Drittes Buch.
Ueber die Gattungen des Seienden (III)

[282] 1. Welches unsere Ansicht über die Substanz ist und wie sie milder Meinung Platos übereinstimmt, ist gesagt worden. Es gilt aber auch eine Untersuchung über die andere Natur, ob wir hier dieselben Gattungen anzunehmen haben, die wir dort annahmen, oder hier mehr, indem wir ausser jenen noch andere setzen, oder überhaupt andere, oder ob die einen jenen dort gleich, die andern verschieden sind. Man muss jedoch das ›gleich und identisch‹ nach der Analogie und Homonymie verstehen; das wird nach dem Ergebniss der Untersuchung klar werden. Unser Ausgangspunkt ist dieser: Da unsere Untersuchung sich mit dem sinnlich Wahrnehmbaren beschäftigt, alles sinnlich Wahrnehmbare aber eingeschlossen ist durch diese Welt, so wird eine Untersuchung über die Welt nöthig sein durch Zerlegung ihrer Natur, und nach Zerlegung der Theile, aus denen sie besteht, müssen wir diese nach Gattungen[282] disponiren, wie wir ähnlich etwa verfahren würden, wenn wir die Stimme, die unendlich ist, eintheilen wollten durch Zurückführung auf eine bestimmte Anzahl von Tönen: das Nämliche in vielen Gegenständen reduciren wir auf Eins, dann wieder ein anderes und wieder ein anderes, bis ein jedes von ihnen zu einer bestimmten Zahl gelangt ist, und dabei nennen wir das, Gemeinsame in den Individuen Art, das Gemeinsame in den Arien Gattung. Bei der Stimme nun war es möglich, jede Art und alle Laute zusammen auf eine Einheit zurückzuführen und diese als Element aller oder Stimme zu bezeichnen; bei der uns vorliegenden Untersuchung ist es nicht möglich, wie gezeigt worden. Deshalb muss man mehrere Gattungen aufsuchen und für dieses All andere als jene, da ja diese auch von jener verschieden ist und kein Synonymum, sondern ein Homonymum und Bild. Aber da auch hier in der Mischung und in der Zusammensetzung das eine Körper, das andere Seele ist – denn das Ganze ist ein lebendes Wesen – und da die Natur der Seele in jener intelligiblen Welt sich nicht einmal einfügen wird in die Ordnung der hier sogenannten Substanz, so ist sie, wenn es auch schwierig wird, gleichwohl von dem hier vorliegenden Gegenstand der Untersuchung auszuscheiden, ähnlich wie man, wenn man die Bürger einer Stadt in Ordnungen abtheilen will, etwa nach dem Census oder nach den Künsten, die anwohnenden Fremden draussen lässt. Was die Affectionen angeht, welche mit dem Körper oder durch den Körper die Seele treffen, so ist über deren Ordnung später zu handeln, wenn wir die Bestandtheile dieser Welt untersuchen.

2. Zuerst gilt es die sogenannte Substanz zu betrachten, wobei wir zugestehen, dass die körperliche Natur homonymer Weise oder überhaupt nicht einmal Substanz genannt wird, weil ihr der Begriff des Fliessenden eignet, sondern recht eigentlich Werden und Entstehen. Sodann sind die Gegenstände des Werdens theils so, theils so beschaffen; und die Körper werden in eine Einheit zusammengefasst, die einfachen wie die zusammengesetzten, ihre accidentiellen Bestimmungen oder Wirkungen, indem wir auch diese von einander sondern; oder wir nennen das eine Materie, das andere die Form an ihr, und bezeichnen ein jedes gesondert als Gattung oder bringen beides unter eine Einheit, indem wir ein jedes von beiden homonymer Weise als Substanz bezeichnen. Aber was ist das Gemeinsame an Materie und Form? Wie ist die Materie eine Gattung und wovon? Denn welche Differenz hat die Materie? In welche Ordnung ist das aus beiden Zusammengesetzte zu[283] stellen? Falls aber das aus beiden Zusammengesetzte selbst die körperliche Substanz ist, ein jedes von jenen beiden aber nicht Körper: wie kann es dann in eine Gattung und in dieselbe wie das Zusammengesetzte eingeordnet werden? wie die Elemente eines Dinges zugleich mit ihm? Wollten wir mit den Körpern anfangen, so hiesse das mit den Silben anfangen. Warum aber sollten wir nicht, wenn auch die Eintheilung nach identischen Gegenständen unmöglich ist, wenigstens nach der Analogie an Stelle des dort Seienden die Materie hier, an Stelle der dortigen Bewegung hier die Form setzen als ein gewisses Leben und als Vollendung der Materie, während die Trägheit der Materie der Ruhe entspricht, und ebenso die Identität und Differenz, da auch hier vielfache Verschiedenheit und noch mehr Aehnlichkeit ist? Zuerst indessen hat und empfängt die Materie die Form nicht als ihr Leben oder ihre Wirkungskraft, sondern sie kommt von anderswo her hinzu als ein ihr nicht Zugehöriges. Sodann ist dort die Form eine Wirkungskraft und Bewegung, hier aber die Bewegung etwas anderes und accidentielles; die Form ist mehr ihr Stillstand und gleichsam ihre Ruhe; denn sie begrenzt die an sich unbegrenzte; die Identität und die Differenz kommen dort Einem zu, das identisch und different ist, hier aber wird das Differente hinzugenommen und tritt zu einem andern hinzu und das Identische und Differente ist ein bestimmtes Etwas und überhaupt kann wohl in dem Späteren etwas nicht sein wie dort. Wie kann ferner die Ruhe der Materie zugesprochen werden, da sie in alle Grössen auseinandergezogen wird und von aussen her die Formen empfangt und für sich selbst nicht ausreicht, zugleich mit diesen die andern Dinge zu erzeugen? Diese Eintheilung also ist aufzugeben.

3. Wie aber theilen wir? Zunächst so: Materie, Form, das aus beiden Gemischte, die hierauf bezüglichen Dinge; diese letzteren sind theils Attribute, theils accidentielle Bestimmungen; von diesen sind die einen in den Dingen enthalten, die andern enthalten die Dinge, sie sind theils Thätigkeiten, theils Affectionen, theils Consequenzen; und die Materie ist zwar gemeinsam in allen Substanzen, nicht jedoch eine Gattung, weil sie keine Differenzen hat – man müsste denn mit Rücksicht darauf von Differenzen sprechen, dass die eine eine feurige Form, die andere die Gestalt der Luft hat. Hält man es für ausreichend, dass sie in allen Dingen, denen Materie zu Grunde liegen kann, das Gemeinsame sei oder sich wie das Ganze zu den Theilen verhalte, so mag sie in anderer Bedeutung[284] eine Gattung sein; und dieses Eine ist ein Element, da auch das Element eine Gattung sein kann; die Form sondert man, wenn man die an der Materie oder in der Materie hinzugenommen hat, zwar von den andern Formen, umspannt jedoch nicht jede wesenhafte Form. Nennen wir aber Form das, was die Substanz hervorbringt, und wesenhaften Begriff den Begriff gemäss der Form, so haben wir noch nicht gesagt, wie man die Substanz zu begreifen hat. Fasst man das allein, was aus beiden zusammengesetzt ist, als Substanz, so sind jene beiden nicht Substanzen; wenn aber sowohl jene als dieses, so ist zu untersuchen, was das Gemeinsame ist. Die Attribute aber durften zur Kategorie der Relation gehören, z.B. Ursache, Element sein. Von den accidentiellen Bestimmungen an den Dingen sind die einen Quantitäten, die andern Qualitäten, die an ihnen haften; andere enthalten die Dinge, wie Raum und Zeit, andere sind Thätigkeiten und Affectionen, wie Bewegungen, andere Consequenzen, wie Raum und Zeit: der eine eine Consequenz zusammengesetzter Dinge, die andere der Bewegung. Und diese drei [ersteren], finden wir, laufen in ein Gemeinsames zusammen, in die hier homonymer Weise so genannte Substanz; dann folgen die übrigen der Reihe nach: Relation, Quantität, Qualität, in der Zeit, an dem Orte, Bewegung. Doch vielleicht ist nach Annahme von Ort und Zeit die Kategorie ›in der Zeit und an dem Orte‹ überflüssig, so dass sich fünf ergeben, angenommen, das die ersten drei eins sind; sollen die drei nicht in eins zusammengehen, so haben wir: Materie, Form, das aus beiden Zusammengesetzte, Relation, Quantität, Qualität, Bewegung. Doch lassen sich auch diese [drei letzten] auf die Relation zurückführen; denn sie ist umfassender.

4. Was ist nun das Nämliche in den Dreien und was wird es sein, was diese zur Substanz d.h. zu einer sinnlich wahrnehmbaren Substanz macht? Macht es etwa diese zu einer Art Basis für die andern Dinge? Allein die Materie scheint Basis und Stützpunkt [Sitz] für die Form zu sein, folglich wird die Form nicht in der Substanz sein; ferner ist das Zusammengesetzte Basis und Sitz für anderes, folglich wird auch die Form mitsammt der Materie den zusammengesetzten Dingen zu Grunde liegen oder wenigstens allen nach dem Zusammengesetzten, wie der Quantität, Qualität, Bewegung. Aber vielleicht ist es das, was von keinem andern ausgesagt wird? Denn das Weisse und Schwarze wird von einem andern, dem weiss [und schwarz] Gemachten, ausgesagt, ebenso das Doppelte[285] von einem andern – ich meine nicht die Zugehörigkeit zur Hälfte, sondern eine doppelte Masse Holz – auch der Vater wird von einem andern ausgesagt, insofern er Vater ist, desgleichen die Wissenschaft von dem, worin sie ist, und der Ort ist die Grenze eines andern und die Zeit das Maass eines andern: aber das Feuer wird nicht von einem andern ausgesagt, noch auch das Holz insofern es Holz ist, noch der Mensch noch Sokrates noch Überhaupt die zusammengesetzte Substanz noch die substantielle Form, weil sie nicht Affection eines andern war; denn sie ist nicht Form der Materie, wohl aber Theil des aus beiden Zusammengesetzten; Form des Menschen und Mensch ist dasselbe; die Materie ist Form eines Ganzen und eines andern als des Ganzen, nicht insofern jenes, von dem sie ausgesagt wird, etwas anderes ist; das Weisse dagegen, was prädicirt wird, eignet einem andern. Was also als einem andern angehörig von jenem ausgesagt wird, ist nicht Substanz; Substanz ist demnach, was seinem Wesen nach sich selber angehört oder als Theil ein derartig Zusammengesetztes ergänzt und vollendet: in Wahrheit gehört an ihm jedes oder jedes von beiden sich selber an, im Verhältniss zum Zusammengesetzten aber wird es in anderer Weise von jenem ausgesagt; insofern es Theil ist, wird es mit Rücksicht auf ein anderes ausgesagt, da es aber an sich von Natur durch sein Sein ist was es ist, wird es nicht von einem andern ausgesagt. Gemeinsam scheint auch das Substrat in der Materie, der Form und dem Zusammengesetzten zu sein; allein auf andere Weise ist die Materie für die Form, auf andere Weise die Form für die Affectionen und das Zusammengesetzte Substrat; oder vielmehr, weder ist die Materie Substrat für die Form – denn die Form ist ihre Vollendung sofern sie Materie und sofern sie Potenz ist – noch auch andererseits die Form in dieser; denn da, wo mit einem andern etwas ein bestimmtes Eins [ein concretes Ding] zu Stande bringt, wird nicht das eine in dem andern sein, sondern beides zusammen Substrat für ein anderes, wie z.B. Mensch und ein bestimmter Mensch Substrat sind für die Affecte und früher vorhanden sind als die Thätigkeiten und mitfolgenden Wirkungen, desgleichen die Substanz, von der das übrige und um derentwillen das übrige und dasjenige ist, an welchem die Affection statthat, und von der das Thätigsein stammt.

