Zweites Buch.
Ueber die Gattungen des Seienden (II)

[259] 1. Da nun über die sogenannten zehn Gattungen eine Untersuchung angestellt, auch über die gesprochen ist, welche alles auf Eins zurückführen, indem sie die vier Kategorien gleichsam als Arten unter eine Gattung bringen: so dürfte das nächste sein auszusprechen, was uns hierüber dünkt, indem wir versuchen unsere Anschauungen auf die Ansicht des Plato zurückzuführen. Wenn man nun das Seiende als Eins setzen müsste, so wäre es durchaus nicht die Frage, weder ob eine Gattung bei allen Dingen vorhanden sei, noch ob die Gattungen sich nicht auf eine reduciren lassen, noch ob man sie als Principien, noch ob man die Principien eben auch als Gattungen zu setzen habe, noch ob die Gattungen eben als Principien oder die Principien zwar alle als Gattungen, nicht aber die Gattungen als Principien oder umgekehrt, oder in jedem Fall einige Principien als Gattungen und einige Gattungen auch als Principien oder in dem einen Fall alles zugleich als das andere, in dem andern einiges zugleich als das andere. Da wir aber das Seiende nicht als Eins betrachten – weshalb, ist von Plato und andern gesagt – so wird es vielleicht nothwendig, auch hierüber eine Untersuchung anzustellen, nachdem wir zuvor dargelegt haben, welche Zahl wir annehmen und wie. Da unsere Untersuchung sich also mit dem Seienden oder den Seienden [als Mehrzahl] beschäftigt, so ist es nothwendig, zuerst bei uns selbst dieses auseinander zu halten, was wir unter dem Seienden verstellen, um darüber jetzt eine ordentliche Untersuchung anzustellen, und was die andern unter dem Seienden verstehen, was wir als ein Werdendes, aber niemals als ein wahrhaft Seiendes bezeichnen. Man muss aber dies als von einander getrennt betrachten, nicht als ob die Gattung eines bestimmten Etwas in diese Klassen getrennt wäre, auch nicht meinen, dass Plato es so gemacht habe. Denn es wäre lächerlich, das Seiende mit dem Nichtseienden unter eine Gattung zu bringen, wie wenn jemand den Sokrates und sein Bildniss unter dieselbe Kategorie brächte. Denn theilen heisst hier: sondern und unterscheiden und aussprechen, dass das scheinbar Seiende nicht seiend ist, indem man sie darauf hinweist, dass etwas anderes das wahrhaft Seiende ist. Und indem er[259] dem Seienden die Bestimmung »ewig« hinzufügte, deutete er an, dass das Seiende von der Art sein müsse, dass die Natur des Seienden niemals eines Irrthums fähig sei. Indem wir also von diesem Seienden reden, werden wir hierüber auch als über ein nicht Eins Seiendes Untersuchungen anstellen; später werden wir, wenn's beliebt, auch über das Werden und das Werdende und die sichtbare Welt etwas sagen.

2. Da wir also das Seiende nicht als Eins bezeichnen, so doch als eine Anzahl? Vielleicht als unendlich; denn wie reden wir von dem nicht Einen anders als in der Meinung, dass es zugleich eins und vieles ist und als ein mannigfaches Eins das Viele zu einer Einheit zusammenschliesst? Dieses so beschaffene Eine muss demnach entweder der Gattung nach eins sein, während seine Arten das Seiende sind, wodurch es vieles ist und eins; oder es giebt mehrere Gattungen des Einen, die jedoch alle unter eine fallen; oder mehrere Gattungen, ohne dass die eine unter die andere fällt, sondern so dass eine jede umfasst was unter sie fällt, seien das nun kleinere Gattungen oder Arten und unter diesen Individuen, dergestalt dass alle insgesammt zu einer Natur beitragen und dass aus allen die intelligible Welt, die wir doch das Seiende nennen, ihren Bestand habe. Wenn also dies der Fall ist, dann müssen dies nicht bloss Gattungen sein, sondern auch zugleich Principien des Seienden: Gattungen, weil andere kleinere Gattungen und darauf Arten und Individuen unter sie fallen; Principien, wenn das Seiende dergestalt aus Vielem und hieraus das Ganze sein Dasein hat. Wären jedoch der Ursprünge mehrere und machten die zusammentretenden einzelnen Ganzen das All aus, ohne anderes unter sich zu befassen, so würden sie zwar Principien sein, Gattungen aber nicht; wie wenn z.B. jemand aus den vier Elementen die sichtbare Welt construirte, aus Feuer und dergleichen; denn dies würden zwar Principien sein, Gattungen aber nicht; man müsste denn das Wort Gattung homonymer Weise gebrauchen. Indem wir also sagen, es giebt gewisse Gattungen und ebendieselben sind Principien: bringen wir da nicht durch gegenseitige Mischung der Gattungen, eine jede mit dem unter sie Begriffenen zusammenwerfend, das Ganze zu Stande und bewirken so eine Confusion aller Dinge? Aber dann werden die einzelnen Gattungen der Möglichkeit, nicht der Wirklichkeit nach vorhanden sein, auch wird eine jede selbst nicht rein sein. Aber vielleicht werden wir die Gattungen bestehen lassen, die einzelnen Dinge aber mischen. Welche werden nun an und für sich die Gattungen[260] sein? Sie werden an und für sich sein und zwar rein, und das Gemischte wird sie nicht vernichten. Und wie? Doch davon später; jetzt aber, da wir zugegeben haben, dass Gattungen sind und ausserdem Principien der Substanz sowie in anderem Betracht Principien und Zusammensetzungen, muss zuerst gesagt werden, in Bezug worauf wir von Gattungen reden und wie wir sie von einander trennen und nicht unter eine Einheit bringen, als wären sie durch Zufall zusammengetreten und hätten eine Einheit gebildet; gleichwohl ist es viel rationeller, sie unter eine Einheit zu bringen. In der That, wenn alle Dinge Arten des Seienden sein könnten und unmittelbar an diese sich anschliessend die Individuen werden und ausser diesen nichts, dann könnte man vielleicht so verfahren; da aber eine solche Annahme ihre Aufhebung bedeutet – denn auch die Arten werden nicht Arten sein, noch überhaupt vieles unter eine Einheit fallen, sondern alles wird Eins sein, wenn nicht anderes oder andere Dinge ausser jenem Einen sind; denn wie sollte das Eine vieles werden, so dass es auch Arten erzeugte, wenn nicht etwas anderes ausser ihm wäre? Denn es selbst wird nicht vieles sein, wenn man es nicht wie eine Grösse zerstückeln will; aber auch so ist das Zerstückelnde ein anderes. Wenn es sich aber selbst zerstückeln oder überhaupt trennen wird, so wird es vor dem Getrenntwerden getrennt sein. Aus diesem Grunde also und aus vielen andern muss man von der einen Gattung abstehen, auch deshalb, weil es unmöglich ist, jedes Einzelne für sich betrachtet als seiend oder als Substanz zu betrachten. Nennt man es aber seiend, so wird man es nur accidentieller Weise so nennen, wie wenn man das Weisse eine Substanz nennen wollte; denn man bezeichnet nicht das Weisse an sich damit.

