sein Leben kein unentwickeltes ist – wie die kleinern Geschöpfe in ihm, die durch die Fülle des Lebens fortwährend Tag und Nacht erzeugt werden – sondern wenn es ein zusammenhängendes, mannigfaltiges und überallhin ausgebreitetes Leben ist, welches unendliche Weisheit offenbart: wie sollte man es nicht als ein deutliches und schönes Bild der intelligiblen Götter bezeichnen? Wenn es als Nachahmung nicht jenes ist, so ist das ganz naturgemäss; denn sonst würde es keine Nachahmung mehr sein. Dass aber die Nachahmung eine unähnliche sei, ist falsch; denn nichts ist weggelassen, was möglicher Weise ein schönes, natürliches Bild haben konnte. Es war nämlich eine Nothwendigkeit, dass die Nachahmung nicht im Wege der Reflexion und Kunst erzielt wurde, weil eben das Intelligible nicht das letzte sein konnte. Vielmehr musste die Wirksamkeit desselben eine doppelte sein, einmal in sich, dann auf ein anderes. Es musste also etwas nach ihm sein, denn allein das Allerkraftloseste hat keine Stufe nach sich. Dort aber waltet eine wunderbare Kraft, folglich schuf sie auch. Giebt es nun eine[138] andere bessere Welt als diese, welches ist sie? Muss es eine Welt geben, ist aber keine andere vorhanden, so ist diese es, welche das Ebenbild jener in sich darstellt. Die Erde ist ganz mit lebenden Wesen der mannigfaltigsten Art, auch mit unsterblichen angefüllt und bis zum Himmel ist alles voll davon. Warum sollten aber die Gestirne, die in den untern Sphären so gut wie die in der höchsten Höhe, keine Götter sein, da sie in geordneter Bahn sich bewegen und mit dem Himmel herumwandeln? Weshalb sollten sie keine Tugend haben und was sollte es für ein Hinderniss für sie geben, in den Besitz der Tugend zu gelangen? Denn dort ist das doch nicht vorhanden, was die Menschen hier schlecht macht, auch nicht die üble Beschaffenheit des Körpers, welche gestört wird und selbst stört. Warum sollen sie nicht stets in ihrer Musse begreifen und sich im Geiste befassen mit Gott und den andern intelligiblen Göttern? Warum sollen wir eine bessere Weisheit haben als die da droben? Niemand, der bei gesundem Verstande ist, kann dergleichen Behauptungen ertragen. Sind gar die Seelen von der Weltseele gezwungen herabgekommen, wie so sind die gezwungenen besser? Denn in den Seelen ist das Herrschende das Bessere. Sind sie aber freiwillig herabgekommen, was tadelt ihr die Welt, in die ihr freiwillig gekommen seid, zumal sie es gestattet sich zu entfernen, wenn es einem nicht mehr gefällt? Wenn aber dieses All auch so beschaffen ist, dass seine Bewohner noch Weisheit haben und während ihres Aufenthalts hier nach dem Massstabe jener Welt leben können, wie sollte das nicht ein Zeugniss dafür sein, dass es ganz von jener abhängt?

9. Wenn aber jemand Reichthum und Armuth tadelt und die Ungleichheit in allen derartigen Dingen, so weiss er erstens nicht, dass der Tugendhafte hierin die Gleichheit nicht sucht, auch nicht glaubt, dass die Wohlhabenderen etwas voraus besitzen oder die Herrscher vor den Privatleuten, sondern dieses Streben überlässt er andern und er hat gelernt, dass das Leben hier ein doppeltes ist: das eine für die Tugendhaften, das andere für den grossen Haufen; das der Tugendhaften ist auf das Höchste und Obere gerichtet, das der mehr menschlich Gesinnten wieder ein doppeltes: das eine hat durch Erinnerung an die Tugend in gewisser Hinsicht wenigstens Theil am Guten, der gemeine Haufe ist gleichsam nur Handlanger für die Bedürfnisse der Bessern. Wenn aber jemand mordet oder aus Mangel an Kraft ein Sclav seiner Lüste wird, was Wunder,[139] dass es auch Sünden giebt, nicht für den Geist sondern für die Seelen wie für unmündige Kinder? Und wenn es ein Ringplatz wäre von Siegern und Besiegten, weshalb wäre es nicht auch in diesem Falle schön? Und wenn dir Unrecht geschieht, was ist das schlimmes für dein unsterblich Theil? Und wenn du getödtet wirst, so ist dein Wunsch erfüllt. Gefällt es dir ferner nicht mehr, so hast du nicht nöthig hier länger Bürger zu sein. Auch wird anerkannt, dass es hier Gerichte und Strafen giebt. Wie ist es also recht einen Staat zu tadeln, der einem jeden giebt was ihm gebührt? wo die Tugend geehrt wird und die Schlechtigkeit ihre gebührende Strafe empfängt, wo nicht bloss die Bilder der Götter sondern sie selbst auch von oben her dreinschauen, welche leicht, wie er sagt, den Vorwürfen von Seiten der Menschen entgehen werden, da sie alles in Ordnung leiten von Anfang bis zu Ende, indem sie einem jeden das ihm gebührende Schicksal geben in der