XV.
Mußmann und Bohtz. Philosophisches Satirspiel. Habilitation.

[369] Um das, was sich nun ereignete, einigermaßen begreiflich zu machen, muß ich schon etwas weiter ausholen. Das Jahr 1828 schien dazu bestimmt, die Universität Halle mit einer Fluth von Docenten in der philosophischen Fakultät zu überschwemmen. Bis dahin war ein einziger Privatdocent der Philosophie vorhanden gewesen, Dr. Luther, ein Nachkomme von Martin Luther. Er war ein Anhänger Gerlach's, wohnte sehr romantisch in einem der alten Thürme am Rosenthal, litt an den Augen, mit denen er unaufhörlich zwinkerte, schrieb viel für sich, war aber – eine Seltenheit in Halle – nicht drucksüchtig und machte die Pädagogik zu seiner Specialität. Als Docent hatte er fast gar keine Wirkung. Wir vermieden uns nicht, wenn wir gerade aufeinander trafen, aber wir suchten uns auch nicht. Er heirathete später eine wohlhabende Wittwe, wurde aber ganz melancholisch und erhängte sich in der Döhlauer Haide.

Nun kam 1828 im März zunächst Dr. Georg Mußmann von Berlin nach Halle und etablirte sich sofort als Privatdocent der Philosophie. Er war der Sohn eines Schmiedes aus der Umgegend von Danzig. Er hatte als Freiwilliger noch den Feldzug von 1815 gegen Frankreich mitgemacht. Hierauf hatte er studirt, war dann Lehrer und Erzieher des ältesten Sohnes des Professors der Mathematik, Pfaff, in Halle geworden, von hier nach Berlin gegangen, hatte dort seine Studien fortgesetzt und zugleich der Tochter eines reichen Rentiers Unterricht ertheilt, der damit endete, daß er mit seiner liebenswürdigen[370] Schülerin sich verlobte. Er gewann den Preis für eine Schrift über den Idealismus, welche von der philosophischen Fakultät aufgegeben war. Dieser Erfolg ermuthigte ihn, selbst Lehrer der Philosophie zu werden. In Berlin aber war Alles schon von Hegelianern überfüllt. Er wandte daher sein Augenmerk auf Halle, kam hierher, miethete sich eine reizende Wohnung am Markt der Frau Conditor Schelling, etablirte sich als Privatdocent und fing bereits im Mai an, ein Publicum über die Geschichte der alten Philosophie zu lesen. Noch in Berlin hatte er schon ein Lehrbuch der Psychologie herausgegeben und, kaum angelangt in Halle, ließ er ein Compendium der Logik drucken, das ein noch stärkerer Abfall von Hegel's Logik war, als Hinrichs Philosophie der Logik. Mußmann hatte die Aristotelischen Bestimmungen mit Hegel'schen, er hatte die metaphysischen und logischen Kategorien mit psychologischen derartig durch eine völlig barocke Sprache zusammengeschweißt, daß man aus dem krausen Gewirr keinen reellen Nutzen ziehen konnte, auch wenn man mit gutem Willen an das Buch heranging, wie auch ich es zuerst unbefangen versuchte.

Mußmann war auf eine Umgestaltung der Philosophie gerichtet. Er schrieb noch ein Compendium, eine Geschichte der christlichen Philosophie, worin er, nach Schelling und Hegel, mit unverkennbaren Worten auf sich als den Vollender der Philosophie hindeutete. Mußmann hatte viel gelernt, hatte auch in untergeordneten Dingen gegen Hegel zuweilen nicht Unrecht, aber es fehlte ihm alle Productivität. Eine Schrift über das akademische Studium, in welcher er mit Schelling's classischen Vorträgen über denselben Gegenstand zu rivalisiren suchte, konnte, gegenüber Schelling's Größe und Kühnheit, nur seine Kleinmeisterei und anmaßliche Schwäche aufdecken.

Mußmann hatte natürlich Hinrichs seinen Besuch machen müssen. Durch diesen wurde ich mit ihm bekannt. Wir machten uns ein paar formelle Visiten. Er schenkte mir auch ein Exemplar seiner Psychologie, aber wir kamen uns nicht näher. Ich verstand nicht, was er eigentlich wollte. Daß er sich für den größten Philosophen hielt, war aus seinem Urtheil über alle andern Philosophen leicht zu erkennen. Wie er es aber sein wollte, war ihm, wie es mir schien, selber unklar. Er war gutmüthig, gefällig, arbeitsam, aber die Eitelkeit, originell zu sein, war[371] der hervorstechende Charakterzug an ihm. Da er der Lehrer des Dr. Karl Pfaff gewesen war, so wurde ich durch ihn auch mit diesem bekannt. Pfaff war Historiker. Er war ein junger, schöner Mann, der in seiner Erscheinung wirklich ein geniales Wesen offenbarte, welches zu Mußmann's erquälter Genialität den schneidendsten Contrast bildete, wie denn Pfaff auch der unerbittlichste Kritiker der Leistungen Mußmann's war. Dieser so hochbegabte Jüngling verfiel leider einer wüsten Lebensart, die ihn seinen gut vorbereiteten Studien entfremdete und ihn allmälig durch ein Jahr langes Krankenlager dem Untergang nahe brachte. Dr. Karl Pfaff erhielt wegen seiner vornehmen Manieren den Beinamen des »Spanischen Gesandten.«

Als ich nun eines Morgens im Gartenhause dem Studium Spinoza's oblag; kam durch die Büsche plötzlich unser Hausmeister und führte nur einen Fremden zu, der kein Anderer, als der mir wohlbekannte Dr. Bohtz war, der, als er mich erblickte, sofort mit tausend Capriolen auf mich zustürzte, mich umarmte und umtanzte, so daß der Nachtwächter Milradt vor Erstaunen über diese seltsame Scene ganz verblüfft dastand. Bevor noch irgend etwas Weiteres unter uns gesprochen war, hatte er einen Band des Spinoza ergriffen, zu sehen, was ich triebe. Sofort schrie er: Rosenkränzchen studirt den großen Judenphilosophen! Ha ha! Sagen Sie, Rosenkränzchen, verstehen Sie wirklich den Spinoza? Hören Sie, was Bouterweck von ihm sagte. Und nun warf er sich in die mir bekannte Copirung Bouterweck's und ließ diesen den Pantheismus Spinoza's schelten. Kaum war er damit fertig, so sprang er in die mir ebenfalls schon von ihm geläufige Caricatur des Aenesidemus Schulze und ließ diesen Alles, was Bouterweck vorgebracht hatte, als ungewaschenes Zeug, als ästhetische Schönfärberei widerlegen. Ich lachte aus vollem Halse. Als er sich etwas ausgetobt hatte, lenkten wir auf das ruhige Fahrwasser persönlicher Mittheilungen über unsere Erlebnisse ein.

Auch er war nach Halle gekommen, Docent der Philosophie zu werden. Nun, sagte ich, das wird interessant; Sie sind nun, mich eingerechnet, der dritte Privatdocent, der sich hier anfthun will. Und wer ist der zweite? Dr. Mußmann, antwortete ich. Kaum hatte ich diesen Namen genannt, so verwandelte sich Bohtz in diesen und copirte[372] ihn in seinen Gesten und in seiner Sprachweise. Als ich hierüber mich verwunderte, erfuhr ich, daß er und Mußmann, einschließlich des Dr. Paff, alte Bekannte waren.

Bohtz bezog nun in der Rathhausgasse, wo ich wohnte, nur wenige Häuser entfernt, ein Quartier bei der Wittwe des Professors König. Es lag zu ebener Erde nach hinten hinaus, wo man unmittelbar vor den Fenstern den Garten vor sich hatte. Es war ein alterthümliches Haus. Die unteren Zimmer waren gewölbt. Durch ein einfenstriges Vorgemach trat man bei Bohtz in ein ziemlich großes Zimmer, das mit seinen Schwibbogen einer Capelle nicht unähnlich sah. Für den Sommer war es eine ganz poetische Wohnung. Wegen ihrer gothischen Gewölbe und einsamen Lage bekam Bohtz unter uns den Spitznamen Dr. Faust, und die alte Rieke der Frau Professor König, welche seine Aufwartung besorgte, den Namen des Famulus Wagner. Die tollste Wirtschaft hub nun an. Meinem Hausgenossen Loof war eine so elektrische Natur, wie die des Dr. Bohtz, noch nicht vorgekommen. Er fiel von einer Verwunderung in die andere, und Bohtz, als er den Effect seiner Komödie merkte, that sein Möglichstes, ihn darin zu erhalten. So dauerte es nicht zu lange, daß Loof von ihm gleichsam einexercirt wurde, ihn bei seinen Pantomimen und Rollenfächern durch eine entsprechende, von Zeit zu Zeit mit gewissen Stichwörtern eingreifende Manier zu unterstützen. Auch für Hinrichs war diese excentrische Natur ein ganz neues Schauspiel. Die Streitigkeiten zwischen den Philosophen Bouterweck und Schulze, in deren Vortrag Bohtz wirklich Außerordentliches leistete, ergötzten ihn ungemein.

Nach und nach bildete die Caricatur Mußmann's die dritte Figur, die mehr und mehr Gestalt gewann. Mußmann überkam in diesen Possen die Rolle, als Hegelianer durch das absolute Wissen die Streitigkeiten von Bouterweck und Schulze zu entscheiden. Hier wurde nun die Hegel'sche Terminologie von Bohtz auf das Barockste verwendet. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Verspottung auch bis in cynische Elemente heruntersank. Augenblicklich aber belustigten wir uns an diesen komischen Expectorationen unsterblich. Bohtz war entweder sehr schweigsam, sehr einsilbig, oder er sprudelte über. Zum Glück bot der stille, von Hinterfronten eingeschlossene Garten bei uns das Haupttheater[373] für diese Scenen, so daß man sich ungenirt gehen lassen konnte, denn außerhalb des Hauses war es Freund Bohtz oft schwierig, ihn in seiner Lebhaftigkeit zu bändigen. – Ich hatte z.B. meinen Mittagstisch, seit ich wieder in Halle war, im Gasthof »zur Stadt Zürich« genommen. Als Bohtz im Anfang Juni anlangte, folgte er mir dahin nach und wurde mein Tischnachbar. Sobald ihm nun etwas an einem der Tischgäste auffiel, konnte er die Kritik nicht lassen, raunte sie mir in's Ohr, machte Witze darüber und setzte mich zuweilen in gelinde Verzweiflung. Die Eitelkeit Mußmann's war für ihn eine unerschöpfliche Fundgrube zur Satire und zuweilen mischte sich einige Bosheit in dieselbe, obwohl er himmelweit davon entfernt war, Mußmann irgend schaden zu wollen. Es war ihm nur um den Scherz und Spaß zu thun. So versprach er uns einst, Muß mann dahin zu bringen, sein Leben für verfehlt zu erklären, weil er eigentlich hätte Bildhauer werden sollen. Wie fing er das an? Er dutzte sich mit Mußmann.


Bohtz.

Höre, Mußmann, ich glaube heute früh eine Entdeckung gemacht zu haben, die ich Dir nicht verschweigen kann.


Mußmann.

In der That, mein Lieber, was könnte das sein?


Bohtz.

Ich habe die Vorrede zu Deiner Psychologie gelesen.


Mußmann.

Nun, in der That, Du hast wohl Druckfehler darin entdeckt?


Bohtz.

Ach, von solchen Lappalien rede ich nicht. Es handelt sich um etwas Großes.


Mußmann.

Also ist es die Größe meiner Auffassung des psychologischen Problems?


Bohtz.

Nein, nein, es ist ganz etwas Anderes.


Mußmann.

In der That, mein Lieber, Du spannst meine Erwartung sehr hoch. Was kann es sein?


[374] Bohtz.

Ich glaube in Deinem Styl etwas Plastisches entdeckt zu haben.


Mußmann.

Das freut mich; denn in der That, mein Lieber, bemühe ich mich, anschaulich zu schreiben. Hegel hat wohl zuweilen ein Bild, allein im Ganzen schreibt er viel zu abstract.


Bohtz.

Gewiß. Aber, Mußmann, solltest Du nicht überhaupt Anlagen zur Plastik haben? Könnte das Gerundete, Vollgestaltige des Styls nicht die Folge davon sein?


Mußmann.

In der That, mein Lieber, habe ich daran noch nicht gedacht. Die psychologische Wissenschaft würde nicht widersprechen, wenn mein Talent, ohne zur Reife gekommen zu sein, sich gleichsam in meinen Styl geflüchtet hätte.


Bohtz.

Siehst Du, das ist es, was ich meine. Bedenke doch, daß Du in der Umgebung einer Schmiede aufgewachsen bist, in welcher Hammer und das Eisen tausendförmig gestalten. Sollte also nicht von Hause aus etwas Hephästisches in Dir angelegt sein?


Mußmann.

In der That, mein Lieber, fällt mir ein, daß ich gern Figuren aus Brodkrume geknetet habe.


Bohtz.

Nun, sieh' einmal, das ist ja ein ganz unverkennbares Zeugniß. Deines plastischen Talents. Wer weiß, was für ein großer Bildhauer aus Dir hätte werden können.


Mußmann.

In der That, mein Lieber, ich möchte jetzt selber wohl glauben, daß, wenn ich zeitig einen Lehrer, wie Rauch, gefunden hätte, meine plastische Begabung sich vortheilhaft hätte entwickeln können.

Wir Andern hatten Mühe, während diese Komödie sich abspielte, ernsthaft zu bleiben. Sie schloß damit, daß Mußmann »in der That«, wie er nämlich zu sagen pflegte, uns aufforderte, doch bei der Lectüre seiner Schrift etwas darauf zu achten, ob auch wir einen solchen[375] plastischen Grundzug entdeckten. Loof, der mit Bohtz immer unter einer Decke spielte, ermangelte nun nicht, zu versichern, daß er »in der That«, wenn er das Eigenthümliche von Mußmann's Schreibart bezeichnen solle, kein anderes Wort, als plastisch dafür finden könne. Er müsse Bohtz' Entdeckung völlig beistimmen. Wenn Bohtz manchmal noch spät Abends im Schlafrock zu mir kam, traf es sich wohl, daß er den Hausschlüssel vergessen hatte. Dann blieb, bei der Taubhörigkeit seiner Aufwärterin, nichts übrig, als ihm auf meinem Sopha ein Lager zurecht zu machen. Es hing ihm eben ein burschikoses, tumultuarisches Element an. – Meine Beschäftigung mit Spinoza, welche die äußerste Concentration forderte, wußte ich nur dadurch zu schützen, daß ich ausmachte, den Vormittag über allen Besuch auszuschließen. Eine gewisse systematische Ordnung in meinen Spaziergängen, wie im Sommer zuvor, herzustellen, war unmöglich. Es blieb dem Zufall überlassen, ob ich allein, oder mit wem ich ging. Ein paar Gänge mit Bohtz zeichneten sich durch ihre Romantik aus. – In Merseburg spielte ein Wandertheater, welches seine Zettel auch in Halle anschlagen ließ. Als ich eines Mittags mit Bohtz zum Essen ging, sahen wir, daß »Don Juan« angezeigt war. Sofort beschlossen wir, da schönes Wetter und Abends Mondschein war, gleich nach Tisch hinüber zu wandern. Es geschah. Die Aufführung der Oper war scheußlich, allein gerade dadurch belustigte sie uns auf's Höchste. Als wir, nachdem Don Juan im obligaten Feuerregen von den Teufeln geholt war, uns wieder auf der Merseburger Chaussee befanden, brach unsere so lange zurückgehaltene Lachlust hervor und Bohtz copirte und caricirte nun die Caricaturen der Schauspieler. Dies hielt die erste Meile hindurch vor. Nun aber war er überreizt und fiel in eine Furchtsamkeit, Ängstlichkeit und Graulichkeit, die ich zwar an ihm schon von Berlin her kannte, in solchem Grade aber noch nicht beobachtet hatte. Bald glaubte er Schritte von einem uns Nachschleichenden zu hören; bald glaubte er einen Schwarm Feldmäuse vor uns wimmeln zu sehen; bald glaubte er in der Ferne einen Feuerschein zu erblicken. Ein Wagen, der rasch uns entgegenfuhr, machte ihn zittern und er wich ihm bis zum äußersten Rande der Chaussee aus. Es war eine krankhafte Nervenüberreizung, von welcher ich, trotz meiner guten Nerven, zuletzt fast angesteckt worden[376] wäre. Ich mußte ihn endlich unter den Arm nehmen, denn er fühlte sich ganz erschöpft. Hingegen war ein anderer Gang nach Lauchstädt, dem bekannten Badeorte, einer der köstlichsten, den ich je in meinem wanderreichen Leben gemacht habe. Wir waren gleich früh Morgens aufgebrochen. Die Erinnerungen an Göthe und Schiller, deren Namen mit dem Theater von Lauchstädt so eng verknüpft sind, umschwebte uns den ganzen Tag. Wir hatten die wundervollsten Gespräche. Ein frugales Mittagessen, das wir in einer Laube des Gasthauses mit einer Flasche Wein verzehrten, aus welcher wir den Manen Göthe's und Schiller's eine Libation darbrachten, schien uns ein Göttermahl. So oft wir uns im späteren Leben wiedergesehen haben, ist uns das Andenken an diesen »vollkommen« zu nennenden Tag zurückgekommen. Wenn ich mit Bohtz allein war, fiel unsere Unterhaltung gewöhnlich auf Kant, Tieck und Daub. Kant machte Bohtz in der Vernunftkritik schwer zu schaffen und ich wunderte mich oft, daß ich ihm, der mir fast in Allem voraus war, ihm, der Solger's Erwin so inne hatte, durch meine Auseinandersetzung hülfreich werden konnte. Mit Tieck war Bohtz seit zwei Jahren, die er in Dresden verlebt hatte, sehr genau bekannt geworden. Sie paßten vortrefflich zu einander. Bohtz unterrichtete Tieck's älteste Tochter, Dorothee, im Griechischen. Mit Tieck wurde über Euripides, welchen derselbe sehr liebte, über Aristophanes, über den Begriff der Ironie u.s.w. gesprochen. Wenn die Abendgäste sich entfernt hatten, mußte Bohtz, der gleichsam zur Familie gerechnet ward, noch dableiben, und nun hechelte man die Eigenheiten, Sonderbarkeiten, Manieren der Gäste durch, indem man sie oft copirte. War von Philosophie gesprochen, so mußte Bohtz seine Göttinger Professoren spielen und durch Bouterweck und Schulze die vorgebrachten Albernheiten abtrumpfen lassen. Ich dagegen mußte Bohtz von Heidelberg und besonders von Daub erzählen, etwa wie ich es 1837 in dem Büchlein über ihn gethan habe. Bohtz hatte zwar ursprünglich auf dem Standpunkt von Jacobi, Fries, de Wette, Salat, Jean Paul gestanden, war aber noch durch Solger gemach auch zur Aufnahme Schelling'scher Ideen herübergezogen und fing an, Daub als den größten romantischen Theologen zu verehren.

Bohtz sah bald, daß neben Mußmann und neben mir ein Aufkommen[377] in Halle schwierig sein dürfte, weil wir als Privatdocenten uns Concurrenz machen mußten. Er faßte daher den Entschluß, sich in Göttingen zu habilitiren. Um sich für die öffentliche Disputation, die er auch dort zu bestehen hatte, vorzubereiten, bat er mich, das Lateinischsprechen mit ihm zu üben. An festgesetzten Tagen ging ich den August über mit ihm nach Tisch in seine Wohnung, wo wir bei einer Tasse Kaffee bis vier Uhr de rebus omnibus et quibusdam aliis Lateinisch disputirten. Die Fenster des Gothischen Studirzimmers standen offen; die Weinranken und Blumen nickten vom Garten herein und Bohtz erheiterte unser scholastisches Geschäft mit irgend einer seiner Schnurren. Wir kamen z.B. die Steintreppe im Hause herauf. Er schrie nach seinem Famulus Wagner, Fräulein Riecke. Sie war harthörig und er mußte daher sehr laut mit ihr verkehren. Schlurfte sie nun, ein altes, hochgewachsenes Frauenzimmer, von oben herab, so rief er wohl zuerst: Riecke, ich schieße mich todt. – Ei, Herr je, der Herr Doctor werden doch nicht? – Ja, Riecke, es ist beschlossen. Erst aber machen Sie uns noch einmal einen recht guten Kaffee. – Na ja, da werden der Herr Doctor wohl auf bessere Gedanken kommen.

Bohtz ging wirklich Ende August nach Göttingen, wo er noch jetzt, indem ich dies schreibe, als ordentlicher Professor der Philosophie lebt. Wir sind immer Freunde geblieben und haben uns von Zeit zu Zeit in Halle, in Berlin oder Dresden auch wieder gesprochen. Ich wurde tief in die Streitigkeiten unserer philosophischen Bewegung verwickelt, während Bohtz ihnen fern blieb und sich in immer engeren Kreisen einer stillen, aber fruchtbaren Thätigkeit erfreute. Als Schriftsteller hat er sich nur durch ein paar sehr geschätzte Abhandlungen über das Tragische und Komische, wie durch eine vollständige und revidirte Ausgabe von Bürger's Werken bekannt gemacht.

Die Geschichte unserer Philosophie war seit Kant von satirischen Reactionen begleitet. Nicolai hatte Kant's Apriorität und Aposteriorität in einigen Romanen verspottet. Fichte verspottete wiederum Nicolai, indem er seinen Lebenslauf a priori deducirte. Falk verspottete die ganze philosophische Bewegung in seinem satirischen Taschenbuch. Schelling verspottete Jacobi im Anhang zu seinem Denkmal der Jacobi'schen Schrift von göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung. Was Wunder,[378] daß ich darauf verfiel, den Extract der Witze, mit denen wir uns umtrieben, in ein großes satirisches Bild zusammenzufassen. Ich konnte damals noch etwas zeichnen. Ich entwarf ein großes, symbolisch-allegorisches Bild der Geschichte unserer Philosophie von Kant ab. Binnen einigen Nachmittagen, im Beisein der sanften Louise, die ganz verwundert meinem Beginnen zuschaute, malte ich mit schwarzer Kreide und Rothstift auf einige zusammengeklebte Bogen ein abenteuerliches Bild, von welchem mir jedoch fast Nichts in der Erinnerung geblieben ist, als nur, daß Kant auf einer Wolke schwebte, welche die Transscendenz andeuten sollte. Ueber ihm war wieder eine Wolke, aus welcher eine Hand – es sollte die Jehova's sein – ihn an seinem Haarzopf festhielt. –

Kant war als eine Analogie Friedrichs des Großen mit seinem dreieckigen Hut und mit seinem Rohrstock gemalt, durch welchen ich den kategorischen Imperativ ausdrückte. Unterhalb Kant breitete sich eine große Landschaft aus. Rechts nach Oben hin erblickte man die Ostsee. Um sie zu markiren, ließ ich einen Seehund neugierig auf das Ufer schauen. Unten in die linke Ecke hatte ich einen Weinstock mit schönen Trauben gemalt, das gesegnete Schwabenland anzudeuten. Auf diesem Terrain waren nun die großen und kleinen Philosophen in verschiedenen Gruppen mit charakteristischen Stellungen und symbolischen Beiversen vertheilt. In der Mitte des Vordergrundes er blickte man die Scene, welche Schilling am angeführten Orte beschreibt, wie Jacobi, indem er sich die Augen verbindet, Anstalt macht, über den großen Graben vor ihm zu springen. Krug war als an einer Brochürendiarrhöe leidend dargestellt, spähete aber zugleich a priori mit einem Operngucker nach der Entdeckung von Jesuiten. Schelling brachte einer vollbrüstigen Isis ein Rauchopfer dar u.s.w. u.s.w. Ich mußte zu allen den kleinen Künsten greifen, welche die satirische Malerei von jeher für solche Compositionen hat in Anwendung bringen müssen, namentlich auch zu Büchern mit ihren Titeln. Als das Bild fertig geschmiert war, versammelte ich Hinrichs, Bohtz und Loof vor demselben im Gartenhause, wo ich es an einer Wand mit Nägeln befestigt hatte, nahm eine Fischbeingerte von Louisens Nähtisch, tippte damit immer auf die Gegenstände, die ich erklären wollte und hielt nun eine[379] Rede in bänkelsängerischer Manier. »Hier, meine Herren, sehen Sie die wahrhaftige und getreue Abschilderung der Deutschen Philosophie. Hier, in der Mitte, erblicken Sie einen kleinen Mann, den großen Kant von Königsberg, wie es ihm gelungen ist – nicht durch ein Wunder, sondern durch seine drei Postulate – in den Himmel zu kommen« u.s.w.

Ist bei solchen satirischen Bildern der erste Prickel der Ueberraschung vorbei, so werden sie bald schaal. Nachdem ich meine bänkelsängerische Erklärung noch einmal an einem andern Tage mit einigen Varianten wiederholt hatte, wurde das Bild bei Seite gelegt. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.

Es waren eben Späße, mit denen wir uns belustigten, uns von der angestrengten Arbeit der Vormittage zu erholen. Es waren harmlose Hanswurstiaden. Eines Nachmittags gegen fünf Uhr ging ich mit Hinrichs zu Bohtz, ihn zu einem Spaziergang abzuholen. Wir fanden die Thür seines Vorzimmers verschlossen, hörten ihn aber in seiner Stube sehr laut reden. Wir fragten die alte Riecke, ob er Besuch habe? Nein, sagte sie, der Herr Doctor sind allein und sprechen mit sich selber. Wir möchten nur in den Garten gehen; die Fenster wären dorthin offen und wir könnten ihm dann zurufen. Wir gingen leise in den Garten und lauschten zurückhaltend, was es gäbe. Wir sahen Bohtz vor einem Tische, auf welchem eine Reihe Bücher aufgestellt war. Jedes gehörte einem lebenden Philosophen. Wir entdeckten bald, daß er eine Schule fingirte. Die Bücher betrugen sich wie lebendige Philosophen auf der Schulbank. Salat saß neben Schelling, Köppen neben Jacobi, Fries neben Reinhold, Bouterweck neben Schulze, Mußmann neben Hegel. Jeder spielte seine Rolle. Bohtz examinirte. Sag' einmal, Schulze, was ist das Ding-an-sich? Schulze behauptet, es sei gar nichts. Nun wurde Mußmann aufgefordert, ihm zu sagen, was das Ding-an-sich sei. Er antwortete, er könne weder mit Kant's Ding, noch mit Hegel's Ding sich einverstanden erklären. Sein Ding sei ein ganz anderes Ding. In der That sei es kein gewöhnliches Ding. In der That unterscheide es sich von den Dingen aller andern Philosophen auf das Vortheilhafteste u.s.w. Bohtz spielte den Schulmeister eben so komisch, wie die Schüler. Als Salat ihm einmal ein paar[380] zu schlechte Antworten gab, wurde er aus der Schule herausgeworfen, d.h. Bohtz packte das von ihm verfaßte Buch und schleuderte es auf den Boden. Bei diesem Anblick mußten wir laut auflachen. Fast erschrocken wandte er den Kopf nach dem Fenster, lachte aber auch aus voller Kehle, als er uns erblickte und scherzte, welche Noth er in seinem Privatseminar mit den berühmten Philosophen habe.

Inzwischen ging ganz leise, ganz allmälig eine große Veränderung in mir vor, die unstreitig schon lange vorbereitet war, nunmehr aber zum Durchbruch kam. Das Studium der Hegel'schen großen Logik und das ihm folgende des Spinoza gaben mir eine Befriedigung, die mich unendlich beglückte. Ich erkannte, daß ich in dasjenige Element gekommen sei, welches meinem Streben die rechte Nahrung böte. – Es vollzog sich in mir eine Umwälzung meiner bisherigen religiösen Denkungsweise. Ich konnte nicht mehr daran zweifeln, daß das Absolute in der Natur und Geschichte sich offenbare. Dies widersprach ja auch keineswegs dem christlichen Glauben, welcher die Gottheit selber in menschlicher Gestalt zur Wirklichkeit der Erscheinung kommen läßt. Ich fand im Neuen Testament, in den Aussprüchen Christi, namentlich nach dem Johanneischen Evangelium, die ausdrückliche Lehre, daß die Erkenntnis der Wahrheit uns frei mache und daß, was man Seligkeit nenne, wesentlich in dem Zustande bestehe, der in uns durch das Leben in der Wahrheit und Freiheit hervorgebracht werde. Die Bergpredigt spricht von der Seligkeit ganz unzweideutig als von einem für uns schon jetzt möglichen Zustande. Die Hegel'schen Lehren von dem Zusammenhang des Unendlichen mit dem Endlichen, des Jenseits mit dem Diesseits, des Göttlichen mit dem Menschlichen, hatten schon längere Zeit in mir gewühlt. Durch das Studium Spinoza's wurde gleichsam der letzte Vorhang weggezogen, der mir das Allerheiligste noch durch angewöhnte Vorstellungen verhüllte. Sein Satz, daß die Seligkeit nicht die Belohnung der Tugend, sondern die Tugend selber sei, traf mich auf das Tiefste. Die Seligkeit kann uns also nicht von Außen kommen. Kein Gott kann sie uns schenken. Sie ist der Zustand, der das Erkennen des Wahren, das Schauen des Schönen, das Vollbringen des Guten begleitet. Was man sich außerhalb der Einheit mit dem Wahren, Schönen und Guten als Seligkeit vorstellt, ist eine ganz[381] unbestimmte Phantasmagorie, in welche sich mehr oder weniger ein sinnlicher Zug einschleicht, wie die Beschreibung genugsam darthut, welche die verschiedensten Religionen von der Seligkeit im Jenseits gemacht haben. Spinoza sagt sogar paradoxer Weise, daß wir nicht selig sind, weil wir tugendhaft handeln, sondern daß wir tugendhaft handeln, weil wir selig sind. Die Noth der Endlichkeit, durch welche, wie Christus sagt, jeder Tag seine eigene Plage hat, kann uns nicht hindern, selig zu sein. Nicht wollüstige Extase in einem Lichtmeer mit musicirenden Engeln kann die Seligkeit sein, sondern allein das Leben in der Wahrheit, Schönheit und Freiheit. Die Schönheit auszuschließen, fand ich keinen Grund, denn das, was die Menschen sich ungefähr bei dem Worte Himmel vorzustellen pflegen, ist wesentlich auch vom Genuß überschwänglicher Schönheit erfüllt. Ohne den absoluten Inhalt des Wahren, Schönen und Guten ist unser Leben nur ein sinnliches, oberflächliches, geistloses, unseliges.

Verhält es sich aber so, dann ist, so schien es mir, ein Leben nach dem Tode, die sogenannte Unsterblichkeit, etwas sehr Gleichgültiges, ja Ueberflüssiges. Von dieser Unsterblichkeit hatte ich zwar nun sehr viel gehört, aber ein deutliches Bild konnte ich nirgends gewinnen. Sie kam auf eine Fortsetzung des diesseitigen Lebens mit dem Unterschiede hinaus, daß dieselbe durch Befreiung von allen Uebeln der lieben Endlichkeit ein sehr angenehmer Zustand sei. Mein Vater z.B. war gewiß ein wahrhaft frommer Mann. Für die Unsterblichkeit aber, an die er fest glaubte, war ihm die Hauptsache, durch sie mit seiner Frau wieder vereinigt zu werden. Ein Himmel ohne die Gesellschaft meiner Mutter wäre ihm kein Himmel gewesen.

Ist das Gute, weil es dies ist, zugleich in sich selig und ist die allein die Seligkeit, außer welcher alles Andere, was man sich als solche vorstellt, Wahn und Täuschung, so folgt, daß auch das Böse unmittelbar mit der Unseligkeit behaftet ist und daß es nicht erst des Apparates einer Hölle bedarf, es zu strafen. Weil das Wesen Gottes in der Wahrheit und Freiheit, oder, wie die christliche Religion es nennt, in der Liebe besteht, so entzweien wir uns durch das Böse mit ihm. Das Gefühl dieser Entzweiung ist Verdammniß, gegen deren[382] unendlichen Schmerz alle sinnliche Qual, wie die Phantasie dieselbe in den Bildern von der Hölle vorstellt, verschwindet.

Der Glaube an Unsterblichkeit schien mir damals sogar eine Hemmung für die Verwirklichung der wahren Freiheit, denn die Menschen, so glaubte ich wahrzunehmen, entleerten durch die Voraussetzung eines Jenseits das Diesseits von dem vollen Ernst, von der rechten Achtung der Gegenwart, von der Aufmerksamkeit auf die Qualität des Inhalts ihres Treibens. Besonders aber schien es mir, als wenn der Aberglaube ganz vorzüglich durch den Glauben der Unsterblichkeit befördert würde. Wie grausam hat man Thiere, Sclaven und Frauen am Grabe von Männern hingeschlachtet, um sie denselben im Jenseits zur Begleitung zu geben! Wie sehr stützt sich der Aberglaube an Gespenster, an den Verkehr mit Geistern auf den Glauben der Unsterblichkeit! Würde der Aberglaube an Seelmessen, würde die Tyrannei eines Pfaffenthums ohne ihn möglich sein? Hat für einen despotischen Polizeistaat dieser Glaube einen andern Werth, als den des physischen Zwanges, die Massen durch den Terrorismus oder auch Quietismus der Zukunft nach dem Tode zu bändigen?

Der gläubige Mensch stellt sich vor, er werde nach dem Tode zu einer unmittelbaren Anschauung der Gottheit gelangen; er stellt sich ein Local vor, wenn er vom Himmel spricht. Dies schien mir, zumal Angesichts unserer heutigen Astronomie, ganz unmöglich. Wie kann ich Gott, den absoluten Geist, das absolute, allgegenwärtige Subject, als eine endliche Person in einem endlichen Raum mir gegenüber haben? Und was hindert mich, hier und jetzt schon mit ihm in Einheit zu leben? Nur das Böse in mir ist es, das mich von ihm entfernt, mich von ihm ausschließt. Durch das Wahre, Schöne und Gute aber lebe und webe ich in ihm. Warum soll die Erde schlechter sein als andere Gestirne? Warum soll mein Verhalten zu Gott, um mit ihm mich versöhnt zu wissen, erst auf den Tod warten? Warum suchen die Menschen, wenn sie so gewiß sind, durch den Tod den Uebergang zur Seligkeit zu machen, dies, wie sie sich auszudrücken belieben, elende Leben so lange als möglich zu erhalten?

Mit voller Ueberzeugung stimmte ich Spinoza bei, daß wir Gott, sofern wir ihn erkennen, nur zu lieben vermögen und daß unser Denken[383] als Wahres, unser Wollen als Gutes, von seinem Denken und Wollen nur der Form nach verschieden sein kann. In diesen Vorstellungen habe ich mich über fünf Jahre lang, wie man sehen wird, immer mehr befestigt. Ich habe von jener Epoche her das Bedürfniß der Unsterblichkeit für meine Person ganz verloren. Ich habe wegen des Glaubens an sie später schwere philosophische Kämpfe durchgemacht, aber ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß das Aufhören meiner Existenz mit dem Tode, dem ich nun so nahe gekommen bin, mir als ein Unglück erschiene. Da ich mich in jener Epoche Jahre lang gewöhnte, den Zweck des menschlichen Lebens unmittelbar in ihm selber zu finden, da mir das, was die Orthodoxie aller Confessionen Seligkeit nennt, mit dem Hervorbringen und dem Genuß des Wahren, Schönen und Guten zusammenfiel, da ich für die Begründung der Sittlichkeit allem Eudämonismus längst den Abschied gegeben hatte, so wurzelte sich diese Gleichgültigkeit gegen eine Fortdauer meiner Person nach dem Tode so tief bei mir ein, daß ich sie nicht wieder verloren habe, obwohl ich jetzt keineswegs mehr, wie damals, mich erdreiste, die Nichtunsterblichkeit beweisen zu können. – Aus der Vorstellung des Pantheismus, von einem Aufgehen unserer Seele in die Einheit des Alls, in ein Verschwimmen des Ichs in eine Weltseele konnte ich durchaus nichts machen. Soll einmal Unsterblichkeit sein, so muß sie die Individualität und das Selbstbewußtsein in sich schließen. Gegen die Kant'schen Postulate der praktischen Vernunft schien mir Spinoza's Ethik unendlich erhaben.

Ich schrieb nun eine Lateinische Dissertation über die Philosophie Spinoza's. Der Buchhändler Reinecke nahm sie in Verlag, so daß ich die Kosten für ihren Druck nicht zu bestreiten brauchte. Er verkaufte sie für sechs Silbergroschen. Sie hat aber Glück gehabt und wurde, wie ich höre, später antiquarisch mit einem Thaler bezahlt. Am 28. Juli 1828, einem heißen Sommertage, vertheidigte ich sie öffentlich. Drei Magdeburger Landsleute, ein Theologe Dannhauer, ein Philologe Hesse und der Physiker Loof waren meine bestellten Opponenten. Ich hatte für sie auch fünf Thesen angehängt. Doch fand keine Verabredung unter uns statt. Es war wirklich eine freie Disputation. Als ich mit ihnen fertig war, forderte ich, dem Gebrauch gemäß, die Professoren[384] auf, mir zu oppponiren, falls ich ihnen dazu Anlaß gegeben hätte. Der Professor der Kirchengeschichte, Guericke, trat gegen mich auf. Er griff eine These an, in welcher ich gesagt hatte, daß die Einrichtung eines Königthums bei den Juden mit ihrer Theokratie im Widerspruch gestanden habe und daß folgerichtig der Jüdische Staate an diesem Widerspruch zu Grunde gegangen sei. Guericke machte mir wohl eine Stunde lang zu schaffen. Ich war von der Richtigkeit meiner Behauptung so durchdrungen, daß ich mich durchaus nicht ergab. Guericke, ein strenger Lutheraner, that dies eben so wenig. Wir ermüdeten uns endlich gegenseitig. Der Streit war halb philosophisch, sofern es auf den Begriff der Theokratie ankam; halb historisch, sofern das Verhältnis des Prophetenthums zum Königthum auch thatsächlich durchgenommen werden mußte. Daß ich gegen einen gelehrten und orthodoxen Theologen mich muthig und tapfer gehalten hatte, brachte in einer Universität, wie das damalige Halle, wo die theologischen Interessen noch alle andern überwogen, mir schnell eine gewisse Popularität zu Wege. – Kaum hatte ich in den bekannten Lateinischen Höflichkeitsphrasen Guericke für seine Opposition gedankt und das Vergnügen ausgedrückt, welches eine Fortsetzung unseres Streites mir privatim gewähren würde, trat zu meinem Schrecken, als ich die Zuhörer außerhalb der Schranken zur Opposition aufforderte, noch ein ganz Unbekannter auf. Er trieb sich aber nur eine Viertelstunde lang in Aeußerlichkeiten umher, denn es war ihm gar nicht, wie sich gleich darauf ergab, um eine ernstliche Bekämpfung, sondern nur darum zu thun, von mir ein Zeugniß zu erhalten, daß er mir opponirt habe, weil er eines solchen bedurfte, um ein Stipendium zu erhalten, das eine solche Bedingung in sich schloß. Es herrschte damals in Halle die Sitte, daß der Doctor, welcher sich habilitiren wollte, auf ein Zimmer in der Waage, wo man sich versammelte, einige Torten nebst genügendem Weinvorrath schicken mußte. Es wurde vor und nach der Disputation getrunken. Was übrig blieb, fiel den Pedellen anheim. Für den Abend hatte ich meine Freunde zu einem frugalen Imbiß nach dem Weinberge von Seeben eingeladen. Auch in der Conversation haben wir unsern Silberblick. An diesem Abend war es Karl Pfaff, der durch eine Fülle von Gedanken, durch schlagenden Ausdruck und[385] glücklichen Witz uns Alle, selbst Mußmann, zur Bewunderung hinriß. Ich weiß nicht mehr, was er vorbrachte, aber ich weiß, daß wir die größten Erwartungen von ihm zu hegen anfingen.

Als Dekan der philosophischen Fakultät fungirte bei meiner Habilitation der Professor Wahl, ein sehr gelehrter Orientalist, von welchem die Sage ging, daß er auch Alchymist sei. Ich habe zu diesem wunderlichen Manne weiter kein Verhältniß gehabt, allein er hat auf mein Studium einen unglücklichen Einfluß geübt. Er gab damals Boysen's Uebersetzung des Koran mit einer Biographie Muhamed's und mit erläuternden Anmerkungen von neuem heraus, die sich allerdings theilweise auf die richtige Lesart, theilweise aber auf den Inhalt beziehen. Wahl tritt hier als ein fanatischer Gegner Muhamed's auf. Er ereifert sich in seinem Zorn bis zu Schimpfreden. Betrüger ist das gelindeste Wort, das er von Muhamed gebraucht. Wir hatten damals noch keine andere Deutsche Uebersetzung. Ich schaffte mir daher das dickleibige Wahl'sche Werk an, da mir die Kenntniß des Koran zu wichtig war. Ich verdankte also auch Wahl diese Kenntniß, allein ich sog zugleich eine Menge schiefer Vorstellungen durch ihn ein. Ich fand zwar seine Wuth gegen Muhamed lächerlich; ich ärgerte mich über seinen beschränkten Standpunkt; ich begriff nicht, wie ein Mann, der sich auch mit der Uebersetzung Firdusi's beschäftigte, für die Poesie des Koran gar kein Auge zu haben schien; allein schließlich ging doch ein großer Theil seiner verächtlichen Behandlung des Koran und des Islam überhaupt auf mich über. Es hat noch Jahrzehnte bedurft, bis ich durch immer erweitertes und vertieftes Studium der Cultur und Sitte der Muhamedanischen Völker die theologische Befangenheit, um nicht zu sagen feindselige Gesinnung gegen den Islam, welche Wahl's Behandlung des Koran mir eingeimpft hatte, durch eine gerechtere und liberalere Auffassung überwinden lernte.

Was nun meine Arbeit über Spinoza betrifft, so lag ihr Schwerpunkt darin, daß ich Spinoza als die Mitte zwischen Descartes und Leibnitz faßte. Spinoza hob den Dualismus der Cartesianischen Substanz in den Monismus der Einen Substanz auf, in welcher Ausdehnung und Denken nur Attribute sind. Er nennt die Substanz Gott. Insofern ist sein System Pantheismus oder, da eine Welt im Unterschiede[386] von Gott bei ihm nicht existirt, Akosmismus, Weltlosigkeit, wie Hegel es betiteln wollte. Aber zu Anfang des dritten Buches seiner Ethik, wo er zur Untersuchung des Ursprungs der Affecte übergeht, stellt er den Satz auf, daß jedes Ding in seinem Wesen zu beharren strebe. Um Thun und Leiden, Freude und Trauer, Liebe und Haß erklären zu können, konnte er den Begriff des Individuums, wenn er ihn auch nur als einen bloßen Modus der Substanz nahm, nicht umgehen. Hierin erblickte ich den Keim der Liebnitz'schen Monade. Sie war es, welche gegen die Nothwendigkeit der Ein und Alles bestimmenden Substanz die Freiheit der Individualität errettete. Ich kann wohl sagen, daß das Studium Spinoza's für meine weitere Entwickelung zur größten Wohlthat für mich wurde, weil die Wirksamkeit Spinoza's in unserem Jahrhundert zu einer immer größeren Macht und Wichtigkeit gelangt ist. Da ich seine Philosophie vier Monate hindurch Tag und Nacht zum Gegenstand meines Nachdenkens gemacht hatte, so gewann ich hiedurch eine gewisse Sicherheit in Ansehnung der fundamentalen Bestimmungen, um die es sich bei diesem großen Philosophen handelt. Ich vermochte die so verschiedenen Schilderungen, die man von ihm zu entwerfen nicht aufgehört hat, aus ihm selber zu beurtheilen. Ich war dadurch auch ausgerüstet, Hegel's Polemik gegen Spinoza, daß die Substanz als Subject gefaßt werden müßte, richtiger zu verstehen.

Quelle:
Rosenkranz, Karl: Von Magdeburg bis Königsberg. Leipzig 1878, S. 369-387.
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