5. Es ist dies von der hiesigen sogenannten Substanz zu verstehen; wenn dies irgendwie auch bei jener zutrifft, so geschieht es vielleicht nach der Analogie und in homonymer[286] Weise. Denn auch das Erste heisst so im Vergleich zu dem nach ihm; denn es ist nicht schlechthin das Erste, vielmehr ist im Vergleich zu jenem Letzten anderes ein Erstes nach jenem. Auch das Subject wird in anderer Weise gefasst und es fragt sich, ob dort das Leiden stattfindet, und wenn dort, so ist das Leiden dort ein anderes; auch das ›nicht in einem Subject sein‹ gilt von jeder Substanz, wenn das in einem Subject Befindliche nicht als ein Theil von dem, worin es ist, vorhanden sein darf, auch nicht so, dass es in Gemeinschaft mit jenem beitragt zur Vollendung eines einheitlichen Dinges; denn in dem, mit welchem es gemeinschaftlich zur Vollendung einer zusammengesetzten Substanz beiträgt, dürfte es nicht als in einem Subject sein; folglich ist weder die Form in der Materie als in einem Subject noch der Mensch im Sokrates, da er ein Theil des Sokrates ist. Was also nicht in einem Subject ist, ist Substanz. Wenn wir aber sagen: nicht in einem Subject noch von einem Subject, so ist hinzuzufügen: einem andern, damit auch der Mensch, welcher von einem bestimmten Menschen prädicirt wird, durch die Definition mitbefasst wird in dem Zusatz: nicht von einem andern. Denn wenn ich den Menschen vom Sokrates prädicire, so geschieht das nicht so wie ich das Holz weiss, sondern wie ich das Weisse weiss nenne; denn wenn ich den Sokrates einen Menschen nenne, so nenne ich einen bestimmten Menschen einen Menschen und sage von dem Menschen im Sokrates den Menschen aus; das heisst aber soviel als den Sokrates Sokrates nennen und ferner von diesem vernünftigen Geschöpf das Geschöpf prädiciren. Sagt man aber, es sei der Substanz nicht eigenthümlich nicht in einem Subject zu sein, denn auch die Differenz sei nicht in einem Subject, so giebt man zu, indem man etwa die Differenz ›zweifüssig‹ als einen Theil der Substanz auffasst, dass dies nicht in einem Subject sei; denn wenn man nicht das Zweifüssige, was eben diese bestimmte Substanz ausmacht, sondern die Zweifüssigkeit darunter versteht, also nicht von einer Substanz, sondern von einer Qualität redet, so wird das Zweifüssige freilich in einem Subject sein. Aber auch die Zeit und der Ort sind nicht in einem Subject. Definirt man die Zeit als das Maass der Bewegung nach dem Gemessenen, so wird das Maass in der Bewegung wie in einem Subject sein und die Bewegung in dem Bewegten; definirt man sie nach dem Messenden, so wird das Maass in dem Messenden sein. Der Ort als die Grenze des umschliessenden Raumes ist in jenem. Jedoch im Bereiche dieser Substanz, von der[287] es sich handelt, kann man ganz im Gegentheil entweder nach einem von diesen oder nach mehreren oder nach allen angeführten Dingen die so beschaffene Substanz verstehen, da das Gesagte sowohl für die Materie als für die Form als für das aus beiden Zusammengesetzte passt.

6. Sagt aber jemand: gut, es gelte diese Betrachtung der Substanz; was sie aber ist, ist nicht gesagt: so verlangt er vielleicht auch noch dies sinnlich Wahrnehmbare zu sehen. Dies Sein und Wesen dürfte indessen nicht zu sehen sein. Wie also? Das Feuer und das Wasser ist keine Substanz? – Ist es nun aber Substanz, weil es gesellen wird? Nein. Aber doch weil es Materie hat? Nein. Aber doch weil es Form hat? Auch das nicht. Ja auch nicht weil es ein Zusammengesetztes ist. Aber wodurch denn? Durch das Sein. Allein das Quantum ist und das Quale ist. Wir werden also behaupten, dass dies nur homonymer Weise ist. Aber was ist das Sein beim Feuer, bei der Erde und dem ähnlichen Dingen? und welcher Unterschied besteht zwischen diesem Sein und dem bei den andern Dingen? Dieser, dass das eine das schlechthinnige Sein und das schlechthin Seiende, das andere das Weiss sein bezeichnet. Wie also? Ist das dem Weissen beigelegte Sein identisch mit dem Sein ohne Zusatz? Keineswegs; sondern das eine ist ein Seiendes im ersten Grade, das andere infolge der Theilnahme und im zweiten Grade. Denn einerseits macht das Weisse als Zusatz zum Seienden das Seiende weiss, andererseits macht das Seiende als Zusatz zum Weissen das Weisse seiend, so dass sowohl das Weisse ein Accidens für das Seiende als das Seiende ein Accidens für das Weisse ist. Und das meinen wir nicht so, als wenn man etwa den Sokrates weiss und das Weisse Sokrates nennen wollte; denn in beiden Fällen ist Sokrates ein und derselbe. Aber das Weisse ist vielleicht nicht ein und dasselbe; denn in dem Satze: das Weisse ist Sokrates, ist Sokrates durch das Weisse miteinbegriffen; in dem Satze aber: Sokrates ist weiss, ist das Weisse sein Accidens. Denn hier hat das weiss Seiende das Weisse als Accidens, aber in dem Satze: das Weisse ist seiend, ist das Weisse durch das Seiende miteinbegriffen. Und überhaupt hat das Weisse das Sein, weil dies um das Seiende und in dem Seienden ist; von jenem also stammt das Sein: das Seiende aber ist von sich selbst das Seiende, während von dem Weissen das Weisse stammt, nicht weil es selbst in dem Weissen ist, sondern das Weisse in ihm. Aber da auch dieses Seiende, das in[288] dem sinnlich Wahrnehmbaren, nicht von sich selbstseiend ist, so muss man sagen, dass es von dem wahrhaft Seienden das Seiende hat und von dem wahrhaft Weissen das Weisssein, indem auch jenes das Weisse hat infolge der Theilnahme an dem Seienden dort, welches das Sein hat.

7. Wenn aber jemand sagt, von der Materie hätten die Dinge hier, soviele an ihr sind, das Sein, so werden wir den Nachweis darüber fordern, woher die Materie das Sein und das Seiende haben soll. Dass die Materie nicht ein ursprüngliches ist, ist anderswo gesagt; behauptet man, dass die andern Dinge nicht anders als an der Materie zu Stande kämen, so werden wir das von den sinnlich wahrnehmbaren zugeben. Dass sie aber, obwohl früher als diese, doch später ist als viele andern und als alle intelligiblen, daran hindert nichts, da sie das Sein nur dunkel und williger als die Dinge an ihr hat, um so viel weniger nämlich als diese zum Theil Begriffe sind und mehr aus dem Seienden stammen, jene aber durchaus begriffelos ist, ein Schatten und Abfall vom Begriff. Behauptet jemand, diese gebe das Sein den Dingen an ihr, wie Sokrates dem Weissen an ihm, so ist zu sagen, dass das mehr Seiende wohl dem minder Seienden das Sein verleihen könne, nicht aber das minder Seiende dem mehr Seienden. Wenn aber die Form in höherem Grade seiend ist als die Materie, so ist das Seiende nicht mehr etwas gemeinsames in beiden noch die Substanz eine Gattung, welche die Materie, die Form, das Zusammengesetzte hat, sondern es wird ihnen vieles gemeinsam sein, was wir auch zugeben, das Differente aber gleichwohl das Sein. Denn wenn zu dem minder Seienden ein mehr Seiendes hinzutritt, so wird dies zwar der Reihe nach das erste, dem Wesen nach das spätere sein; folglich wird, wenn das Sein der Materie und der Form und dem Zusammengesetzten nicht in gleichem Maasse zukommt, die Substanz als Gattung nicht mehr das gemeinsame sein; in anderer Weise jedoch wird sie sich zu den Dingen nach ihr verhalten, nämlich als etwas gemeinsames zu ihnen dadurch, dass sie ihnen angehört, so wie die Lebensäusserung theils dumpfer, theils deutlicher, und die Bildkunst theils eine Zeichnung im Umriss, theils eine deutlichere Ausgestaltung ist. Misst man aber das Sein nach dem dunkleren Grade des Seins und übersieht den höheren Grad in den andern Dingen, so wird hinwiederum dies Sein das gemeinsame sein. Allein so darf man doch niemals verfahren; denn jedes andere ist ein Ganzes, aber das Dunkle ist nicht etwas gemeinsames, wie es denn auch schwerlich[289] etwas gemeinsames ist in dem vegetativen, sensitiven und vernünftigen Leben. Auch hier also ist das Sein in der Materie und Form ein anderes und beides kommt her von einem Einen, das anders und anders ihnen zufliesst. Denn nicht nur, wenn das Zweite von dem Ersten und das Dritte von dem Zweiten kommt, ist das eine besser, das folgende schlechter und geringer, sondern auch wenn beide von ebendemselben kommen; und wenn das eine in nähere Berührung mit dem Feuer kommt, so entsteht etwa ein Thongefäss, anderes dagegen kommt in weniger nahe Berührung, so dass kein Thongefäss entsteht. Vielleicht indessen kommt nicht einmal die Materie und die Form von ebendemselben; denn eine Differenz besteht auch in jenen.

8. Allein die Eintheilung in Elemente muss man füglich aufgeben, besonders wenn es sich um die sinnliche Substanz handelt, die man mehr durch die Wahrnehmung als durch den Begriff auffassen muss und deren Bestandtheile man nicht hinzuzufügen braucht – denn jene sind nicht Substanzen oder wenigstens keine sinnlichen Substanzen – und wenn man nur unter eine Gattung zusammenfasst das Gemeinsame an Stein, Erde, Wasser und den hieraus bestellenden Pflanzen, sofern sie sinnlich wahrnehmbar sind, und ebenso den lebenden Wesen; denn die Materie und die Form wird dabei nicht übergängen sein, da die sinnliche Substanz diese hat; denn Materie und Form ist das Feuer und die Erde und was zwischen ihnen liegt, das Zusammengesetzte aber bildet schon viele zur Einheit zusammengeschlossene Substanzen; und das Gemeinsame kommt diesen allen zu, sofern sie von den andern Dingen getrennt sind; denn diese sind Subjecte für die übrigen und nicht in einem Subject oder einem andern gehörig; und alles was aufgezählt ist, kommt dieser Substanz zu. Aber wenn die sinnliche Substanz nicht ohne Grösse und nicht ohne Qualität ist, wie werden wir da noch die Accidentien trennen? Denn wenn wir diese trennen, die Grösse, die Figur, die Farbe, Trockenheit, Feuchtigkeit: als was werden wir die Substanz selbst bestimmen? Denn diese Substanzen sind qualificirte. Allein es ist etwas bestimmtes, dem dasjenige zukommt was aus dem blossen Begriff der Substanz eine bestimmte Substanz macht; und es wird nicht das Feuer als Ganzes eine Substanz sein, sondern etwas von ihm, gleichsam ein Theil. Und was wäre dies? Die Materie. So ist also wohl die sinnliche Materie ein Conglomerat von Qualitäten und Materie, und alles dieses zusammen festgeheftet an einer Materie ist Substanz, einzeln[290] aber ein jedes genommen wird es ein Quale oder Quantum sein oder viele Qualitäten; und was nach seinem Defect die Hypostase nicht mehr zur Vollständigkeit gelangen lässt, ist ein Theil dieser Substanz, was aber an der fertigen Substanz haftet, das hat seine eigene Stellung und ist versteckt in der Mischung, welche die sogenannte Substanz hervorbringt? Und meine Meinung geht nicht dahin, dass das, was dort in Verbindung mit dem andern existirt, eine Substanz sei, indem es eine einzige Masse von der und der Grösse ausmacht, während es anderswo, indem es diese nicht ausmacht, eine Qualität sei, sondern ich behaupte, dass auch dort nicht ein jedes Substanz sei, wohl aber das aus allem zusammengesetzte Ganze. Und man darf es nicht bemängeln, wenn wir die sinnliche Substanz aus Nicht-Substanzen bestehen lassen; denn auch das Ganze ist keine wahre Substanz, sondern eine Nachahmung der wahren, welche ohne die andern in ihr befindlichen Dinge das Seiende hat und zwar so, dass die andern aus ihr werden, weil sie in Wahrheit war; auf diese Weise ist denn auch das Substrat unfruchtbar und nicht ausreichend um ein seiendes zu sein, weil auch das übrige nicht aus ihm stammt: ein Schatten vielmehr ist es und in ihm dein Schattenhaften die Bilder und der Schein.

9. Ueber die sogenannte sinnliche Substanz und die eine Gattung soviel; welche Arten aber kann man davon aufstellen und wie diese theilen? Dass alles insgesammt Körper ist, muss man annehmen, und zwar die einen mehr materielle, die andern organische Körper: materielle sind Feuer, Erde, Wasser, Luft; organische sind die Körper der Pflanzen und Thiere, die gemäss den Formen ihre Unterschiede erhalten haben; sodann muss man die Arten der Erde und der andern Elemente in Betracht ziehen, und bei den organischen Körpern muss man die Pflanzen und die Körper der Thiere nach den Formen eintheilen entweder je nachdem sie auf der Erde oder in der Erde sich befinden und nach jedem Element das was in ihm ist oder in schwere, leichte und mittlere Körper, und diese je nachdem sie in der Mitte [der Erde] stellen oder die obere oder mittlere Region umfassen, und in jeder dieser Theilungen befinden sich bereits nach Figuren geschiedene Körper, so dass die einen Körper himmlischer Wesen sind, die andern den andern Elementen entsprechen; oder man sondert die vier Elemente und fasst das hiernach Folgende auf andere Weise wieder zusammen und zwar indem man ihre Unterschiede verbindet nach den Oertern und Formen und Mischungen, wie z.B. die[291] Körper feurige oder erdige genannt werden je nachdem ein Element vorwiegt oder zurücktritt. Was aber die Benennung erste und zweite Substanzen angeht, z.B. dieses bestimmte Feuer und Feuer, so ist zu beachten, dass in verschiedener Weise wohl eine Differenz statthat, sofern dies etwas Einzelnes, jenes etwas Allgemeines ist, aber keine Differenz des Wesens; denn auch einem Dinge von bestimmter Beschaffenheit ist ein bestimmtes Weiss und Weiss, eine bestimmte Grammatik und Grammatik. Was hat sodann die Grammatik weniger im Verhältniss zu einer bestimmten Grammatik und überhaupt die Wissenschaft im Verhältniss zu einer bestimmten Wissenschaft? Denn die Grammatik ist nicht später als eine bestimmte Grammatik, sondern vielmehr, weil die Grammatik ist, ist auch die in dir; denn die in dir ist ja eine bestimmte dadurch dass sie in dir ist; diese ist aber identisch mit der allgemeinen. Und Sokrates verlieh nicht selbst dem Nicht-Menschen Mensch zu sein, sondern der Mensch dem Sokrates; denn durch Theilnahme am Menschen entsteht der bestimmte Mensch. Sodann, was wäre Sokrates als dieser so beschaffene Mensch, und dieses ›so beschaffen‹ was könnte es wirken zur Erzeugung einer Substanz im höhern Grade? Wenn deshalb, weil die Form allein der Mensch ist, die Form aber in der Materie ist, so würde danach der Mensch weniger Mensch sein; denn in der Materie ist der Begriff geringer. Wenn ferner auch der Mensch nicht blosse Form, sondern in der Materie ist, was wird er weniger haben als der in der Materie, da er ja selbst Begriff des in einer bestimmten Materie befindlichen ist? Ferner ist das von Natur Frühere mehr ein Gattungsbegriff, also auch die Art mehr als das Individium; das von Natur Frühere ist auch schlechthin früher. Wie sollte es also weniger sein? Aber das Einzelne ist als ein für uns Früheres leichter erkenntlich; in der Wirklichkeit der Dinge, aber macht das keinen Unterschied. Sodann wird auf diese Weise die Definition der Substanz nicht eine sein; denn die der ersten und der zweiten ist nicht dieselbe, auch fallen sie nicht unter eine Gattung.

10. Man kann auch so theilen; warme und trockene, trockene und kalte, kalte und feuchte Körper oder wie man [die Qualitäten] paaren will; sodann macht man hieraus eine Zusammensetzung und Mischung und theilt je nachdem sie hier bei dem Zusammengesetzten stehen bleiben oder nach dem Standort in und auf der Erde oder nach den Formen und den Unterschieden der Thiere, indem man dabei nicht die Thiere eintheilt, sondern Bach den Körpern derselben als den Organen[292] eintheilt. Es ist aber nicht absurd, die Differenz nach den Formen zu statuiren, da ja auch die Eintheilung nach den Qualitäten, nach Warme, Feuchtigkeit und dergleichen es nicht ist. Wirft man ein: ›aber hiernach schafft die Natur die Körper‹, so werden wir entgegnen, dass sie sie auch nach den Mischungen, nach den Farben und Figuren schafft. Da ja von der sinnlichen Substanz die Rede ist, so dürfte es nicht ungereimt sein, wenn man sie nach sinnenfälligen Unterschieden zu begreifen sucht; denn diese ist nicht etwas schlechthin seiendes, sondern dies Ganze ist ein sinnlich seiendes: sagten wir doch auch, dass die scheinbare Hypostase derselben ein Aggregat sinnlicher Qualitäten sei und dass diese ihre Beglaubigung durch die Sinne erhielten. Wenn aber die Zusammensetzung eine unendliche ist, so darf man nach Arten theilen, dergleichen die mit dem Körper verbundene Art des Menschen eine ist; denn diese ist eine Qualität des Körpers, nach Qualitäten aber einzutheilen ist nicht absurd. Wirft man uns vor, dass wir die Körpertheils einfach, theils zusammengesetzt genannt haben, indem wir das Zusammengesetzte als ausschliessenden Gegensatz dem Einfachen gegenüberstellten –: wir haben sie materiell und organisch genannt ohne das Zusammengesetzte in Betracht zu ziehen. Man darf allerdings nicht nach dem Gegensatz von Zusammengesetztem und Einfachem eintheilen, aber wohl darf man nach der ersten Eintheilung die einfachen Körper aufstellen und dann nach ihrer Zusammenfassung von einem andern zu Grunde liegenden Prinzip aus die Unterscheidung der zusammengesetzten nach Oertern oder Formen vornehmen, wie man die Körper etwa theilt, in himmlische und irdische. Soviel über die Substanz oder das Werden im Bereiche des sinnlich Wahrnehmbaren.

11. Was aber das Quantum und die Quantität anbetrifft, dass man sie in die Zahl und Grösse, setzen muss, sofern ein jedes ein Quantum ist, das eben in der Zahl der materiellen Dinge und in einem räumlichen Abstand des Substrats besteht – denn es handelt sich nicht um das Quantum an sich und gesondert, sondern um das, was das Holz drei Ellen lang macht und um eine Fünfzahl, wie sie bei fünf Pferden erscheint – so ist oft gesagt worden, dass man diese allein als Quantitäten zu bezeichnen hat, Raum und Zeit dagegen nicht nach der Quantität zu betrachten hat, sondern dass die Zeit in dem Maass der Bewegung bestehe und der Relation zuertheilt werden müsse, während der Raum die Umfassung des Körpers sei und so gleichfalls unter die Kategorie der Lage und der Relation[293] falle, wurde doch auch die Bewegung als continuirlich gefasst und nicht unter die Quantität gestellt. Weshalb soll gross und klein nicht zum Quantum gehören? Denn durch eine gewisse Quantität ist das Grosse gross, auch die Grösse gehört nicht zur Relation, sondern das Grössere und das Kleinere; denn es sieht in Relation zu einem andern, wie auch das Doppelte. Warum ist nun ein Berg klein, ein Hirsekorn gross? Zuerst heisst ein Berg wohl klein im Gegensatz zu einem kleineren. Denn wenn zugegeben wird, dass er auch von ihnen [den Gegnern] im Verhältniss zu den Dingen gleicher Gattung so genannt wird, so wird zugegeben, dass er so genannt wird im Gegensatz zu einem kleineren; auch ein grosses Hirsekorn wird nicht schlechthin gross genannt, sondern eben ein grosses Hirsekorn. Das ist gleichbedeutend mit dem Zusatz: unter den Dingen gleicher Gattung; denn grösser als die Dinge gleicher Gattung dürfte es naturgemäss genannt werden. Warum sollte ferner nicht auch das Schöne unter das Relative gezählt werden? Freilich sprechen wir von einem Schönen an sich und als Qualität und von dein Schöneren als etwas relativen; gleichwohl möchte auch das als schön Bezeichnete im Verhältniss zu einem andern als hässlich erscheinen, wie die des Menschen im Vergleich zur Schönheit der Götter: »der Affen schönster«, sagt Plato, »ist hässlich im Vergleich zu einer andern Wesengattung«; aber an sich ist etwas schön, im Vergleich zu etwas anderen schöner oder das Gegentheil. Auch in unserem Fall also ist etwas an sich gross in Verbindung mit Grösse, im Verhältniss zu etwas anderem ist es nicht so beschaffen; oder es wäre das Schöne aufzuheben, weil etwas anderes schöner als es selbst ist. Auf diese Weise also ist auch das Grosse nicht aufzuheben, weil etwas anderes grösser ist; würde doch auch das Grössere nicht sein, wenn das Grosse nicht wäre, ebenso das Schönere nicht, wenn das Schöne nicht wäre.

12. Man muss also auch den Gegensatz zulassen innerhalb des Quantum; denn die Reflexion gesteht den Gegensatz zu, wenn wir von gross und klein sprechen, indem sie die Vorstellungen als Gegensätze fasst, wie wenn wir von vielem und wenigem sprechen; denn auch die Annäherung, muss man sagen, hat bei der Aussage von viel und wenig statt. Denn ›viele‹ sind die Menschen in dem Hause im Gegensatz zu ›mehreren‹, und das ist etwas relatives; und ›wenige‹ sind in dem Theater im Gegensatz zu ›weniger‹. Man muss überhaupt das Viele als eine Grösse Menge in der Zahl bezeichnen;[294] wie gehört aber die Menge zur Relation? Dies ist aber gleichbedeutend mit Ausdehnung der Zahl, das Gegentheil ist Zusammenziehung. Das Nämliche findet bei dem Continuirlichen statt, indem das Continuirliche gleichsam als Verlängerung betrachtet wird. Das Quantum entsteht nun, wenn die Einheit dazukommt und der Punkt: tritt beides schnell hinzu, so wird das eine wenig, das andere klein; wenn der Process nicht schnell aufhört so wird das eine viel, das andere gross. Welches ist nun die Grenze? des Schönen? des Warmen? Denn auch das Wärmere hat hier seine Stelle. Freilich heisst das Wärmere so im Verhältniss zu etwas anderem, das Warme aber schlechthin eine Qualität. Ueberhaupt aber bedarf es eines Begriffs, wie des Schönen so auch des Grossen, welcher hinzugenommen etwas gross macht, wie der des Schönen etwas schön. Gegensatz also hat hiernach im Gebiete der Quantität statt; denn dem Raume nach nicht mehr, weil dieser nicht zur Quantität gehört; denn auch wenn der Raum zur Quantität gehörte, wäre das Oben keinem andern entgegengesetzt, wenn es nicht ein Unten gäbe im All. Das an den Theilen sogenannte Oben und Unten dürfte nichts anderes bezeichnen als weiter nach oben und unten und zu vergleichen sein dem Rechts und Links, diese gehören aber in die Kategorie der Relation. Der Silbe und dem Satz kommt es accidentiell zu Quantitäten und Substrat der Quantität zu sein; denn die Stimme ist etwas quantitatives, sie ist Bewegung. Sie ist also überhaupt auf Bewegung zurückzuführen, wie auch die Thätigkeit.

13. Dass nun das Continuirliche von dem Discreten wohl gesondert ist durch einen gemeinsamen und eigenthümlichen Terminus, ist gesagt. Im Verfolg vorliegender Untersuchung ergiebt sich bei der Zahl ein Unterschied durch das Ungerade und Gerade; und wiederum, wenn in jeder von diesen beiden gewisse Unterschiede liegen, so muss man sie entweder den in der Zahl bereits befindlichen Dingen zugestehen oder man muss diese Unterschiede von den monadischen Zahlen statuiren, von den sinnlichen aber nicht mehr. Trennt man die sinnlichen Zahlen nur begrifflich von den andern, so hindert nichts, auch bei diesen die nämlichen Unterschiede zu denken. Wie aber verhält sichs mit dem Continuirlichen, wenn das eine Linie, das andere Fläche, das dritte Körper ist? Nun, wer das eine auf eine, das andere auf zwei, das dritte auf drei Dimensionen ausdehnt, wird es nicht in Arten zu theilen, sondern nur eine Aufzählung zu machen scheinen; denn immer ist bei den so aufgefassten Zahlen nach dem Früheren und dem[295] Späteren keine gemeinsame Gattung vorhanden, noch wird es bei der ersten, zweiten und dritten Vermehrung etwas gemeinsames geben. Aber vielleicht findet sich an ihnen das Gleiche sofern es ein Quantum ist, und nicht ist das eine mehr, das andere weniger quantitativ, auch wenn das eine mehr, das andere weniger Dimensionen hat. Bei den Zahlen nun, sofern sie alle Zahlen sind, dürfte das Gemeinsame vorhanden sein; denn vielleicht macht nicht die Einzahl die Zweizahl noch die Zweizahl die Dreizahl, sondern ebendasselbe alles. Wenn sie aber nicht werden, sondern sind, und wir sie nur werdend betrachten, so mag die geringere Zahl die frühere, die spätere die grössere sein; aber sofern sie Zahlen sind, fallen alle unter eine Einheit. Auch auf die Grössen sind die Verhältnisse der Zahlen zu übertragen; wir werden aber Linie, Fläche, Körper von einander trennen, weil sie als Grössen der Gestalt nach verschieden sind. Ob man eine jede derselben wieder eintheilen muss: die Linie in gerade, krumme, und spiralförmige Linien, die Fläche in geradlinige und krummlinige Figuren, den Körper in Kreis und Figuren mit geradlinigen Seiten, und diese wieder, wie es die Geometer thun, in andere – ist zu untersuchen.

14. Denn als was sollen wir die gerade Linie bezeichnen? Nicht als Grösse? Allerdings kann man das Gerade als qualificirte Grösse bezeichnen. Was hindert nun, dass sie als Linie Differenz ist? Denn das Gerade gehört doch keinem andern an als der Linie; haben wir doch auch die Differenzen der Substanz von der Qualität hergenommen. Die gerade Linie ist also ein Quantum mitsammt der Differenz und deswegen ist die gerade nicht etwas zusammengesetztes aus Geradheit und Linie; ist sie etwas zusammengesetztes, so ist sie es in Verbindung mit der eigenen Differenz. Warum soll aber eine Figur aus drei Linien nicht zur Quantität gehören? Es bilden doch wohl nicht einfach drei Linien das Dreieck, sondern drei von dieser bestimmten Lage und ebenso das Vierseit vier so liegende Linien; denn auch die gerade Linie ist eben so ein Quantum; wenn wir nun die gerade nicht bloss ein Quantum nennen, was hindert, auch die begrenzte nicht bloss ein Quantum zu nennen? Allein die Grenze der Linie ist der Punkt und der liegt nicht in einer andern Gattung. Auch die begrenzte Fläche ist demnach ein Quantum, da sie ja Linien begrenzen, welche viel mehr in der Quantität liegen. Wenn nun die begrenzte Fläche in der Quantität liegt, diese aber zerfällt in Vierecke oder Vielseite oder Sechsseite, so liegen auch alle Figuren in der Quantität. Wenn wir aber, weil wir das Dreieck[296] und Viereck ein Quale nennen, es unter die Qualität stellen wollen, so hindert nichts, ein und dasselbe unter verschiedene Kategorien zu bringen: sofern es eine Grösse ist und eine solche Grösse, gehört es zur Quantität, sofern es aber eine solche Form darbietet, zur Qualität; vielleicht ist auch das Dreieck an sich eine derartige Form. Was hindert also, auch die Kugel ein Quale zu nennen? Fährt man nun in derselben Richtung fort, so wird man zugeben, dass die Geometrie es demnach nicht mit Grössen, sondern mit Qualitäten zu thun hat. Allein dies scheint nicht richtig zu sein, sondern diese Disciplin hat es mit Grössen zu thun. Die Differenzen der Grössen heben ihr Wesen als Grössen nicht auf, wie auch die der Substanzen nicht das Wesen derselben als Substanzen. Ferner ist jede Fläche begrenzt, denn unmöglich kann eine Fläche unbegrenzt sein; wie ich ferner, wenn ich an der Substanz eine Qualität auffasse, von einer substantiellen Qualität spreche, so lasse ich noch viel mehr, wenn ich die Figuren auffasse, Unterschiede der Qualität auf. Sodann, wenn wir diese nicht als Differenzen von Grössen auffassen wollen, welchen Dingen sollen wir sie beilegen? Wenn es aber Differenzen von Grössen sind, so sind die aus den Differenzen entstandenen Grössen als Unterschiede in die Arten derselben zu setzen.

15. Aber wie ist der Quantität das Gleiche und Ungleiche eigen? Denn ähnlich werden Dreiecke genannt. Auch Grössen werden ähnlich genannt und die genannte Aehnlichkeit hebt das Vorhandensein des Aehnlichen und Unähnlichen in der Quantität nicht auf; vielleicht nämlich wird hier bei den Grössen das Aehnliche in anderer Weise ausgesagt und nicht so wie in der Qualität. Sodann, wenn er [Aristoteles] das Gleiche und Ungleiche eigenthümlich nannte, so hob er damit die Berechtigung nicht auf, das Aehnliche auch von gewissen Dingen auszusagen; aber wenn er das Aehnliche und Unähnliche der Qualität zusprach, so ist das an der Quantität, wie wir sagten, in anderer Weise zu prädiciren. Wenn aber das Aehnliche dasselbe ist, so ist auch hierbei zu beachten, dass an jeder Gattung, an der Quantität wie der Qualität, andere Eigenthümlichkeiten haften. Oder es ist zu sagen: das Aehnliche wird auch von der Quantität ausgesagt, sofern die Differenzen in ihm liegen, allgemein aber, dass man die ergänzenden und vollendenden Differenzen dem zuordnen muss, dessen Differenzen sie sind, und ganz besonders, wenn die Differenz bloss die Differenz von jenem allein ist. Wenn sie aber in dem einen die Substanz erfüllt, in dem andern nicht, so ist sie[297] da einzuordnen wo sie erfüllt, wo sie aber nicht erfüllt, ist sie nur an und für sich aufzufassen; unter Erfüllung der Substanz verstehe ich aber nicht die Erfüllung der schlechthinnigen sondern der so beschaffenen Substanz, da das Aufnehmende einen so beschaffenen Zusatz nicht als substantiellen aufnimmt. Auch jenes ist zu bemerken, dass wir gleich die Dreiecke und Vierecke nennen und so bei allen Figuren, den Flächen wie den Körpern; folglich mag das Gleiche und Ungleiche dem Quantum eigenthümlich zukommen; ob das Aehnliche und Unähnliche auch dem Quale, ist zu untersuchen. Ueber das Quale aber wurde gesagt, dass es mit andern der Materie und dem Quantum beigemischt eine Erfüllung der sinnlichen Substanz zu Wege bringt, und dass diese sogenannte Substanz dies wohl sein mag aus vielem, nicht ein bestimmtes Etwas, sondern mehr ein Quale, und dass der Begriff z.B. des Feuers wohl mehr das bestimmte Etwas bezeichnet, während die Form, die er zu Stande bringt, mehr ein Quale ist; dass ferner der Begriff des Menschen das bestimmte Etwas, das in der Natur des Körpers zur Vollendung Gebrachte als ein Bild des Begriffes mehr ein Quale sei: z.B. wie der sichtbare Sokrates doch der Mensch ist und nichtsdestoweniger sein gemaltes Bild, das aus Farben und Flüssigkeiten besteht, Sokrates genannt wird, so nennen wir, obwohl der Begriff es ist wonach Sokrates Sokrates ist, doch den sinnlich wahrnehmbaren Menschen Sokrates, aber von den Farben und Figuren sagen wir, dass sie Nachahmungen jener im Begriffe vorhandenen sind, und von diesem Begriff, dass er im Verhältniss zu dem erst eigentlich wahrsten Begriff des Menschen ganz ebenso angethan sei. Dies also auf diese Weise.

16. Ein jedes für sich genommen und gesondert von den andern an der sogenannten Substanz haftenden Dingen nennt man die Qualität in diesen, womit man jedoch nicht das bestimmte Etwas oder das Quantum oder die Bewegung bezeichnet, sondern ein charakteristisches Merkmal, das ›so beschaffen‹ und ›wie beschaffen‹ darlegt, z.B. das körperlich Schöne und Hässliche; denn das Schöne hier und dort ist bloss homonym, also auch das Quale; ist ja auch das Schwarze und das Weisse ein anderes [hier und dort]. Aber das in dem Samenkorn und einem derartigen Begriff Wirksame: ist es identisch oder nur homonym mit dem in die Erscheinung Tretenden? Soll man es dem Intelligiblen oder dem Sinnlichen zutheilen? Und das Hässliche in der Seele? Denn dass das Schöne ein anderes ist, ist bereits klar. Aber wenn es in dieser Qualität ist, so befindet sich auch die Tugend unter den sinnlichen[298] Qualitäten. Vielmehr sind sie Tugenden theils unter den sinnlichen, theils unter den intelligiblen Qualitäten. Auch hinsichtlich der Künste, die doch Begriffe sind, könnte man in Zweifel sein, ob sie zu den sinnlichen Qualitäten gehören; denn wenn Begriffe in der Materie sind, so ist die Materie für sie doch die Seele; aber wenn sie mit Materie verbunden sind, so sind sie in gewisser Weise hier. Man vergleiche z.B. das Citherspiel; denn um die Saiten und gewissermassen einen Theil der Kunst bewegt sich die Melodie, der sinnliche Laut, wenn man dies nicht lieber als Thätigkeiten und nicht als Theile ansehen will. Aber es sind wenigstens sinnlich wahrnehmbare Thätigkeiten; denn auch das körperlich Schöne ist zwar unkörperlich, aber wir haben es als ein Sinnliches den körperlichen Dingen zuertheilt. Was ferner die Geometrie und Arithmetik betrifft, die wir als eine doppelte auffassen, so sind die Disciplinen derselben theils so in die sinnliche Qualität einzuordnen, theils als Beschäftigungen allein der Seele jenem Intelligiblen zuzuweisen. Auch von der Musik und Astronomie behauptet Plato dasselbe. Die Künste also, welche es mit Körpern zu thun haben und sinnliche Werkzeuge wie Sinneswahrnehmung gebrauchen, sind, obwohl Zustände der Seele, weil sie sich nach unten neigen, in diese sinnliche Qualität einzuordnen. So hindert denn auch nichts die praktischen Tugenden hierher zu stellen, nämlich die ihre Thätigkeit in Staat und Gesellschaft ausüben, welche alle die Seele nicht lostrennen, indem sie sie zu dem Intelligiblen hinführen, sondern hier das Schöne wirken, indem sie, dies als ein gewolltes, aber nicht als etwas nothwendiges hinstellen. Demnach gehört auch das im Samenkorn als Begriff wirksame Schöne und vielmehr noch das Schwarze und Weisse zu diesen sinnlichen Qualitäten. Wie nun? Werden wir auch eine solche Seele, in der diese Begriffe liegen, in die sinnliche Substanz einordnen? Allein wir haben diese ja nicht Körper genannt, sondern da die Begriffe an den Körpern wirksam sind und Körper hervorbringen, so haben wir sie unter die sinnliche Qualität gerechnet; da wir nun die sinnliche Substanz als das aus allen genannten Dingen Bestehende gesetzt haben, so werden wir eine unkörperliche Substanz keineswegs zu ihr zählen. Die Qualitäten aber, die wir alle unkörperlich nennen, haben wir als Affecte in der Seele, die sich zum Sinnlichen neigen, dazu gerechnet und ebenso die Begriffe der individuellen Seele. Denn den Affect, der sich spaltet und vertheilt auf das woran er ist und worin er ist, theilten wir einer Qualität zu, die nicht körperlich, wohl[299] aber am Körper ist; die Seele aber theilten wir nicht mehr dieser sinnlichen Substanz zu, weil wir den zum Körper neigenden Affect in ihr schon der Qualität zuertheilt hatten. Wenn sie dagegen ohne den Affect und ohne den Begriff denkt, so haben wir sie ihrem Ursprung zuertheilt, ohne irgendwie irgend eine intelligible Substanz hier unten zu belassen.

17. Wenn nun dem so ist, dann muss man die Qualitäten in seelische und körperliche d.h. dem Körper angehörige theilen. Will jemand es betonen, dass alle Seelen dort im Intelligiblen sind, so kann man die sinnlichen Qualitäten nach den Sinnen eintheilen: nach den Augen, den Ohren, dem Tastsinn, Geschmack, Geruch; und wenn es von diesen wieder Unterschiede giebt, nach dem Gesicht die Farben, nach dem Gehör die Töne u.s.f. nach den übrigen Sinnen; die Töne ferner, sofern sie qualificirt sind, angenehm, hart, weich. Da wir aber die Unterschiede an der Substanz nach den Qualitäten eintheilen, desgleichen die Thätigkeiten und Handlungen danach schön oder hässlich und überhaupt qualificirt nennen – denn das Quantum fällt selten in das Gebiet der artbildenden Unterschiede oder nirgends – desgleichen das Quantum nach den ihm eigenthümlichen Qualitäten bestimmen: so könnte man in Zweifel sein, wie man auch die Qualität nach Arten theile, welcher Unterschiede man sich dazu bedienen solle und aus welcher Gattung? Denn dass sie durch sich selbst getheilt werde, ist absurd und ähnlich, wie wenn man die Unterschiede der Substanz wieder Substanzen nennen wollte. Wonach also soll man das Schwarze und das Weisse unterscheiden? Wonach die Farben überhaupt von den Flüssigkeiten und den Qualitäten, die durch Berührung percipirt werden? Wenn wir diese unterscheiden durch die verschiedenen Sinneswerkzeuge, so liegt der Unterschied nicht in den Substraten selbst. Aber wie ist es möglich nach derselben sinnlichen Wahrnehmung? Wenn der Unterschied darin besteht, dass an den Augen das eine verbindender, das andere trennender Natur sei und ebenso bei der Sprache das eine trennend, das andere verbindend: so entsteht auch hinsichtlich der Affectionen selbst die Frage, ob diese Trennungen und Verbindungen seien; sodann hat man nicht das, wodurch sie sich unterscheiden, angegeben. Sagt man aber, die Qualitäten seien einzutheilen nach ihren Wirkungen und diese Eintheilung sei nicht unvernünftig, so muss man jenes vielleicht sagen, dass das Unsichtbare nach seinen Wirkungen eingetheilt wird, z.B. die Wissenschaften; wie aber das sinnlich Wahrnehmbare nach seinen[300] Wirkungen? Indem wir ferner in den Wissenschaften nach den Wirkungen eintheilen und überhaupt nach den Kräften der Seele scheiden, in der Voraussetzung dass sie je nach ihren Wirkungen verschieden sind, so sind wir im Stande ihre Unterschiede begrifflich aufzufassen, da wir nicht bloss das Gebiet ihrer Wirksamkeit, sondern auch ihre Begriffe sehen. Die Künste werden wir wohl durch ihre Begriffe und Merkmale unterscheiden können: wie aber die körperlichen Qualitäten? Gewiss dürfte man auch dort bei den verschiedenen Begriffen fragen, wie sie verschieden sind. Denn augenscheinlich unterscheidet sich das Weisse vom Schwarzen; aber wir wollen wissen, wodurch.

18. Jedoch alle diese Schwierigkeiten zeigen, dass man von allen andern Dingen Unterschiede aufsuchen muss, wodurch wir die einzelnen von einander unterscheiden können, dass es über unmöglich und unvernünftig ist, die Unterschiede der Unterschiede aufzusuchen. Denn weder lassen sich Substanzen der Substanzen noch Quantitäten des Quantum noch Qualitäten der Qualitäten noch Differenzen der Differenzen auffinden, sondern sie müssen, wo es angeht, durch äussere Kriterien sei es constituirende oder dergleichen bestimmt werden. Wo aber auch dies nicht angeht, wie z.B. bei Unterscheidung der dunkelgrünen von der hellgrünen Farbe, da man sie aus schwarzer und weisser Farbe gemischt sein lässt: was soll man sagen? Indessen dass sie verschieden sind, wird ja die sinnliche Wahrnehmung und die Vernunft aussagen, freilich ohne Rechenschaft davon zu geben: die sinnliche Wahrnehmung nicht, weil ihr die vernünftige Erwägung nicht eignet, sondern sie nur unterscheidende Merkmale für die Anschauung giebt; die Vernunft nicht, weil sie in ihren Intuitionen einfach ist und nicht überall begrifflicher Darstellung sich bedient, dass sie von einem jeden aussagte was es ist. Gleichwohl giebt es in ihren Bewegungen eine Differenz, welche das eine von dein andern unterscheidet, ohne dass diese selbst der Differenz bedürfte. – Können nun wohl die Qualitäten alle Differenzen werden oder nicht? Das Weisse freilich und überhaupt die Farben und die Qualitäten im Bereiche des Tastsinns und Geschmacks können Differenzen anderer Dinge werden, da sie auch Arien sind: wie aber die Grammatik und Musik? Nun dadurch, dass diese die Seele grammatisch, jene sie musikalisch macht, ganz besonders, wenn sie von Natur vorhanden sind, so dass sie auch zu artbildenden Unterschieden werden. Es fragt sich ferner, ob eine jede Differenz aus dieser Gattung [zu welcher die Dinge gehören][301] oder einer andern stammt. Und wenn aus dieser Gattung, so ist sie in derselben Weise die Differenz der Dinge aus derselben Gattung, wie die Qualitäten es sind von Qualitäten. Denn was die Tugend und das Laster anbetrifft, so ist die eine ein so beschaffener, die andere ein so beschaffener Zustand [Verhalten]; also sind, da die Zustände Qualitäten sind, die Unterschiede Qualitäten; man müsste denn sagen, dass der Zustand ohne die Differenz nicht Qualität sei, vielmehr die Differenz die Qualität mache. Allein wenn das Süsse nützlich, das Bittere schädlich ist, so wird man nach dem Zustand, nicht nach der Qualität unterscheiden. Wie aber, wenn das Süsse dick, das Herbe dünn ist? Vielleicht sagt ›dick‹ nicht, was das Süsse war, sondern wodurch die Süssigkeit entstand; ebenso verhält es sich mit dem Herben; folglich ist zu untersuchen, ob überall die Qualität die Differenz der Nichtqualität ist, wie ja auch die Substanz nicht die Differenz der Substanz noch die Quantität die Differenz des Quantum ist. Aber fünf unterscheidet sich doch um zwei von drei! Es ist um zwei grösser, aber ›unterscheidet sich‹ kann man nicht sagen; denn wie sollte es sich durch zwei, die in drei liegt, unterscheiden? Auch die Bewegung dürfte sich von der Bewegung nicht durch die Bewegung unterscheiden, noch möchte jemand diese Entdeckung bei den andern Dingen machen. Bei der Tugend und dem Laster ist das Ganze im Verhältniss zum Ganzen aufzufassen und so werden sie sich unterscheiden. Was aber die Hernahme der Differenz aus derselben Gattung und nicht aus einer andern betrifft, wenn man nämlich danach eintheilt, dass die eine Tugend es zu thun hat mit den Lüsten, die andere mit den zornigen Affecten, ferner die eine mit dem Erwerb, die andere mit dem Aufwand u.s.f. und dann annimmt, dass so richtig eingetheilt sei: dann ist es klar, dass, es auch Differenzen geben kann, die nicht Qualitäten sind.

19. Der Qualität sind, wie es schien, auch die hinzuzurechnen, welch ihre Beschaffenheit ihr gemäss haben, soweit die Qualität an ihnen ist; wobei wir sie jedoch nicht eigentlich hinzunehmen, damit nicht zwei Kategorien entstehen, sondern wir kehren von ihnen zu dem zurück, von dem sie ihren Namen haben. Das aber was nicht weiss ist, wenn es eine andere Farbe bezeichnet, ist eine Qualität; wenn es aber nur eine Negation von Dingen ist oder eine Aufzählung, so dürfte diese nichts sein als ein Wort oder Name oder Ausdrucksform, die selbst, mit zur Sache wird; und wenn die Negation ein Wort ist, so ist sie eine Art Bewegung, wenn[302] ein Name oder Ausdrucksform, so gehören diese zur Relation, insofern sie etwas bezeichnen. Wenn aber nicht bloss die Aufzählung der Sachen zur Gattung gehört, sondern auch die Benennungen und die Bezeichnungen davon, welche Gattung ein jedes bezeichnet, dahin zu rechnen sind, so werden wir sagen, dass die einen die Dinge bloss setzen durch Darlegung, die andern sie aufheben; jedoch ist es vielleicht besser die Negationen der Dinge nicht mit zu ihnen zu zählen wegen des zusammengesetzten Charakters. Wie aber steht es mit den Beraubungen? Wenn wirklich die Dinge, deren Beraubungen sie sind, Qualitäten sind, so sind auch sie Qualitäten, z.B. zahnlos, blind; der Nackte und Bekleidete ist nicht so oder so beschaffen, sondern vielmehr in einem gewissen Zustande; also befindet er sich in einer Lage, die im Verhältniss zu etwas anderem steht. Das Leiden während des Leidens ist nicht eine Qualität, sondern eine Art Bewegung; hat man etwas erlitten und nun mehr das Leiden als etwas bleibendes so heisse es Qualität; hat man das Leiden nicht mehr, sondern heisst es, man habe etwas erlitten, so ist man bewegt worden. Dies ist aber dasselbe wie ›man war in Bewegung‹. Man muss aber bloss die Bewegung im Denken erfassen mit Abstrahirung von der Zeit; denn auch die Gegenwart darf man nicht einmal hinzunehmen. Ausdrücke ferner wie gut u. dergl. [Adverbia] sind auf den einen Begriff der Gattung [die Qualität] zurückzuführen. Ob ferner das Erröthen auf die Qualität, das Rothe dagegen nicht mehr darauf zurückzuführen sei, bedarf der Untersuchung. Denn das Rothwerden ist mit Recht nicht darauf zurückzuführen; denn ein solcher leidet etwas oder wird überhaupt bewegt; wenn er aber nicht mehr roth wird sondern schon ist: warum ist er nicht so beschaffen? Denn der so Beschaffene ist es nicht durch die Zeit, sondern durch eben diese Qualität, und wenn wir jemanden roth nennen, so sagen wir eine Qualität von ihm aus. Auf diese Weise werden wir nur die habituellen Zustände Qualitäten nennen, das jeweilige Verhalten aber nicht mehr. Der Warme also, nicht der gewärmt wird, und der Kranke nicht der in eine Krankheit geräth [fällt unter die Kategorie der Qualität].

20. Man muss ferner zusehen, ob nicht etwa jeder Qualität eine andere [conträr] entgegengesetzt sei; denn auch die Mitte scheint den Extremen bei der Tugend und dem Laster entgegengesetzt zu sein. Aber bei den Farben verhält es sich mit den in der Mitte liegenden nicht so. Wenn das nun daher kommt, dass die mittleren Farben Mischungen der extremen[303] sind, so durfte man sie in der Eintheilung nicht entgegensetzen, sondern musste nach dem Gegensatz von schwarz und weiss theilen, die übrigen als Zusammensetzungen betrachten. Einerseits jedoch bilden wir auf Grund eines einzigen der Mittelbegriffe, auch wenn er als aus der Zusammensetzung entstanden betrachtet werden kann, Gegensätze; andererseits deshalb, weil die Gegensätze sich nicht bloss unterscheiden, sondern auch am meisten. Allein der weiteste Abstand wird doch wohl darin erfasst, dass man bereits diese Mittelbegriffe gesetzt hat; denn wenn man diese Zwischenglieder wegnimmt, wodurch will man den weitesten Abstand bestimmen? Nun dadurch dass das Graue dem Weissen näher ist als das Schwarze; und dies erfahren wir durch das Auge. Ebenso ist es bei den Flüssigkeiten: warm und kalt hat kein Mittleres. Indessen es ist klar, dass wir uns an diese Auffassung gewöhnt haben; das wird man uns leicht zugeben. Aber wir behaupten: das Weisse und das Gelbe und so jede beliebige Farbe im Verhältniss zur andern sind gänzlich von einander verschieden und weil sie verschieden sind, darum sind sie entgegengesetzte Qualitäten. Denn nicht darin, dass andere zwischen ihnen liegen, besteht ihr Gegensatz; zwischen der Gesundheit wenigstens und der Krankheit liegt nichts in der Mitte und dennoch sind sie Gegensätze. Vielleicht indessen hat das, was aus einer jeden von beiden entsteht, den weitesten Abstand. Aber wie kann man von dem weitesten Abstand reden, wenn in den Zwischenstufen nicht minder weite vorbanden sind? Unmöglich also kann man bei Gesundheit und Krankheit von dem weitesten Abstand reden. Demnach ist der Gegensatz durch etwas anderes, nicht durch den weitesten Abstand zu bestimmen. Soll es durch den Begriff des Vielen geschehen, so werden, wenn das Viele an Stelle des Mehr im Verhältniss zum Weniger gesetzt wird, die unvermittelten Gegensätze wieder entschlüpfen; nimmt man Viel im absoluten Sinne, so wird, wenn zugestanden ist, dass ein jedes von Natur viel von einander abstehe, zugestanden sein, dass man den Abstand nicht durch den Begriff des Mehr messe. Aber es muss untersucht werden, wie der Gegenstand zu bestimmen ist. Was eine gewisse Aehnlichkeit hat – ich meine nicht der Gattung nach und durchweg, etwa dadurch dass sich mehr oder weniger Theile von ihnen z.B. mit andern Formen gemischt haben – das sind keine Gegensätze, sondern Gegensätze sind Dinge, die der Art nach nichts Identisches an sich haben, wobei noch hinzuzufügen: in der Gattung der Qualität;[304] denn von diesem Gesichtspunkt aus ergeben sich die unvermittelten Gegensätze, die nichts, was sie ähnlich machen könnte, an sich haben, da es andere Merkmale, die auf beide Seiten passten und eine Aehnlichkeit hätten, nicht giebt, wohl aber einige allein, die sie nicht haben. Wenn dem so ist, so sind diejenigen unter den Farben, welche etwas Gemeinsames haben, nicht entgegengesetzt. Aber nichts wird hindern, dass zwar nicht jede Farbe einer jeden, wohl aber eine Farbe einer andern in dieser Weise entgegengesetzt sei; desgleichen auch bei den Flüssigkeiten hinsichtlich des Geschmacks. Diese Schwierigkeiten also seien auf diese Weise dargelegt. Was ferner das Mehr oder Minder [die graduellen Unterschiede] anbetrifft, so gaben wir zu, dass dasselbe in den [an Qualitäten] participirenden Dingen stattfinde, es stand aber die Gesundheit als solche und die Gerechtigkeit in Frage. Wenn nun wirklich eine jede von ihnen eine gewisse Breite an sich hat, dann sind ihr auch die verschiedenen Grade des Verhaltens zuzusprechen; es ist aber auf jenem Gebiet ein jedes ganz was es ist und lässt das Mehr oder Minder nicht zu.

21. Ob man die Bewegung ferner als eine Gattung zu betrachten hat, darüber lässt sich etwa folgende Untersuchung anstellen. Wenn man sie erstens nicht wohl auf eine andere Gattung zurückführen kann, wenn zweitens im Bereich eines bestimmten Etwas nichts über die Bewegung hinaus prädicirt wird, wenn sie drittens viele Unterschiede empfängt und Arten bildet: auf welche Gattung wird man sie zurückführen? Denn sie ist weder die Substanz noch die Qualität dessen was sie hat; auch auf das Thun lässt sie sich nicht zurückführen, denn auch in dem Leiden sind viele Bewegungen; andererseits auch nicht auf das Leiden, weil viele Bewegungen Thätigkeiten sind; vielmehr lassen sich Thätigkeiten und Leiden auf sie zurückzuführen. Auch auf die Relation wird sie füglich nicht zurückgeführt, weil etwa die Bewegung an etwas hafte und nicht an sich sei; denn auf diese Weise würde auch die Qualität zur Relation gehören, denn die Qualität ist Qualität von etwas und an etwas; ebenso die Quantität. Wenn aber gesagt worden, dass jene etwas Seiendes sind, auch wenn sie an etwas sich befinden, insofern nämlich dies Qualität jenes Quantität ist: so muss auf dieselbe Weise, da die Bewegung, auch wenn sie an etwas haftet, doch etwas vor diesem Haften an etwas ist, das an ihr aufgefasst werden was sie an sich ist. Denn überhaupt ist als relativ zu setzen nicht was zunächst ist und dann eines andern ist, sondern was die jeweilige Lage erzeugt ohne dass etwas anderes ausser[305] der Lage vorhanden ist, insofern es eben so heisst; so z.B. hat das Doppelte, sofern es doppelt heisst, in der Vergleichung mit dem eine Elle Grossen seine Erzeugung und Daseinsform gewonnen, und ohne als etwas gedacht zu werden vor diesem hat es in der Vergleichung mit einem andern seinen Namen und seine Existenz erhalten. Was ist dies nun, das einem andern angehörig etwas ist, damit es auch eines andern sei, wie das Quale, das Quantum und die Substanz? Zuerst ist festzuhalten, dass vor ihm nichts als Gattung prädicirt wird. Sagt jedoch jemand, der Wechsel sei vor der Bewegung, so sagt er zunächst entweder dasselbe oder er wird durch die Bezeichnung jenes als einer Gattung eine andere Kategorie ausser den früher genannten [zehn] bilden; sodann ist klar, dass er die Bewegung in eine Art setzen und der Bewegung etwas anderes entgegensetzen wird, vielleicht die Entstehung, indem er auch jene einen Wechsel nennt, die Bewegung aber nicht. Warum ist nun die Entstehung keine Bewegung? Wenn nämlich deshalb, weil das Werdende noch nicht ist, die Bewegung aber nicht andern Nichtseienden statthat, so wird offenbar auch die Entstehung kein Wechsel sein; wenn deshalb, weil die Entstehung nichts anderes ist als ein Anderswerden und Zunehmen, indem nämlich das Anderswerden und Zunehmen gewisser Dinge die Entstehung ausmache, so nimmt er das an was vor der Entstehung liegt. Man muss aber unter diesem die Entstehung als eine andere Art auffassen; denn nicht in dem leidentlichen Anderswerden liegt das Werden und die Entstehung, z.B. warm werden oder weiss werden; denn es ist möglich, dass nachdem diese geworden die schlechthinnige Entstehung noch nicht geworden ist, sondern dadurch dass eben dies wird entsteht das Anderswerden; vielmehr [hat eine Entstehung statt], wenn ein Thier oder eine Pflanze entsteht, d.h. wenn sie eine Form empfangen hat. Man könnte auch sagen, der Wechsel lasse sich weit füglicher in die Art setzen als die Bewegung, weil Wechsel bezeichnen will, dass etwas an die Stelle eines andern trete, die Bewegung aber in sich ein Uebergehen aus der eigenen Lage in eine andere hat, wie z.B. die örtliche Bewegung; will man dies nicht gelten lassen, so ist doch wenigstens das Lernen, das Citherspielen und überhaupt die Bewegung von einem Zustand her ein solches Uebergehen; folglich dürfte das Anderswerden vielmehr als eine ekstatische Bewegung eine Art der Bewegung sein.

22. Doch es sei Begriff des Anderswerdens derselbe, insofern das Andere Resultat der Bewegung ist. Wie muss[306] man nun die Bewegung definiren? Es sei die Bewegung, um es im Umriss zu sagen, der Uebergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit dessen, als dessen Möglichkeit sie bezeichnet wird. Da nämlich die Möglichkeit einerseits darin besteht, dass etwa Gestalt empfängt, z.B. die Bildsäule der Möglichkeit nach, andererseits darin, dass etwas zur Bethätigung gelangt, z.B. die Fähigkeit des Gehens, so ist, wenn etwas in eine Bildsäule übergeht, der Uebergang die Bewegung, wenn es sich um das Gehen handelt, das Gehen selbst die Bewegung; so ist auch das Tanzen die Bewegung bei dem, der tanzen kann, wenn er tanzt. Und bei der einen Art der Bewegung entsteht ausserdem eine andere Form, welche die Bewegung zu Stande gebracht hat, die andere hat als eine einfache Form der Möglichkeit nichts nach sich, sobald die Bewegung aufgehört hat. Wenn also jemand die Bewegung eine active Form nennen wollte im Gegensatz zu den andern ruhenden Formen, insofern die einen bleiben, die andern nicht, und sie als Ursache für die andern Formen bezeichnete, wenn nach ihr etwas zu Stande kommt, dürfte er so Unrecht nicht haben; ebenso wenn er die, um welche es sich jetzt handelt, als eine Art Leben des Körpers bezeichnete; denn diese Bewegung muss man den Bewegungen des Geistes und der Seele homonym nennen. Dass sie aber eine Gattung ist, wird nicht minder auch durch den Umstand bekräftigt, dass es nicht leicht oder sogar unmöglich ist, sie durch eine Definition zu fassen. Aber wie ist die Bewegung eine Form, wenn sie zum Schlechteren fortgeht oder wenn sie eine passive Bewegung ist? Es verhalt sich damit wohl ähnlich, wie wenn die von der Sonne ausgehende Wärme die Gegenstände theils vermehrt, theils ins Gegentheil führt; und doch ist sie, insofern die Bewegung etwas Gemeinsames ist, ebendieselbe in beiden Fällen, erhält aber ihre anscheinende Differenz durch die Substrate. Ist denn nun Gesundwerden und Krankwerden dasselbe? Sofern sie Bewegung sind gewiss; aber wodurch werden sie sich unterscheiden? Durch die Substrate oder auch durch etwas anderes? Doch davon später, wenn wir das Anderswerden untersuchen; jetzt handelt es sich um die Frage, was in jeder Bewegung das Identische sei; denn nur so dürfte sie eine Gattung sein. Das Wort wird in vielfacher Bedeutung gebraucht und es wird sich damit ebenso verhalten wie mit dem Seienden. Auf diese Schwierigkeit ist zu erwidern, dass diejenigen Bewegungen vielleicht, welche ein Ding in seinen natürlichen Zustand bringen oder eine naturgemässe Thätigkeit ausüben, gleichsam Formen[307] sind, wie gesagt, die Uebergänge in naturwidrige Zustände dagegen nach Analogie dieser Zustände betrachtet werden. Aber was ist das Gemeinsame in dem Anderswerden, der Vermehrung und der Erzeugung und deren Gegentheil sowie in der örtlichen Veränderung, sofern nämlich dies alles Bewegungen sind? Dieses, dass ein Ding nicht in demselben Zustande bleibt, in dem es früher war, noch in völliger Ruhe einsam verharrt, sondern, soweit die Bewegung vorhanden, immer in einen andern Zustand übergeht und ein anderes wird dadurch dass es nicht in demselben Zustand bleibt; denn die Bewegung müsste aufhören, wenn es nicht ein anderes würde. Darum besteht auch das Anderssein nicht in dem Gewordensein und Bleiben in dem andern Zustand, sondern ist stets Anderssein. Daher ist auch die Zeit immer ein anderes, weil die Bewegung sie macht; denn eine gemessene Bewegung ist keine bleibende; sie läuft also mit ihr zusammen, gleichsam dahinfahrend auf der fortlaufenden Bewegung. Gemeinsam aber ist allen der Weg und der Uebergang von der Möglichkeit und dem Möglichen zur Wirklichkeit; denn jedes bewegte Object kommt dadurch in Bewegung, dass es gemäss irgendeiner Bewegung vorher die Möglichkeit hatte zu thun oder zu leiden.

23. Und die Bewegung, welche von einem andern erregt in den sinnlichen Dingen erscheint, schüttelt und treibt und erregt und stösst die an ihr theilhabenden Objecte, so dass sie nicht ruht noch in demselben Zustande verharrt, damit sie eben durch die Unruhe und diese Vielgeschäftigkeit so zu sagen sich an dem Bild des Lebens festhalte. Man darf aber die bewegten Gegenstände nicht für die Bewegung halten; denn nicht die Füsse sind das Gehen, sondern die aus der Kraft in die Füsse übergehende Wirksamkeit. Da aber die Kraft unsichtbar ist, so sieht man nothwendig nur die Füsse, nicht die Füsse für sich allein, wie wenn sie ruhten, sondern bereits in Verbindung mit einem andern, das zwar unsichtbar ist, weil es aber mit einem andern verbunden ist, accidentiell gesehen wird, dadurch dass man die Füsse sieht, die den Ort wechseln und nicht müssig sind. Was verändert wird nehmen wir von dem Veränderten her wahr, weil nicht dieselbe Beschaffenheit bleibt. Worin ist nun die Bewegung, wenn sie etwas anderes bewegt und ebenso wenn sie aus der vorhandenen Kraft in Thätigkeit übergeht? Etwa in dem Bewegenden? Und wie wird das Bewegte und das Leidende Theil nehmen? Oder ist sie etwa in dem Bewegten? Warum bleibt sie denn, einmal eingegangen in das Object, nicht? Die Bewegung darf[308] weder von dem Bewegenden getrennt noch in ihm sein, sondern von ihm geht sie in jenes [Object] über, ohne in jenem von dem Bewegenden abgeschnitten zu sein, sondern gleichsam wie ein Hauch in etwas anderes geht sie von jenem in jenes über. Wenn nun die Kraft der Bewegung die des Fortschreitens ist, dann stösst sie gleichsam und bewirkt einen steten Wechsel des Ortes; ist sie die des Wärmens, so wärmt sie; und wenn die Kraft Materie ergreift und naturgemäss aufbaut, so ist sie Wachsthum, wenn aber eine andere Kraft wegnimmt, Verminderung dessen, was eine Wegnahme zu erleiden fähig ist; und wenn die erzeugende Natur wirksam ist, Werden, wenn aber diese ohnmächtig ist und die zerstörende die Oberhand gewinnt, Zerstörung d.h. Zerstörung nicht in einem bereits Gewordenen sondern im Fortgang Begriffenen; und Gesundsein entsteht in derselben Weise, wenn die schaffende Kraft. Gesundheit bewirkt und dominirt, Kranksein dann, wenn die entgegengesetzte Kraft das Gegentheil bewirkt. Daraus geht hervor, dass die Bewegung nicht bloss nach den Objecten, in denen sie ist, sondern auch nach denen, von welchen her und durch welche sie geleitet wird, erkannt werden muss und dass die Eigenthümlichkeit der Bewegung die qualificirte Bewegung und zwar eine solche in solchen Gegenständen ist.

24. Was aber die örtliche Bewegung anlangt, wenn die Richtung nach oben der nach unten entgegengesetzt ist und die Kreisbewegung sich von der in gerader Linie unterscheiden soll: wie ist der Unterschied zu fassen, z.B. wenn man etwas über den Kopf oder unter die Füsse wirft? Denn die Bewegung, welche den Anstoss giebt, ist eine, man müsste denn die nach oben strebende von der nach unten strebenden unterscheiden und die Richtung nach unten anders auffassen als die nach oben, ganz besonders wenn es sich um die natürliche Bewegung handelt, falls die eine Leichtigkeit, die andere Schwere ist. Aber gemeinsam und ebendieselbe ist die Richtung nach dem eigenthümlichen Orte, so dass der Unterschied hier wohl nach äussern Umständen zu Stande kommt. Wie ist aber beim Kreis und bei der geraden Linie die Bewegung eine verschiedene, wenn die Umläufe bei der geraden Linie und beim Kreise dieselben sind? Vielleicht richtet sich die Differenz nach der Figur der Fortbewegung, wenn man die Kreisbewegung nicht eine gemischte nennen will, da sie nicht durchweg Bewegung sei und nicht auf allen Punkten eine andere sei. Doch es scheint die örtliche Bewegung überhaupt eine zu sein, die ihre Unterschiede von äussern Umständen empfängt.[309]

25. Es fragt sich, wie es sich mit der Mischung und Entmischung verhält. Sind sie andere Bewegungen als die genannten, Werden und Vergehen, Wachsthum und Verminderung, örtlicher Wechsel, Veränderung, oder sind sie auf eben diese zurückzuführen oder hat man von diesen einige als Mischungen und Entmischungen anzusehen? Wenn die Sache nun die ist, dass eins zum andern hinzutritt und sich nähert und andererseits sich wieder trennt, so dürfte man die Bewegungen örtliche nennen, da man von zwei Gegenständen spricht, die in eins zusammengehen oder sich von einander trennen. Wenn diese aber eine Verbindung und Mischung und Zusammensetzung zu einem aus einem erhalten nach der sich vollziehenden, nicht nach der bereits vollzogenen Zusammensetzung: auf welche der genannten Bewegungen soll man diese zurückführen? Denn den Anfang wird die örtliche Bewegung machen, das nach dieser Entstehende wird ein anderes sein, wie man auch beim Wachsthum finden wird, dass die örtliche Bewegung anfängt und die quantitative hinzutritt; ebenso also macht auch hier die örtliche Bewegung den Anfang, es folgt aber nicht nothwendig die Mischung und andererseits die Entmischung, sondern wenn die begegnenden Dinge sich verbinden, entsteht die Mischung, wenn sie sich trennen, die Entmischung; oftmals folgt bei der Entmischung auch vielleicht die örtliche Bewegung oder tritt zugleich mit ein, indem bei den sich trennenden Dingen die Affection als eine andere, nicht nach Art der örtlichen Bewegung aufgefasst wird und bei der Mischung eine andere, von der örtlichen Bewegung verschiedene Affection und Zusammensetzung erfolgt. Sind nun diese Bewegungen an und für sich zu betrachten, während die Veränderung auf diese zurückzuführen ist? Denn was dicht geworden ist, ist verändert d.h. es ist gemischt; auch das flüssig Gewordene ist verändert d.h. es ist entmischt; und wenn Wein und Wasser gemischt werden, so wird ein jedes von beiden etwas anderes als es früher war, das ist aber eine Mischung, welche die Verlinderung bewirkt hat. Indessen ist wohl zu sagen: auch hier sind die Mischungen und Entmischungen die ersten Ursachen gewisser Veränderungen, die Veränderungen selbst aber sind von den Mischungen und Entmischungen verschieden; denn weder sind die andern Veränderungen von der Art noch ist das Trockenwerden und Dichtwerden eine Mischung und Entmischung oder besteht überhaupt aus diesen; denn auf diese Weise würde man auch einen leeren Raum annehmen. Wie verhält es sich nun bei dem Schwarzen und dem Weissen?[310]

Ist man auch hierbei zweifelhaft, so hebt man zunächst die Farben und bald auch die Qualitäten auf oder wenigstens die meisten, nein vielmehr alle; denn wenn man jede Veränderung, die wir einen der Qualität gemässen Wechsel nennen, Mischung und Entmischung nennt, so ist das Werdende nichts, sondern es giebt nur nahe bei einander Liegendes und Getrenntes. Wie wären sodann Lernen und Unterrichtetwerden Mischungen?

26. Da die Bewegungen selbst wieder nach Arten benannt werden, wie es z.B. bei der örtlichen der Fall ist, so ist zu untersuchen und endlich zu erforschen, ob man sie nach der Bewegung nach oben und unten und in gerader Linie oder im Kreise eintheilen kann, wie man im Zweifel gewesen ist, ob man nach der Bewegung beseelter oder unbeseelter Dinge eintheilen soll – denn die Bewegung dieser ist nicht eine gleiche – und diese wieder je nachdem sie gehen und schwimmen und fliegen. Vielleicht kann man auch innerhalb einer jeden Art nach naturgemässer und naturwidriger Bewegung theilen; und dies darf man ansehen als nicht äusserliche Unterschiede der Bewegungen. Möglicherweise bringen diese Bewegungen diese Unterschiede selbst hervor und sind nicht ohne sie; auch scheint die Natur der Anfang dieser zu sein. Oder man theilt die Bewegungen ein in natürliche, künstliche, freiwillige: natürliche sind Wachsthum, Abnahme, künstliche der Bau eines Hauses, eines Schiffes, freiwillige Untersuchen, Lernen, ein Staatsamt bekleiden, überhaupt Reden, Handeln. Hinsichtlich des Wachsthums, der Veränderung und des Werdens theilt man wieder ein nach der Natur oder Naturwidrigkeit oder überhaupt nach den Substraten.

27. Was ist endlich zu sagen von der Stabilität, welche der Bewegung entgegengesetzt wird, oder von der Ruhe? Ist diese gleichfalls als eine besondere Gattung anzusetzen oder auf eine der genannten Gattungen zurückzuführen? Besser ist's vielleicht, die Stabilität den intelligiblen Dingen zuzuweisen und die Ruhe hier unten zu suchen. Zuerst nun fragt es sich, was eigentlich diese Ruhe ist. Wenn sie als gleichbedeutend mit der Stabilität erscheinen sollte, so dürfte man diese hier auch nicht mit Recht suchen, da nichts stille steht, sondern das scheinbar Stillstehende nur eine langsamere Bewegung hat; wenn wir aber die Ruhe von der Stabilität unterscheiden in der Weise, dass die Stabilität dem zukomme, was schlechthin unbeweglich sei, die Ruhe aber dem Stillstehenden, wenn es, obwohl seiner Natur nach beweglich, nicht bewegt werde: so[311] haben wir, wenn man das zur Ruhe Gebrachtwerden die Ruhe nennt, eine noch nicht aufgehobene aber nächstens aufhörende Bewegung; wenn man aber die nicht mehr am bewegten Gegenstande haftende Bewegung meint, so fragt sich zunächst, ob es hier etwas Nichtbewegtes giebt. Wenn aber ein Ding unmöglich alle Bewegungen haben kann, sondern einige Bewegungen nicht haben muss, damit man sagen kann: dies ist das Bewegte, wie soll man das nicht örtlich Bewegte sondern in dieser Hinsicht eben Ruhende anders bezeichnen, als dass man sagt: es bewegt sich nicht? Die Ruhe wird also eine Negation der Bewegung sein, d.h. sie ist keine Gattung für sich. Es ruht etwas in keiner andern Beziehung als hinsichtlich dieser bestimmten Bewegung, z.B. der örtlichen; man meint also die Privation dieser. Sagt aber jemand: warum nennen wir die Bewegung nicht eine Negation der Ruhe? so werden wir antworten: weil die Bewegung etwas mit sich bringt und etwas anderes bewirkt und dem Substrat gleichsam einen Stoss versetzt und unzähliges selber zu Stande bringt und vernichtet, die Ruhe eines jeden Dinges dagegen ausser diesem nichts ist, sondern nur bezeichnet, dass dasselbe keine Bewegung hat. Warum bezeichnen wir nun nicht auch in den intelligiblen Dingen die Stabilität als Negation der Bewegung? Weil man die Stabilität auch nicht als Aufhebung der Bewegung bezeichnen kann, da sie nicht nach dem Aufhören der Bewegung statt hat, sondern, wenn jene, auch ihrerseits vorhanden ist; und was sich seiner Natur nach bewegen kann, steht nicht still insofern sich die Stabilität nicht bewegt, sondern insofern die Stabilität es ergriffen hat, und insofern es bewegt ist, wird es sich immer bewegen; deshalb sieht es auch still durch Stabilität und bewegt sich durch Bewegung; hier aber [in der sichtbaren Welt] bewegt es sich durch Bewegung, ruht aber in Abwesenheit derselben, der nöthigen Bewegung beraubt. Sodann muss man untersuchen, was die sogenannte Stabilität hier an und für sich ist [als Gattung], z.B. in der Krankheit und Gesundheit. Nun bewegt sich ohne Zweifel der Genesende und so wird er, wenn er von der Krankheit zur Gesundheit übergeht, gesund. Welche Art von Ruhe nun werden wir diesem Gesundwerden gegenüberstellen? Denn wenn diejenige, aus welcher dasselbe herausgetreten, so ist das Krankheit aber nicht Stabilität; wenn die, in welche es eintritt, Gesundheit; und das ist nicht identisch mit der Stabilität. Sagt jemand, die Gesundheit oder die Krankheit sei eine gewisse Stabilität, so wird er die Gesundheit und die Krankheit[312] Arten der Stabilität nennen, was absurd ist. Sagt man, die Stabilität sei als Accidenz zur Gesundheit hinzugekommen, so wird vor der Stabilität die Gesundheit nicht Gesundheit sein. Allein darüber möge jeder urtheilen wie es ihm gut scheint.

28. Es ist gesagt worden, dass Thun und Leiden Bewegungen zu nennen seien und dass man die einen der Bewegungen absolute, die andern Thätigkeiten, die andern Leiden nennen könne. Auch über die andern sogenannten Gattungen ist gesagt, dass sie auf diese zurückzuführen sind, desgleichen über die Relation, dass sie ein Verhalten eines Dinges zum andern ist und das beide mit einander concurriren; und was die Relation angeht, so wird, wenn das Verhalten der Substanz sie hervorbringt, die Relation vorhanden sein, nicht insofern sie Substanz ist, sondern insofern sie ein Theil ist, z.B. eine Hand oder Kopf oder Ursache oder Princip oder Element. Man kann ferner die Relation eintheilen, wie sie die Alten eingetheilt haben: in bewirkende Ursachen, Maasse; die einen bestehen in einem Ueberfluss oder Mangel, die andern unterscheiden sich überhaupt durch Aehnlichkeiten und Differenzen. Und über diese Gattungen dieses.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 282-313.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon