XVI.
Reise nach Berlin. Halle. Calderon's wunderthätiger Magus. Neue Bekanntschaften. Lafontaine. Vorlesungen des Teufels über sich selbst.

[387] Hinrichs trieb mich unaufhörlich an, nach Berlin zu reisen, die persönliche Bekanntschaft Hegels und der dortigen Hegelianer zu machen. Es sei dies für mein Fortkommen nothwendig. Mir wollte das gar[387] nicht einleuchten, denn ich hatte ja noch nichts geleistet, aber seine Autorität war damals so groß über mich, daß ich mich endlich dazu entschloß. Ich ging Michaelis 1828 über Magdeburg nach Berlin. Es war eine durch und durch verfehlte Reise. Von den widrigen Abenteuern der buntesten Art, die ich auf ihr erlebte, ließen sich leicht Bogen füllen. Ich unterdrücke die Erzählung derselben, da sie ohne weitläufiges Detail gar kein Interesse haben können. Als Großvaterchronik an langen Winterabenden lassen sie sich eher verarbeiten. Ich erwähne also nur, daß ich natürlich vor Allem Hegel besuchte. Was sollten wir aber zusammen reden? Ich hatte ihn zwar als Student schon genug gesehen; ich hatte ihn auch schon auf dem Katheder einige Mal sprechen gehört; allein ich hatte nie ein Collegium bei ihm gehört und war ihm also ein wildfremder Mensch, der ihn plötzlich an seinem Schreibtisch störte. Ich wüßte schlechterdings nicht zu sagen, was ich in der Viertelstunde Unterhaltung mit ihm gesprochen hätte. Ich erwähnte Hinrichs und Daub's, ich erwähnte meiner Habilitation, aber ich war schüchtern und er, der von so vielen Menschen überlaufen wurde, gewiß herzlich froh, als ich wieder aufstand, mich zu empfehlen. Wie hätte ich ahnen können, daß ich zehn Jahre später in Berlin seiner Familie das Versprechen geben würde, seine Biographie zu schreiben und wie hätte er ahnen können, daß dieser junge, frisch gebackene Doctor der Philosophie aus Halle, der etwas verlegen vor ihm saß, sein Biograph werden würde! – So wunderbar sind unsere Lebensläufe.

Ich blieb nun acht Tage in Berlin und war recht froh, als ich über Wittenberg wieder nach Halle zurückgekehrt war.

Am liebsten hätte ich nun noch einige Jahre dem Studium der Wissenschaft gewidmet, bevor ich als öffentlicher Lehrer aufgetreten wäre. Das war aber unmöglich. Mein Vater betrachtete meine Habilitation als den Abschluß meiner Studien. Ich mußte, nach seiner Meinung, nunmehr im Stande sein, mich selbst zu unterhalten, nachdem ich so viel Geld gekostet hatte. Das Privat-Docententhum ist aber zunächst ein sehr problematisches Experiment, seine Subsistenz zu gewinnen. Ich verglich es für meinen Vater mit dem Candidatenthum, das ja auch auf andern Erwerb zu sinnen hat, bevor man zu einer Pfarre gelangt.[388] Der Vater setzte mir daher, bis ich eine Professur erlangen würde, noch ein mäßiges Jahrgeld aus. Was ich darüber hinaus verbrauchte, sollte ich mir selber verdienen. – Das Leben war damals noch einfacher, bedürfnißloser, wohlfeiler, als jetzt, und so konnte ich mit jenem Zuschuß wenigstens die nothwendigsten Ausgaben bestreiten. Es half also nichts. Ich mußte den Versuch machen, als öffentlicher Lehrer zu wirken.

Was sollte ich aber vortragen? Worin wußte ich wirklich etwas? Hier zeigten sich nun zwei Extreme, von denen ich ausgehen mußte, weil sie die Substanz meiner bisherigen Bildung in sich schlossen. Es war die Beschäftigung mit der altdeutschen Literatur einerseits, mit der Theologie andererseits. Ich kündigte daher ein Publicum über die Nibelungen und ein Privatcollegium über die Religionsphilosophie an. Als der Tag heranrückte, wo ich das erstere Mittwoch Nachmittag fünf Uhr eröffnen sollte, wurde ich von der äußersten Unruhe ergriffen. Nach Tisch lief ich auf die Merseburger Chaussee, allein zu sein und meine Gedanken zu ordnen. Um fünf Uhr ging ich auf die Waage, wo ich im größten Auditorium das Katheder bestieg, auf welchem ich Gesenius, Tholuck, Hinrichs als meine Lehrer sitzen gesehen hatte. Das Auditorium war bis zu den letzten Bänken gefüllt, weil die Burschenschaft die Nibelungen zu den Traditionen ihres Studiums zählte.

Gott weiß, wie ich meinen Vortrag durchbrachte. Aber ich mußte den Studenten doch zugesagt haben, denn als ich andern Tages die Religionsphilosophie um dieselbe Stunde eröffnete, fand ich auch zwar eine kleinere Zuhörerschaft, doch wenigstens über Hundert. Das letztere Collegium brachte ich auch ziemlich in derselben Stärke glücklich durch, während das erstere, sobald ich nach Neujahr zur Interpretation ausgewählter Capitel überging, immer mehr zusammenschmolz. Diese ersten, meine Erwartung weit übertreffenden Erfolge gaben mir die Zuversicht, mich in dem Glauben an meinen Beruf zum akademischen Lehrer nicht geirrt zu haben. Dies ist für den Anfang einer so problematischen Laufbahn unstreitig das Wichtigste. Diese beiden Collegia, die Nibelungen und die Religionsphilosophie, habe ich in den nächsten Jahren ganz ebenso wiederholt. Den historischen Stoff, der mir aus dem fortgesetzten Studium der Religion in einem größeren Maaße[389] zuwuchs, lagerte ich zuletzt in einem zweistündigen Publicum über Mythologie ab, das sich schnell eine große Popularität erwarb, so daß auch ältere Männer aus der Stadt es besuchten. Für den Sommer setzte ich als Publicum eine einstündige Vorlesung über die Deutschen Volksbücher und ein vierstündiges Privatcollegium über die Ethik an; mit dieser Wissenschaft hatte ich mich doch wenigstens nächst der Religion am Ausführlichsten und Gründlichsten beschäftigt und durfte also hoffen, meinen Zuhörern darin einigermaßen etwas Befriedigendes zu bieten. Ich las es früh Morgens in einem kleinen Auditorium auf der Residenz und hatte auch nur etwa zehn bis funfzehn Zuhörer darin, die mir aber treu blieben.

