Fuenftes Buch.
Ueber die Behauptung, dass das Seiende als eines und dasselbe zugleich überall ganz sei (II)

[331] 1. Dass ein der Zahl nach Eines und Identisches zugleich überall ganz sei, sagt ein gewisser Gemeinverstand aus, wenn – alle auf Antrieb der eigenen Natur den in einem jeden von[331] uns wohnenden Gott als einen und ebendenselben bezeichnen. Und wenn man die Angabe der Art und Weise von ihnen nicht verlangt noch auch ihre Meinung einer begrifflichen Prüfung unterziehen will, stellen sie das so hin und indem sie es so in ihren Gedanken bewegen, beruhigen sie sich dabei, gestützt auf das Eine und Identische, und wollen sich von dieser Einheit nicht trennen. Und es ist das festeste Princip von allen, welches unsere Seelen gleichsam aussprechen, das sich nicht als Summe aus dem Einzelnen ergiebt, sondern vor allem Einzelnen heraustritt und vor jenem Princip, das alles nach dem Guten streben heisst. Denn dann dürfte dieses doch wahr sein, wenn alles zu Einem strebt und Eins ist und hierauf das Verlangen geht. Denn dieses Eine, das bis zu dem Andern vordringt soweit es ihm möglich ist, erscheint als vieles und ist es gewissermassen auch, die uranfängliche Natur aber und das Verlangen nach dem Guten, was ihm [dem Einen] eben angehört, führt zu dem wahrhaft Einen und hiernach strebt jede Natur d.h. nach ihrem eigenen Wesen. Denn das ist für eine solche Natur das Gute: sich selber anzugehören und mit sich selbst identisch zu sein d.h. eine zu sein. Auf diese Weise heisst auch das Gute mit Recht immanent; darum darf man es nicht ausserhalb suchen. Denn wo sollte es ausserhalb des Seienden hingerathen sein? Oder wie wollte es jemand in dem Nichtseienden ausfindig machen? Doch es ist offenbar in dem Seienden, indem es nicht das Nichtseiende ist. Wenn aber jenes ist und in dem Seienden ist, so ist es in einem jeden in sich selbst. Wir sind also nicht aus dem Seienden herausgetreten, sondern sind in ihm und andererseits ist jenes nicht unser eigenes; Eins also ist alles Seiende.

2. Die menschliche Vernunft, welche das aufgestellte Problem zu erforschen unternimmt, ist nicht etwas einheitliches sondern etwas zertheiltes, sie nimmt zu der Erforschung die körperliche Natur zu Hülfe und erlehnt von daher ihre Principien; deshalb theilt sie die Wesenheit, die sie für eine theilbare hält, und zweifelt an ihrer Einheit, da sie in der Untersuchung nicht von den immanenten Principien ausgegangen ist. Wir aber müssen für eine Untersuchung über das Eine und schlechthin Seiende die der Beweisführung eigenthümlichen Principien heranziehen d.h. intelligible Principien von intelligiblen Dingen und die mit der wahrhaften Wesenheit verknüpft sind. Denn da dies Universum im Fluss ist und Veränderungen aller Art annimmt und nach jedem Ort hin auseinandergezogen, so dass man es Werden aber nicht Wesenheit nennen[332] sollte, jene Welt aber stets seiend ist, nicht auseinandergezogen, mit sich identisch, weder werdend noch vergehend, auch ohne einen Raum oder Ort oder Sitz zu haben, nicht von irgend etwas ausgehend noch auch in etwas eingehend sondern in sich selbst verharrend: so wird man in einer Erörterung über ersteres aus jener Natur und den über sie feststehenden Sätzen füglich argumentiren und aus wahrscheinlichen Prämissen wahrscheinliche Schlüsse ziehen; wenn man aber Untersuchungen über das Intelligible anstellt, so wird man die Natur der Wesenheit, um die es sich handelt, in Betracht ziehen und daraus die Principien der Argumentation mit Recht entlehnen, indem man nicht wie aus Vergesslichkeit in eine andere Natur abschweift, sondern eben von jener ausgeht und auf jene das Nachdenken richtet; denn überall ist das Wesen der Sache Princip und diejenigen, heisst es, welche gut definirt haben, erkennen dadurch auch grösstentheils das Accidentielle, diejenigen vollends, denen alles in dem Wesen der Sache beruht, müssen um so mehr hieran sich halten, auf dieses blicken und hierauf alles zurückführen.

3. Wenn also dies das wahrhaft Seiende ist und sich stets gleich bleibt und nicht aus sich selbst heraustritt und in ihm, wie gesagt, kein Werden stattfindet, so muss nothwendig dies so Beschaffene immer bei sich selbst bleiben, nicht von sich selbst abfallen, auch darf nicht ein Theil hier, ein Theil dort sein noch etwas von ihm sich absondern; denn sonst würde es bald hier bald dort und überhaupt in etwas und nicht bei sich noch affectionslos sein; denn wenn es in einem andern wäre, würde es afficirt werden; wenn es aber unafficirt bleiben soll, wird es nicht in einem andern sein. Wenn es also nicht aus sich heraustritt, nicht getheilt wird, keiner Veränderung unterworfen ist und so in vielen Dingen zugleich ganz eins ist bei sich selbst, so wird dasselbe als überall befindlich seinem eigenen Wesen nach in vielen Dingen sein können, d.h. bei sich ist es andererseits wieder nicht bei sich. Bleibt also übrig zu sagen, dass es selbst in keinem ist, dass aber das übrige an ihm Theil nimmt, soviel ihm und soweit es ihm innezuwohnen vermag. Man muss demnach entweder jene Aufstellungen und Principien aufheben und das Vorhandensein einer solchen Natur negiren, oder, wenn dies unmöglich und es nothwendig eine solche Natur und Wesenheit giebt, unsere ursprüngliche Behauptung annehmen, wonach das Eine und numerisch Identische nicht getheilt sondern ganz ist und von dem was ausser ihm ist sich nicht trennt ohne des Ueberströmens[333] zu bedürfen, wonach ferner es selbst, dadurch dass gewisse Theile von ihm abgehen oder dadurch dass es selbst in sich ganz bleibt, während anderes von ihm aus entstanden, sich nicht aufgiebt und auf mancherlei Wegen in das andere eingeht. Denn auf diese Weise würde es selbst hier, das von ihm Ausgehende da sein und es würde einen Ort haben, nachdem es sich von seinen Wirkungen getrennt. Und bei diesen ist wieder die Frage, ob eine jede ganz ist oder Theil: wenn Theil, so wird sie nicht die Natur des Ganzen bewahren, was doch gesagt wurde; wenn eine jede ganz, so werden wir eine jede entweder in ebenso viele Theile theilen wie das worin sie ist, oder wir werden zugeben, dass ebendasselbe überall ganz sein könne. Diese Argumentation stammt aus der Sache selbst und ihrem Wesen, ohne etwas fremdes aus der andern Natur herbeigezogen zu haben.

4. Betrachte ferner, wenns beliebt, diesen Gott hier: von ihm sagen wir nicht, er sei bald da, bald nicht da. Denn bei allen, die ein Bewusstsein von Göttern haben, ist es ausgemacht, dass man nicht bloss von jenem sondern von allen Göttern sagt, sie seien überall gegenwärtig, und auf dieselbe Annahme führt auch die Vernunft. Wenn Gott also überall ist, so kann er nicht getheilt sein; denn sonst würde er selbst nicht mehr überall sein, sondern ein jeder Theil von ihm wird der eine hier, der andere dort sein und er selbst wird nicht mehr einer sein, etwa wie eine Grösse in viele Theile zerlegt wird, er wird vernichtet werden und alle Theile werden nicht mehr jenes Ganze ausmachen; ausserdem wird er auch Körper sein. Wenn nun dies unmöglich ist, so ergiebt sich wieder die angezweifelte Behauptung dadurch, dass man in der gesammten Menschenwelt einen Gott glaubt und damit annimmt, dass ebendasselbe überall zugleich ganz sei. Wiederum aber, wenn wir jene Natur unbegrenzt nennen (denn begrenzt werden wir sie doch wohl nicht nennen), was ist das anders als dass sie sich nicht erschöpft? Wenn sie sich aber nicht erschöpft, so geschieht es, weil sie in einem jeden gegenwärtig ist. Denn könnte sie nicht gegenwärtig sein, so würde sie sich erschöpfen und irgendwo nicht sein. Denn wenn wir auch sagen, dass etwas anderes nach dem Einen selbst ist, so ist es doch mit ihm verbunden und das nach ihm Existirende bewegt sich um jenes und zu jenem hin und hängt wie sein Erzeugniss an ihm, so dass auch dasjenige, was an dem nach im Existirenden Theil nimmt, an jenem Theil hat. Denn da es im Intelligiblen viele Dinge giebt, erste und zweite und dritte, und diese gleichsam[334] an ein Centrum eines Kreises geknüpft sind, nicht durch Zwischenräume getrennt sondern mit sich selbst alle zusammenhängend, so ist da, wo das dritte ist, auch das zweite und das erste.

5. Der Verdeutlichung wegen sagt man häufig, dass gleichsam aus einem Centrum viele Linien ausgehen, um zu einem Verständniss der entstandenen Menge zu führen. Man muss aber alles zusammen im Auge behalten und nur so von dem Gesagten behaupten, dass es vieles werde, wie man auch dort beim Kreise die Linien nicht in ihrer Besonderung auffassen darf; denn die Fläche ist eine. Wo aber selbst nach Analogie der einen Fläche keinerlei Zwischenraum ist, sondern Kräfte und Wesenheiten ohne Zwischenraum, da heisst es füglich, dass nach Analogie eines Centrums alles in einem Centrum vereinigt ist, wie etwa, von den Linien abgesehen, die Enden derselben im Centrum liegen, wo denn ja alles eins ist. Wiederum werden, wenn man die Linien hinzunimmt, diese zwar an ihre Centren, die sie eine jede einzeln verlassen haben, geknüpft sein, es wird aber nichtsdestoweniger ein jedes Centrum nicht abgeschnitten sein von dem einen ersten Centrum, sondern da sie zusammen sind, wird auch ein jedes mit jenem verknüpft sein und zwar entsprechend der Zahl der Linien, für die sie sich selbst als Endpunkte darboten, so dass sie ebenso viele zu sein scheinen als die Linien, an die sie sich knüpfen, in der That aber alle zusammen sind. Wenn wir nun alles Intelligible vielen Centren verglichen haben, die in ein Centrum zurückgeführt und vereinigt werden, aber als viele erscheinen wegen der Linien, wobei die Linien sie jedoch nicht erzeugt sondern sie nur aufgezeigt haben: so sollen uns hier die Linien als Analogen für diejenigen Dinge dienen, an welche geknüpft die intelligible Natur vieles und an vielen Orten zu sein scheint.

6. Denn obwohl vieles, ist das Intelligible doch eins, und obwohl eins, ist es durch seine unendliche Natur doch vieles und zwar vieles in einem und eins in vielem und alles zusammen, und es wirkt auf das Ganze mit dem Ganzen und wirkt auf den Theil wieder mit dem Ganzen. Der Theil nimmt in sich anfänglich die Wirkung als eines Theiles auf, es folgt aber das Ganze; so wird z.B. der Mensch, wenn er in einen einzelnen Menschen eingeht, ein einzelner Mensch und ist doch wieder Mensch. Der materielle Mensch nun bringt von dem idealen Menschen ausgehend viele mit ihm identische Menschen hervor und ebendasselbe ist eins in vielen derart, dass eins gleichsam wie ein Siegel vielem eingedrückt ist. Der Mensch[335] an sich aber und ein jedes an sich und das gesammte All ist so nicht in vielen, sondern das Viele ist in ihm oder vielmehr um es herum. Denn auf andere Weise ist das Weisse überall und die Seele eines jeden in jedem Theile des Körpers dieselbe; und so ist auch das Seiende überall.

7. Denn auch unser Selbst wird auf das Seiende zurückgeführt und wir steigen empor zu jenem und sind ursprünglich von jenem und wir denken jenes ohne Bilder oder Abdrücke von ihm zu haben. Wenn das nicht, so denken wir es, weil wir's sind. Wenn wir also an der wahren Wissenschaft Theil haben, so sind wir jenes, nicht weil wir es in uns ergreifen, sondern weil wir in jenem sind. Da aber auch die andern, nicht bloss wir, jenes sind, so sind wir alle jenes. Zusammen also mit allen sind wir jenes; alles in allen also sind wir eins. Indem wir uns nun ausserhalb unserer ursprünglichen Verknüpfung sehen, wissen wir nicht, dass wir eins sind, gleichsam viele nach aussen gekehrte Gesichter, die nach innen zu einen Scheitel haben. Wenn sich aber jemand zu dem Einen hinwenden könnte sei es von sich selbst oder weil Athene selbst ihn zieht, so wird er sich selbst und das All als einen Gott erblicken; doch wird er zuerst sich nicht als das Ganze erblicken, dann wird er, da er nicht weiss, wie er sich selbst hinstellend die Grenze bis wieweit er selbst reicht abstecken soll, es aufgeben sich selbst von dem gesammten Sein abzugrenzen und so zu dem gesammten All gelangen, ohne irgendwo hin zu gehen, sondern da verbleibend wo das All gegründet steht.

8. Ich glaube meinerseits auch, dass wenn jemand die Theilnahme der Materie an den Ideen betrachten wollte, er sich von dem Gesagten eher überzeugen und nicht mehr daran als an etwas unmöglichem zweifeln oder auch nur Schwierigkeiten darin finden würde. Denn es ist, glaube ich, vernünftig, ja nothwendig, dass wenn die Ideen gesondert und wiederum der Materie fernab liegen, dass eine Erleuchtung von irgendwo oben her nicht hat geschehen können; es würde dies ein leeres Wort sein. Denn was sollte in diesen das Fernliegende und das Gesonderte sein? Zudem würde die erwähnte Art der Theilnahme nicht das schwer erklärliche und das schwierigste sein, sondern es läge deutlich auf der Hand durch die Beispiele. Allein wenn wir auch dann und wann von einer Erleuchtung reden, so werden wir das doch nicht so meinen, wie wir auf sinnlichem Gebiete von einer Erleuchtung des sichtbaren Gegenstandes reden; sondern da in der Materie nur Abbilder sind, die Ideen aber den Rang von Urbildern einnehmen,[336] so reden wir von einer Erleuchtung nur insofern als das Erleuchtete gesondert existirt. Wir müssen aber jetzt in genauerer Ausdrucksweise die Sache nicht so hinstellen, als ob die Idee räumlich getrennt wäre und dann die Idee an der Materie wie [ein Bild] im Wasser sichtbar würde, sondern die Materie, welche von allen Seiten gleichsam die Idee berührt und auch wieder nicht berührt, empfängt nach ihrem ganzen Wesen von der Idee soviel sie durch Annäherung zu empfangen vermag, ohne dass etwas dazwischen ist, ohne dass die Idee aus sich heraus durch die ganze Materie hindurchgeht und an sie heraneilt, sondern so dass sie in sich verharrt. Denn wenn in der Materie z.B. die Idee des Feuers nicht ist – die Argumentation soll sich der sinnlichen Substrate bedienen – dann gerade wird das Feuer ohne selbst in sie einzugehen der Materie die Form des Feuers in der ganzen Ausdehnung der feurigen Materie geben. Es mag aber das erste, nun materiell gewordene Feuer als eine grosse Masse daliegen. Dieselbe Argumentation wird auch bei den andern sogenannten Elementen passen. Wenn nun jenes eine Feuer in allen Dingen erscheint als dasjenige, welches ein Bild seiner selbst giebt und nicht räumlich getrennt ist, so wird es dasselbe nicht geben wie die sichtbare Erleuchtung; denn dann wäre bereits dieses ganze Feuer das sichtbare, wenn es nämlich selbst in sich vieles wäre, während es doch bei dem Verharren der Idee selbst raumlos die Oerter aus sich selbst erzeugt; denn sicherlich müsste ebendasselbe, wäre es vieles geworden, von sich selbst entfliehen, damit es in dieser Weise vieles wäre und vielfach an denselben Gegenstand rührte. Und es gab die Idee, da sie unzertheilbar ist, der Materie nichts von sich selbst; dennoch ist sie durch ihr Einssein nicht unfähig geworden das Nichteine durch ihr Einssein zu gestalten und ihm in seiner Ganzheit so innezuwohnen, dass sie nicht durch einen Theil von sich dies, durch einen andern jenes gestaltet, sondern durch sich als Ganzes ein jedes und ganz. Denn es wäre lächerlich viele Ideen des Feuers einzuführen, damit jedes Feuer von einer jeden bald an diesem, bald an jenem Theile gestaltet würde; auf diese Weise würde es ja unendlich viele Ideen geben. Sodann, wie will man das Werdende theilen, da das Feuer ein continuirliches ist? Und selbst wenn wir dieser Materie ein anderes grösseres Feuer zutheilen, so müssen wir doch zugestehen, dass auch an jenem Theile der Materie dieselbe Idee dasselbe zu Stande gebracht hat; ein anderes giebt es eben nicht.[337]

9. Wenn also jemand schon die gewordenen Elemente begrifflich zu einer Kreisfigur zusammenfasst, so darf man nicht sagen, dass viele Schöpfer den Kreis hervorbringen, indem der eine hier, der andere da sich für sich selber absondert um einen Theil zu schaffen, sondern dass Eines der Grund der Schöpfung sei, indem es durch sich selbst in seiner Totalität schafft, nicht ein Theil von ihm dies, ein anderer jenes schafft. Denn sonst gäbe es wieder viele Schöpfer, wenn man die Schöpfung nicht auf ein Untheilbares zurückführte oder vielmehr wenn nicht das eine Untheilbare den Kreis hervorbrachte, ohne dass das Schaffende selbst sich in den Kreis ausgiesst, sondern so dass der ganze Kreis an das Schaffende geknüpft ist. Ein und dasselbe Leben also trägt den Kreis, der in dem einen Leben ruht; folglich streben auch alle Dinge in dem Kreise zu einem Leben; folglich sind auch alle Seelen eine, jedoch so eine, dass diese hinwiederum unbegrenzt ist. Deshalb nannten sie auch die einen Zahl, die andern meinten, dass diese die Natur derselben mehren werde, veranlasst vielleicht durch die Wahrnehmung, dass sie nirgends fehlt, sondern über alles hin sich erstreckt und bleibt was sie ist, und dass ihr, auch wenn die Welt noch grösser wäre, die Kraft nicht gebrechen würde über alles sich zu erstrecken, oder vielmehr dass diese [die Welt] in ihr in ihrer Totalität ist. Der Ausdruck ›das Mehrende‹ ist also nicht nach dem Wortlaut zu nehmen, sondern bedeutet, dass die Seele nirgends fehlt und zwar als eine; denn ihre Einheit ist derartig, dass ihre Quantität nicht gemessen werden kann; denn dies ist das Kennzeichen der andern Natur, welche das Eine vorspiegelt und durch Theilnahme als eine erscheint. Was aber in Wahrheit Eins ist besteht weder aus Vielem, damit nicht, wenn etwas von ihm hinweggenommen ist, jenes ganze Eine vernichtet sei, noch wird es durch Grenzen gegliedert, damit es nicht nach Hinzufügung des andern entweder kleiner werde, wenn nämlich dies grösser ist, oder in dem Verlangen auf alles sich zu erstrecken auseinandergezogen werde und so nicht allem ganz innenwohne, sondern nur Theilen von ihm durch Theile von sich, und so, wie man sagt, nicht wisse wo in aller Welt es ist, da es zu einer geschlossenen Einheit nicht gelangen kann, weil es ja in sich auseinandergezogen ist. Wenn es also mit diesem Einen seine Richtigkeit hat, von dem man denn auch das Eine als Substanz aussagen kann, so muss es offenbar die ihm entgegengesetzte Natur, die Natur der Vielheit potentiell haben, dadurch aber, dass es diese Vielheit nicht ausser sich[338] sondern von sich und aus sich hat, wahrhaft Eins sein und in dem Eins das Unbegrenztsein und die Vielheit haben, und als solches muss es überall ganz erscheinen, indem es einen Begriff hat, der sich selbst umfasst, und der umfassende Begriff darf nirgends aus sich selbst heraustreten, sondern muss überall in sich selbst sein. Demnach ist dieses nicht so durch den Ort eines andern getrennt; denn es war vor allem Oertlichen und es bedurfte selbst nicht dieses, sondern dieses seiner, damit es fest gegründet würde. Nach seiner Gründung aber verdrängte es dieses nicht von seinem Sitze; denn durch Erschütterung desselben würde es selbst vernichtet worden sein, da seine Basis und seine Stütze vernichtet gewesen wäre, auch war andererseits jenes nicht so unverständig, dass es durch Entfernung von sich selbst sich auseinandergerissen und wohl geborgen in sich selbst sich einem unsichern Ort hingegeben hätte, der doch seiner zur eigenen Erhaltung bedarf.

10. Es bleibt also verständiger Weise in sich und geht schwerlich in etwas anderes ein; jenes andere aber hängt sich an dieses, nachdem es gleichsam seinen Aufenthalt aufgespürt hat, und das ist der Eros draussen an der Thür, der immer von aussen her da ist und nach dem Schönen strebt und immer daran Theil zu nehmen trachtet wie er kann. Denn der Liebhaber auf diesem Gebiete nimmt die Schönheit nicht in sich auf, sondern lagert nur immer dabei; diese aber bleibt in sich und die vielen Liebhaber des Einen, die das Ganze liebend ersehnen, haben so das Ganze wenn sie es haben; denn das Ganze war das ersehnte. Wie sollte nun jenes nicht allen genügen, da es bleibt? Ja gerade deshalb genügt es, weil es bleibt, und schön ist es, weil für alle ganz. Denn auch das Denken ist bei allen ganz; deshalb ist auch das Denken allen gemeinsam, nicht theils hier, theils dort; denn es wäre lächerlich, wenn das Denken auch des Ortes bedürftig sein sollte. Und nicht so verhält es sich mit dem Denken wie mit dem Weissen, denn das Denken gehört dem Körper nicht an; sondern wenn wir wahrhaft am Denken Theil haben und das, was selbst ganz in sich selbst und wahrhaft von dort ist, eins ist: so findet dies [Theilhaben] statt, weil wir nicht Theile empfangen haben, auch nicht ein Ganzes ich, ein anderes du, wobei das eine von dem andern losgerissen wäre. Aehnlich machen es auch die Volksversammlungen und jede Versammlung von Leuten, die wie zu einer Einheit das Denken vereinigen; für sich allein ist jeder schwach zum Denken, dadurch aber dass ein jeder in der Versammlung und der gleichsam wahren Denkvereinigung[339] sein Denken zur Einheit beisteuert, erzeugt er und findet er das Denken. Was soll denn hindern, dass die Intelligenz von dem einen und andern her in einem Punkt concentrirt sei? Aber obwohl sie zusammen sind, scheinen sie uns nicht zusammen zu sein, ähnlich wie jemand, wenn er mit vielen Fingern ein und dasselbe berührt, bald dies bald das zu berühren glaubt oder dieselbe Saite berührt ohne es zu sehen. Jedoch es war zu erwägen, wie wir mit unsern Seelen das Gute berühren. Denn nicht berühre ich dies, du das, sondern dasselbe, und dasselbe nicht in der Art, dass zu mir von dorther dieser, zu dieser jener Strom kommt, so dass etwa jenes dort irgendwo oben, seine Wirkungen aber hier sind; und es muss das Gebende den Empfangenden gegenwärtig sein, damit sie wahrhaft empfangen, und es giebt das Gebende nicht fremden Leuten, sondern seinen eigenen. Und der Intellect theilt nicht mit durch eine Botschaft; ist doch auch in den räumlich von einander getrennten Körpern die Mittheilung des einen der des andern verwandt und das Mittheilen und Einwirken richtet sich auf den Körper selbst, der Körper des Universums wenigstens thut und leidet in sich selber und nichts kommt von aussen in ihn herein. Wenn nun in diesem Körper, der seiner Natur nach sich gleichsam selber flieht, nichts von aussen her ist, wie hat dann das, was ohne Zwischenräume besteht, ein Aeusseres? Zusammenfallend also mit ihm sehen und berühren wir das Gute, vereinigt mit unserm eigenen Intelligiblen. Und die Welt ist dort noch in viel höherem Grade eine; oder es wird zwei gleich getheilte sichtbare Welten geben und die intelligible Sphäre wird, wenn sie nur in soweit eins ist, wie diese sinnliche beschaffen sein; folglich wird sie sich von ihr unterscheiden oder allzu lächerlich erscheinen, wenn nämlich dieser nothwendig eine sichtbare Masse selbstverständlich anhaftet, jene aber ohne etwas zu bedürfen sich ausstreckt und aus sich heraustritt. Was sollte dort auch der Einheit hinderlich sein? Denn das eine stösst das andere nicht fort, als ob es ihm keinen Platz gönnte, wie es auch nicht geschieht, wenn wir jeglichen Lehrsatz und jedes Theorem und überhaupt die gesammten Wissenschaften betrachten, die in der Seele nicht auf einen engen Raum zusammengedrängt sind. Aber bei Substanzen, wird man sagen, ist das nicht möglich. Allerdings würde es nicht möglich sein, wenn die Massen die wahren Substanzen wären.

11. Aber wie gelangt das, was keine Dimension hat, zu einem jeden Körper von solcher Grösse? Und wie kommt[340] es, dass es als Eins und Identisches nicht auseinandergezogen wird? Diese Schwierigkeit haben wir wiederholt zu lösen versucht, indem die Beweisführung die Schwierigkeit dies zu denken hinwegzuräumen ernstlich bemüht war. Es ist nun freilich vielfach gezeigt worden, dass es sich so verhält; doch bedarf es daneben gewisser Ueberredungen, obwohl nicht das geringste sondern das grösste Ueberredungsmoment jene ihrem Wesen nach aufgedeckte Natur war: dass sie nämlich nicht wie ein Stein, etwa wie ein grosser Würfel daliegt wo er liegt, in derselben Ausdehnung die er hat, ohne dass er seine eigene Grenze überschreiten könnte, beschränkt eben auf eine solche Ausdehnung sowohl durch die Masse als durch die in ihm mitumgrenzende Kraft des Steines, sondern dass sie als die erste, nicht gemessene noch auf ein bestimmtes Maass beschränkte Natur (denn durch diese wird umgekehrt die andere gemessen werden) die gesammte keineswegs bestimmt abgegrenzte Kraft ist. Deshalb ist sie nicht in der Zeit sondern ausser aller Zeit: die Zeit zerstreut sich immer durch Dimensionen, die Ewigkeit dagegen bleibt in sich identisch, sie beherrscht und übertrifft durch ewige Kraft die augenscheinlich über vieles sich erstreckende Zeit, einer Linie vergleichbar, die ins unendliche zu verlaufen scheint, während sie doch an einen Punkt geknüpft ist und um ihn herum läuft, wobei der Punkt an ihr überall da wo sie hinläuft sichtbar wird, und doch lauft nicht er, sondern jene wälzt sich um hin herum. Wenn nun die Zeit zu dem in sich Beharrenden eine wesentliche Analogie hat, jene Natur aber nicht bloss durch das Ewige sondern auch durch die Kraft unbegrenzt ist, so muss man entsprechend dieser unbegrenzten Kraft eine gegensätzlich neben ihr herlaufende Natur annehmen, die von ihr emporgehoben wird und an sie geknüpft ist; während diese durch ihren Lauf in der Zeit jener grössern, in sich beharrenden Kraft gleichzukommen sucht, ist jene es, die durch ihr Schaffen die Ausdehnung macht. Welches ist nun diese Natur, die soweit sie es vermag an dieser Natur Theil nimmt, welche zwar ganz gegenwärtig ist, aber nicht von jedem ganz gesehen wird aus Schwäche des Subjects? Sie ist aber als durchaus identisch gegenwärtig, nicht wie das materielle Dreieck in vielen Dingen als eine Mehrheit der Zahl nach identisch ist, sondern wie das immaterielle Dreieck an sich, von welchem auch die in der Materie stammen. Warum ist nun nicht überall das materielle Dreieck, wenn doch überall das immaterielle ist? Weil nicht alle und jede Materie Theil genommen, sondern die eine[341] dies, die andere das hat, und nicht jede sich jedem accomodirt; denn auch die erste bietet sich nicht ganz einem jeden dar, sondern den ersten Gattungen, dann nach diesen auch anderen; sie war jedoch für jedes bereit.

12. Wie ist sie nun gegenwärtig? Wie ein Leben; denn nicht bis zu einem gewissen Grade ist in dem lebenden Wesen das Leben, so dass es sich nicht über das ganze erstrecken könnte, sondern überall. Fragt jemand wieder wie, so erinnere er sich, dass die Kraft nicht quantitativ gemessen ist, sondern dass er bei einer ins unendliche fortgesetzten begrifflichen Theilung immer dieselbe von Grund aus unendliche Kraft hat; denn sie hat nicht Materie in sich, so dass sie mit der Grösse der Materie abnehmen und kleiner werden müsste. Wenn du nun in ihr eine ewig fliessende Unendlichkeit annimmst, eine unermüdliche und unerschöpfliche und nie versiegende Natur, die in sich selbst gleichsam von Leben übersprudelt, so wirst du sie, wenn du dich irgendwo hinstellst und auf einen Punkt deine Aufmerksamkeit richtest, dort nicht finden, im Gegentheil; denn du wirst nicht über dasselbe hinauskommen noch andererseits dich auf einen kleinen Punkt stellen, dem sie nichts mehr zu geben hätte, weil sie bei kleinern versiegt, sondern vielmehr, wenn du mit Schritt halten kannst oder vielmehr im All Fuss gefasst hast, dann wirst du nichts mehr suchen, oder wenn du dies verweigerst, so wirst du auf etwas anderes gerathen und darin versinken, indem du das Gegenwärtige nicht siehst, weil du auf etwas anderes blickst. Aber wenn du nichts mehr suchst, wie willst du denn von diesem dich überzeugen? Deshalb weil du zum Ganzen gelangt und nicht in einem Theile desselben bangen geblieben bist, auch nicht gesagt hast so gross bin ich, vielmehr die Quantität bei Seite lassend ein Ganzes geworden bist, obwohl du auch früher schon ganz warst; weil aber nach dem Ganzen dir auch etwas anderes anhaftete, würdest du kleiner durch den Zusatz; denn nicht aus dem Seienden war der Zusatz – denn jenem wirst du nichts zusetzen – sondern aus dem Nichtseienden. Wer aber sein Gewordensein auch aus dem Nichtseienden hat, der ist nicht ganz, sondern dann erst wenn er das Nichtseiende abgethan hat. Du wirst also selbst wachsen, wenn du das andere fahren lassest, und dann wohnt dir das All bei; bist du aber mit anderem verknüpft, dann erscheint es nicht, auch kam es nicht um dir beizuwohnen, sondern du gingest von dannen. Wenn du aber von dannen gegangen bist, so bist du nicht von ihm gegangen – denn es ist da – auch nicht irgendwohin gegangen,[342] sondern obwohl gegenwärtig hast du dich zum Gegentheil gewandt. So nämlich erscheinen auch die Götter in Gegenwart vieler oft nur einem, weil jener Eine allein sie sehen kann. Aber diese Götter, sagt Homer, besuchen wechselnd in allerlei Gestalten die Städte; zu jenem aber sind die Städte hingewandt und die ganze Erde und der ganze Himmel, zu ihm der überall bei sich und in sich bleibt und aus sich das Seiende und die wahrhaft seienden Dinge hat, die bis zur Seele und zum Leben hin an ihn geknüpft sind und zur Einheit zusammengehen durch ihre grösselose Unendlichkeit.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 331-343.
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