3. Wir nehmen also mehrere Gattungen an und nicht nach dem Zufall mehrere. Also von Einem her. Nun, wenn auch von Einem her, so jedoch, dass es im Sein nicht als Prädikat von ihnen ausgesagt wird, so hindert nichts, dass ein jedes, da es einem andern nicht gleichartig ist, für sich selbst eine Gattung sei. Ist nun etwa dieses ausserhalb der gewordenen Gattungen Befindliche zwar der Grund, aber nicht Prädikat der andern in ihrem wirklichen Sein? Es ist ausserhalb; denn das Eine ist über allem, als etwas, das nicht mitgezählt werden kann unter die Gattungen, wenn um seinetwillen das andere ist, das gleichmässig eins zum andern gelegt wird, damit es Gattungen bilde. Und wie ist jenes[261] nicht mitgezählt worden? Allein wir suchen das Seiende, nicht das über dem Seienden. Hiermit also verhält es sich so; wie aber steht es mit dem, was mitgezählt wird? Dabei könnte sich jemand wundern, wie dasselbe mitgezählt wird unter das von ihm Verursachte. Allerdings, wenn es selbst und das andere unter eine Gattung fällt, so ist es ungereimt; wenn es aber unter das von ihm Verursachte mitgezählt wird als die Gattung selbst und dann unmittelbar das andere folgt und dies Folgende von ihm selbst verschieden ist, und wenn es von diesem nicht als Gattung ausgesagt wird noch als sonst etwas: so muss es nothwendig selbst Gattungen geben, die anderes unter sich befassen. Denn gesetzt, du hättest das Gehen erzeugt, so würde das Gehen auch nicht unter dich als Gattung fallen; und wenn andererseits nichts anderes vor ihm wäre als seine Gattung, wohl aber anderes nach ihm, so wäre das Gehen eine Gattung in dem Seienden. Vielleicht ist aber überhaupt nicht zu sagen, das Eine sei der Grund der übrigen Dinge, sondern diese seien gleichsam Theile desselben und alles eine durch unser Denken getheilte Natur, es selbst aber sei ein durch erstaunliche Kraft über alles sich erstreckendes Eins und erscheine als vieles und werde vieles, etwa wenn es sich bewege, und die überströmende Fülle der Natur bewirke, dass das Eine nicht eins sei und wir, die wir gleichsam Theile desselben herausgriffen, setzten diese als das Eine und sprächen von einer Gattung ohne zu wissen, dass wir nicht das Ganze zugleich erblickten, sondern dass wir Theil für Theil herausgreifend sie wieder zu einer Einheit verbinden, indem wir sie, da sie zu sich selber hineilen, nicht lange Zeit hindurch festzuhalten vermögen. Darum lassen wir sie wieder los zum Ganzen bin und lassen so ein Eins werden oder vielmehr sein. Aber dies wird vielleicht deutlicher werden, wenn auch jene erkannt sind, wenn wir festgestellt haben, wieviel der Gattungen sind; denn so wird auch das Wie klar werden. Allein da man nicht bloss negative Sätze vorbringen, sondern zum Begriff und zur klaren Einsicht der erörterten Punkte vordringen muss, so ist auf folgende Weise zu verfahren:

4. Wenn wir die Natur des Körpers wollten kennen lernen, d.h. was in diesem Ganzen die Natur des Körpers selbst ist, so würden wir doch an einem seiner Theile [des Ganzen, also an einem Körper] zu erkennen suchen, z.B. am Steine, wie das eine sein Substrat ist, das andere seine Quantität, die Grösse, das dritte seine Qualität, wie z.B. die Farbe, und an[262] jedem andern Körper würden wir nachweisen, wie das in der Natur des Körpers das eine gleichsam die Substanz, das andere die Quantität, das dritte die Qualität ist, und zwar alles zusammen, aber begrifflich in die dreigetheilt, und die drei wären der eine Körper. Wenn mit seinem Bestand auch die Bewegung von Natur verbunden wäre, so würden wir auch diese mitgezählt haben und die vier wären eins und der eine Körper wäre zu einem und zu seiner Natur vollendet worden durch die Gesammtheit der Theile. Auf ebendieselbe Weise muss man, wenn von der intelligiblen Substanz und den dortigen Gattungen und Principien die Rede ist, eine intelligible Hypostase annehmen und zwar als wahrhaft seiend und noch in höherem Grade Eins, nach Abzug nämlich des Werdens in den Körpern und der sinnlichen Wahrnehmung und Grössen, denn auf diese Weise erhält man auch die Besonderung und die gegenseitige Differenz. Hierbei ist nun wunderbar, wie das so Eine vieles und eins sein kann; denn bei den Körpern wird ebendasselbe als eins und vieles zugestanden; denn ebendasselbe kann unendlich getheilt werden und ein anderes ist die Farbe, ein anderes die Gestalt, und sie werden getrennt; wenn aber jemand die Seele ansieht, die eine, untrennbare, grösselose, ganz einfache, wie sie beim ersten Anlauf des Denkens erscheinen wird: wie kann er da hoffen, sie auch wieder als vieles zu finden? Gleichwohl glaubte er schliesslich dahin zu gelangen, wenn das lebende Wesen in Körper und Seele getrennt wurde, und nachdem er den Körper als vielgestaltig, zusammengesetzt und mannigfach veränderlich, die Seele aber als einfach erfunden, glaubte er zuversichtlich auf seinem Wege ausruhen zu dürfen, da er bis zum ersten Anfang [Princip] vorgedrungen sei. Diese Seele also, da sie uns aus der intelligiblen Welt her gleichsam in die Hand gegeben ist, wie dort der Körper aus der sichtbaren, wollen wir vornehmen und betrachten, wie dieses Eine vieles und wie das Viele eins ist, nicht ein aus vielem zusammengesetztes Eins, sondern als eine Natur vieles; denn dadurch, dass dies angegriffen und klar gemacht wäre, sagten wir, werde auch die Wahrheit über die in dem Seienden vorhandenen Gattungen zur Klarheit gelangen.

5. Zuerst aber ist Folgendes zu erwägen: da von den Körpern, gleichviel ob der lebenden Wesen oder der Pflanzen, ein jeder vieles ist an Farben, Gestalten, Grössen, Formen der Theile oder sonstwo, alle aber herkommen aus Einem, so ist das entweder ein absolutes Eins oder dem gesammten Zustand[263] des Alls nach Eins; sicherlich ist es in höherem Grade Eins als das aus ihm Abgeleitete, folglich auch in höherem Grade seihend als das Gewordene; denn je grösser der Abstand vom Einen, desto grösser auch der vom Seienden. Da die Körper also aus Einem herstammen, nicht jedoch so Einem, dass es schlechthin Eins oder das Eine an sich wäre – denn sonst würde es keine differente Vielheit hervorbringen – so bleibt übrig, dass sie aus einem vielfachen Einen stammen. Das Hervorbringende aber war Seele, folglich ist dies ein vielfaches Eine. Wie nun? Ist die Vielheit gleich den [schöpferischen] Begriffen der werdenden Dinge? Ein anderes ist sie doch wohl selbst und andere die Begriffe? Nein sie ist selbst Begriff und Haupt der Begriffe, und die Begriffe sind ein Actus der nach ihrer Substanz wirkenden Seele; die Substanz aber ist die Potenz der Begriffe. Als vieles also erweist sich so dies Eine aus dem, was es auf anderes wirkt. Wie aber, falls sie nicht wirkt, sondern jemand sie betrachtet als eine nichtwirkende, indem er aufsteigt zu dem nichtwirkenden Theil an ihr? Wird er auch hier nicht viele Kräfte vorfinden? Denn dass sie ist, wird jeder zugeben: soll sie nun so sein, wie man auch vom Stein wohl sagt, er ist? Nein, nicht auf dieselbe Weise. Aber gleichwohl kommt auch dort beim Stein das Sein dem Stein nicht zu als das Sein, sondern als das Steinsein; ebenso hat auch hier das Sein für die Seele mit dem Sein zugleich das Seelesein. Ist nun also etwas anderes das Sein, etwas anderes das übrige, was das Wesen [die Substanz] der Seele erst erfüllt? Und ist dies seiend, während die Differenz die Seele macht? Freilich ist die Seele etwas Seiendes, nicht jedoch so, wie ein Mensch weiss ist, sondern nur so wie eine Substanz; das heisst aber soviel als: sie hat nicht ausser der Substanz was sie hat.

6. Aber hat sie es nicht etwa in der Weise nicht ausser ihrer eigenen Substanz, dass sie einerseits gemäss dem Sein wäre, andererseits gemäss dem ›so beschaffen sein‹? Allein wenn gemäss dem ›so beschaffen sein‹ und wenn das ›so beschaffen‹ ausserhalb ist, so wird nicht das Ganze, sofern es Seele ist, Substanz sein, sondern nur in gewisser Beziehung, und ein Theil derselben wird Substanz sein, aber nicht das Ganze. Was wird ferner das Sein für sie bedeuten ohne das übrige? Ist sie etwa Stein? Vielmehr muss dies ihr zugehören in ihrem Sein als Quelle und Princip, oder besser, es muss alles sein was sie selbst ist, folglich auch Leben und beides muss Eins sein. Ist sie nun etwa so Eins wie ein[264] Begriff? Nein das Subject [die Substanz] ist eins, und zwar so eins, dass sie andererseits die Zweiheit oder Mehrheit einschliesst, nämlich alles was die Seele ursprünglich ist. Entweder ist sie nun Substanz und Leben, oder sie hat Leben. Aber wenn sie es hat, so besteht das Habende an sich nicht im Leben und das Leben nicht in der Substanz. Aber wenn das eine das andere nicht hat, so ist beides Eins zu nennen. Vielmehr es ist eins und vieles und alles, was in dem Einen zur Erscheinung kommt, und eins für sich, hinsichtlich des andern aber vieles, und eins seiend, sich selbst aber zu vielem machend in einer Art Bewegung, und ganz und gar eins, sich selbst aber gleichsam als vieles zu schauen verlangend; wie ja auch das Seiende es nicht erträgt eins zu sein, da es alles sein kann was es ist. Das Schauen ist der Grund, dass es selbst als vieles erscheint, damit es denke; denn wenn es als eins erschienen ist, dachte es nicht, sondern es ist jenes schon.

7. Was ist es nun und wieviel, was in der Seele geschaut wird? Da wir in der Seele zugleich Substanz und Leben fanden und da gemeinsam in jeder Seele die Substanz, gemeinsam auch das Leben, das Leben aber im Intellect ist: so werden wir, indem wir auch den Intellect und das Leben dieses noch dazu einführen, das bei allem Leben Gemeinsame, die Bewegung als eine Gattung setzen, die Substanz aber und Bewegung, welche das erste Leben ist, werden wir als zwei Gattungen setzen. Denn auch wenn sie eins sind, trennt sie doch der Gedanke, nachdem er das Eine nicht als eins gefunden; sonst könnte er sie nicht trennen. Beachte aber auch in andern Dingen wohl, dass Bewegung und Leben vom Sein getrennt werden, wenn auch nicht in dem wahrhaftigen Sein, sondern im Schatten und in dem Homonymum des Seins. Denn wie in dem Bilde des Menschen vieles fehlt und gerade die Hauptsache, das Leben, so ist auch in der sichtbaren Welt das Sein ein Schatten des Seins, des vornehmlichen Seins beraubt, was in dem Urbilde Leben war. Doch haben wir sicher von daher die Berechtigung gewonnen, das Sein vom Leben zu trennen und das Leben vom Sein. Vom Seienden also giebt es viele Arten und eine Gattung; die Bewegung ist aber weder unter das Seiende noch in das Seiende zu setzen, sondern mit dem Seienden, da sie gefunden ist in demselben nicht wie in einem Substrat; denn sie ist die Wirksamkeit desselben und keins ist ohne das andere ausser in Gedanken, und beide Naturen sind eine; denn in Wirklichkeit ist das Seiende, nicht der Möglichkeit nach. Und wenn[265] du gleichwohl beides gesondert betrachtest, so wird auch in dem Seienden Bewegung erscheinen und in der Bewegung das Seiende, wie auch bei dem einen Seienden das eine das andere gesondert hatte, aber gleichwohl das Denken es zwei nennt und jede Art ein zweifaches Eins.

Da die Bewegung an dem Seienden erscheint, ohne dass sie die Natur desselben alterirt, sondern indem sie es in dem Sein gleichsam vollendet macht, und da in einer solchen Bewegung eine solche Natur stets bleibt: so würde jemand, wenn er die Ruhe nicht dazu einführte, noch ungereimter sein als der, welcher etwa die Bewegung nicht zugestände; denn der Gedanke und die Vorstellung der Ruhe liegt bei dem Seienden mehr auf der Hand als der der Bewegung; denn dort ist, was in demselben Zustand bleibt und in derselben Weise existirt und in derselben Form [Begriff] verharrt. Es sei also auch die Ruhe eine Gattung, verschieden von der Bewegung, als deren Gegentheil sie vielleicht erscheint. Dass sie von dem Seienden verschieden ist, dürfte auf mancherlei Weise klar sein und besonders deshalb, weil sie, wenn sie mit dem Seienden identisch wäre, es nicht in höherem Grade sein würde als die Bewegung mit dem Seienden identisch ist. Denn warum soll die Ruhe mit dem Seienden identisch sein, die Bewegung aber nicht, die gewissermassen sein Leben und die Energeia sowohl der Substanz als des Seins selbst ist? Indessen wie wir die Bewegung von ihm trennten als identisch und nicht identisch mit ihm und wie wir beides zwei nannten und wiederum eins, auf dieselbe Weise werden wir auch die Ruhe von ihm trennen und wiederum nicht trennen, indem wir es in Gedanken nur so weit trennen als hinreicht, um es als eine andere Gattung im Seienden zu setzen; oder wenn wir schlechthin die Ruhe und das Seiende in eins zusammenbrächten, indem wir sagten, dass sie sich durchaus in keiner Weise von ihm unterscheide wie ebenso auch das Seiende von der Bewegung nicht: so werden wir die Ruhe und die Bewegung durch Vermittelung des Seienden als identisch zusammenbringen, und die Bewegung und die Ruhe wird sich uns als eins ergeben.

8. Aber man muss diese drei setzen, wenn anders der Intellect ein jedes einzeln denkt; er denkt sie aber zugleich und setzt sie, wenn er sie denkt, und sie sind, wenn sie gedacht sind. Was freilich das Sein in Verbindung mit der Materie hat, das hat kein Sein im Intellect; dies ist vielmehr immateriell; was aber immateriell ist, dafür ist das Sein das Gedachtsein. Schaue also den Intellect rein an und blicke[266] unverwandt auf ihn, nicht mit diesen leiblichen Augen ihn betrachtend. Da schaust du ihn denn als der Wesenheit Heerd und ein nie schlummerndes Licht in ihm, und wie er in sich selber steht und wie das zusammen Seiende auseinandertritt, ferner ein bleibendes Leben und ein Denken, das nicht einwirkt auf das Zukünftige, sondern auf das Gegenwärtige, vielmehr auf das Gegenwärtige und stets Gegenwärtige, sodann das stets Vorhandene und wie er [der Intellect] in sich selber denkt und nicht ausserhalb. In dem Denken nun besteht die Wirksamkeit und die Bewegung, in dem sich selber Denken die Substanz und das Seiende; denn seiend denkt er sowohl sich selbst als seiend als auch das, worauf er sich gleichsam stützt, als seiend. Denn seine auf ihn selbst gerichtete Wirksamkeit ist nicht eine Substanz, das aber, worauf und wovon sie geht, ist das Seiende; denn das Erschaute ist das Seiende, nicht das Schauen; doch hat auch diese das Sein, weil das, wovon und worauf sie gellt, seiend ist. Da es aber in Wirklichkeit seiend ist, nicht der Möglichkeit nach, so verknüpft er [der Intellect] andererseits wieder beides und trennt es nicht, sondern er macht sich selbst zu jenem und jenes zu sich selbst. Seiend ist aber das Festeste von allem und dasjenige, in dessen Umkreis auch das übrige seine feste Position erhalten hat und besitzt nicht als etwas hinzugebrachtes, sondern aus sich selbst und in sich selbst. Es ist auch das Ziel des Denkens als eine Ruhe, die nicht angefangen hat, desgleichen der Ausgangspunkt desselben als eine Ruhe, die nichts in Bewegung gesetzt hat; denn die Bewegung entspringt nicht aus der Bewegung, noch geht sie über in Bewegung. Ferner besteht die Idee in der Ruhe als Begrenzung des Intellects, der Intellect aber ist ihre Bewegung, so dass alles eins ist, sowohl die Bewegung des die Ruhe, und was durch alles hindurchgeht sind Gattungen und ein jedes von dem Späteren ist ein bestimmtes Seiende und eine bestimmte Ruhe und eine bestimmte Bewegung.

Wenn also diese drei jemand erblickt, nachdem er sich aufgeschwungen zum Schauen der Natur des Seienden, und durch das Seiende bei ihm selbst das Seiende und durch das übrige das übrige erblickt, die Bewegung in ihm durch die Bewegung in sich selbst und die Ruhe durch die Ruhe; und wenn er dies zu jenem fügt, was vereinigt und gleichsam zusammengeschüttet ist, es mischend ohne es zu unterscheiden; wenn er dann aber, nachdem er es ein wenig gesondert und dabei verweilt und es geschieden hat, das Seiende und die Ruhe und die Bewegung erblickt, diese drei und ein jedes[267] einzeln: bezeichnet er es da nicht als von einander verschieden und sondert er es nicht in der Differenz und erblickt die Differenz in dem Seienden, indem er es als drei setzt und ein jedes einzeln; und wenn dies wieder in eins zusammenfällt und alles eins ist, indem er es wiederum auf ein und dasselbe zurückführt und zusammenschaut: sieht er da nicht, wie eine Identität enstanden ist und besteht? Wir müssen also zu jenen drei noch diese zwei hinzufügen: die Identität und die Differenz, so dass alle Gattungen in allem fünf sind; und diese verleihen den Dingen nach ihnen die Differenz und die Identität. Denn jedes einzelne ist ein bestimmtes Differente und ein bestimmtes Identische; denn das Identische und Differente an sich ohne ein bestimmtes Etwas würde unter eine Gattung fallen. Und die Gattungen sind die ersten, weil es von ihnen keine Aussagen in dem, was etwas bestimmtes ist, giebt. Das Sein wird freilich von ihnen ausgesagt, denn sie sind seiend; aber nicht als Gattung, denn sie sind nicht ein bestimmtes Seiende; auch von der Bewegung und der Ruhe wird das Sein in diesem Sinne nicht ausgesagt, denn sie sind nicht Arten des Seienden; denn das einzelne Seiende bildet zum Theil die Arten desselben [des Seins], zum Theil nimmt es Theil an ihm; andererseits hat auch das Sein nicht Theil an diesen als seinen Arten, denn sie sind ihm nicht übergeordnet noch früher als das Seiende.

9. Allein dass dies die ersten Gattungen sind, kann man hieraus und vielleicht auch aus anderem feststellen; wie aber soll man sich überzeugen, dass dies die einzigen sind und es nicht andere ausser ihnen giebt? Denn warum nicht auch die Einheit? Warum nicht die Quantität? die Qualität? die Relation und die übrigen, welche andere bereits aufgezählt haben? Das Eine nun, wenn das absolut Eine darunter verstanden wird, in welchem sich ausserdem nichts befindet, nicht Seele, nicht Intellect noch sonst etwas, das kann schwerlich von etwas ausgesagt werden, also ist es auch keine Gattung; wird aber das mit dem Seienden Verbundene darunter verstanden, in welchem wir das Eine als seiend bezeichnen, so ist das nicht mehr das ursprünglich Eine. Da es ferner in sich selber indifferent ist, wie könnte es Arten bilden? Wenn aber dies nicht, ist es keine Gattung. Wie soll man es auch theilen? Denn durch Theilung wird man es zu vielem machen; folglich würde das Eine vieles sein und sich selbst vernichten, wenn es eine Gattung sein wollte. Sodann wird man ihm durch Theilung in Arten etwas hinzufügen; denn es dürften in dem[268] Einen keine Unterschiede sein, sowie es deren von der Substanz giebt. Denn von dem Seienden vermag die Vernunft Unterschiede anzunehmen, wie aber von dem Einen? Sodann wird man, da man auf jeden Fall mit der Differenz eine Zweiheit setzt, das Eine aufheben, da ja überall der Zusatz einer Eins das frühere Quantum zu nichte macht. Wenn man aber sagt, das Eine im Seienden und das Eine in der Bewegung sei auch den andern Dingen gemeinsam, indem man das Seiende und das Eine als identisch fasst, so antworten wir: aus demselben Grunde, aus welchem man das Seiende nicht zu einer Gattung der andern Dinge machte, weil sie nicht gleich dem Seienden, sondern auf andere Weise sind, wird auch das Eine nicht in ihnen gemeinsam, sondern es wird theils ursprünglich, theils anders sein. Sagt man aber, dass man es nicht zu einer Gattung aller Dinge mache, sondern dass es ein gewisses Eins in sich sei, wie auch die andern Dinge, so führt man, wenn das Seiende und das Eine identisch ist, einen blossen Namen ein, da das Seiende bereits unter die Gattungen gezählt ist; ist jedes von beiden das Eine, so spricht man ihm eine bestimmte Natur zu, und fügt man etwas hinzu, so versteht man darunter das Eine, fügt man nichts hinzu, so versteht man hinwiederum jenes darunter, was von nichts ausgesagt wird. Wenn aber das mit dem Seienden Verbundene das Eine ist, so haben wir gesagt, dass man nicht das ursprünglich Eine damit aussagt. Aber was hindert, dass dies ursprünglich sei, abgesehen von jenem absolut Einen? Denn auch das Seiende nach jenem nennen wir seiend und zwar ursprünglich seiend. Vielleicht hindert, dass das vor ihm [das absolute Sein] nicht seiend war oder, wenn es war, so doch nicht ursprünglich; vielmehr ist das vor diesem [absoluten Sein] Eins. Trennt man ferner in Gedanken das Eine von dem Seienden, so hat es keine Unterschiede; liegt es ferner in dem Seienden, so ist es, wenn eine Folge von ihm, auch eine Folge von allem und später – die Gattung ist aber früher; wenn zugleich, so auch zugleich mit allen – die Gattung aber ist nicht zugleich; wenn früher, so ist es Princip und nur von ihm allein; wenn aber sein Princip, so nicht seine Gattung; wenn aber nicht seine Gattung, auch nicht die der andern Dinge; oder es müsste auch das Seiende gleichfalls eine Gattung aller andern Dinge sein. Denn überhaupt scheint das Eine in dem Seienden sich dem [absolut] Seienden zu nähern und gleichsam mit ihm zu coincidiren, während das Seiende sofern es zu jenem tendirt Eins ist, sofern es noch jenem ist ein Seiendes ist, was auch[269] vieles sein kann, indem es selbst Eins bleibt und nicht getheilt werden will und garnicht eine Gattung zu sein wünscht.

10. Wie ist nun ein jedes von dem Seienden eins? Dadurch dass es ein bestimmtes Eins ist, ist es nicht eins; denn ein bestimmtes Eins ist schon vieles; sondern eine jede der Arten ist nur homonymer Weise eins; denn die Art ist eine Menge, also wäre das Eins hier wie ein Heer oder ein Chor. Demnach ist also jenes Eins nicht in diesen, so dass das Eine nichts gemeinsames ist, auch in dem Seienden und den seienden Dingen nicht als dasselbe betrachtet würde; folglich ist das Eine keine Gattung. Denn jede Gattung umfasst nicht auch die Gegensätze von dem, von welchem sie in Wahrheit ausgesagt wird; sofern aber von einem alles Seienden in Wahrheit das Eine und die Gegensätze ausgesagt werden, so wird das Eine gerade von dem, von welchem es in Wahrheit als eine Gattung ausgesagt wird, nicht eine Gattung sein. Daher wird es in Wahrheit weder von den ersten Gattungen als eine Gattung ausgesagt werden, da ja das eine Seiende nicht in höherem Grade eins ist als vieles und keine von den andern Gattungen so eins ist, das sie nicht vieles wäre, noch auch von den späteren Gattungen, welche schlechterdings viele sind. Nun ist die gesammte Gattung durchaus kein Eins; folglich wird, wenn das Eine eine Gattung ist, es aufhören eins zu sein; denn das Eine ist keine Zahl, es wird aber eine Zahl sein, wenn es eine Gattung geworden ist. Das Eine ist ferner der Zahl nach eins; denn wenn es der Gattung nach eins ist, so ist es nicht ursprünglich eins. Wie ferner bei den Zahlen das Eine nicht als Gattung von ihnen ausgesagt wird, sondern als immanent, nicht als Gattung, so wird das Eine, wenn es in den seienden Dingen ist, weder die Gattung von dem Seienden noch von dem übrigen noch von allem sein. Wie ferner das Einfache Princip des Seienden, aber nicht seine Gattung ist – denn sonst wäre auch das Nichteinfache einfach – so wird auch bei dem Einen, wenn das Eine Princip ist, es nicht eine Gattung der Dinge nach ihm sein. Es wird also weder von dem Seienden noch von den andern Dingen eine Gattung sein. Aber wenn doch, so nur von den Einzeldingen, wobei man denn eine Trennung des Einen von der Substanz vornehmen würde. Es wird also Gattung sein von etwas. Denn wie das Seiende nicht Gattung von allem ist, sondern von den Arten, deren jede seiend ist, so ist auch das Eine Gattung von den Arten, deren jede eine ist. Wie unterscheidet sich nun das eine vom andern insofern sie Eins sind, wie ja auch das Seiende[270] sich eins vom andern unterscheidet? Aber wenn es mit dem Seienden und der Substanz getheilt wird und das Seiende durch die Theilung und dadurch, dass es als dasselbe in vielen erscheint, eine Gattung ist: warum soll nicht auch das Eine, das soviel erscheint als die Substanz und in ebenso viel getheilt wird, eine Gattung sein? Allein zuerst ist nicht nothwendig, dass, wenn etwas in vielen Dingen vorhanden ist, es eine Gattung sei weder deren, in denen es vorhanden, noch der andern, noch ist überhaupt etwas, wenn gemeinsam, durchaus eine Gattung. Der Punkt wenigstens, der vorhanden ist in den Linien, ist nicht Gattung weder dieser noch überhaupt, auch ist ja nicht, wie gesagt, das Eine in den Zahlen eine Gattung weder dieser noch der andern Dinge. Denn es muss das Gemeinsame und in vielem Vorhandene sowohl specifische Differenzen haben als auch Arien bilden und in einem bestimmten Etwas sein: welches wären aber die Differenzen des Einen? Oder welche Gattungen erzeugt es? Wenn es aber dieselben Gattungen erzeugt, die sich im Bereiche des Seienden finden, so wird es auch mit dem Seienden identisch sein und das andere ist ein blosser Name und es genügt das Seiende.

11. Es ist aber zu untersuchen, wie in dem Seienden das Eine und wie die sogenannte Theilung und überhaupt die der Gattungen stattfindet, und ob es die nämliche ist oder jede von beiden eine andere. Zuerst also: wie heisst überhaupt und ist jedes einzelne eins, sodann: bezeichnen wir es ebenso in dem einen Seienden wie es dort genannt wird? Das Eine in allein nun ist nicht, dasselbe; denn weder ist es in dem Sinnlichen ebenso wie in dein Intelligiblen – auch das Seiende ist es ja nicht einmal – noch in den sinnlichen Dingen untereinander auf gleiche Weise; denn es ist nicht dasselbe in einem Chor und Lager und Schiffe und Hause, noch auch in diesen wiederum und im Continuirlichen. Aber gleichwohl ahmt alles dasselbe nach, doch erlangt es das eine weniger, das andere mehr, es ist aber bereits und zwar mit grösserer Wahrheit im Intellect; denn die Seele ist eine und noch mehr ist der Intellect einer und das Seiende eins. Sagen wir nun also in einem jeden Dinge zugleich mit dem Sein desselben seine Einheit aus und dass es in demselben Maasse wie das Sein auch die Einheit habe? Es mag das zufällig eintreffen, nicht jedoch sofern es seiend und eins ist, sondern es kann das, was nicht weniger seiend ist, weniger eins sein. Denn es ist ein Heer oder Chor nicht weniger als ein Haus, aber gleichwohl ist es weniger eins. Es scheint also das in jedem einzelnen Eine[271] mehr auf das Gute zu blicken und soweit es das Gute erlangt, in soweit auch Eins zu sein und das Mehr und Weniger des Einen hierin zu liegen; denn ein jedes will nicht einfach sein, sondern verbunden mit dem Guten. Darum strebt auch das Nichteine soviel als möglich Eins zu werden: die natürlichen Dinge gehen von Natur selbst zur Einheit zusammen, indem sie miteinander vereinigt werden wollen; denn nicht von einander streben die Dinge, sondern zu einander und zu sich selbst; und alle Seelen möchten zur Einheit verschmelzen nach Währung des eigenen Wesens. Und von einem doppelten Gesichtspunkt aus ist das Eine zu betrachten: es ist der Ursprung und das Ziel, denn von ihm geht alles aus und zu ihm strebt es hin; denn auf diese Weise ist es auch das Gute; ohne das gelangt ja nichts im Seienden zu Stand und Wesen, und wäre es dazu gelangt, würde es nicht ertragen, das Streben nicht auf das Eine zu richten. So also verhält es sich mit den Naturproducten. Was aber die Kunstproducte anbetrifft, so bildet jede Kunst ein jedes hiernach soweit sie vermag und so wie jene dazu im Stande sind; das Seiende aber erlangt dasselbe am meisten von allen, denn es steht ihm nahe. Daher wird das andere einfach mit seinem Namen genannt, z.B. Mensch; denn wenn wir zuweilen sagen ein Mensch, so geschieht es im Hinblick auf zwei; sagen wir das Eine in anderer Weise von ihm aus, so geschieht es mit einem Zusatz. Sagen wir es von dem Seienden aus, so meinen wir, dass dieses ganz und gar Eins sei und wollen es als Eins bezeichnen, indem wir auf seine nahe Verwandtschaft mit dem Guten hinweisen. Das Seiende wird also das Eine und hat in ihm seinen Ursprung und sein Ziel; doch verhält es sich damit nicht ebenso [wie mit dem Einen] sondern andere, so dass es ein Früheres und Späteres auch in dem Einen giebt. Was ist nun das Eine in ihm? Nichts was gleicher Weise in allen Theilen und als gemeinsam betrachtet wird? Nun, zunächst ist auch in den Linien der Punkt gemeinsam und doch nicht die Gattung der Linien; so ist auch in den Zahlen die Eins gemeinsam und nicht Gattung; auch ist ja das Eine an und für sich nicht identisch mit der Eins in der Einheit und Zweiheit und den übrigen Zahlen. Sodann hindert nichts, dass auch in dem Seienden das eine zuerst, das andere später sei, das eine einfach, das andere zusammengesetzt. Und wenn das Eine in allen Dingen identisch ist mit denen des Seienden, so giebt es keine Differenz an ihm noch bildet es Arten; wenn es aber keine Arten bildet, so kann es selbst auch nicht Gattung sein.[272]

12. Dies also auf diese Weise. Wie aber besteht für die Zahlen, die doch leblos sind, das Gute darin, dass ein jedes Eins ist? Nun, gemeinsam ist dies auch in den andern leblosen Dingen. Wendet jemand ein, dass sie überhaupt nicht seien, so haben wir von dem Seienden gesprochen, sofern ein jedes Eins ist. Fragen die Gegner, wie denn der Punkt am Guten Theil hat (vorausgesetzt dass sie sein Vorhandensein an sich zugeben), so forschen sie, falls sie ihn als leblos annehmen, nach ebendemselben, was auch bei andern dergleichen Dingen statthat; setzen sie ihn anderswo, z.B. im Kreise, so ist das Gute des Kreises auch für ihn gut und sein Verlangen geht darauf und er strebt hierdurch zu jenem hin. – Aber wie soll man sich diese Gattungen vorstellen? Sind es auch die einzelnen getheilten Dinge? Nun, jedes ist ein Ganzes in jedem der Dinge, dessen Gattung es ist. Und wie ist es [das Gute] noch Eins? Nun, das der Gattung nach Eine ist wie ein ganzes in vielen Dingen. Ist es nun bloss in den Dingen, die an ihm Theil haben? Nein, es ist sowohl an sich als auch in den Theil habenden Dingen. Allein das wird vielleicht später deutlicher werden.

13. Jetzt fragt es sich, wie die Quantität nicht zu den ersten Gattungen gehört und ebenso die Qualität. Die Quantität ist gleich den andern keine erste Gattung, weil jene zugleich mit dem Seienden sind. Denn die Bewegung ist zugleich mit dem Seienden, dem in Wirklichkeit Seienden als sein Leben; die Ruhe tritt mit der Substanz selbst ein, noch mehr ist mit diesen die Differenz und Identität verbunden, so dass auch sie zugleich mit geschaut werden. Die Zahl aber ist später als jene und als sie selbst, und das Spätere kommt von dem Früheren und auf einander Folgenden, und das Spätere ist in dem Früheren enthalten; folglich kann sie unter die ersten Gattungen nicht mitgerechnet werden; es fragt sich, ob sie überhaupt eine Gattung sei. Die Grösse jedoch ist noch mehr ein Späteres und Zusammengesetztes; denn in ihr liegt die Zahl und die Linie (also zwei) und die Fläche (also drei). Wenn nun von der Zahl auch die Continuirliche Grösse das Quantum hat, wie kann sie dies haben, wenn die Zahl keine Gattung ist? Es ist aber in den Grössen auch das Frühere und das Spätere. Wenn aber das Gemeinsame in beiden die Quantität ist, so ist zu ermitteln, was dieses sei, und wenn wir es gefunden, haben wir es als eine spätere Gattung zu setzen, nicht unter die ersten zu zählen; und wenn es keine Gattung unter den ersten ist, so ist es zurückzuführen auf[273] eine der ersten oder derer, die auf die ersten zurückgeführt werden. Klar ist also vielleicht, dass die Natur der Quantität ein gewisses Quantum anzeigt und das Quantum eines jeden misst und selbst ein gewisses Quantum ist. Aber wenn das Quantum in der Zahl und Grösse das Gemeinsame ist, so ist entweder die Zahl zuerst und die Grösse stammt von ihr, oder die Zahl besteht überhaupt in einer Mischung von Bewegung und Ruhe und die Grösse ist eine Art Bewegung oder aus der Bewegung, indem die Bewegung ins Unbegrenzte fortgeht, die Ruhe in dem Anhalten des Fortschreitenden die Eins hervorbringt. Allein über die Genesis der Zahl und Grösse, oder vielmehr ihre Hypostase und ihren Begriff, ist später eine Untersuchung anzustellen. Denn vielleicht gehört die Zahl zu den ersten Gattungen, die Grösse aber ist später in der Zusammensetzung; und die Zahl gehört zu den Füllenden Dingen, die Grösse besteht in der Bewegung. Aber hiervon später, wie gesagt.

14. Hinsichtlich der Qualität fragt es sich, warum sie nicht zu den ersten Gattungen gehört. Deshalb, weil auch sie später ist und nach der Substanz. Die erste Substanz muss diese als Consequenzen haben, nicht aber aus diesen bestehen noch durch diese mit erfüllt werden; sonst würde sie später sein als Qualität und Quantität. In den zusammengesetzten nun und aus vielem bestehenden Substanzen, in welchen auch Zahlen und Qualitäten einen wechselseitigen Unterschied machen, mag es auch Qualitäten geben und es wird in ihnen eine Gemeinsamkeit erkannt werden; in den ersten Gattungen ist nicht zwischen einfachen und zusammengesetzten der Unterschied zu machen, sondern zwischen einfachen und den die Substanz completirenden, d.h. nicht eine bestimmte Substanz. Denn das ist vielleicht nicht ungereimt, dass eine bestimmte Substanz auch aus der Qualität erfüllt werde, indem sie die Substanz bereits vor der Qualität, ihr bestimmtes Wesen aber von aussenher hat; die Substanz an sich aber muss was sie hat essentiell haben. Jedoch behaupteten wir anderweitig, dass die Complemente der Substanz homonymer Weise Qualitäten seien, das von aussenher nach der Substanz Vorhandene aber eigentlich Qualität sei, und dass das in den Substanzen Liegende thätige Wirksamkeit, das nach ihnen Folgende bereits Affection sei; jetzt aber sagen wir, dass die Eigenschaften einer bestimmten Substanz überhaupt nicht Complemente der Substanz sind; denn sie werden für den Menschen, sofern er Mensch ist, kein substantieller Zusatz zur Vollendung des Wesens; sondern er ist[274] von obenher eine Substanz, bevor er differenzirt wurde, wie er auch schon ein lebendes Wesen war, ehe er ein vernünftiges wurde.

15. Wie erfüllen und vollenden nun die vier Gattungen die Substanz, ohne sie schon zu einer qualificirten Substanz zu machen? Sie constituiren ja auch nicht eine bestimmte Substanz. Dass nun das Seiende zuerst ist, ist gesagt worden, und dass die Bewegung, Ruhe, Differenz und Identität nichts anderes sind, ist klar; und dass diese Bewegung eine Qualität nicht bewirkt, ist vielleicht einleuchtend, wird aber durch eine Auseinandersetzung noch deutlicher werden. Denn wenn die Bewegung ihre Energeia ist, das Seiende aber und überhaupt das Erste Energeia, so dürfte die Bewegung nicht ein Accidens sein, sondern als Energeia eines in Wirklichkeit Seienden wird sie auch nicht mehr Complement [des Seienden] genannt werden können, sondern selbst das Seiende; folglich kommt sie nicht hinein in etwas Späteres noch in die Qualität, sondern sie ist geordnet für das gleichzeitig Existirende. Denn das Seiende ist nicht und ist dann bewegt, noch ist es und ruht dann; auch ist die Ruhe keine Affection, die Identität und Differenz sind nicht später, weil das Eine nicht später vieles wurde, sondern war was es war: ein vielfach Eines; wenn aber vieles, so auch Differenz, und wenn ein einheitlich Vieles, auch Identität. Und dies genügt für die Substanz; will man zu der sichtbaren [untern] Welt herabsteigen, dann giebt es andere Elemente, die nicht mehr eine Substanz constituiren; sondern eine bestimmte qualitative und quantitative Substanz, und dann mögen Gattungen entstehen, aber nicht erste.

16. Wie aber sollte die Relation, die einem Seitenschössling gleicht, zu den ersten Gattungen gehören? Denn die Disposition ist ein Verhältniss des einen zum andern und nicht zu sich selbst. Das Wo und Wann steht den Gattungen noch ferner: denn das Wo ist ein anderes in einem andern, also zwei; die Gattung aber muss eine sein, nicht eine Zusammensetzung; auch der Ort gehört nicht dorthin; es handelt sich jetzt aber um das wahrhaft Seiende. Es fragt sich, ob die Zeit dorthin gehört; doch gehört sie vielleicht noch weniger dorthin. Denn wenn sie ein Maass ist, und zwar nicht einfach ein Maass, sondern das Maass der Bewegung, so ist das Ganze ein zweifaches und zusammengesetztes und später als die Bewegung, folglich nicht zu derselben Klasse gehörig wie die Bewegung. Das Thun und das Leiden liegt in der Bewegung. Wenn also das Leiden und das Thun dort liegt, das Thun aber ein zweifaches[275] ist, so ist es in gleicher Weise auch das Leiden; keins von beiden ist also einfach. Auch das Haben ist ein zweifaches und das Liegen bedeutet, dass eins im andern auf diese Weise sich befindet, also ist es ein Dreifaches.

17. Aber das Schöne und das Gute und die Tugenden: warum gehören sie nicht zu den ersten Gattungen? Nun das Gute, wenn es das Erste ist – und so bezeichnen wir doch die Natur des Guten, von der es kein Prädikat giebt, sondern wir drücken uns nur so aus, da wir eine andere Bezeichnung nicht dafür haben – dürfte keine Gattung sein. Denn es wird nicht von andern Dingen ausgesagt oder es würde ein jedes von denen, wovon es ausgesagt wird, eben das Prädikat sein; auch ist jenes vor der Substanz, nicht in der Substanz. Ist das Gute etwa einer Qualität gleich, so gehört die Qualität überhaupt nicht zu den ersten Gattungen. Wie also? Ist die Natur des Seienden nicht gut? Zuerst ist es gut auf andere Weise und nicht so wie das Erste; und es ist gut nicht wie eine Qualität, sondern in sich selbst. Aber in ihm, sagten wir, beständen auch die andern Gattungen, und weil eine jede etwas gemeinsames war und in vielen Dingen erblickt wurde, war es eine Gattung. Wenn nun also auch das Gute an einem jeden Theile der Substanz oder des Seienden oder doch an den meisten erblickt wird: warum ist es nicht eine Gattung und zwar eine der ersten? Allein in allen Theilen ist es nicht dasselbe, sondern es ist gut auf erster, zweiter u.s.w. Stufe; denn entweder weil das eine von dem andern, das spätere von dem früheren, oder weil alles von dem Transscendenten herstammt, nimmt das eine so, das andere so je nach seiner Natur daran Theil. Will man es gleichwohl als eine Gattung setzen, so ist es eine spätere; denn es ist später als die Substanz und sein Gutsein ist ein bestimmtes, auch wenn es stets mit ihr verbunden ist, jene aber gehörten dem Seienden an, sofern es ein Seiendes ist und zur Erzeugung der Substanz beiträgt. Denn von dorther erhebt sich auch das über das Seiende Hinausliegende, da das Seiende und die Substanz nicht ein Nichtvieles sein kann, sondern selbst diese aufgezählten Gattungen haben und ein vielfaches Eins sein muss. Wenn wir inzwischen kein Bedenken tragen das Gute in dem Seienden die naturgemäss auf das Eine abzielende Wirksamkeit [Energeia] zu nennen und zugeben, dass dies das Gute an ihm sei, damit es von dorther gutartig sei, so wird dies Gute eine auf das Gute gerichtete Wirksamkeit sein; dies aber ist sein Leben, und dies ist die Bewegung, welche bereits eine der Gattungen ist.[276]

18. Hinsichtlich des Schönen liesse sich, wenn jenes die erste Schönheit ist, dasselbe und ähnliches sagen wie über das Gute; und wenn es das an der Idee gleichsam Hervorstrahlende ist, so lässt sich einwenden, dass dies nicht in allen Dingen dasselbe und dass das hinzukommende Hervorstrahlen etwas späteres ist. Wenn aber das Schöne nichts anderes ist als die Substanz selbst, so ist darüber bei der Substanz gesprochen. Wenn es aber darin besteht, dass es auf uns die Sehenden einen solchen Eindruck macht, so ist dieses Wirken eine Bewegung; und wenn die Wirksamkeit auf jenes hinführt, so ist es Bewegung. Es ist auch die Wissenschaft Bewegung an sich als ein Schauen des Seienden und Wirksamkeit, aber nicht ein Zustand; folglich gehört sie gleichfalls unter die Bewegung oder wenn man will unter die Ruhe oder auch unter beide; wenn unter beide, als etwas gemischtes; wenn das, so ist das Gemischte später. Der Intellect aber als ein denkendes Seiende und ein aus allem Zusammengesetztes ist nicht eine der Gattungen; und der wahre Intellect ist ein mit allem verbundenes Seiende und in Wahrheit alles Seiende, das blosse nackte Seiende aber ist, zur Gattung gezogen, ein Element desselben. Gerechtigkeit ferner und Besonnenheit und überhaupt Tugend sind alle Wirksamkeiten des Intellects; also gehören sie nicht zu den ersten Gattungen, sind später als die Gattung und sind Arten.

19. Bilden nun diese vier ersten Gattungen eine jede für sich wohl Arten? Lässt sich z.B. das Seiende wirklich in sich theilen ohne die andern? Nein; denn man muss die Differenzen ausserhalb der Gattung nehmen und die Differenzen müssen zwar dem Seienden angehören insofern es seiend ist, dürfen es jedoch selbst nicht sein. Woher wird es dieselben nun haben? Aus dem Nichtseienden doch wohl nicht. Wenn demnach aus dem Seienden, das Uebrige aber die drei Gattungen bilden, so hat es sie offenbar aus diesen und verbunden mit diesen, welche hinzugefügt und beigesellt werden und zugleich entstehen. Aber zugleich entstehend bringen sie dies eben hervor, das aus allen besteht. Wie ist nun das Uebrige nach dem, das aus allen besieht? Und wie bringen alle als Gattungen Arten hervor? Wie die Bewegung Arten der Bewegung? Desgleichen die Ruhe und die übrigen? Denn auch darauf muss man Acht haben, dass eine jede nicht in den Arten verschwindet noch andererseits die Gattung bloss Prädikat sei, als in jenen wahrgenommen, sondern dass sie in jenen zugleich und in sich sei und gemischt auch wieder rein und nicht gemischt[277] vorhanden sei, und dass sie nicht sich selbst, indem sie anderem zum Sein verhilft, vernichte. Diese Fragen also sind zu untersuchen. Da wir behaupteten, das aus allen Substanzen Resultirende sei die Einzelintelligenz, vor allen Substanzen aber als Arten und Theilen das Seiende und die Substanz als Gesammtvernunft setzten, so bezeichnen wir damit die Intelligenz als etwas späteres. Und eben diese Aporie wollen wir uns für die Untersuchung zu Nutze machen und indem wir sie gleichsam als Beispiel verwerthen, uns selbst in die Erkenntniss der angegebenen Punkte hineinzwingen.

20. Nehmen wir also an, die Vernunft stehe einerseits in gar keinem Verhältniss zu dem Particularen und sei an keinem bestimmten Gegenstande wirksam, damit nicht eine besondere Intelligenz entstehe, gerade so wie Wissenschaft besteht vor den einzelnen Arten, ja auch die specielle Wissenschaft vor den Theilen in ihr: die Gesammtwissenschaft ist, ohne irgendeiner der einzelnen Begriffe zu sein, die Möglichkeit aller, jeder einzelne aber ist jenes in Wirklichkeit, und auch der Möglichkeit nach alles, und bei der Gesammtwissenschaft hat dasselbe Verhältniss statt; die einen sind besondere Wissenschaften, welche der Möglichkeit nach in der Gesammtwissenschaft liegen, die eben nach Annahme des Speciellen der Möglichkeit nach die ganze sind – denn Prädikat ist die gesammte, nicht ein Theil der gesammten; sie selbst muss jedenfalls unversehrt in sich bleiben –: so also muss man sagen, auf eine andere Weise existire die Gesammtvernunft vor den in Wirklichkeit seienden Einzelintelligenzen, auf eine andere die Einzelintelligenzen: die einzelnen erhalten ihren Inhalt aus allen Begriffen, die Gesammtvernunft ist Führerin der einzelnen, ist ihre Potenz und hat jene in den allgemeinen Begriffen, und jene wiederum hat in den Theilbegriffen die Gesammtvernunft, wie die besondere Wissenschaft die Wissenschaft; ferner existirt sowohl die grosse Gesammtvernunft an und für sich als auch die Einzelintelligenzen in sich selbst, es werden die einzelnen Intelligenzen von der gesammten und die gesammte von den einzelnen umschlossen, die einzelnen sind in sich und in einem andern und jene ist in sich und in jenen, in jener an sich seienden sind alle der Möglichkeit nach d.h. in jener, die in Wirklichkeit alles zugleich, der Möglichkeit nach jedes gesondert ist, die einzelnen hinwiederum sind in Wirklichkeit was sie sind, der Möglichkeit nach aber das Ganze. In soweit sie nämlich das sind was sie heissen, sind sie in Wirklichkeit jenes was sie heissen; sofern sie aber in jener Gattung sind, sind[278] sie jenes der Möglichkeit nach; jene dagegen, sofern sie Gattung ist, ist die Möglichkeit aller unter sie fallenden Arten und nichts von jenen in Wirklichkeit, sondern alles in ihr liegt ruhig da; insofern sie aber was sie ist vor den Arten in Wirklichkeit ist, ist sie Wirklichkeit der nicht einzelnen Begriffe. Es muss also, wenn anders sie in Wirklichkeit d.h. in der Art sein sollen, die von jener ausgehende Energie der Grund werden.

21. Wie bringt nun die Gesammtvernunft, die selbst begrifflich Eine bleibt, das Particulare hervor? Das heisst: wie entstehen aus jenen vier Gattungen die sogenannten Arten? Betrachte demnach, wie alles aus ihr in ihr ist, in dieser grossen und unendlichen Vernunft, die nicht viel redet sondern viel denkt, in dieser alles ausmachenden, ganzen Vernunft, die nicht eine particulare noch bestimmte Vernunft ist. Zahl also hat sie schlechterdings in den Dingen, die sie schaut, und sie ist eins und vieles, und dies sind Kräfte und zwar erstaunliche Kräfte, nicht schwache, sondern als reine sind sie sehr gross und gleichsam strotzend und in Wahrheit Kräfte, die nicht bloss bis zu einem gewissen Punkte reichen; demnach sind sie unendlich, und so entsteht Unendlichkeit und die Grösse. Indem du nun diese Grösse mit dem Schönen der Substanz in ihr und dem Glanz und Licht um sie als intellectuelle Dinge erblickst, siehst du auch schon die Qualität daran erblühen und mit der Continuität der Wirksamkeit die Grösse, die in ihrer Ruhe verharrend durch deine Intuition in die Erscheinung tritt. Da hier nun eine Einheit und Zweiheit und Dreiheit ist, so auch die Grösse als ein dreifaches und die gesammte Quantität. Wird die Quantität und die Qualität sichtbar und zwar so, dass beide in eins zusammengeben und gleichsam eins werden, so erblicke auch die Figur. Indem die Differenz und das, was die Quantität wie die Qualität theilt, hereintritt, entstehen auch die Unterschiede und andern Qualitäten der Figuren; und in Verbindung damit ruft die Identität die Gleichheit ins Dasein, die Differenz die Ungleichheit in der Quantität, der Zahl und Grösse, woraus Kreis, Quadrate und ungleichseitige Figuren entstehen, ferner gleiche und ungleiche, ungerade und gerade Zahlen. Denn da hier ein intelligibles Leben und eine vollkommene Wirksamkeit herrscht, so umfasst es alles, was wir jetzt als ein intelligibles Werk auffinden, es hat alles, indem es dasselbe als in seiner Kraft befindlich hat und ebenso wie es die Vernunft hat. Die Vernunft hat es aber im Denken, und zwar durch ein nicht discursives[279] Denken; es fehlt nichts von dem was Begriff ist, sondern es ist gleichsam ein Begriff, ein grosser, vollkommener, alle umfassender, von seinen eigenen Ursprüngen ausgehender, oder vielmehr stets ausgegangener, so dass in Wahrheit niemals ein Ausgehen [Discursives] statthat. Denn überall wird man, was man durch Ueberlegung als in der Natur befindlich erschliesst, als in der Vernunft ohne Ueberlegung befindlich antreffen, so dass man annimmt, das Seiende habe eine so überlegende Vernunft hervorgebracht, wie es ja auch stattfindet bei den die lebenden Wesen erzeugenden Begriffen; denn wie die genaueste Ueberlegung am besten schliesst, so verhält sich alles in den Begriffen, die vor der Ueberlegung sind. Was also muss man als vorhanden vermuthen in dem, was vor der Natur und über die Begriffe in ihr hinaus liegt? Denn da wo die Substanz nichts anderes ist als Vernunft und weder das Seiende noch die Vernunft etwas hinzugebrachtes, da dürfte es mühelos in der besten Verfassung sein, wenn anders es der Vernunft gemäss dasein wird, und dies ist das Seiende, was die Vernunft will und ist; daher ist es auch wahrhaft und ursprünglich; denn wenn es von einem andern stammt, so ist jenes die Vernunft. Da also in dem Seienden alle Figuren zur Erscheinung kommen und die gesammte Qualität – denn eine bestimmte war nicht da; denn eine konnte unmöglich dasein, da die Differenz mit vorhanden war, sondern eine und viele; denn auch die Identität war da; ferner war es eins und vieles und von Anfang an ein derartiges Seiende, dass in allen Arten das Eine und Viele war, also auch verschiedene Grössen und verschiedene Figuren und verschiedene Qualitäten; denn füglich konnte nichts ausgelassen werden, da das Ganze dort vollkommen ist, oder es wäre nicht das Ganze – da ferner das Leben hinzutritt oder vielmehr überall darin ist, so entstanden alle lebenden Wesen mit Nothwendigkeit und auch Körper waren da, weil Materie und Qualität vorhanden waren. Da nun alle stets geworden sind und bleiben und in ihrem Sinn von der Ewigkeit umschlossen sind, wobei ein jedes gesondert ist was es ist und doch wieder alle in einem zusammen sind, so ist gleichsam die Verflechtung aller in Einem befindlichen Dinge und ihre Zusammensetzung die Vernunft; und dadurch dass sie das Seiende in sich hat, ist sie ein vollendetes lebendes Wesen und dies seinem Begriffe nach, dadurch aber dass sie sich dem aus ihr Entstandenen selbst zum Anschauen darbietet als ein für jenes denkbar Gewordenes, verleiht sie die Möglichkeit richtiger Benennung.[280]

22. Dies deutet auch Plato an, wenn er sagt: ›insofern die Vernunft die Beschaffenheit und Anzahl der in dem vollendeten lebenden Wesen vorhandenen Ideen schaut.‹ Denn auch die Seele nach der Vernunft, welche insofern sie Seele ist sie in sich hat, schaut dieselben besser in dem was vor ihr ist; und unsere Vernunft, die sie gleichfalls in sich hat, schaut sie besser in dem was vor ihr ist; denn in sich selbst schaut sie sie nur, in dem was vor ihr ist schaut sie auch, dass sie schaut. Diese Vernunft nun, von der wir das Schauen aussagen, ist nicht getrennt von der vor ihr, aus der sie stammt, und weil sie aus Einem vieles ist und die Natur des Differenten mit sich vereinigt hat, so wird sie ein vielfaches Eine. Die eine und vielfache Vernunft aber bringt auch die vielen Intelligenzen aus einer solchen Nothwendigkeit hervor. Ueberhaupt darf man das Eine nicht als Zahl und Einzelheit [Individuum] fassen; denn was man begrifflich fasst, ist Form; denn es ist ohne Materie. Deshalb sagt Plato, indem er auch dies dunkel andeutet, die Substanz lasse sich ins unendliche zertheilen. Denn solange die Theilung in eine andere Art, etwa aus der Gattung, geht, ist sie nicht unendlich; denn sie wird begrenzt durch die erzeugten Arten; die letzte Art aber, die nicht mehr in Arten getheilt wird, ist mehr unendlich. Und das bedeutet der Ausspruch: ›dann aber muss man, wenn man bereits bis ins unendliche vorgedrungen, die Sache aufgeben und gut sein lassen.‹ Indessen, soweit die Einzelheiten in sich sind, sind sie unendlich; dadurch dass sie von dem Einen umfasst werden, fallen sie schon unter die Zahl. Die Vernunft nun hat das auf sie Folgende als Seele, so dass auch die Seele bis zu ihrem letzten Theile in der Zahl liegt, während der äusserste Theil von ihr schon durchaus unendlich ist. Und eine solche Vernunft ist Theil, obgleich sie alles hat, und die Gesammtvernunft und ihre Einzelintelligenzen, die in Wirklichkeit sind indem sie Theil ist, sind Theile, die Seele aber ist ein Theil des Theils, jedoch als eine Wirksamkeit aus jener; denn wenn sie in sich selbst wirksam ist, so sind die Wirkungen die andern Intelligenzen, wenn sie aus sich herauswirkt, Seele. Wenn die Seele aber wirkt als Gattung oder Art, so sind die andern Seelen wie Arten; und die Wirksamkeiten dieser sind zweifache. Denn die nach oben hin ist Vernunft, die nach unten hin die andern Kräfte in geordneter Folge; die letzte befasst sich schon mit der Materie und gestaltet sie, und der untere Theil derselben verhindert das übrige All nicht oben zu sein. Vielmehr ist auch der sogenannte[281] untere Theil derselben ein Bild derselben, aber nicht ein abgeschnittenes, sondern den Bildern im Spiegel vergleichbar, solange das Urbild aussen vorhanden ist. Man muss aber begreifen, wie es sich mit dem Urbild aussen verhält. Und bis zu dem hin, was vor dem Abbild liegt, ist die intelligible Welt ganz vollkommen aus allem Intelligiblen, sowie diese Welt als eine Nachahmung jener, soweit sie das Bild eines lebenden Wesens bewahren kann, das lebende Wesen selbst ist, wie das Gemälde oder das Spiegelbild im Wasser dem angehört, was vor dem Wasser und dem Gemälde zu sein scheint. Die Nachahmung in dem Gemälde und Wasser aber ist nicht die Nachahmung von beiden zusammen, sondern von dem einen, das durch das andere gestaltet ist. Ein Bild der intelligiblen Welt also hat die Abbilder nicht des Schöpfers, sondern der in dem Schöpfer befassten Dinge, wozu auch der Mensch und jedes andere lebende Wesen gehört; ein lebendes Wesen ist auch dieses Abbild und das was es geschaffen hat, jedes von beiden auf andere Weise und beides im Intelligiblen.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 259-282.
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