Man sieht, daß ich mich mit Vorlesungen nicht übernahm und daher Zeit genug zu meiner Selbstbildung übrig behielt. Die ungemeine Leichtigkeit, in Halle etwas zum Druck zu ringen, fing an, auf mich ihre Wirkung zu äußern und mich in diesem Betracht an einen gewissen Leichtsinn zu gewöhnen, den ich zu meinem Verderben nicht wieder los geworden bin.

Reinecke hatte mit meiner Dissertation über Spinoza ein ganz leidliches Geschäft gemacht. Wenn ich kein Honorar begehrte, war er sehr bereit, von mir weiter zu verlegen.

Ich gab ihm zunächst meine Abhandlung über den Titurel. Ich fügte aber noch eine Untersuchung über die geistlichen Ritterorden hinzu. Dies war meine erste geschichtsphilosophische Arbeit. Das Mittelalter mußte im geistlichen Ritterthum sein höchstes Ideal erblicken, weil es die Extreme des Mönchthums und des Ritterthums in sich vereinigte. Ich blieb aber nicht bei dieser Vereinigung stehen, sondern glaubte auch ihre Auflösung zeigen zu müssen. Dies führte mich von Seiten des Mönchthums zum Jesuitismus, der die Kunst verstanden hat, das Mönchthum zu verweltlichen. Sein Ziel ist nicht mehr ein particuläres Geschäft, wie bei den übrigen Orden, sondern die Eroberung der Weltherrschaft. Dieser Gedanke hat etwas dämonisch Begeisterndes. Der Jesuitismus tritt daher in der Form weltmännisch auf. Er wirft allen Cynismns der Möncherei bei Seite. Er macht sich in der Tracht salonfähig. Er baut nicht mehr einsame, düstere Klöster, sondern palastartige Profeßhäuser und Collegien mitten in das Gewühl der Weltstädte[390] hinein. Er nennt sich nicht mehr Congregation, sondern Societät. Er organisirt sich militärisch und unterwirft den Einzelnen einem unbedingten, kritiklosen Gehorsam gegen die Befehle seiner Oberen. Er cultivirt die Wissenschaft, um durch Einsicht Meister der Bewegung bleiben und die Massen durch ein Voraus seiner Bildung leiten zu können. Er ist den Künsten nicht abhold; seine Kirchen mit einer gewissen koketten Ueppigkeit ausschmücken und in ihnen der Phantasie der Gläubigen einen sinnlichen Vorgeschmack des Himmels geben zu können. Nun führte mich aber die Erinnerung an die Tradition der Freimaurer, mit den Templern im Zusammenhang gestanden zu haben, von den Templeisen des Grals zur Erwähnung des Freimaurerordens. Ich stellte ihn ganz richtig als denjenigen hin, dessen Tendenz als die der Aufklärung und Humanität, der des Jesuitismus entgegengesetzt sei. Ich behauptete demgemäß auch, daß seine Religion des Weltbaumeisterthums Deismus sei. Ich glaube noch jetzt, daß das nicht unrichtig ist, allein die Art, wie ich mich ausdrückte, hatte wohl einen Anflug von romantischer Abgeneigtheit gegen den Theismus, wie er als Deismus Gott in dem Abstractum eines höchsten Wesens verehrte. Genug, mir wurde meine nicht gerade polemisch gemeinte Aeußerung zwar nicht in Halle, aber in Leipzig sehr übel genommen. Der dortige Professor der Philosophie, Wendt, schrieb in einigen Journalen gegen mich. Ich schwieg, und das war sehr weise, denn ich hätte von diesem unbedeutenden Anlaß aus leicht in eine höchst unangenehme Stellung gerathen können. Ich habe einige Jahre später aus dem Leben des Philosophen Krause gesehen, wie gefährlich es ist, sich mit einem so mächtigen Orden, als dem der Freimaurer, in einen Conflict gebracht zu finden, der bei seinen Mitgliedern die Vorstellung verbreitet, daß man ihrem Institut feindselig gesinnt sei. Da bei uns die meisten Buchhändler Freimaurer zu sein pflegen, so ist eine solche Situation für einen angehenden Schriftsteller doppelt gefährlich.

Die zweite Schrift, die ich 1829 bei Reinecke drucken ließ, war eine weitere Wirkung des großen Interesses, welches ich fortwährend an der Faustsage und Faustdichtung nahm. Ich verfolgte ihre Spuren durch die gesammte Literatur. So war ich dazu gekommen, in Calderon's Magico prodigioso dasselbe Thema, wie im Deutschen Faust zu[391] erkennen. Sobald dies geschehen, ließ es mir keine Ruhe, mich daran in ähnlicher Weise, wie Hinrichs am Göthe'schen Faust, als Commentator zu versuchen. Hinrichs war mir noch eine starke Auctorität. Wenn er aber in seiner Auslegung der Göthe'schen Tragödie die Personen fast zu bloßen allegorischen Repräsentanten der Idee gemacht und das eigentlich ästhetische Element über dem philosophischen einer Exposition der Begriffe Wissenschaft, Glaube, Zweifel, Volkssitte, Gemeinde, vernachlässigt hatte, so verfuhr ich in meiner Nachahmung schon menschlicher. Doch blieb noch ein gutes Stück Scholasticismus hangen. Ich erzählte z.B. den Fortgang des Drama's in pretiöser Manier, daß ich von dem anschauenden Bewußtsein, vulgo Publicum, sprach, welches auf der Scene diesen oder jenen Vorgang erblicke. Als Gruppe daher einige Jahre später, 1831, seine Komödie: die Winde, gegen die Hegel'sche Philosophie herausgab, hatte er ganz Recht, mich zu verspotten. Er ließ einen katholischen Rosenkranz, der auf einem Tisch lag, durch diese Verse erklären:


Der Rosenkranz hier, käm', Ihr Herrn,

Zum anschauenden Bewußtsein gern;

Er betet pünctlich jede Stunde

Sich selbst im Stillen in die Runde,

Daß sich mehre des Absoluten Heil

Und werd' auch Ungläubigen zu Theil.


Ich nannte meine kleine, anspruchslose Schrift: »Ueber Calderon's Tragödie vom wunderthätigen Magus. Ein Beitrag zum Verständniß der Faustfabel.« Dieser Zusatz muß irgend einem Schriftsteller Veranlassung gegeben haben, sich eine besondere Schrift darunter vorzustellen. Genug, ich habe in vielen literarischen Uebersichten zur Faustliteratur von mir zwei Schriften angeführt gefunden, obwohl ich nur diese eine habe drucken lassen, wenn ich auch später noch verschiedene Abhandlungen über Göthe's Faust geschrieben habe. Ich protestirte öffentlich ein paar Mal gegen meine Autorschaft eines gar nicht existirenden Büchleins. Es hat mir aber nichts geholfen. Ich traf den Titel immer von Neuem. Da es gar nicht existirte, konnte es Niemand gelesen haben, allein, um nicht der Unvollständigkeit bezüchtigt zu werden, schrieb Einer es immer wieder dem Andern nach.

Calderon's Tragödie war ganz dazu gemacht, mich damals zu[392] befriedigen. Sie behandelte die Legende vom Märtyrer Cyprianus. Zu Anfang des Drama's tritt er noch als Heide auf, der jedoch durch die Philosophie zum Zweifel an der Wahrheit des Polytheismus gelangt ist. Er führt den Beweis aus, daß Gott nur Einer sein könne. Hier wird er von einem Dämon unterbrochen, der als ein Reisender erscheint, mit ihm sich in philosophische Disputationen einläßt, und ihn, gegen das Versprechen der Hingabe seiner unsterblichen Seele, welches durch ausdrücklichen Vertrag besiegelt wird, in die Magie einzuweihen verheißt. Er zeigt ihm die Kraft der Magie z.B. dadurch, daß er einen Berg versetzt. Er reizt aber auch seine Sinnlichkeit durch ein schönes, junges Mädchen, Justine, die schon Christin geworden ist. Sie widerstrebt ihm. Der Dämon versucht, ihn durch ein Trugbild zu täuschen. Tief erschüttert durch diesen Vorgang, wendet Cyprianus sich selber dem Glauben Justinens zu, wird aber eben deswegen vom Römischen Statthalter in's Gefängniß geworfen. Hier trifft er mit Justine zusammen, die aus gleichem Grunde gefangen worden. Jetzt vereinigen sich ihre Seelen durch die Gemeinschaft ihres Glaubens, der alle sinnliche Begier von ihnen abstreift und sie zur höchsten Andacht erhebt. Sie werden zusammen hingerichtet. Gott zwingt den Dämon, auf einer Schlange reitend, über dem Schaffot zu erscheinen und die Heiligkeit der Liebenden allem Volk zu verkünden. Dies ungefähr sind die Grundzüge der Tragödie, deren philosophischer Tiefsinn mich unwiderstehlich anzog. Durch den Uebergang des Cyprianus vom heidnischen Volksglauben zum christlichen Weltglauben vermöge der Vermittelung der Philosophie war sie einer phänomenologischen Behandlung durchaus günstig. Hegel's Phänomenologie beherrschte mich noch völlig, doch hatte ich mir die erste Rohheit ihrer Anwendung auf einen concreten Stoff schon in der Analyse von Immermann's Cardenio und Celinde abgearbeitet, wie ich früher erzählt habe. Ich habe mich daher sehr gefreut, als ich nach vielen Jahren in der classischen Geschichte des Spanischen Drama's von Herrn von Schack meine kleine Schrift noch mit einer mich überraschenden Anerkennung erwähnt fand. Ich kann mich jetzt nicht genug wundern, daß ich in der ästhetisch-literarischen Einleitung, die ich schrieb, bei Erwähnung des Englischen Faust von Marlowe nicht darauf eingegangen bin, den Gegensatz in der Gestaltung[393] der Faustfabel, Verschreibung der Seele an den Teufel gegen Dienstleistungen desselben, von dem katholischen und protestantischen Standpunkt aus genauer zu erörtern. Die Tendenz Calderon's ist, zu zeigen, wie gegen die Macht des christlichen Glaubens sogar das Recht eines förmlichen Vertrages mit dem Teufel hinfällig wird, und wie die Liebe Gottes den Teufel selber zwingt, Zeugniß für die Wahrheit des Glaubens abzulegen.

Meine äußeren Verhältnisse änderten sich allmälig. Bohtz war nach Göttingen, Loof nach Berlin gegangen. Genthe war ein Versuch, sich in Halle zu habilitiren, mißglückt. Er war bei der Disputation durch einen unerwarteten Angriff ganz außer Fassung gebracht worden. Er gab den Gedanken an eine akademische Laufbahn auf, ging zunächst nach Magdeburg, wo er am Pädagogium Kloster Lieben Frauen sein Probejahr absolvirte und dann nach Eisleben versetzt ward, wo er als Lehrer am Gymnasium bis zu seinem Tode 1865 gewirkt hat. Ich zog Ostern 1829 aus dem Hause der Frau von Jacob in das einer Wittwe Deibald in der kleinen Ulrichsstraße und kam dadurch in eine neue Bekanntschaft, die mir ganz unerwartete Anregungen bringen sollte. August Lafontaine nämlich, der bekannte Romandichter, wohnte jetzt in diesem Hause zu ebener Erde. Er hatte etwa zehn Jahre zuvor sein reizend gelegenes Landhaus bei Giebichenstein verkauft und sich bei der Wittwe Deibald in Pension gegeben. Er bewohnte ein großes Zimmer, hinter welchem eine Schlafkammer lag. Die Repositorien seiner Bibliothek machten den einzigen Schmuck des Zimmers aus, in dessen Mitte ein großer viereckiger Tisch stand, der mit Büchern, Zeitungen und Papieren bekramt war. Er selber saß gewöhnlich auf einem großen Lehnstuhl am Fenster, wo er fleißig las und rauchte. Er war ein großer, behäbiger Mann, leutselig, freundlich, zum Disputiren und Scherzen aufgelegt. Die Güte seines Herzens war unerschöpflich und man konnte ihn als Menschen nur lieben und verehren, wie dies auch von allen seinen Freunden geschah. Als ich ihn kennen lernte, war er schon zweiundsiebzig Jahre alt, aber, eine gewisse Schwäche des Gedächtnisses abgerechnet, noch durchaus voll geistiger Frische. Das Gehen fing an, ihm beschwerlich zu werden. Er machte nur noch kleine Spaziergänge in der nächsten Umgebung, bis auch diese, weil[394] ihm die Füße zu schwellen begannen, aufhörten. Er lebte theils von den Zinsen des Capitals, das er aus dem Verkauf seines Grundstücks erhalten hatte, theils von einer Präbende, die er als Canonicus bezog. Dies war der Titel, unter welchem man mit ihm verkehrte. Er hatte sein Predigeramt schon 1802 aufgegeben und seitdem theils der Poesie, theils dem Cultus der Wissenschaften in freier Muße gelebt. Als ich sein Hausgenosse wurde, hatte er die meisten seiner Freunde schon durch den Tod verloren. Die Professoren Wegscheider, Voigtel und Gruber waren fast allein übrig geblieben und der letztere besonders, der auch seine Biographie geschrieben hat, besuchte ihn häufig. Er selber ging zu Niemand. Einfach in seinen Sitten, lebte er wie ein antiker Philosoph. Das Humanitätsideal der Aufklärung war in ihm auf die liebenswürdigste Weise verkörpert. Hatte ich zwei Jahre zuvor durch Daub in Heidelberg mich in einen Mittelpunkt der Romantik versetzt gefunden, so trat mir nun in Lafontaine das achtzehnte Jahrhundert mit der ausgesprochensten Energie seiner revolutionären Tendenzen entgegen. Lafontaine hatte als Feldprediger der Preußischen Armee die Wirkungen der Französischen Revolution in nächster Nähe gesehen und für die sittlichen Bedürfnisse, die ihr zu Grunde lagen, eine unleugbare Sympathie eingesogen. Seine ersten Romane bewegten sich auch auf Französischem Boden in den Schicksalen aristokratischer Familien. Lafontaine behandelte die Vorurtheile der Aristokratie mit feiner Satire. Er läßt z.B. seinen Quintus Heymeran von Flaming eifrige genealogische Studien machen, die ihn zu der Ueberzeugung führen, daß die Celtische Race die vorzüglichste in Europa sei. Er läßt ihn consequent eine Ehe nur mit einer Celtin als wünschenswerth suchen. Aber Flaming verliebt sich schließlich in eine Negerin. Er verliebt sich nicht nur in sie, sondern er heirathet sie auch. Und er heirathet sie nicht nur, sondern lebt auch mit ihr sehr glücklich. Diese Schalkheit war ächt Lafontainisch. Die Gesetze, die Triebe, die Rechte der Natur waren die Hauptkategorien, auf die er fußte. Seine Naturkinder erfahren die Macht der Natur, welche sie zum Widerspruch mit dem System der conventionellen Schranken führt. Wenn sich nun die Resultate zeigen, d.h. wenn die jungen unschuldigen Mädchen durch ihre jungen unschuldigen Liebhaber auf dem natürlichsten Wege von[395] der Welt in interessante Umstände versetzt sind, so bricht der sentimentale Jammer los. Frühe Gräber und heiße Thränen, welche ihren Rasen benetzen, pflegen das Ende auszumachen.

Der Contrast zwischen Lafontaine und mir war ein ungeheurer. Ich war zwar durch Hegel's Phänomenologie bereits principiell von der Romantik losgerissen, aber ich steckte doch noch tief in ihr. Wenn Lafontaine durch Grube gehört hatte, daß ich ein Hegelianer sei, daß ich über Spinoza, über den Titurel und Dante, über den Faust und Calderon geschrieben habe, daß ich ein Collegium über die Nibelungen lese, so konnte er meinen Besuch zuerst nur mit einem mißtrauischen Vorurtheil empfangen. Und ebenso brachte auch ich aus den Erinnerungen des Schlegel'schen Athenäums zunächst nur Vorurtheile gegen ihn als einen längst antiquirten sentimentalen Romanschreiber mit. Aber es sollte unter uns ganz anders kommen. Erstlich war ich mit Lafontaine in der Anerkennung des Humanitätsideals durchaus einverstanden. Seine Denkweise war ja im Wesentlichen dieselbe, wie bei meinem Vater, wie bei meinem Oheim. Ich war ja ganz rationalistisch erzogen und erst allmälig in die Romantik hineingerathen. – In meinen Vorlesungen über Religion und Ethik war ich weit davon entfernt, der Vernunft das Geringste vergeben zu wollen, wenn ich auch oft die Beschränktheit des Kant'schen Standpunktes bekämpfte. Feudale Anmaßung, Ungleichheit der Bürger vor dem Gesetze, Preßzwang, Censur, Aberglauben, Pfaffenherrschaft, haßte ich von ganzem Herzen so gut als Lafontaine. Es war die Zeit dicht vor der Julirevolution, deren Ausbruch Lafontaine noch erlebte. Als er sah, daß ich zwar ein Hegelianer, allein kein Obscurant, kein Serviler sei, faßte er bald große Neigung zu mir, wie ich sie kaum verdiente. Er ließ nun Manches, das ihn in meinen Äußerungen befremdete, hingehen, oder stritt darüber mit mir in naivster Offenheit. Zweitens aber liebte Lafontaine die Griechen im höchsten Grade. Im Homer, in den Tragikern, in Platon, in Xenophon und Lucian war er gründlich zu Hause. Er las sie beständig im Original. Als er Romane zu schreiben aufhörte, warf er sich sogar auf die Kritik des Textes der Tragiker. Er behauptete, daß die Abschreiber die Poesie derselben oft nicht verstanden und durch höchst prosaische Lesarten entstellt hätten. Er glaubte nun,[396] diese besseren Lesarten vorschlagen zu können. Seine gelehrten Freunde suchten vergeblich ihn abzuhalten, die Resultate seiner Studien zu veröffentlichen. Warum sollte ich nicht so gut, als ein Zunftphilologe, das Recht der Textemendirung haben? Warum soll mein poetisches Gefühl schlechter sein, weil ich nicht den Titel Professor habe? So pflegte er zu sagen. Den Abmahnungen seiner Freunde zum Trotz hatte er 1822 den Agemonon, 1824 die Choëphoren des Äschylus, 1826 die Hekuba des Euripides herausgegeben. Er hatte erwartet, wenigstens heftig angegriffen zu werden, allein man zog gegen den Neuerer das Mittel des Todtschweigens vor. Das ärgerte ihn. Gegen seine älteren Freunde, die selber wohlbestallte Professoren und Kritiker waren, äußerte er sich weniger hierüber, aber gegen Jüngere ließ er seinem Unmuth freien Lauf. – Er hatte sich für seine Griechischen Lieblinge Animadversarien angelegt. Er buchte auch die Fehler, die er in Wieland's Uebersetzung des Lucian zu finden glaubte. Da er selber ein Neuerer war, so interessirte er sich auch lebhaft für alle Forschungen, welche die Philologie von Seiten der Geschichte betrafen. Gegen mich, einen Philosophen, der nicht Philologe von Profession, nur ein Dilettant der Philologie war, äußerte er sich, wenn ich auf sein Ersuchen Abends zu ihm kam, ohne allen Rückhalt. Er verglich sich scherzhaft auch wohl mit der Lage, in welcher sich Göthe durch seine Farbenlehre der Zunftwissenschaft gegenüber befand. – Diese Studien Lafontaine's gaben ein reiches, mannichfaltiges Material zu unserer Unterhaltung. Zuweilen wurde auch wohl ein Chor aus Aeschylus durchübersetzt. Sokrates in den kleinen Platonischen Dialogen im Verhältniß zu Xenophon's Memorabilien kam auch häufig auf's Tapet. Vor Allem aber wurde Lucian bevorzugt, nicht nur, weil er selber ihn damals täglich las, sondern auch, weil ich ihn noch gar nicht kannte. Ich hatte nur eine allgemeine Vorstellung von ihm, wie man sie aus Literaturgeschichten überkommt. Lafontaine lieh mir nun einen Band nach dem andern und dann sprachen wir darüber. Wie dankbar muß ich ihm bis auf den heutigen Tag dafür sein, denn ich bekam dadurch eine viel genauere Anschauung der Auflösung des Polytheismus und der Stellung der Philosophie zu derselben. Lucian wurde aber auch der Schriftsteller für mich, durch welchen ich den Kampf des[397] Gedankens mit den Vorstellungen meines religiösen Glaubens viel besser verstehen lernte. Bei Aristophanes, den ich schon kennen gelernt hatte, waltet dieser Kampf auch schon. Aristophanes aber ist Romantiker. Er steht selber noch auf Seiten der alten Sitte und des alten Glaubens. Er will die Aufklärung durch cynische Uebertreibung ihrer Consequenzen lächerlich machen. Lucian hingegen steht umgekehrt auf Seiten der Aufklärung und macht die Romantik des Wunderglaubens lächerlich. Parny's Guerre des Dieux, den ich zufällig in dieser Zeit bei einem Antiquar kaufte, schloß sich dieser Lectüre höchst sympathisch an. Die Vorstellung sucht den allgemeinen Inhalt der Religion für das Bewußtsein faßlich auszudrücken. Hierin liegt ihre Berechtigung und ihr hoher Werth. Allein gegen die Kritik des reinen Gedankens kann sie ihre Form nicht erhalten. Sobald diese Entdeckung gemacht ist, wird es nicht schwer, sie gerade dadurch, daß man sie ganz buchstäblich nimmt, in's Lächerliche zu ziehen. Was Lucian mit den Griechischen Göttern, das that Parny mit den Personen der christlichen Trinität in Verbindung mit den Vorstellungen von der Mutter Maria und den Engeln. Lucian ist aber viel anmuthiger und bei weitem weniger frivol, als der Franzose.

Lafontaine erzählte nach Greisenart gern von den früheren Ereignissen seines Lebens. Die Erinnerungen an den Feldzug in Frankreich, an eine Reise mit dem Kanzler Niemeyer nach Wien, sowie an die Schicksale seiner Romane stachen darin hervor.

Aus den ersteren schien mir der Eindruck, den er vom Beginn der Schlacht bei Valmy empfangen hatte, fast der höchste Moment seines Lebens. Der Morgen der Schlacht war gekommen. Die Preußen standen den Franzosen auf einem niedrigeren Terrain gegenüber. Sie gaben das übliche Signal zum Beginn des Kampfes durch ein paar Kanonenschüsse. Die Franzosen erwiderten mit keinem Schuß, aber plötzlich fing die ganze Armee die Marseillaise zu singen an. Dieser ganz unerwartete geisterfüllte Gegengruß machte, wie Lafontaine versicherte, einen furchtbaren Eindruck. Wenn er, wie mehrmals geschah, auf dies Ereigniß zurückkam, so gerieth er in die höchste Aufregung, stand auf und sang die Marseillaise. Als er am 19. April 1831 sehr schwach wurde und wir, auch nach den Andeutungen des Arztes, seinen[398] Tod fürchteten, der in der That bald nach Mitternacht eintrat, war von seinen Freunden Professor Gruber noch bis nach eilf Uhr zugegen und hat in seiner Biographie die Thatsache mitgetheilt, daß Lafontaine, den wir in seinem Lehnstuhl sitzen gelassen hatten, weil er zu unruhig war, im Bett auszuhalten, sich auf einmal erhob und den ersten Vers der Marseillaise sang. Erschöpft lehnte er sich in die Kissen zurück und sprach nichts mehr der Erwähnung Werthes. Gruber giebt als Ursache an, er hätte uns zeigen wollen, daß er noch genug bei Kraft und Stimme sei, singen zu können, uns über seinen Zustand zu beruhigen. Das sieht ihm ähnlich; allein ich habe nur die Vorstellung behalten, daß eben das Ereigniß, das ihn im Leben auf das Tiefste gepackt hatte, sich ihm zum Schluß noch einmal vergegenwärtigte.

Die Reise mit dem Kanzler Niemeyer nach Wien war ein komisches Cabinetsstück und wäre werth gewesen, von einem Jean Paul beschrieben zu werden. Sie machte mir so viel Vergnügen, daß ich Lafontaine zuweilen absichtlich darauf zurückbrachte. Niemeyer war sein Freund gewesen, aber das hinderte Lafontaine nicht, die Schwäche desselben, überall als berühmter Mann eine hervorragende Rolle zu spielen, von ihrer lächerlichen Seite zu fassen. Die kleinen Züge, durch welche diese Schilderung erst volles Leben erhielt, kann ich hier nicht wiedergeben. Zum Theil habe ich sie sogar vergessen. Ich begnüge mich, eine kleine Probe zu geben.

Wenn die Reisenden in einem Gasthof abgestiegen waren und ihren Namen in das Fremdenbuch eingezeichnet hatten, so erstaunte Niemeyer, wie sehr er von der Bedienung bei Seite gelassen, Lafontaine dagegen von Kellnern, Stubenmädchen, Wirth und Wirthin auf das Freundlichste und Aufmerksamste, fast wie ein alter verehrter Freund, bedient ward. Natürlich, sagte Lafontaine mit schelmischem Schmunzeln, Niemand kannte in Süddeutschland den Professor der Theologie, den Kanzler der Universität Halle, aber meine Romane, einen oder den andern, hatten selbst die Kellner und Kammerkätzchen gelesen. Glauben Sie mir, ich war einmal berühmt. In Wien steigerten sich die Contraste zwischen Niemeyer und Lafontaine. Jener machte die Runde bei allen Berühmtheiten und Fürstlichkeiten, dieser zog sich in den Genuß des behaglichen Wiener Stilllebens zurück und verkehrte im[399] Prater und im Augarten wochenlang ganz gemüthlich mit Bürgern, die gar nicht nach seinem Namen fragten, was ihm eben recht war. Endlich wurde Lafontaine gleichsam entdeckt. Niemeyer war, wie gewöhnlich, ausgefahren, Lafontaine allein zu Hause geblieben, als eine fürstliche Equipage vorfuhr, dem Kanzler der Universität Halle den schuldigen Gegenbesuch zu machen. Lafontaine entschloß sich, seinen Bedienten zu spielen. Er entschuldigte die Abwesenheit Niemeyer's, aber in einer so interessanten Weise, daß der Fürst sich mit ihm längere Zeit einließ und einige Tage später Niemeyer die größten Complimente machte, was er für einen ausgezeichneten, wahrhaft gebildeten Bedienten besitze.

Bei seinen literarischen Erinnerungen beschuldigte er sich vorweg des sträflichen Leichtsinns, mit welchem er seine Romane geschrieben habe. Er hatte eine Epoche gehabt, in welcher er so gelesen war, daß die Buchhändler nicht genug von ihm drucken konnten. Da kam es denn vor, daß er, weil man ihm das nasse Manuscript zur Druckerei wegholte, beim Schreiben des zweiten Bandes vergessen hatte, was im ersten Alles angelegt war. Er hatte z.B. im ersten Theil einen Ring theilen und den beiden Hälften eine besondere Bedeutung geben lassen. Während des Niederschreibens des zweiten hatte er diesen Umstand ganz vergessen. Glücklicher Weise erinnerte ihn die Aeußerung einer Dame, welche den ersten Theil schon gelesen hatte, wieder daran, indem sie ihm ihre große Neugier kund gab, zu erfahren, was aus dem Ringe werden würde. Zur Zeit, als ich mit Lafontaine verkehrte, las er einen seiner Romane, die er vergessen hatte, in Holländischer oder Französischer Uebersetzung. So, behauptete er, wären sie ihm wirklich neu und könne er ihren Werth unbefangen schätzen.

Lafontaine war ein feiner Beobachter des Zeitgeistes. Er hielt sich die Augsburger Allgemeine Zeitung selber, weil sie ihm das vorzüglichste Organ der allgemeinen Weltanschauung, auch für das Culturleben, zu sein schien. Als wir einst über die Fortschritte gesprochen hatten, welche der literarische Verkehr gemacht habe, schenkte er mir das Exemplar des Vertrages, den er 1798 mit der Allgemeinen Jenenser Literaturzeitung, damals unter Bertuch und Hufland, geschlossen hatte, Recensionen für das schönwissenschaftliche Fach zu liefern. Ich habe[400] diesen Vertrag zum Andenken an Lafontaine bis jetzt aufbewahrt. Man kann sich jetzt kaum eine Vorstellung von solchem Pedantismus und Egoismus einer Redaction machen, als er auf den acht Folioseiten dieses mit fünf Siegeln beurkundeten Vertrags zum Vorschein kommt.

Von Lafontaine's außerordentlicher Gutherzigkeit könnte ich mancherlei Thatsachen anführen. Um ihre Art und Weise zu schildern, will ich mich auf ein paar Beispiele beschränken. Wenn es im Sommer sehr heiße Tage gab, so pflegte er sich damit zu beschäftigen, aus Selterwasser, Zucker und verschiedenen Weinsorten erfrischende Getränke zusammenzubrauen. Glaubte er nun eine recht schöne Mischung erfunden zu haben, so lief er damit zu mir und brachte mir ein großes Glas voll. Wenn es mir recht mundete, so freute er sich wie ein Vater, der seinen schmachtenden Sohn erquickt hat. Einmal hatten wir scharf über die Beweise für das Dasein Gottes disputirt. Er verwarf sie ganz nach der Kant'schen Theorie. Ich suchte gerade den ontologischen Beweis aufrecht zu halten. Endlich gingen wir auseinander. Ich hatte anfänglich im oberen Stock des Hauses gewohnt, war aber nach Unten gezogen, so daß nur der Hausflur uns trennte. Ich ging sofort in mein Schlafzimmer, zog mich aus und legte mich nieder. Kaum lag ich, so hörte ich die Thür meines Arbeitszimmers, das vor dem Schlafzimmer lag, sich öffnen. Ich horchte auf, wer da noch kommen könnte, da die Hausthür nicht geklingelt hatte. Bald klopfte es an meine Schlafftubenthür. Ich springe auf, den Riegel, den ich vorgestoßen hatte, wegzuziehen. Als ich, im Hemde, öffne, steht Lafontaine vor mir, einen brennenden Wachsstock in der einen Hand. »Mein junger Freund«, sagte er, »ich habe da zwar eifrig disputirt, daß man das Dasein Gottes nicht beweisen könne. Seien Sie aber versichert, daß ich an ihn glaube und noch eben recht innig zu ihm gebetet habe. Ich kann nicht schlafen gehen, ohne Ihnen dies gesagt zu haben. Nun schlafen Sie ruhig.« Dabei liefen ihm die Thränen über die Backen. Er drückte meine Hand, die ich ihm mit bewegtem Gemüth reichte und verschwand. Welch eine himmlische, rührende, liebevolle, wahrhaft religiöse Seele, dieser Lafontaine! Welch eine humoristische Scene für einen Maler, wie Chodoviecki, ich im Hemde, barfuß,[401] Lafontaine im Schlafpelz, mit dem Wachsstock in der Hand, wir Beide zwischen Thür und Angel!

Einerseits die unausgesetzten Studien für die Religionsphilosophie, bei denen ab und zu auch Jacob Böhme wieder vorgenommen wurde, andererseits die Beschäftigung mit Lucian, welche Lafontaine veranlaßte, brachten mich auf einen sonderbaren, höchst romantischen Einfall. Jacob Böhme stand mir immer noch unendlich hoch. Der Teufel spielt, wie man weiß, eine große Rolle bei ihm. Ich hatte aber niemals an einen persönlichen Teufel geglaubt, weil ich erkannte, daß wir Menschen, auch ohne Voraussetzung eines solchen Subjectes, das Böse aus unserer Freiheit auf das Vollkommenste hervorzubringen, daß wir selbst leider das Diabolische zu erzeugen im Stande wären. Daub's Judas Ischariot war für mich eben dadurch so wichtig geworden, daß ich sah, wie Daub's Versuch, die orthodoxe Satanalogie zu retten, gescheitert war. Lucian's Verspottung der schönen Götter Griechenlands eröffneten mir die tiefsten Einblicke in den Proceß des Untergangs der mythischen Vorstellungen einer Religion. Im Uebermuth satirischer Laune fiel ich eines guten Tages darauf, Vorlesungen des Teufels über sich selbst zu schreiben. Es war eine Anwandlung ähnlicher Art, wie die, aus welcher ich im Sommer 1827 das geistliche Nachspiel zu Faust, im Sommer 1828 das satirische Gemälde auf die Geschichte der Deutschen Philosophie entworfen hatte. Mit großer Leichtigkeit schrieb ich binnen einer Woche drei Vorlesungen. Weiter kam ich nicht, wahrscheinlich, weil ich hiermit auch das Wesentliche des flüchtigen Einfalls erschöpft hatte. Wie Diderot mit seinen petits papiers, amüsirte ich mich und meine nächsten Freunde damit. Was aus dem Manuscript geworden, weiß ich nicht. Der Teufel, könnte ich sagen, von dem es handelte, hat es geholt. Hierher, nach Königsberg, habe ich es nicht mehr gebracht. Doch besitze ich noch eine ziemlich lebhafte Erinnerung davon, aus welcher ich eine kleine Vorstellung der Manier geben kann. Ich ließ den Teufel etwa so beginnen:


Meine Herren!


Indem ich die Ehre habe, das erste Mal zu Ihnen zu sprechen, werde ich zunächst die Motive darlegen, die mich zu diesem außerordentlichen Schritt bewegen, damit wir uns gegenseitig über unser[402] Verhältniß ganz klar werden. Meine Herren! Einige von Ihnen erinnern sich unstreitig noch der Erzählungen, welche unser geehrter Commilitone Schlauch vor mehreren Jahren hier in Halle über mein Wanderungen zur Entdeckung der besten Dogmatik in Gemeinschaft mit Serenissimo unternommen hatte. Ich wurde, wenn ich auch die Bemühungen einiger Professoren um die Erhaltung des Glaubens an meine Existenz dankbar anzuerkennen hatte, doch keineswegs befriedigt. Ich wohnte hierauf incognito auch den Vorträgen bei, welche der Professor Hinrichs hierselbst über Göthe's Faust zu halten pflegt. Er nahm eine Miene an, als ob er ganz und gar mit meinem Wesen vertraut sei. Er deducirte sogar meine Nothwendigkeit. Diese Bemühungen schmeichelten mir und da Hinrichs ein Hegelianer ist, glaubte ich, die Hegel'sche Philosophie an der Quelle studiren zu müssen, weil ich von ihr die größte Unterstützung hoffte. Ich begab mich also nach Berlin, den großen Hegel selber zu hören. Aber wie wurde ich enttäuscht! Denken Sie, meine Herren, dieser Philosoph erdreistete sich, mich in einen bloßen Begriff aufzulösen, den er mit Emphase die Negativität nannte. Die Zuhörer schienen ganz hingerissen von dieser dialektischen Taschenspielerkunst. Ich war über diese Frechheit empört. Arme Jugend, sagte ich zu mir, wie betrügt man dich! Aber dir soll geholfen werden. Ich selber werde sie über mich belehren. Aber nicht in Berlin, in Halle werde ich dies thun, denn Berlin ist schon zu verweltlicht. Hier in Halle ist noch classischer Boden für die Theologie; hier ist noch ein wahres Bedürfniß vorhanden, sich über meine Person zu orientiren. Hier schlagen noch Herzen in bangen Zweifeln über mein Sein oder Nichtsein. Hier ist noch ein Publicum, welches von dir selber mit Erbauung die Berichtigungen empfangen wird, welche der traurige Zustand des locus de diabolo in der heutigen Dogmatik erfordert. Hier, in Halle, wirst du einem tief gefühlten Bedürfniß entgegenkommen. Ich bin zwar nicht von einer Facultät zum Doctor der Theologie promovirt worden, allein ohne unbescheiden zu sein, glaube ich mich berechtigt, mich als Mitglied der theologischen Facultät betrachten zu dürfen. Fragen Sie sich selbst, was man in der Anthropologie, Soterologie und Eschatologie der Dogmatik ohne mich anfangen will.

Ich habe dieses Collegium als ein Privatcollegium angekündigt,[403] denn es ist mir um solide Zuhörer, denen die Sache Ernst ist, nicht um den Beifall einer Menge zu thun, die ich leicht mit rednerischem Floskelthum zu gewinnen vermöchte. Ich verachte auch das Geld keineswegs, da ich, wie einmal der Welt Lauf ist, beständig ungeheure Summen verbrauche und daher, trotz der Mittel, über die ich verfüge, nicht mit Unrecht von Volkes Gnaden der »arme Teufel« genannt zu werden pflege. Ich habe den Reinertrag dieses Collegiums zur Unterstützung meiner alten Freunde, der Jesuiten, bestimmt. Lange waren dieselben höchst ungerecht unterdrückt. Erst seit einiger Zeit dürfen sie sich wieder frei hervorwagen, allein ohne Geld, das glauben Sie mir, würden sie wenig ausrichten. Mit Geld aber, mit immer mehr Geld, werden sie die Welt sich unterthan machen, denn das Geld ist kosmopolitisch. Alle Nationen, alle Confessionen sind von gleicher Liebe zu ihm beseelt.

Wenn Sie mir aufmerksam folgen, so werden Ihnen die albernen Vorurtheile gegen meine Person wie Spinnwebe zerreißen. Sie werden den organischen Zusammenhang der dogmatischen Paragraphen mit Klarheit durchschauen. – Ich werde nämlich, um nunmehr zur Sache zu kommen, erstens von meiner Entstehung durch mich selbst, zweitens von der Modalität meiner Wirksamkeit, drittens von den wunderbaren Wirkungen derselben handeln. Ich werde dabei mit aller Aufrichtigkeit zu Werke gehen. Um sogleich einen Mißverstand abzuschneiden, bemerke ich, daß ich mit den soeben gebrauchten Worten: Entstehung durch mich selbst, keineswegs leugnen will, von Serenissimo erschaffen zu sein. Dies hat seine volle Richtigkeit. Ich will damit nur sagen, daß ich, sofern ich Teufel bin, mich selbst hervorgebracht habe und hervorbringe. Diese meine specifische Qualität verdanke ich mir selber. In der modernen Sprache ausgedrückt, könnte ich sagen, ich entstand in demselben Augenblick, als ich den Muth hatte, Revolutionär zu werden u.s.w.

So ungefähr ließ ich den Teufel über sich selbst dociren.

Quelle:
Rosenkranz, Karl: Von Magdeburg bis Königsberg. Leipzig 1878, S. 387-404.
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