wechselnden Aufeinanderfolge der Lebensläufe gemäss den früheren Handlungen: wer das misskennt, der ist vorschnell zum plumpen Absprechen über göttliche Dinge geneigt. Vielmehr muss man versuchen selbst so gut als möglich zu werden, jedoch nicht glauben, dass man allein im Stande sei völlig gut zu werden – denn wer das glaubt, ist noch nicht völlig gut – sondern dass es auch noch andere treffliche Menschen sowie gute Dämonen giebt, noch vielmehr aber Götter, solche die in dieser Welt sind und dorthin schauen, vor allen aber den Lenker dieses Weltalls, der Seelen seligste. Demnächst muss man auch die intelligiblen Götter preisen und schliesslich nach allen den grossen König dort, und namentlich in der Mehrzahl der Götter seine Grösse beweisen. Denn nicht das Göttliche in einen Punkt zusammendrängen sondern es in seiner Vielheit auseinanderlegen in der Ausdehnung, in der er es selbst dargelegt, heisst beweisen, dass man die Kraft Gottes kennt, wenn er bleibt, der er ist, aber viele schafft, die doch alle von ihm abhängig, durch ihn und aus ihm sind. Auch diese Welt ist durch ihn und schaut dorthin, sowohl in ihrer Gesammtheit als jeder einzelne Gott; sie verkündet das Wesen des dortigen Gottes den Menschen, diese offenbaren was jenen lieb ist. Wenn sie aber nicht sind was jener ist, so ist das eben naturgemäss. Willst du aber darüber hinweggehen und brüstest dich, als seist du nicht schlechter, so mache ich dir bemerklich erstens: je besser jemand ist, desto bescheidener beträgt er sich gegen alle, gegen Götter und Menschen, sodann: man muss sich mit Maassen brüsten und nicht bauernstolz[140] werden, indem man nur soweit geht als unsere Natur emporzusteigen vermag; man muss auch andern ein Plätzchen bei Gott einräumen und nicht, indem man sich allein in sein unmittelbares Gefolge einreiht, wie im Traume hoch einherfahren, wodurch man sich der Möglichkeit beraubt, soweit es der Seele des Menschen möglich ist, Gott zu werden. Dies vermag sie aber soweit der Geist sie führt; über den Geist hinausgehen heisst bereits aus dem Geist herausfallen. Indessen lassen sich unverständige Menschen durch solche Lehren überreden, wenn sie plötzlich hören: ›du wirst besser sein als Götter und Menschen zusammen genommen‹; denn gross ist unter den Menschen die Selbstgefälligkeit, und wenn jemand, der zuvor demüthig und bescheiden für sich lebte, zu hören bekommt: ›du bist Gottes Kind, die andern aber, die du bewundertest, sind nicht seine Kinder, noch auch die Gestirne, deren Cult sie von den Vätern überkommen haben; du aber bist besser als selbst der Himmel sonder Mühe.‹ Die andern stimmen dann mit ein. Es ist wie wenn man unter einer Menge von Leuten, die nicht zählen können, einem, der auch nicht zählen kann, einredet, er messe tausend Ellen: was wird der anders als steif und fest glauben, er sei tausend Ellen gross, wenn er hört, dass die andern fünf Ellen gross sind, dabei aber bloss die Vorstellung haben, dass Tausend eine grosse Zahl ist? Und ferner, Gottes Vorsehung sorgt für euch: weshalb vernachlässigt er denn die ganze Welt, in der ihr doch auch seid? Wenn etwa deshalb, weil er keine Zeit hat auf sie zu blicken und es seiner Würde nicht entspricht: wie kommt es, dass, während er auf sie herniederblickt, nicht aus sich herausblickt und auf die Welt sieht, in der sie sich befinden? Wenn er keinen Blick aus seiner Sphäre herauswirft um nicht die Welt anzusehen, so blickt er auch nicht auf sie. Freilich, sie zwar bedürfen seiner nicht, aber die Welt bedarf seiner und sie kennt ihre Stellung und weiss inwiefern die Bewohner auf ihr ihre Heimath haben und inwiefern dort ebenso die Männer, welche Gottes Freunde sind, die mit Geduld die Beschwerden der Welt ertragen, wenn ihnen aus dem Umschwung des Alls ein nothwendiges Uebel zustösst. Denn nicht auf die Wünsche des Einzelnen sondern auf das Interesse des Ganzen muss man sein Augenmerk richten. Ein solcher Mann ehrt einen jeden nach Verdienst und sein Streben ist stets auf das Ziel gerichtet wonach alles strebt, das dazu die Kraft besitzt – und viele streben nach diesem Ziel; glücklich, wer es erreicht, die andern erhalten nach Maassgabe ihrer[141] Kraft die gebührende Stellung – ohne dass er sich allein dieses Vermögen zuschreibt. Denn darum hat einer noch nicht was er angiebt, wenn er mit Zuversicht es zu haben behauptet, sondern viele behaupten zu haben, obwohl sie wissen, dass sie es nicht haben, und glauben zu haben, während sie nicht haben, und allein zu haben, was gerade sie allein nicht haben.

10. Noch viele andere Punkte oder vielmehr alles müsste man einer Prüfung unterwerfen und man würde eine Fülle von Stoff haben, wollte man bei jeder einzelnen Lehrmeinung nachweisen wie es sich damit verhält. Aber es hält uns eine gewisse zarte Rücksicht für einige unserer Freunde davon ab, welche die Bekanntschaft dieser Lehre gemacht haben, bevor sie unsere Freunde wurden, und nun, ich weiss nicht wie es kommt, dabei verharren. Jene allerdings, indem sie ihrer Lehre den Schein der Zuverlässigkeit und Wahrheit geben wollen oder sie auch wirklich für derartig halten, nehmen bei Darstellung ihrer Ansichten keine Rücksicht. Unsere Auseinandersetzung dagegen ist auf unsere Freunde, nicht auf jene berechnet – dies würde ohne Einfluss auf ihre Ueberzeugung bleiben – damit diese nicht belästigt werden von ihnen, die zwar keine Beweise vorbringen (wie sollten sie das auch?) sondern dreist darauf losreden; es gäbe freilich noch eine andere Art der Darstellung zur Abwehr dieser Leute, welche es wagen die schönen und wahren Lehren der göttlichen Alten zu verhöhnen. Von jener Art der Prüfung also wollen wir absehen. Ohnehin werden diejenigen, welche die vorige Auseinandersetzung genau verstanden haben, wissen können, wie es sich mit allein andern verhält. Wir wollen ihre Lehre bei Seite lassen, nachdem wir nur noch einen Punkt besprochen haben, der an Ungereimtheit alles übertrifft, wenn man das noch eine Ungereimtheit nennen darf. Nachdem sie nämlich behauptet, die Seele habe sich nach unten geneigt mitsammt einer gewissen ›Weisheit‹, sei es dass die Seele den Anfang machte oder die besagte Weisheit die Ursache davon war, oder sei es dass sie beides für identisch ausgeben wollen, lehren sie weiter: die andern Seelen sind zwar als Glieder der Weisheit mit heruntergekommen und in Körper eingezogen, z.B. in Menschenkörper, jene aber, um derentwillen sie selbst herabgekommen, ist wieder nicht herabgekommen d.h. sie hat sich nicht geneigt sondern nur die Finsterniss erleuchtet, und von da aus ist dann ein Bild in der Materie entstanden. Dann lassen sie ein Bild des Bildes hier irgendwo durch die Materie oder die[142] Materialität oder wie sie es sonst bald mit dieser bald mit jener Bezeichnung nennen wollen entstehen, und unter Anwendung vieler andern Namen zur Verdunkelung ihrer Aussage erzeugen sie ihren sogenannten Demiurg, lassen ihn von seiner Mutter sich trennen und behaupten, dass die Welt von ihm ausgehe bis zur äussersten Grenze der Schattenbilder, damit nur der Schreiber dieser Worte tüchtig schmähen könne.

11. Wenn nun aber erstens die Seele nicht herabgekommen ist sondern die Finsterniss erleuchtet hat, wie will man mit Recht von ihr sagen, sie habe sich geneigt? Denn wenn von ihr etwas wie Licht abfloss, so darf man noch nicht sagen, sie habe sich geneigt; man müsste denn sagen, die Materie habe irgendwo im untern Raum gelegen, die Seele sei räumlich dazu gekommen und habe in ihrer Nähe befindlich sie erleuchtet. Wenn sie aber bei sich bleibend erleuchtete ohne zu diesem Zwecke eigentlich gewirkt zu haben, wie kam es, dass sie allein erleuchtete und nicht das, was mächtiger ist als sie im Reich des Seienden? Wenn sie aber dadurch, dass sie selbst den Begriff der Welt erfasst hatte, aus diesem Begriff heraus erleuchten konnte, weshalb hat sie nicht zugleich mit dem Erleuchten auch die Welt geschaffen sondern auf das Entstehen der Bilder gewartet? Dann hat auch das Denken des Begriffs der Welt, jene Erde nämlich, die sie ihre Heimath nennen, die ja auch ihrer eigenen Aussage nach durch die höheren Mächte geworden ist, ihre Schöpfer nicht zur Neigung herabgezogen. Wie soll ferner die erleuchtete Materie seelische Bilder und nicht vielmehr eine körperliche Natur hervorbringen? Ein Bild der Seele aber bedarf noch nicht der Finsterniss oder der Materie, sondern nach seiner Entstehung, wenn es überhaupt entsteht, wird es seinem Schöpfer folgen und mit ihm eng verbunden sein. Ist dies Bild ferner eine Wesenheit oder, wie sie sagen, ein Gedanke? Gesetzt es wäre eine Wesenheit, welches ist der specifische Unterschied von seinem Urheber? Soll's dagegen nur eine andere Art von Seele sein, so dürfte sie, vorausgesetzt dass jenes die denkende ist, wohl die vegetative und erzeugende sein. Ist sie aber dies, wie kann der Zweck ihres Schaffens ihre eigene Verherrlichung, und wie die Ursache Aufgeblasenheit und Waghalsigkeit sein? Und überhaupt wird so das Schaffen durch Vorstellung und noch mehr das Denken aufgehoben. Und wozu brauchte man dann noch einen Schöpfer aus Materie und einem Schattenbilde hervorgehen zu lassen? Ist es aber ein Gedanke, so ist zuvörderst anzumerken, woher der Name? sodann, wie kann[143] es ein solcher sein, wenn die Seele ihm nicht die schöpferische Kraft mittheilt? Aber wie soll dem Gebilde [dem Demiurg] das Schaffen zukommen? Nun, sagen sie, zuerst hat sie dies hervorgebracht, das andere aber ist nach ihm entstanden. Allein das ist reine Willkür. Warum z.B. zuerst das Feuer?

12. Und wie kann dieses eben entstandene Gebilde sich an das Schaffen machen in Erinnerung an das, was es gesehen hat? Es war ja überhaupt nicht irgendwo vorhanden, dass es hätte schauen können, weder der Demiurg noch seine Mutter, die sie ihm zuertheilen. Sodann, ist es nicht wunderbar, dass sie selbst, die doch nicht als Bilder von Seelen sondern als wirkliche Seelen hierher gekommen sind, mit Noth und Mühe zu eins oder zweien von der Welt sich lossreissen, zur Erinnerung kommen und so kaum dasjenige ins Gedächtniss zurückrufen was sie einst gesehen haben, dieses Gebilde dagegen, wenn auch dunkel, wie sie sagen, aber doch unmittelbar nach seinem Entstehen jene Welt im Gedanken erfasste – oder gar seine Mutter, ein materielles Schattenbild! – und nicht bloss jene Welt im Gedanken ergriff und aus ihr den Plan einer neuen Welt fasste, sondern auch wusste, aus welchen Elementen sie füglich entstehen könnte? Woher kam ihm der Einfall zuerst Feuer zu schaffen, woher die Meinung, dies müsse das erste sein? Warum denn nicht etwas anderes? Konnte der Demiurg Feuer schaffen dadurch dass er es im Geiste dachte, warum schuf er durch das Denken der Welt – denn zuerst musste er doch das Ganze denken – die Welt nicht gleich auf einmal? Auch jenes war ja in dem Gedanken mit einbegriffen. Jedenfalls schuf er mehr nach Art der Natur, nicht wie die Künste; denn später als die Natur und die Welt sind die Künste. Auch jetzt sind ja die durch die Naturkräfte entstandenen Einzeldinge nicht zuerst Feuer, dann nach der Reihe jedes einzelne Element und dann eine Vermengung derselben, sondern ein Entwurf und eine Skizze des ganzen Organismus, der bildend und formend einwirkt zur Zeit der Menstruationen. Weshalb wurde nun nicht auch dort die Materie durch den Typus der Welt wie nach einem vorläufigen Entwurf gestaltet, ein Typus, in dem Erde, Feuer u.s.w. begriffen war? Vielleicht würden sie selbst die Welt so geschaffen haben, da sie sich im Besitz einer wahrhafteren Seele wähnen, aber jener verstand es nicht sie so zu schaffen. Und doch, die Grösse des Himmels vorauszusehen, ja noch mehr diese ganz bestimmte Grösse, die Krümmung und schräge Lage des Thierkreises, die Bahn der Weltkörper unter ihm, die Erde,[144] und zwar dergestalt dass die Gründe angegeben werden können, weshalb gerade so diese Anordnung getroffen worden: das war nicht die Sache eines Schattenbildes sondern einer Kraft, die von den höchsten Principien ausging. Und das gestehen sie auch selbst wider Willen zu. Denn ihre Lehre von der auf die Finsterniss sich erstreckenden Erleuchtung näher geprüft wird sie die wahren Ursachen der Welt anzuerkennen zwingen. Denn wozu bedurfte es des Erleuchtens, wenn dies nicht schlechterdings nothwendig war. Entweder nämlich fand es der Natur gemäss oder wider die Natur statt. War es der Natur gemäss, so war es ein ewiger Akt; war es wider die Natur, so wird das Widernatürliche auch dort und das Böse vor dieser Welt sein, und es wird nicht die Welt Ursache des Bösen sein sondern das dortige für diese Welt, und an die Seele tritt das Böse nicht aus dieser Welt heran sondern das hier befindliche Böse geht von ihr aus, und so wird ihre Lehre dahin kommen die Welt auf das Erste zurückzuführen. In diesem Fall wird auch die Materie, an welcher die Welt in die Erscheinung trat, darauf zurückgeführt werden. Die sich neigende Seele nämlich, sagen sie, erblickte und erleuchtete die bereits vorhandene Finsterniss. Woher nun diese? Wenn sie sagen, die Seele habe sie selbst bei ihrem Neigen geschaffen, so war doch offenbar kein Ort vorhanden wohin sie sich neigen konnte, und dann ist nicht die Finsterniss schuld an der Neigung sondern die Natur der Seele selbst. Das ist aber soviel als: eine im Vorangehen begründete Nothwendigkeit. Folglich geht die Ursache auf die ersten Principien zurück.

13. Wer also die Natur der Welt tadelt, weiss nicht was er thut noch wieweit er sich in seiner Frechheit versteigt. Dies kommt aber daher, weil sie das Gesetz der Stufenfolge vom Ersten, Zweiten, Dritten u.s.f. bis zum Letzten nicht kennen, weil sie nicht wissen, dass man es den Dingen nicht vorwerfen darf, weil sie schlechter sind als das Erste, sondern geduldig sich in das Naturgesetz des Alls zu fügen hat, rüstig zum Ersten emporeilend und ablassend von der theatralischen Ausschmückung der eingebildeten Schrecken, welche das Sphärensystem der Welt verursachen soll, das im Gegentheil doch alles zu ihrem Heile fördert. Was liegt denn Furchtbares in diesen Sphären, wie sie es doch den Leuten einzureden suchen, die in philosophischen Untersuchungen nicht geübt sind und einer auf Bildung begründeten richtigen Erkenntniss entbehren? Wenn ihre Körper feurig sind, so braucht man sich deshalb nicht vor ihnen zu fürchten, da sie trotzdem das richtige Verhältniss[145] zum All und zur Erde bewahren; auf ihre Seelen muss man blicken, durch die ja auch sie jedenfalls geehrt sein wollen. Und doch sind auch ihre Körper ausgezeichnet durch Grösse und Schönheit, sie tragen thätig und hülfreich mit bei zu dem, was gemäss der Natur entsteht, was niemals aufhören kann zu entstehen so lange es das Erste giebt, sie helfen das All ergänzen und sind grosse Theile des Alls. Wenn aber den Menschen gegenüber den andern lebenden Wesen ein besonderer Werth zukommt, so in noch viel höherem Grade ihnen, die nicht zur Tyrannei im All vorhanden sind, sondern ihm seinen Schmuck und seine Ordnung verleihen. Was aber angeblich von ihnen aus geschieht, muss man für Anzeichen des Zukünftigen halten und der Ueberzeugung Raum geben, dass die Unterschiede des Werdens theils vom Zufall herrühren – denn unmöglich konnte sich mit einem jeden dasselbe zutragen – theils von den Umständen der Geburt und den oft weit von einander entfernten Oertlichkeiten und den Stimmungen der Seelen. Ebenso wenig darf man wiederum verlangen, dass alle gut seien, und weil dies nicht möglich ist, wieder frisch darauf los tadeln, indem man verlangt, dass diese Welt sich von jener in nichts unterscheide und dass man unter dem Bösen nichts anderes zu verstehen habe als einen Mangel an Einsicht, als das weniger Gute und so immer zum Geringeren absteigend. Das wäre gerade so als wenn jemand die Natur böse schelten wollte, weil sie nicht sinnliche Wahrnehmung ist, und das sinnlich Wahrnehmende, weil nicht Begriff. Thun sie das, so werden sie zu der Behauptung genöthigt werden, dass auch dort das Böse sei; denn auch dort ist die Seele etwas schlechteres als der Geist und dieser geringer als ein anderes.

14. Gerade sie aber lassen auch anderweitig jene Welt nicht unversehrt. Denn wenn sie Zauberformeln aufschreiben, die sie an jenes richten, nicht bloss an die Seele sondern auch an das Höhere: was thun sie als Zaubereien, Bannsprüche und Beschwörungsformeln hersagen in der Voraussetzung, dass jenes dem Worte gehorcht und durch dasselbe sich leiten lässt, sobald jemand von uns nur in der Kunst bewandert ist, diese bestimmten Worte zu sprechen und auf diese bestimmte Weise Melodien, Töne. Anhauchungen, gewisse zischende Laute hervorzubringen und was sonst dort noch für Zauberkünste vorgeschrieben sind. Ist das aber nicht ihre Meinung, wie wollen sie durch Laute der Stimme auf das Unkörperliche wirken? Gerade durch dasjenige also, wodurch sie ihren Worten einen[146] majestätischen Anstrich zu geben suchen, entkleiden sie ohne es zu merken jenes seiner Majestät. Wenn sie sagen, sie können sich selbst von Krankheiten reinigen, und dabei als Mittel Mässigkeit und eine geregelte Lebensweise angeben, wie das die Philosophen thun, so könnte man ihnen Recht geben; so aber personificiren sie sich die Krankheiten zu Dämonen und behaupten zuversichtlich, dass sie im Stande seien diese durch gewisse Worte zu vertreiben. Dadurch dürften sie wohl dem grossen Haufen imponiren, der die Wunderkraft der Zauberer anzustaunen pflegt; den Verständigen freilich werden sie es nicht einreden, dass die Krankheiten nicht ihre Ursachen hätten in Ueberanstrengung oder Ueberfüllung oder Mangel oder Fäulniss oder überhaupt in Veränderungen, sie mögen nun durch äussere oder innere Ursachen veranlasst sein. Das lehrt auch die Art und Weise ihrer Heilungen. Denn durch Leibesöffnung oder Eingeben eines Mittels geht die Krankheit unten nach auswärts ab, desgleichen durch Blutentziehung, auch Hunger heilt, mag nun der Dämon hungern, das Heilmittel ihn abzehren und er bisweilen mit einem Male herausfahren oder auch drin bleiben. Gesundet man nun während er noch drin bleibt, wie kommt es, dass man trotzdem nicht mehr krank ist? Hat er sich entfernt, weswegen? Was ist ihm denn widerfahren? Nun, weil er von der Krankheit seine Nahrung erhielt. Es war also die Krankheit etwas vom Dämon verschiedenes. Ferner, wenn er sich einschleicht ohne irgendeine Ursache, warum ist dann der Mensch nicht immer krank? Schleicht er sich ein wenn schon eine Ursache vorliegt, wozu bedarf es noch des Dämon um krank zu sein? Denn jene Ursache ist selbst kräftig genug, ein Fieber hervorzurufen. Lächerlich aber ist es, dass sowie sich eine Ursache ergiebt, geschwind der Dämon neben der Ursache als Schatten sich einfinden und stets zur Hand sein soll. Doch wie es mit dieser Behauptung steht und weswegen sie aufgestellt worden, ist ja klar; und deswegen gerade haben wir dieser Dämonen gedacht. Das andere aber überlasse ich euch beim Lesen zu prüfen; achtet auch besonders darauf, wie unsere Art zu philosophiren im weitern Verfolg ausser allem andern Guten auch die Einfachheit und Schlichtheit des Charakters verbunden mit einer reinen Gesinnung auszeichnet, weil sie wahre Würde, nicht selbstgefällige Ueberhebung anstrebt und Kühnheit mit klarem Bewusstsein, mit Vorsicht, Behutsamkeit und grosser Umsicht verbindet; an diesen Maassstab lege man alles andere an. Dass es die andern freilich durchweg auf ganz entgegengesetzte[147] Weise treiben, daran liegt weiter nichts. Denn in dieser Weise über sie zu reden, dürfte sich für uns nicht ziemen.

15. Das aber ganz besonders darf uns nicht verborgen bleiben, welchen Einfluss diese Lehren auf die Seelen der Hörer üben, denen man eingeredet hat, die Welt und was in ihr zu verachten. Da es nämlich zwei Hauptansichten von der Art der Erreichung des letzten Zweckes giebt, die eine, welche die Lust des Körpers als Endzweck setzt, die andere, welche das Schöne und die Tugend erwählt, deren Streben aus Gott ist und auf Gott gerichtet – wie, soll anderswo untersucht werden – so leugnet Epikur die Vorsehung und fordert uns auf der Lust und deren Befriedigung nachzujagen, was dann allein noch übrig bleibt. Diese Lehre aber tadelt in noch frecherer Weise den Herrn der Vorsehung und die Vorsehung selbst, verachtet alle hier gültigen Gesetze, giebt die seit jeher als gültig aufgestellte Tugend und die besonnene Mässigung dem Gelächter preis, damit hier unten ja nichts Schönes erblickt würde, beseitigt die Besonnenheit und die mit dem sittlichen Gefühl verwachsene Gerechtigkeit, welche durch Vernunft und Hebung vervollkommnet wird, und überhaupt alles, wodurch ein Mensch tugendhaft werden könnte. Folglich bleibt für sie nur die Lust übrig, die Selbstsucht, die Absonderung von andern Menschen, das Nützlichkeitsprincip, falls nicht jemand von Natur besser ist als diese Lehre. Denn von den Dingen dieser Welt gilt ihnen nichts für schön, sondern etwas anderes, dem sie dereinst nachstreben wollen. Und doch müssten diejenigen, welche dies bereits erkannt haben, schon von hier aus ihm nachstreben, dabei aber zuerst die irdischen Verhältnisse bessern, da sie ja der göttlichen Natur entstammen wollen. Denn jener Natur, welche die Lust des Körpers verachtet, kommt es zu das Schöne zu verstehen; diejenigen aber, die keinen Theil an der Tugend haben, werden überhaupt keinen Zug dorthin verspüren. Dafür zeugt auch der Umstand, dass sie von der Tugend garnicht sprechen, die Untersuchung über diese Fragen bei ihnen gänzlich wegfällt, dass sie weder sagen, was die Tugend ist, noch wieviele es ihrer giebt, noch wieviele und treffliche Ansichten darüber in den Lehren der Alten niedergelegt sind, noch wodurch sie erworben und gewonnen wird, noch endlich wie die Seele geheiligt und gereinigt wird. Denn das blosse Sagen ›blicke auf Gott‹ bringt nichts zuwege, wenn man nicht auch lehrt, wie man auf ihn zu blicken hat. Was hindert denn, könnte ja jemand sagen, auf ihn zu blicken ohne dass man sich[148] irgendwelcher Lust enthält oder unmässig im Zorne ist, indem man sich zwar an das Wort ›Gott‹ erinnert, aber von allen Leidenschaften beherrscht wird und keine von ihnen zu tilgen bemüht ist? Die Tugend vielmehr, welche zur Vollendung gediehen und in Verbindung mit vernünftiger Einsicht der Seele innewohnt, sie zeigt uns Gott. Ohne wahre Tugend ist das Wort ›Gott‹ ein blosser Name.

16. Andererseits heisst auch nicht gut werden, die Welt und ihre Götter und das andere Schöne verachten. Denn jeder Bösewicht verachtet wohl ohnedies die Götter, und hat er sie früher nicht verachtet, so würde er gerade dadurch ein Bösewicht werden, selbst wenn er übrigens nicht durchaus schlecht wäre. Denn auch ihre angebliche Verehrung der intelligiblen Götter stimmt damit nicht zusammen. Denn wer Liebe zu einem Gegenstand empfindet, ist auch freundlich gesinnt gegen die ganze Verwandtschaft dieses Gegenstandes seiner Liebe, er liebt auch die Kinder, deren Väter er liebend verehrt. Jede Seele aber ist ein Kind jenes Vaters. Seelen wohnen aber auch in diesen Dingen und zwar vernünftige und gute, die mit jener Welt in einer weit innigem Verbindung stehen als die unsere. Wie könnte auch diese Welt losgetrennt von jener existiren? wie die Götter in ihr? Doch davon habe ich schon früher gesprochen; jetzt behaupte ich, dass sie, weil sie das mit jenem Verwandte verachten, auch jenes selbst nicht kennen, ausser höchstens dem Namen nach. Denn dass die Vorsehung sich nicht auf die Dinge dieser Welt, überhaupt auf irgend etwas nicht erstreckt: ist das eine gottesfürchtige Ansicht? Wie stimmt das zu ihren eigenen Grundsätzen? Sie behaupten nämlich wieder, dass die Vorsehung sich bloss um sie bekümmere. Ich frage: etwa wenn sie dort hingelangt oder schon während ihres Aufenthalts hier? Gesetzt den ersten Fall, wie gelangten sie dorthin? Den letztern, wie kommt es, dass sie noch hier sind? Wie geht es zu, dass Gott nicht auch selbst hier ist? Woher will er denn erkennen, dass sie hier sind? wie wissen, dass sie bei ihrem hiesigen Aufenthalt seiner nicht vergessen haben und schlecht geworden sind? Kennt er aber die, welche nicht schlecht geworden sind, so kennt er auch die, welche es geworden, damit er sie von jenen unterscheiden könne. Also wird er allen gegenwärtig und in dieser Welt sein, auf welcherlei Weise auch immer; daher wird auch die Welt an ihm Theil haben. Wenn er aber von der Welt fern ist, so wird er auch von euch fern sein, und ihr könnt nichts über ihn[149] noch über die Wesen nach ihm sagen. Aber mag nun für euch eine Vorsehung von dort kommen oder was ihr sonst wollt, für die Welt wenigstens giebt es eine Vorsehung von dort aus und sie ist nicht verlassen und wird nicht verlassen werden. Denn die Vorsehung ist weil mehr auf das Ganze gerichtet als auf die Theile, folglich findet auch bei jener Seele ein Theilhaben in viel höherm Grade statt. Das beweist ihr Dasein und besonders ihr vernünftiges Dasein. Wer von allen, die in ihrem Unverstande sich überklug dünken, ist so geregelt und vernünftig wie das All? Auch nur einen Vergleich zwischen beiden anzustellen ist lächerlich und höchst ungereimt, und wer ihn in anderer Absicht als nur der der begrifflichen Darlegung halber anstellt, wird schwerlich von dem Vorwurf der Gottlosigkeit freizusprechen sein; auch das zweifelnde Forschen hierüber ist nicht Sache eines Vernünftigen, sondern eines Blinden, der durchaus weder Empfindung noch Vernunft hat, der weit entfernt ist die intelligible Welt zu sehen, da er diese nicht ansieht. Was wäre das für ein Musiker, der, wenn er die Harmonie im Intelligiblen geschaut hat, nicht ergriffen würde von der Harmonie in den sinnlich wahrnehmbaren Tönen? Oder wie kann jemand sich auf Geometrie oder Arithmetik verstehen, der sich nicht freute, sobald er Symmetrie, Analogie mit sichtlichen Augen erblickt? Thatsache ist es ja, dass selbst bei bildlichen Darstellungen diejenigen, welche mit ihren Augen die Werke der Kunst sehen, keineswegs in gleicher Weise denselben Gegenstand sehen, sondern wenn sie im sinnlich Wahrnehmbaren eine Nachahmung des in der Idee Befindlichen erkennen, dann werden sie wie aufgeregt, dann wird in ihnen die Idee des Wahrhaften und Wesentlichen lebendig; und aus solchen Eindrücken entstehen denn auch die Empfindungen der Liebe. Also wer Schönheit auf einem Antlitz schon ausgeprägt findet, fühlt sich zu ihr hingezogen: und jemand wollte so trägen Geistes und so indolent sein, dass er beim Anblick all des Schönen in der sinnlichen Welt, all der Symmetrie und hohen Regelmässigkeit, der an den Gestirnen trotz ihrer Entfernung erscheinenden Form, nicht daran abnehmen und beherzigen wollte, wie herrliche Dinge dies und ihre Urbilder sind? Dann hat er weder über dieses gründlich nachgedacht noch jenes geschaut.

17. Und wenn es ihnen vielleicht beikam die Natur des Körpers zu hassen, weil sie gehört haben, dass Plato dem Körper vielfach Vorwürfe gemacht wegen der Fesseln, die er der Seele anlegt, und dass er die ganze körperliche Natur[150] die schlechtere genannt hat, so mussten sie dennoch in Gedanken von dieser abstrahiren und das Uebrigbleibende betrachten, die intelligible Sphäre, welche die an der Welt zur Erscheinung kommende Form in sich befasst, die Seelen in ihrer Ordnung, welche ohne Körper Grösse verleihen und das Intelligible in die räumliche Ausdehnung einführen, so dass das Gewordene durch seine Grösse sich dem untheilbaren Wesen des Vorbildes der Kraft nach gleichstellt; denn was dort gross ist der Kraft nach, ist es hier in der räumlichen Ausdehnung. Und mochten sie sich nun diese Sphäre bewegt denken als in Umschwung gesetzt durch die Kraft Gottes, der Anfang, Mitte und Ende der ganzen Sphäre in sich befasst, oder ruhend als noch nicht etwas anderes regierend, so würde sich dies wohl eignen um zu einer Vorstellung von der alles regierenden Seele zu gelangen. Nachdem sie dann auch den Körper mit ihr verbunden haben, nicht so, dass sie dadurch afficirt würde, sondern so, dass sie dem Andern – weil unter den Göttern kein Neid sein darf – mittheilt, soweit das Einzelne im Stande ist aufzunehmen, mussten sie dementsprechend von der Welt denken, dass sie nämlich der Seele so viel Macht einräumten, um die an sich nicht schöne Natur des Körpers, soweit sie einer Verschönerung fähig war, an der Schönheit Theil nehmen zu lassen, was ja schon hinreicht um die Seelen, die göttlichen Ursprungs sind, zu erregen. Sie müssten denn etwa leugnen, solche Regungen zu verspüren, und nicht zugeben, dass der Anblick hässlicher und schöner Körper auf sie einen verschiedenen Eindruck mache. Dann wird es für sie auch gleichgültig sein, ob sie schöne oder hässliche Beschäftigungen und Berufsarten, oder schöne Gegenstände des Lernens und Wissens, oder Betrachtungen oder Gott selbst sehen. Denn dieses hier hat ja seine Existenz durch das Erste. Wenn nun das Hiesige nicht schön ist, so ist es auch das Dortige nicht; es ist also das Hiesige schön nach dem Dortigen. Aber wenn sie behaupten, die irdische Schönheit zu verachten, so würden sie gut daran thun, wenn sie die Schönheit an Frauen und Knaben verachteten, um sich nicht von böser Lust überwältigen zu lassen. Aber man muss wissen, dass sie sich nicht rühmen würden, wenn sie das Hässliche verachteten, sondern dass sie es in Folge einer verkehrten Sinnesänderung verachten, nachdem sie es zuvor schön genannt haben; ferner, dass nicht dieselbe Schönheit am Theil und am Ganzen, an allen Einzeldingen und am All erscheint; ferner, dass dergleichen Schönheit sich auch an den sinnlich[151] wahrnehmbaren Dingen und den Theilwesen zeigt, z.B. an den Dämonen, so dass man ihren Schöpfer bewundern muss und glauben, ihre Schönheit rühre von dort her, und dass man von hier aus weiter schliessend die Schönheit jener Welt für überschwänglich erklären muss, indem man nicht am Irdischen haften bleibt, sondern von ihm aus zu jenem fortschreitet, ohne dabei dieses zu schmähen. Und ist nun auch das Innere schön, so muss man sagen, dass beides in Uebereinstimmung sei; ist das Innere aber schlecht, dass es an seinem bessern Theile zurückstehe. Es ist aber vielleicht gar nicht möglich, dass etwas in Wirklichkeit äusserlich Schönes im Innern hässlich sei; denn nicht jedes äusserlich Schöne ist Ausfluss eines beherrschenden Innern, sondern bei denjenigen, die für schön gehalten werden, während sie innerlich hässlich sind, ist auch die äussere Schönheit Schein und Lüge. Sollte indessen jemand behaupten, er habe wirklich schöne Menschen gesehen, die innerlich hässlich gewesen, so glaube ich, er hat keine gesehen, sondern versteht unter schönen ganz andere Leute; wenn aber doch, so behaupte ich, dass das Hässliche ihnen hinterdrein nur angeflogen sei, während sie ihrer Natur nach schön sind; denn es giebt hier unten viele Hindernisse zur Vollendung zu gelangen. Was sollte es aber für das All, wenn es schön ist, für ein Hinderniss geben auch innerlich schön zu sein? Freilich wem gleich von Anfang an die Natur Vollkommenheit versagte, dem konnte es vielleicht begegnen, nicht zur Vollendung zu gedeihen, so dass er möglicherweise selbst schlecht werden kann; das All aber konnte nicht zu irgend einer Zeit, einem Kinde gleich, unvollkommen sein, noch kam während seiner weitern Entwicklung etwas hinzu, auch wurde seinem Körper nichts hinzugefügt. Woher auch? Es hatte ja alles. Auch für die Seele lässt sich kein solcher Zusatz denken. Will man ihnen das ja einräumen, so doch kein schlechter.

18. Aber vielleicht werden sie sagen, jene Lehre bewirke, dass man weit weg vom Körper fliehe indem man ihn hasst, während die unsrige die Seele bei ihm zurückhalte. Das wäre etwa so wie wenn zwei Leute dasselbe schöne Haus bewohnten, von denen der eine seine Einrichtung und den Baumeister tadelt, nichtsdestoweniger aber in ihm wohnen bleibt, der andere dagegen es nicht tadelt, sondern erklärt, der Baumeister habe es sehr kunstgerecht gebaut, dabei aber wartet bis die Zeit kommt, zu der er aus ihm scheiden wird und keines Hauses mehr bedarf: jener erstere dünkt sich[152] etwa weiser zu sein und besser zum Auszuge bereit, weil er zu sagen weiss, dass die Wände aus unbeseelten Steinen und Holz bestehen und weit entfernt sind der wahrhaften Behausung zu entsprechen, ohne zu bedenken, dass er sich nur durch das Nichtertragen des Nothwendigen unterscheidet, sowenig er dies auch thut aus Abscheu, sondern vielmehr indem er heimlich die Schönheit der Steine recht gern hat. Wir müssen aber, solange wir einen Körper haben, in den Behausungen bleiben, welche uns zubereitet sind von der guten Schwester, der Seele, die Kraft genug besitzt um mühelos zu bilden und zu gestalten. Oder wollen sie auch die verworfensten Menschen als Brüder anreden, die Sonne dagegen und die Götter am Himmel und auch die Seele der Welt nicht Bruder nennen mit wahnwitzigem Munde? Schlechte Menschen darf man nicht in die Verwandtschaft dieser Wesen aufnehmen, wohl aber gute, die nicht bloss Körper sind sondern Seelen in den Körpern, welche so in ihnen zu wohnen vermögen, dass sie dem Wohnen der Weltseele im Weltkörper ganz nahe kommen. Das heisst aber, nicht straucheln und nicht Folge leisten den von aussen andringenden Lüsten oder dem Sichtbaren und sich nicht beunruhigen lassen von schweren Widerwärtigkeiten. Jene nun empfängt keine solchen gewaltsamen Eindrücke – woher auch? – wir aber, die wir hier sind, müssen diese gewaltsamen Eindrücke wohl durch Tugend zurückschlagen, welche theils schon durch die Grösse unserer Gesinnung schwächer werden, theils in Folge unserer Kraft garnicht dazu kommen auf uns einzuwirken. Und haben wir es dahin gebracht, dass äussere Eindrücke auf uns nicht einwirken, dann wollen wir die Natur der Weltseele und der Gestirne nachahmen, und sind wir zur grösstmöglichen Aehnlichkeit mit ihnen gelangt, dann wollen wir demselben Ziele zueilen wie sie, und dasselbe wird auch für uns Gegenstand des Schauens sein, da ja auch wir durch natürliche Anlage und eigenes Streben dazu wohl ausgerüstet sind; ihnen freilich kommt das von Anfang zu. Wenn also jene behaupten allein schauen zu können, so wird ihnen deshalb noch kein grösseres Schauen zu Theil, ebensowenig wenn sie sagen, es stehe ihnen nur frei im Tode dieser Welt zu enteilen, jenen dagegen nicht, da ihnen ewig obliegt des Himmels Ordnung zu schmücken. Eine solche Behauptung beweist nur, dass sie in Unwissenheit befangen sind über den wahren Begriff des ›Ausserhalb‹ und über die Art und Weise, wie die Seele des Universums das Reich des Seelenlosen mit weiser Fürsorge regiert. Also es[153] ist möglich dem Körper nicht anzuhangen, rein zu werden, den Tod zu verachten, ein höheres Wissen zu erlangen und dem Höchsten nachzujagen, auch ohne von den andern, die ihm nachzujagen im Stande sind und stets nachjagen, neidischen Sinnes zu behaupten, sie jagten ihm nicht nach, und ohne in den Fehler derer zu verfallen, die sich einbilden, die Gestirne bewegten sich nicht, weil ihnen die sinnliche Wahrnehmung sagt, dass sie stille stehn. Aus demselben Grunde wollen ja auch sie nicht glauben, dass die Natur der Gestirne das ausser ihnen Befindliche schaue, eben weil sie nicht sehen, dass ihre Seele sich ausserhalb befindet.[154]

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 129-155.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon