Viertes Buch.
Ueber die Behauptung, dass das Seiende als eines und dasselbe zugleich überall ganz sei (I)

[313] 1. Ist etwa die Seele überall im Universum gegenwärtig, weil sie ein so grosser Körper wie der des Universums ist, ihrer körperlichen Natur nach theilbar, oder ist sie auch von sich selbst aus überall? Ich meine nicht da, wohin sie eben von dem Körper geführt worden, sondern indem der Körper sie überall vor sich selbst [dem Körper] gegenwärtig vorfindet, so also, dass derselbe, wohin er auch gestellt werde, dort die Seele gegenwärtig finde, die er selbst an einen Theil des Alls gesetzt wird, und so dass der ganze Körper des Alls in die bereits vorhandene Seele gesetzt wird. Allein wenn sie sich soweit verbreitet, ehe ein so grosser Körper hinzutritt, und dabei den ganzen Zwischenraum erfüllt: wie wird sie da nicht Grösse haben? Oder auf welche Weise kann sie dasein im All vor[313] der Entstehung des Alls, wenn das All nicht ist? Wie kann man ferner die Behauptung gelten lassen, dass die Seele, die untheilbar und grösselos sein soll, überall sei ohne Grösse zu haben? Und wenn man sagt, sie dehne sich mit dem Körper aus ohne Körper zu sein, so hilft man uns auch so nicht über die Schwierigkeit hinweg, dass man ihr die Grösse per Accidens ertheilt; denn ähnlich konnte man auch hier mit Fug und Recht fragen, wie sie per Accidens Grösse erhält. Denn nicht so verhält es sich mit der Seele wie mit der Qualität, z.B. Süssigkeit oder Farbe, die sich über den ganzen Körper hin erstreckt; denn dies sind Affectionen der Körper, so dass das Afficirte in seiner Gesammtheit die Affection hat und kein Theil für sich bleibt, da er ein Theil vom Körper ist und als solcher erst erkannt wird. Daher ist auch die Qualität nothwendig nur so gross wie der Körpertheil, und das Weisse des einen Theils ist dem des andern nicht homopathisch. Und bei dem Weissen ist das an dem einen Theile der Art nach gleich mit dem andern, aber nicht gleich der Zahl nach, bei der Seele aber ist die Affection im Fusse und in der Hand numerisch gleich, wie das die Perceptionen zeigen; und gleichwohl wird in den Qualitäten ebendasselbe als getheilt betrachtet, bei der Seele als nicht getheilt, doch heisst es in der Art getheilt, weil es überall ist. Wir wollen also von Grund aus über diese Fragen handeln, ob sich uns ein klares und annehmbares Resultat über die Art und Weise ergiebt, wie die Seele als körperlos und grösselos sich über einen sehr weiten Raum erstrecken kann, sei es vor den Körpern oder in den Körpern. Vielleicht ist es, wenn sich ergeben sollte, dass dies vor den Körpern geschehen kann, leicht anzunehmen, dass es auch in den Körpern geschieht.

2. Es giebt nun ein wahrhaft wesentliches All und ebenso ein Nachbild des Alls, diese sichtbare Natur. Das wesentliche All ist in nichts anderem, denn nichts ist vor ihm; was aber nach diesem ist, das muss nothwendig schon in dem All sein, wenn anders es sein soll, und besonders an jenes geknüpft und ohne jenes unvermögend zu bleiben oder sich zu bewegen. Denn wenn dies jemand nicht gewissermassen an einen Ort setzen wollte, so dass er den Ort denkt als eine Grenze des umschliessenden Körpers insofern er umschliesst oder als einen Zwischenraum, welcher früher war als der leere Raum und noch ist, sondern so, dass es sich auf jenes gleichsam stütze und auf ihm ruhe, indem jenes überall da ist und es zusammenhält: so giebt er die Bedeutung des Wortes [Ort] auf und er[314] mag das Gesagte durch blosses Denken begreifen. Diese Aussage wird aber mit Rücksicht auf etwas anderes [die sichtbare Welt] gemacht, weil jenes All und Erste und Seiende nicht nach einem Orte und überhaupt nicht nach einem Worin fragt. Das gesammte All also lässt in keiner Weise von sich selbst, sondern es erfüllt sich stets selbst und ist sich selber gleich; und wo das All ist, da ist es selbst; denn es selbst ist das All. Und überhaupt wenn etwas im All als ein von ihm Verschiedenes eine feste Stellung erlangt hat, so nimmt es an ihm Theil und trifft mit ihm zusammen und erhält seine Kraft von ihm ohne jenes zu zertheilen, vielmehr findet es jenes in sich selbst und jenes tritt dabei nicht aus sich selbst heraus; denn unmöglich kann in dem Nichtseienden das Seiende sein, sondern, wenn ja etwas, so ist das Nichtseiende im Seienden. Es ist also in dem Seienden in seiner Gesammtheit; denn dasselbe konnte nicht von sich selbst losgerissen werden und der Ausdruck, es sei überall, bedeutet offenbar: in dem Seienden, also in sich selbst. Und es ist nicht zu verwundern, wenn der Ausdruck ›überall‹ bedeutet: in dem Seienden und in sich selbst; denn was überall ist wird ja in Einem. Wir aber, die wir das Seiende in das Sichtbare setzen, setzen dorthin auch das Ueberall und indem wir das Sichtbare für gross halten, wissen wir nicht recht, wie in dem Grossen und einem so Grossen jene Natur sich ausbreitet: andererseits ist dies sogenannte Grosse klein, was aber klein genannt wird, das ist gross, wenn anders es in seiner Ganzheit sich über jeden Theil von diesem ausbreitet, oder vielmehr wenn dieses von allen Seiten her mit seinen Theilen über jenes sich erstreckt und es überall ganz findet und grösser als sich selbst. Daher wollte es, da es in der Ausdehnung voraussichtlich keinen grösseren Umkreis befassen werde (denn es würde ja auch aus dem All heraustreten), dasselbe umkreisen, und unvermögend es zu umfassen oder andererseits darin aufzugehen, war es zufrieden einen Ort und eine Ordnung zu haben, wo es gesichert wäre als jenem benachbart, das gegenwärtig und wieder nicht gegenwärtig ist; denn jenes bleibt für sich, auch wenn ihm etwas gegenwärtig sein will; dorthin also sich erstreckend findet der Körper des Alls das All, so dass er fernerhin nichts mehr bedarf, sondern sich in eben diesem bewegt als dem All, wo er an jedem Theile seiner selbst jenes als eines Ganzen geniesst. Denn wenn jenes selbst an einem Ort wäre, so müsste dieses sich geraden Weges zu ihm hinwenden und in einem Theile sich berühren mit einem Theile von jenem und es[315] müsste ein Fernes und Nahes geben; wenn es aber weder ein Fernes noch ein Nahes giebt, so muss es in seiner Ganzheit zugegen sein, wenn anders es zugegen ist. Und überhaupt ist es einem jeden Theile von den Dingen gegenwärtig, bei denen weder ein Nah noch Fern statthat, die es aber aufzunehmen vermögen.

3. Sollen wir nun sagen, es sei selbst gegenwärtig oder es selbst bleibe für sich, wohl aber gingen Kräfte von ihm auf alles aus und so sage man, es sei überall? Denn auf diese Weise bezeichnet man die Seelen gleichsam als Ausstrahlungen, so dass es selbst fest in sich ruht, während diese von ihm ausgesandt bald in dieses, bald in jenes lebende Wesen eingehen. Wo freilich das Eine derartig ist, dass die Dinge nicht die ganze Natur, die in eben jenem ist, in sich befassen können, da muss eine Kraft von ihm in dem Betreffenden gegenwärtig sein, ohne dass jedoch auf diese Art jenes etwa überhaupt nicht gegenwärtig wäre, denn auch dann ist jenes nicht abgeschnitten von der Kraft, die es austheilt, sondern wer empfing konnte eben nur soviel empfangen, obwohl das Ganze gegenwärtig ist. Wo aber alle Kräfte vorhanden sind, da ist natürlich jenes selbst gegenwärtig, allerdings abgesondert; denn wenn es etwa die Art dieses Dinges geworden wäre, so würde es aufgehört haben alles zu sein und überall in sich selbst zu sein, es wäre dies nur accidentiell und würde einem andern angehören. Da es aber keinem angehört was ihm angehören will, so nähert es sich wem es will nach dessen Vermögen ohne sein oder eines andern Eigenthum zu werden, sondern so dass jenes nach ihm strebt. Es ist nun durchaus nicht wunderbar, dass es so in allen Dingen ist, weil es ja in keinem von ihnen so ist, dass es ihm zu eigen gehörte. Deshalb ist es vielleicht nicht ungereimt zu sagen, auch die Seele concurirre so accidentieller Weise mit dem Körper, falls man von ihr sagt, sie bestehe für sich ohne der Materie oder dem Körper eigenthümlich anzugehören, der Körper aber werde ganz an jedem seiner Theile gleichsam erleuchtet. Man darf sich indessen nicht wundern, wenn [jenes göttliche Universum] ohne selbst an einem Orte zu sein in jedem an einem Orte Befindlichen gegenwärtig ist; es wäre im Gegentheil wunderbar und ausserdem noch unmöglich, wenn es selbst an einem ihm eigenthümlichen Orte befindlich in irgend einem andern Oertlichen gegenwärtig oder überhaupt gegenwärtig wäre und zwar so, wie wir es eben meinen. Nun aber ergiebt die vernunftgemässe Erörterung, dass es ohne einen Ort erlangt zu haben[316] demjenigen, dem es gegenwärtig ist, ganz gegenwärtig sein muss und dass es wie dem Ganzen gewärtig, so auch jedem Einzelnen ganz gegenwärtig sein muss. Widrigenfalls wird es theils hier an dieser Stelle, theils anderswo sein, dergestalt dass es theilbar und ein Körper sein wird. Und wie soll man es denn theilen? Wird man etwa sein Leben theilen? Aber wenn das Ganze Leben war, so wird der Theil nicht Leben sein. Oder den Intellect, damit ein Theil in diesem, ein Theil in jenem sei? Aber keiner von beiden wird Intellect sein. Oder das Seiende an demselben? Aber der Theil wird nicht seiend sein, wenn das Ganze das Seiende war. Wie nun, wenn jemand sagte, dass doch auch der getheilte Körper Theile habe, die wieder Körper seien? Indessen die Theilung geschah nicht an dein Körper, sondern an einem Körper von diesem Umfange, und ein jeder Körper wurde so genannt der Form nach, sofern er Körper ist; dieser aber hatte nicht irgendeinen bestimmten Umfang, ja überhaupt in keiner Weise einen Umfang.

4. Wie spricht man nun von dem Seienden und den Seienden, von vielen Intelligenzen und vielen Seelen, wenn das Seiende überall eins ist, und zwar nicht durch gleiche Gestalt mit einem andern, und die Intelligenz eine und die Seele eine ist? Gleichwohl unterscheidet man eine Weltseele und Einzelseelen. Und dies scheint dem Gesagten zu widersprechen und das Gesagte hat, wenn auch eine gewisse Nothwendigkeit, doch keine überzeugende Kraft, da die Seele es für unglaublich hält dass das Eine so überall dasselbe sei. Besser nämlich ist es vielleicht das Ganze zu theilen, so jedoch dass dasjenige um nichts verringert wird, von dem die Theilung stattgefunden hat, oder, damit wir bessere Ausdrücke gebrauchen, man lässt ein Erzeugen von ihm ausgehen und lässt so das eine für sich bleiben, das andere, das gleichsam zu Theilen geworden, nunmehr alle Dinge erfüllen. Allein wenn jenes als das Seiende für sich bleibt, weil es paradox zu sein scheint, dass etwas in seiner Ganzheit überall sei, so wird dieselbe Frage sich auch bei den Seelen erheben. Denn in den Körpern, in welchen sie als ganze in den ganzen sein sollen, werden sie nicht sein, sondern sie werden entweder getheilt werden oder wenn sie ganz bleiben, an welcher Stelle des Körpers werden sie ihre Kraft mittheilen? Auch bei diesen Kräften wird sich dieselbe Schwierigkeit erheben, ob das Ganze überall ist. Dazu wird ferner ein Theil des Körpers die Seele haben, ein anderer nur die Kraft. Aber wie giebt es viele Seelen und viele Intelligenzen, [317] das Seiende und seiende Dinge? Denn mag aus dem Früheren immerhin auch hervorgehen, dass sie Zahlen sind aber nicht Grössen, so wird sich gleicher Weise die Schwierigkeit ergeben, wie sie das All erfüllen. Aus der in dieser Weise sich ergebenden Vielheit also hat sich nichts gefunden zur Lösung der Schwierigkeit; denn wir geben ja zu, dass das Eine vieles sei durch die Differenz [das Anderssein], nicht durch den Ort. Denn zusammen ist das ganze Seiende, auch wenn es in dieser Weise viel ist; ›denn das Seiende nähert sich dem Seienden‹ und alles ist zusammen und der Intellect ist ein vielfacher durch Differenz, nicht Örtlich, und doch zusammen in seiner Ganzheit. Auch die Seelen? Ja auch die Seelen. Wird doch auch das Theilbare an den Körpern untheilbar genannt seiner Natur nach und sagt man doch von den Körpern die Grösse aus, wenn diese Natur der Seele in ihnen vorhanden ist, oder vielmehr: da die Körper dort entstanden sind und, soweit sie theilbar, an jedem Theile jene Natur an den Körpern zur Erscheinung kommt, so wurde sie auf diese Weise für theilbar gehalten. Denn dass sie nicht mit den Theilen zugleich getheilt worden, sondern überall ganz ist, zeigt die Einheit und wesentliche Untheilbarkeit der Natur deutlich. Die Einheit der Seele hebt also weder die Vielheit auf, wie auch das Seiende die seienden Dinge nicht, noch streitet die Vielheit dort mit der Einheil, noch braucht man durch die Vielheit die Körper mit Leben zu erfüllen noch darf man annehmen, dass wegen der Grösse des Körpers die Vielheit der Seelen entstehe, vielmehr muss man glauben, dass es vor den Körpern sowohl viele als eine giebt. Denn in dem Ganzen sind die vielen nicht der Möglichkeit nach, sondern jede einzelne in Wirklichkeit; denn weder hindert die eine ganze die Existenz der vielen in ihr, noch die vielen die der einen. Denn sie treten auseinander ohne [räumlich] getrennt zu sein und sind beieinander ohne voneinander verschieden zu sein; denn sie sind nicht durch [örtliche] Grenzen getrennt, wie auch die Wissenschaften nicht, die vielen in einer Seele, und es ist eine Wissenschaft so beschaffen, dass sie alle in sich enthält. So ist auch die so beschaffene Natur unbegrenzt.

5. Auch ihre Grösse ist in dieser Art zu begreifen, nicht als Masse; denn diese ist klein und verschwindend, wenn man sie abzieht. Dort aber lässt sich nichts abziehen, auch wird sie, wenn man abzieht, nicht ausgehen. Wenn sie aber nicht ausgehen wird, was braucht man da zu fürchten, dass sie sich von irgendetwas entfernt? Denn wie soll sie sich entfernen,[318] da sie nicht ausgeht, sondern eine nie versiegende Natur ist ohne zu fliessen? Denn fliesst sie, dann geht sie nur so weit, als sie fliessen kann, fliesst sie aber nicht (wo sollte sie auch hinfliessen!), dann hält sie das All umfasst oder vielmehr: sie ist selbst das All und grösser als dass sie nach der Natur des Körpers geschätzt werden könnte. Denn mit Recht nimmt man von ihr an, dass sie dem All nur wenig giebt, soviel nämlich dies von ihr tragen kann. Man darf aber jenes [Universum] nicht geringer nennen [als dieses], auch nicht, wenn man es als der Masse nach kleiner gesetzt hat, sich nun Zweifeln hingeben, dass ja unmöglich das Kleinere zu dem Grösseren als es selbst hinzutreten könne. Denn das Prädikat ›kleiner‹ kommt ihm nicht zu, auch darf man Masse mit dem, was nicht Masse ist, nicht vergleichen und messen – das wäre ja, als wenn jemand sagte, die Arzeneikunst sei kleiner als der Körper des Arztes; andererseits darf man sie ebenso auch nicht als grösser betrachten nach quantitativer Messung, da ja auch bei der Seele was gross ist und grösser als der Körper nicht auf diese Art bemessen wird. Für die Grösse der Seele zeugt aber die Thatsache, dass, auch wenn die Masse grösser geworden ist, dieselbe Seele sich über das Ganze derselben erstreckt, die bei der kleineren Masse war. Denn es wäre in vieler Hinsicht lächerlich, wenn man auch der Seele eine Masse beilegen wollte.

6. Warum geht sie nun nicht zu einem andern Körper? Weil jener zu ihr kommen muss, wenn er kann; ist er hinzugekommen und hat empfangen, so besitzt er was er empfangen. Wie also? Hat der andere Körper dieselbe Seele und ausserdem auch noch die Seele, die er selbst hat? Denn was ist für ein Unterschied zwischen ihnen? Er liegt in dem, was ihnen hinzugefügt ist. Wie nehmen wir ferner dieselbe Seele im Fuss und in der Hand an, halten dagegen die in diesem Theile des Alls nicht für identisch mit der in jenem Theile? Wenn aber die Empfindungen verschieden sind, so hat man auch die damit zusammenfallenden Affectionen verschieden zu nennen. Verschieden also sind die beurtheilten Dinge, nicht das Urtheilende; der Urtheilende ist derselbe, wenn er sein Urtheil bald in diesen, bald in jenen Affectionen fällt, jedoch ist der Leidende nicht derselbe, sondern die Natur eben eines solchen Körpers; und es ist wie wenn die nämliche Person unter uns die Annehmlichkeit im Finger und den Schmerz am Kopfe urtheilend wahrnimmt. Warum percipirt nun die eine Empfindung nicht auch das Urtheil der andern? – Weil es eine Beurtheilung ist, aber nicht eine Affection. Sodann[319] sagt das urtheilende Vermögen selbst nicht: ich habe geurtheilt, sondern urtheilte nur. Sagt doch auch bei uns das Gesicht dem Gehör nichts und doch urtheilten beide, sondern die Vernunft beherrscht beide und diese ist bei beiden eine verschiedene. Vielfach sieht auch die Vernunft das Unheil in einem andern und erlangt eine Einsicht von einer andern Affection. Doch ist hierüber schon anderswo gehandelt.

7. Sagen wir jetzt wieder, wie Ein und dasselbe sich auf alles erstreckt; das ist gleichbedeutend mit der Frage, wie ein jedes der sichtbaren weit zerstreuten Dinge jenes Einen und desselben nicht untheilhaflig ist. Denn nach dem Gesagten ist es nicht richtig, dass jenes sich in das Viele theile, sondern das vielfach Getheilte ist vielmehr auf das Eine zurückzuführen, und jenes ist nicht zu diesem gekommen, sondern weil dieses zerstreut ist, hat es uns den Anschein erweckt, dass jenes in dieses zertheilt sei, ähnlich wie wenn man das Gestaltende und Zusammenhaltende in gleiche Theile mit dem Gestalteten zerlegen wollte. Und doch kann die Hand einen ganzen Körper und ein langes Stück Holz und dergleichen mehr festhalten, und die festhaltende Kraft erstreckt sich über das Ganze, gleichwohl aber ist sie nicht in ebensoviel Theile getheilt wie der in der Hand festgehaltene Gegenstand. Dabei scheint es, als habe die Kraft einen dem Festhalten entsprechenden Umfang, aber gleichwohl wird die Hand nur durch ihre eigene Grösse umgrenzt, nicht durch die des emporgehobenen und festgehaltenen Körpers. Und setzt man dem festgehaltenen Körper eine anderweitige Länge zu und könnte ihn auch dann die Hand tragen, so bewältigt die Kraft auch jene ohne in soviele Theile gespalten zu sein als der Körper hat. Wie nun, wenn man annähme, die körperliche Masse sei der Hand entzogen, dabei aber dieselbe Kraft zurückbleiben liesse, die auch früher dieselbe emporhielt und zuvor in der Hand war: würde dieselbe nicht untheilbar in derselben Weise in dem Ganzen an jedem Theile sein? Nähme man gar eine kleine leuchtende Masse als Centrum an und legte um dasselbe einen durchsichtigen sphärischen Körper herum, so dass das Licht im Innern durch die ganze Umhüllung hindurchschiene, wobei die äussere Masse keinen Lichtstrahl von anderswoher erhielte: werden wir da nicht zugeben, dass das Inwendige selbst unafficirt bleibt, sich vielmehr bleibend über die ganze auswendige Masse verbreitet und jenes in der kleinen Masse wahrgenommene Licht das Aeussere – ergriffen hat? Da nun das Licht nicht von jener kleinen körperlichen Masse herkam – denn nicht insofern sie Körper war hatte[320] sie das Licht, sondern insofern sie leuchtender Körper war, infolge einer andern nicht körperlichen Kraft – wohlan, wenn jemand die Masse des Körpers wegnähme, aber die Kraft des Lichtes bestehen liesse: würdest du noch sagen, das Licht sei irgendwo, oder wäre es nicht gleicherweise drinnen und in der ganzen äusseren Sphäre? Du wirst also dein Nachdenken nicht mehr darauf richten, wo es früher befindlich war, und wirst nicht mehr sagen, woher und wie es kam, sondern staunend wirst du darüber in Ungewissheit sein, aber zugleich an diesem und an jenem Punkte des sphärischen Körpers wirst du mit hingeheftetem Blick das Licht erkennen. Denn auch bei der Sonne kannst du zwar auf den Körper der Sonne blickend sagen, woher das Licht durch die ganze Luft strahlt, aber das Licht selbst siehst du gleichwohl überall und zwar nicht getheilt. Das zeigen auch die Gegenstände, die das Licht abschneiden, die es nach der anderen Seite hin als woher es gekommen sich verbreiten lassen und doch nicht zertheilen. Und gesetzt nun, die Sonne wäre bloss eine Kraft ohne Körper und spendete so das Licht, so würde es nicht von hier oder da seinen Ausgang genommen haben und du könntest das Woher nicht angeben, sondern das Licht wäre überall eines und existirte als ebendasselbe ohne Anfang und ohne einen Ursprung irgendwoher zu haben.

8. Was nun das Licht angeht, so kannst du, da es körperlich ist, sagen, woher es gekommen, weil du zu sagen weisst, wo der Körper ist; wenn aber etwas immateriell ist und des Körpers durchaus nicht bedarf, da es von Natur früher ist als jeder Körper, selbst in sich selber gegründet oder vielmehr auch einer solchen Grundlage durchaus nicht bedürfend – dies also, das eine solche Natur hat, das keinen Ursprung hat, von wo es ausgegangen wäre, das weder aus einem Orte stammt noch einem Körper angehört: wie willst du von dem sagen, ein Theil sei hier, ein anderer da? Denn das ist klar: falls es einen Anfang hätte, so gehörte es auch irgendeinem an. Demnach bleibt nur übrig zu sagen, dass, wenn etwas an ihm Theil nimmt, es durch die Kraft des Ganzen an ihm als Ganzem Theil nimmt; es ist also durchaus nicht weder etwas anderes noch getheilt. Denn dem, was einen Körper hat, kommt, wenn auch nur accidentiell, das Leiden zu und in dieser Hinsicht heisst es afficirbar und theilbar, da es etwas am Körper ist, etwa eine Affection oder Form; was aber keinem Körper angehört, sondern dem der Körper angehören will, das darf nothwendig weder die andern Affectionen des Körpers irgendwie[321] erleiden, noch kann es getheilt werden; denn auch dies ist eine Affection des Körpers und zwar in erster Linie und insofern er Körper ist. Wenn ihm also die Theilbarkeit eignet sofern er Körper, so eignet ihm die Untheilbarkeit sofern er nicht Körper ist. Denn wie willst du auch theilen was keine Grösse hat? Wenn nun das was Grösse hat Theil nimmt an dem was nicht Grösse hat, so nimmt es an ihm als dem nicht Getheilten Theil, oder es wird wiederum Grösse haben. Wenn du es also Eins in Vielem nennst, so sagst du nicht, dass es selbst vieles geworden, sondern du fügst die Affection des Vielen an jenes Eine, das du zugleich als solches in dem Vielen siehst. Der Ausdruck ›Eins in ihnen‹ [den vielen Dingen] ist aber so zu nehmen, dass dieses nicht einem jeden von ihnen sich zugesellt, auch nicht dem Ganzen, sondern jenes bleibt an und für sich und als solches giebt es sich selbst nicht auf, auch ist es andererseits nicht so gross wie das sichtbare All oder auch nur wie ein Theil des Alls; denn es hat überhaupt nicht Grösse. Wie stünde es denn nun mit seiner Grösse? Denn dem Körper kommt die Grösse zu, dem aber, was nicht Körper sondern von einer andern Natur ist, darf man die Grösse keineswegs anheften. Wo aber keine Grösse ist, da hat auch kein Wo statt; also auch kein Hier und Dort, denn sonst wäre es ja oftmals irgendwo. Wenn also die Theilung durch die Oerter geschieht, indem ein Theil hier, ein Theil da ist: wie soll das getheilt werden können, dem das Hier nicht zukommt? Es muss also untheilbar selbst in sich selber sein, auch wenn die vielen Dinge in ihrem Streben nach ihm es erreichen. Wenn nun das Viele nach ihm strebt, so strebt es offenbar nach ihm als Ganzem; folglich wird es auch, wenn es Theil nehmen kann, an dem Ganzen soweit es kann Theil nehmen. Das an ihm Theilnehmende muss sich also in Anbetracht jenes so verhalten als hätte es nicht Theil genommen, da jenes ihm nicht eigenthümlich zukommt; denn nur so bleibt es selbst in sich ganz und worin es sichtbar wird auch ganz. Denn wenn es nicht ganz bleibt, so ist es nicht es selbst und findet die Theilnahme nicht da statt, wohin das Streben gerichtet ist, sondern an einem andern, wohin das Streben nicht gerichtet war.

9. Denn wenn der in einen andern Gegenstand eingehende Theil das Ganze wäre und ein jeder Theil selbst wie das Erste, so würde es bei fortgesetzter Theilung viele Erste [ein vielfaches Erste] geben und jeder Theil wäre ein Erstes. Was wäre sodann das diese vielen Ersten auseinanderhaltende Princip, so dass nicht alles ineinander zusammenläuft? Ihre[322] Körper sind es doch wohl nicht; denn Arten von Körpern konnten sie unmöglich sein, wenn sie jenem Ersten, von dem sie ausgingen, ähnlich sind. Wenn aber die sogenannten Theile in den vielen Dingen Kräfte sind, so ist zuerst ein jeder nicht das Ganze; sodann, wie kamen sie dorthin, nachdem sie abgetrennt sind und jenes verlassen haben? Denn haben sie es verlassen, so haben sie es offenbar verlassen um irgendwohin zu gehen. Sind ferner die Kräfte, die hier in das Sichtbare eingehen, noch in ihm [dem unsichtbaren Ersten] oder nicht? Denn wenn sie es nicht sind, so ist es ungereimt, dass jenes verringert und unkräftig geworden sei, der Kräfte die es früher halte beraubt; dass andererseits die Kräfte gesondert existirten, von ihren eigenen Substanzen abgeschnitten, wie wäre das möglich? Wenn sie aber sowohl in jenem als anderswo sind, so werden sie dort entweder als Ganze oder als Theile sein. Aber wenn als Theile, so sind dort auch die übrigen Theile; wenn hingegen als Ganze, so sind entweder dieselben wie dort auch hier ungetheilt und so wird wieder Ebendasselbe überall ungetheilt sein, oder die Kräfte sind ein jedes, zu Vielem gewordenes Ganze und einander ähnlich, so dass auch mit einer jeden Substanz nur die eine Kraft verbunden sein wird, nämlich die der Substanz innewohnende, während die andern bloss Kräfte sind. Jedoch wie die Substanz nicht ohne Kraft, so kann auch die Kraft nicht ohne Substanz sein. Denn die Kraft ist dort Hypostase und Substanz oder etwas grösseres als die Substanz. Wenn aber die andern d.i. die Kräfte aus jenem als geringere und schwächere Kräfte anzusehen sind, wie etwa ein dunkleres Licht aus einem helleren herkommt, desgleichen die mit diesen Kräften vereinigten Substanzen (damit die Kraft nicht ohne Substanz hingestellt werde), so muss man zunächst auch bei diesen Krallen, die durchaus einander gleichartig werden, nothwendig zugestehen, dass entweder ebendieselbe überall sei, oder wenigstens dass sie, wenn nicht überall, so doch auf alle Weise zugleich ganz sei, nicht getheilt, gleichsam in einem und demselben Körper. Wenn aber das, warum nicht in dem ganzen Universum? Geben wir aber zu, dass eine jede ins unendliche getheilt sei, dann ist sie selbst nicht mehr ganz, sondern durch die Theilung wird eine Unkraft entstehen. Sodann, wenn die eine hier, die andere dort ist, wird sie keine Mitempfindung zurücklassen. Wie ferner das Bild einer Sache, z.B. auch das schwächere Licht, losgetrennt von seinem Ursprung nicht mehr ist und überhaupt alles, was seine Daseinsform von einem[323] andern hat als sein Bild, durch Lostrennung unmöglich eine Daseinsform erhalten kann, so sind auch diese von jenem ausgehenden Kräfte nicht von ihm getrennt. Wenn das aber, so wird, wo diese sind, auch jenes, von dem sie stammen, zugleich sein, so dass es selbst wieder überall zugleich ungetheilt in seiner Ganzheit sein wird.

10. Sagt aber jemand, es sei nicht nöthig, dass das Abbild einer Sache mit dem Urbild verbunden sei – denn es kann auch das Bild da sein, wenn das Original, dessen Bild es ist, nicht da ist, und es kann die Wärme in dein erwärmten Gegenstande sein, nachdem das Feuer erloschen ist: so werden wir zunächst hinsichtlich des Originals und Abbildes, wenn man etwa das vom Maler verfertigte Bild meint, erwidern, dass nicht das Original sondern der Maler das Bild gemacht habe, das nicht ein Bild von ihm ist, auch wenn er sich selbst malt; denn das Malende war nicht der Körper des Malers noch seine Gestalt das Nachahmende; und nicht der Maler, sondern das derartige Auftragen der Farben, müssen wir sagen, macht ein derartiges Bild, auch ist das Hervorbringen des Bildes nicht eigentlich und stricte zu nehmen wie bei den Abbildern im Wasser und Spiegel oder Schatten; denn hier steht das Bild durch das Frühere unmittelbar da und wird von ihm hervorgebracht und das von ihm Gewordene kann nicht von ihm getrennt sein. Auf diese Weise werden nach ihrer Behauptung auch die schwächeren Kräfte von den früheren herstammen. – Auf den vom Feuer entlehnten Einwand ist zu erwidern, dass die Wärme nicht ein Bild des Feuers genannt werden darf, man müsste denn sagen, es sei auch Feuer in der Wärme; denn wenn dies der Fall ist, wird er Wärme und Feuer als gesonderte Dinge ansehen. Sodann verkühlt sich, wenn auch nicht sogleich, doch wenigstens allmählich der erwärmte Körper, wenn das Feuer erloschen ist. Sagen diese Gegner auch, dass selbst die Kräfte dieser Welt erlöschen, so werden sie zunächst nur Eins für unvergänglich erklären, die Seelen dagegen und den Intellect für vergänglich erachten; sodann werden sie auch annehmen, dass aus einer fliessenden Substanz die aus ihr fliessenden Kräfte kommen, obwohl doch die Sonne, wenn sie irgendwo feststünde, dasselbe Licht denselben Oertern spenden würde; wenn aber jemand sagte, nicht dasselbe, so würde er sich dadurch den Satz glaubhaft machen, dass der Körper der Sonne fliesse. Allein dass die von jener Welt stammenden Dinge nicht vergänglich sind, dass ferner die Seelen und der Intellect in seinem ganzen Umfange[324] unsterblich sind, ist anderswo ausführlicher dargelegt worden.

11. Aber warum empfangen, wenn es überall ganz ist, nicht alle Dinge das Intelligible ganz? Wie giebt es von jenem ein Erstes, dann noch ein Zweites und anderes nach ihm? Nun, es ist anzunehmen, dass die Anwesenheit sich richte nach der Fähigkeit dessen was annehmen soll, und dass das Seiende überall im Seienden ist ohne sich selbst aufzugeben, dass aber bei ihm anwesend sei was das Vermögen dazu hat und dass es bei ihm soweit anwesend sei als sein Vermögen reicht und zwar nicht örtlich, etwa wie das Durchsichtige beim Licht. So wird auch die erste, zweite, dritte Stufe durch Rang, Vermögen, Differenzen bestimmt, nicht durch Oertlichkeiten. Denn es hindert nichts, dass an sich Verschiedenes zusammen sei, z.B. Seele, Intellect und alle Wissenschaften, die grösseren wie die geringeren. Nimmt doch auch an ebendemselben Gegenstande das Auge die Farbe, der Geruch den Duft und ein anderer Sinn anderes wahr, während alle Eigenschaften zusammen und nicht getrennt sind. Ist also jenes nicht manigfach und vielerlei? Vielmehr das Vielfache ist wiederum einfach und das Viele Eins; denn der Begriff ist einer und vielfach und das ganze Seiende ist eines. Denn auch das Differente ist in ihm und die Differenz kommt ihm zu; denn sicherlich doch wohl nicht dem Nichtseienden. Und das Seiende kommt dem Einen untrennbar zu, und wo das Seiende ist, da ist bei ihm auch sein Eines und das Eins Seiende ist wiederum bei sich. Denn es kann bei etwas sein und für sich sein. In anderer Weise aber ist das Sichtbare bei dem Intelligiblen, was und bei welchem es ist, in anderer das Intelligible bei sich selbst; ist ja auch in anderer Weise der Körper bei der Seele, in anderer die Wissenschaft bei der der Seele und die Wissenschaft bei der Wissenschaft, eine jede in einem und demselben Menschen; Körper aber ist ausserdem noch in anderer Weise bei Körper.

12. Wie, wenn ein Laut wiederholt durch die Luft tönt und in dem Laut das Wort, das gegenwärtige Ohr es aufnimmt und wahrnimmt und wie, wenn du etwas anderes mitten in den leeren Raum hineinstellst, auch zu diesem das Wort und die Stimme dringt oder vielmehr das Ohr zu dem Worte kommt und wie viele Augen auf denselben Gegenstand blicken und alle von der Anschauung erfüllt werden, obwohl der angeschaute Gegenstand abgesondert daliegt, je nachdem das Percipirende Auge oder Ohr ist: so wird auch alles, was Seele haben kann, sie haben und anderes wird wieder auch verschiedenes von[325] einem und demselben haben. Es ist aber dabei der Laut überall in der Luft nicht als einer und zugleich getheilter, sondern überall als einer und zugleich ganzer, und was das Sehen anbetrifft, so hat, wenn die Luft als eine afficirte die Gestalt enthält, sie dieselbe nicht als eine getheilte; denn wohin auch immer das Gesicht gerichtet werde, da hat sie die Gestalt. Allein dies giebt nicht jede Meinung zu, es sei jedoch um deswillen gesagt, weil die Perception von ebendemselben Einen aus stattfindet. Das Beispiel von dem Laut wird einleuchtender sein für die Behauptung, dass in der gesammten Luft die ganze Erscheinungsform ist; dünn es würde nicht jeder dasselbe hören, wenn das gesprochene Wort nicht an jedem einzelnen Punkt wäre und nicht jedes Gehör das Ganze gleicher Weise aufgenommen hätte. Wenn aber auch hier nicht der ganze Laut derartig durch die ganze Luft ausgedehnt ist, dass dieser Theil von ihm mit diesem Theil verbunden, jener mit jenem Theil getheilt ist: warum soll man zweifeln, wenn die Seele nicht mit in Theile zerlegt sich ausgebreitet hat, sondern überall gegenwärtig ist wo sie ist und überall im Universum ist ohne getheilt zu sein? Und eingetreten in Körper, in die sie eben eintreten kann, wird sie etwas Analoges haben mit dem bereits in die Luft hineingesprochenen Laut, vor dem Eingehen in die Körper aber mit dem Sprechenden oder dem der gesprochen hat; jedoch auch eingetreten in den Körper hat sie sich gleichwohl nicht von der Analogie mit dem Sprechenden entfernt, der eben sprechend sowohl die Stimme hat als ertönen lässt. Die Verhältnisse des Lautes freilich sind nicht identisch mit denen, zu deren Beweise sie herangezogen sind, sie haben nur eine Analogie damit; was die Seele anbetrifft, so muss man, da ihre Verhältnisse anderer Natur sind, festhalten, dass nicht ein Theil von ihr in Körpern, ein anderer in sich selbst ist, sondern dass das Ganze in sich ist und doch wiederum in vielen Dingen zur Erscheinung kommt. Und wiederum, wenn ein anderes herankommt um Seele in sich aufzunehmen, so hat auch dieses heimlicher Weise was auch in den andern Dingen schon war. Denn es ist nicht so eingerichtet, dass ein Theil von ihr, der etwa hier liegt, zu diesem Gegenstande kommt, sondern von dem man sagt, es komme, das war im Universum in sich selbst und ist in sich selbst, obwohl es hierher zu kommen scheint. Denn wie sollte es auch kommen? Wenn sie also nicht gekommen ist und doch als jetzt gegenwärtig gesehen wird und zwar gegenwärtig nicht so, dass sie einen aufnehmenden Gegenstand erwartet: so ist sie offenbar in[326] sich selbst verharrend auch diesem gegenwärtig. Ist sie aber in sich selbst verharrend diesem gegenwärtig, so kam dieses zu ihr. Wenn aber dieses ausserhalb des wahrhaft Seienden war und zu dem wahrhaft Seienden kam und eintrat in die Welt des Lebens, wenn ferner die Welt des Lebens in sich und zwar ganz in sich war, nicht zertheilt in seine eigene Masse (denn auch die Masse war nicht): so ging auch das Kommende nicht in die Masse ein. Es nahm also an ihr als Ganzem Theil was nicht Theil war. Aber auch wenn etwas anderes in eine solche Welt gelangt, wird es an ihr als Ganzem Theil nehmen. Aehnlich also wird jene, wenn sie in diesen ganz sein soll, in jedem Ganzen sein; überall wird demnach ebendiese, welche eine ist der Zahl nach, nicht getheilt sondern ganz sein.

13. Woher nun die Ausbreitung [des Lebens] über den ganzen Himmel und die lebenden Wesen? Es ist ja nicht ausgebreitet worden. Die sinnliche Wahrnehmung freilich, auf die gestützt wir dem Gesagten nicht trauen, sagt freilich, es sei hier und hier, das Denken hingegen sagt, dass das Hier und Hier nicht eine Folge sei des hier und hier Ausgebreiteten, sondern dass das Ausgebreite insgesammt an jenem Höheren, das selbst keine Distanzen hat, Theil genommen hat. Wenn nun etwas an etwas Theil nehmen soll, so ist klar, dass es nicht an sich selbst Theil nehmen wird; vielmehr es wird nicht Theil genommen haben, sondern jenes selbst sein. Es muss also der Körper, welcher an etwas Theil nimmt, nicht an einem Körper Theil nehmen; denn er hat ihn bereits. Ein Körper also wird an einem Körper nicht Theil nehmen. Folglich wird auch Grösse nicht an Grösse Theil nehmen, denn sie hat sie bereits. Denn auch wenn sie einen Zusatz erhält, wird jene Grösse, welche früher war, nicht an Grösse Theil nehmen; denn das zwei Ellen Lange wird nicht drei Ellen lang, sondern das Substrat, welches eine andere Quantität hat, erhält eine andere Quantität; sonst würde ja zwei selbst drei sein. Wenn also das Getheilte und bis zu einem bestimmten Quantum Ausgebreitete an eine andere Gattung oder überhaupt an etwas anderem Theil nehmen wird, so darf das, woran es Theil nimmt, weder getheilt noch ausgebreitet noch überhaupt etwas Quantitatives sein. Ganz also muss was gegenwärtig sein soll gegenwärtig sein, indem es selbst untheilbar ist, jedoch nicht so untheilbar wie etwa ein Minimum; denn auf diese Weise wird es einerseits nichtsdestoweniger theilbar sein, mit dem Ganzen nicht congruiren, und wenn dieses sich vergrössert, nicht als[327] dasselbe mit ihm verbunden sein; aber auch nicht so wie etwa ein Punkt, denn die Masse ist nicht ein Punkt, sondern es sind unzählige Punkte in ihm; folglich werden auch dies unzählige Punkte sein, wenn sie es sein werden, und nichts Zusammenhängendes; also wird es auch so nicht congruiren. Wenn also die gesammte Masse es ganz haben soll, wird sie es an jedem Theile seiner selbst haben.

14. Aber wenn die nämliche Seele an jedem Punkte ist, wie ist sie dann eines jeden eigene Seele? Und wie ist die eine gut, die andere schlecht? Vielleicht reicht sie hin für einen jeden, hat alle Seelen und alle Intelligenzen. Denn sie ist eines und wieder unbegrenzt und hat alles zusammen und jedes gesondert und auch wieder nicht für sich ausgesondert; denn wie könnte sie wohl anders unbegrenzt heissen als in der Weise, dass sie alles zusammen hat, alles Leben und jede Seele und jede Intelligenz? Von diesem ist ein jedes nicht durch Grenzen gesondert; darum ist es auch wieder eins. Nicht also ein Leben musste jenes Höhere haben, sondern ein unbegrenztes und doch wieder eines und das eine in der Art eines, dass alle zusammen sind, nicht in Eins zusammengefasst, sondern von Einem ausgehend und da verharrend, von wo sie ausgegangen, oder vielmehr: sie haben nicht angefangen, sondern waren stets so beschaffen; denn dort giebt es nichts Werdendes, folglich auch nichts Getheiltes, vielmehr scheint die Theilung zu geschehen durch das Empfangende. Das Dortige ist das Uralte und Ursprüngliche; das Werdende nähert sich und scheint sich zu verknüpfen und hängt von jenem ab. Wir aber – wer sind wir? Jenes oder das sich Nähernde oder das Werdende in der Zeit? Gewiss waren wir auch vor dieser Erzeugung dort als andere Menschen und einige auch als Götter, reine Seelen und mit der Gesammtsubstanz verknüpfter Intellect, Theile des Intelligiblen, die nicht abgesondert noch abgeschnitten waren, sondern dem Ganzen zugehörten; denn nicht einmal jetzt sind wir abgeschnitten. Allerdings aber hat sich jetzt jenem Menschen ein Mensch zugesellt, der ein anderer sein wollte, und nachdem er uns gefunden (denn wir waren nicht ausserhalb des Alls), legte er sich selbst um uns herum und fügte sich selbst jenem Menschen hinzu, der ein jeder von uns damals war – etwa wie bei dem Vorhandensein eines Lautes und eines Wortes der eine von hier, der andere von dort das Ohr heranlegend hört und aufnimmt und ein actuelles Hören zu Stande kommt, welches das auf es Einwirkende gegenwärtig hat – und so sind wir das Doppelwesen[328] geworden und sind nicht mehr das eine von beiden, das wir früher waren, und zuweilen gerade das eine von beiden, das wir später angezogen haben, wenn nämlich jenes frühere unwirksam oder sonstwie nicht zugegen ist.

15. Aber wie ist das Herzugekommene herzugekommen? Nun, da ihm eine Tauglichkeit innewohnte, so erhielt es für was es tauglich war. Es war aber so beschaffen, dass es die Seele aufnehmen konnte. Was aber so beschaffen ist, dass es nicht die ganze, obwohl ganz anwesende, wenn auch nicht für es selbst, aufnehmen kann, wie z.B. die übrigen lebenden Wesen und die Pflanzen, das hat soviel als es zu fassen vermag. Wenn z.B. ein Laut ein Wort ausdrückt, so erfasst das eine das Wort mitsammt dem Schalle des Lautes, das andere bloss den Laut und den sinnlichen Eindruck. Nachdem also ein lebendes Wesen entstanden ist, welches in sich die Seele aus dem Seienden hat, der gemäss es dann an das gesammte Seiende geknüpft ist, wobei auch ein Körper vorhanden, nicht ein leerer noch der Seele untheilhaftiger, welcher auch früher nicht im Unbeseelten lag, aber durch die Tauglichkeit gleichsam noch naher gerückt ist; und nachdem derselbe gleichsam durch die Nachbarschaft eine Spur der Seele erbeutet hat, wobei nicht ein Theil von jener, sondern gleichsam eine Erwärmung oder Erleuchtung ihn durchdrang: so wurden Begierden, Lüste und Schmerzen in dem lebenden Wesen erzeugt. Der Körper war also dem entstandenen Wesen nichts fremdes. Die aus dem Göttlichen entsprungene Seele nun war ruhig gemäss ihrem eigensten Wesen in sich selber fest gegründet, der Theil aber, welcher aus Schwäche unruhig war und von selbst wie von äussern Schlagen getroffen hin und her wogte, lärmte zuerst für sich, dann in das gemeinsame Wesen hinein und theilte so dem Ganzen seine Unruhe mit; wie etwa in einer Volksversammlung, während die Aeltesten in ruhige Gedanken vertieft dasitzen, das Volk aus Mangel an Nahrung und wegen der Beschwerden über andere Unbilden unruhig wird und die ganze Versammlung in wilden Tumult hineinstürzt. Wenn nun in Gegenwart solcher ruhigen Männer durch einen besonnenen Mann Vernunft in diese Tumultuanten gebracht wird, so kommt die Menge zu leidlicher Ruhe und das Schlechte behält nicht die überhand; wenn nicht, so siegt das schlechtere Element über das Ruhe haltende bessere, weil der Pöbel die höhere Vernunft unfähig war anzunehmen, und das ist der Stadt und der Volksversammlung Unheil. Das ist auch des Menschen Unheil, der in sich eine Heer von Lüsten, Begierden[329] und Schrecken hat, die ihn beherrschen, wenn er sich selbst an eine solche Menge ausliefert; wer aber diesen Schwarm bewältigt hat und emporgestiegen ist zu jenem Menschen, der er einst war, der lebt nach jenes Willen und jener ist es, der dem Körper, was er ihm zugesteht, als einem ihm selbst fremden giebt; ein anderer hingegen lebt bald so, bald so, ein Gemisch aus dem eigenen Guten und fremder Schlechtigkeit.

16. Aber wenn jene Natur nicht schlecht werden kann und dies die Art und Weise ist, wie die Seele in den Körper eingeht und darin wohnt, was bedeutet das Herniedersteigen in den Weltumläufen und das Emporsteigen, die Strafen und die Verurtheilungen zu den Leibern anderer lebenden Wesen? Denn dies haben wir von den Alten, die vortrefflich über die Seele philosophirt haben, herübergenommen und es liegt uns ob den Nachweis zu versuchen, dass dies mit vorliegender Erörterung übereinstimmt oder wenigstens nicht streitet. Da nun also das Theilnehmen an jener Natur nicht bedeutete: es kommt jene in die Dinge hier unten, nachdem sie sich selbst aufgegeben, sondern: diese Natur tritt ein in jene und nimmt an ihr Theil, so muss offenbar was jene ein Kommen nennen bedeuten: die Natur des Körpers gelangt dorthin und nimmt Theil am Leben und an der Seele und das Kommen ist überhaupt nicht örtlich zu verstehen, sondern die Gemeinschaft geschieht auf irgendeine andere Weise. Daher bedeutet das Herabsteigen und in den Körper Kommen, wie wir das von der Seele sagen, soviel als: sie giebt diesem von sich selbst, nicht: sie wird ihm zu eigen; und das Weggehen heisst: der Körper hat keineswegs Gemeinschaft mit ihr. Eine Ordnung einer derartigen Gemeinschaft, ist ferner zu sagen, besteht durch die Theile dieses Alls, während jene gleichsam an dem äussersten intelligiblen Orte zu öftern Malen von sich mittheilt, weil sie der Möglichkeit nahe und durch kürzere Zwischenraume nur getrennt ist durch das Gesetz einer solchen Natur. Böse endlich ist eine solche Gemeinschaft und gut die Trennung. Warum? Weil, wenn die Seele diesem All auch nicht zu eigen gehört, sie doch gewissermassen als ihm eigen angesehen wird und in gewisser Weise zerstückelt aus dem All hervorgeht; denn ihre Wirksamkeit richtet sich nicht mehr auf das Ganze, obwohl sie dem Ganzen angehört, etwa wie wenn der Gelehrte, obwohl die ganze Wissenschaft vorhanden, nur nach einem einzelnen Lehrsatz thätig ist, während das Gute für ihn doch in der Thätigkeit nicht nach einem Theil, sondern nach der ganzen Wissenschaft, die er besitzt, bestehen würde. Die Seele[330] also, welche der gesammten intelligiblen Welt angehört und in dem Ganzen den Theil birgt, sprang gleichsam aus dem Ganzen in einen Theil heraus, in den sie sich selbst als einen Theil einschliesst, wie wenn etwa das Feuer, welches das Ganze verbrennen kann, nur einen kleinen Theil zu verbrennen gezwungen wird, obwohl es die ganze Macht besitzt. Denn die Seele ist in ihrer gänzlichen Besonderung einzeln nicht eine einzelne, wenn aber das Einzelobject unterschieden wird nicht räumlich, sondern in Wirklichkeit ein einzelnes wird, dann ist sie ein Theil, nicht ganz, obwohl auch so noch in anderer Weise ganz; wenn hingegen durchaus nichts sie lenkt und regiert, dann ist sie ganz, ist sie gleichsam nur der Möglichkeit nach Theil. Was das Herabsteigen in den Hades betrifft, so heisst das, wenn es ›im Verborgenen‹ bedeutet, ›gesondert sein‹; bezeichnet es einen schlechtem Ort, was Wunder? Heisst es doch auch jetzt von jener, sie sei da, wo und an welchem Orte unser Körper ist. Aber wenn der Körper nicht mehr ist? Nun falls das Schattenbild nicht von ihr getrennt wird, wie ist sie nicht da, wo das Schattenbild ist? Falls aber die philosophische Betrachtung sie gänzlich loslöst, so mag das Schattenbild immerhin allein an den schlechtem Ort gehen, sie aber bleibt rein im Intelligiblen, ohne dass etwas aus ihr herausgenommen wäre. Mit dem aus solchem Stoffe geformten Schattenbilde also mag es sich so verhalten; wenn sie selbst aber gleichsam ihren Glanz gegen sich selber gerichtet hat, dann ist sie durch die Hinneigung zu den andern Dingen gegen das Ganze hin zusammengezogen und sie ist in Wirklichkeit nicht, noch ist sie zu Grunde gegangen. Jedoch hierüber dies; wir wollen unsere ursprüngliche Untersuchung wieder aufnehmen.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 313-331.
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