Neuntes Kapitel.
Versuch über die ersten Grundsätze der Chemie

[412] Nachdem wir die ersten Prinzipien der Chemie unserer Kritik unterworfen haben, bleibt uns noch die Untersuchung übrig, ob diese Prinzipien auch einer wissenschaftlichen Darstellung fähig sind.

Die unnachläßliche Bedingung einer solchen Darstellung aber ist die Möglichkeit der mathematischen Konstruktion solcher Begriffe. »So lange«, sagt Kant191, »als für die chemischen Wirkungen der Materien aufeinander kein Begriff ausgefunden wird, der sich konstruieren läßt, so kann Chemie nichts mehr, als systematische Kunst oder Experimentallehre, niemals aber eigentliche Wissenschaft werden, weil die Prinzipien derselben bloß empirisch sind und keine Darstellung a priori in der Anschauung erlauben, folglich die Grundsätze chemischer Erscheinungen ihrer Möglichkeit[412] nach nicht im mindesten begreiflich machen, weil sie der Anwendung der Mathematik unfähig sind«. Sollte etwa das Resultat dieses Versuchs verneinend ausfallen, so haben die bisherigen Untersuchungen wenigstens das negative Verdienst, die Chemie in ihre bestimmten Grenzen (der bloßen Erfahrung) zurückgewiesen zu haben.


* * *


Prinzip

Alle Qualität der Körper beruht auf dem quantitativen (gradualen) Verhältnis ihrer Grundkräfte.

Denn Qualität ist nur in bezug auf Empfindung. Empfunden werden aber kann nur was einen Grad hat: nun ist in der Materie kein Grad denkbar, außer dem der Kräfte, und auch dieser nur in Beziehung aufeinander. Alle Qualität also beruht auf Kräften, insofern sie eine bestimmte Quantität (Grad) haben, und, da Materie zu ihrer Möglichkeit entgegengesetzte Kräfte voraussetzt, auf dem Verhältnis dieser Kräfte, ihrem Grade nach.


Erklärungen

1. Homogen heißen solche Stoffe, in welchen das quantitative Verhältnis der Grundkräfte dasselbe ist.

Denn Homogeneität bezeichnet gleiche Qualitäten. Nun beruht alle Qualität auf dem quantitativen Verhältnis der Grundkräfte, also usw.

Man sieht von selbst ein, daß eine absolute Homogeneität Identität der Qualitäten wäre. Allein man braucht den Ausdruck homogen noch in weiterer Bedeutung, da er eine bloße Annäherung zur Identität bezeichnet.

2. Heterogen heißen zwei Stoffe, wenn das quantitative Verhältnis der Grundkräfte in einem das verkehrte vom Verhältnis der Grundkräfte im andern ist.

Homogen also können Grundstoffe auch dann noch heißen, wenn das quantitative Verhältnis ihrer Grundstoffe verschieden ist, so lange es nur nicht entgegengesetzt ist. Es erhellt daraus von selbst, daß es weit mehr homogene als[413] heterogene Grundstoffe geben muß. Ferner ist klar, daß es auch stufenmäßige Annäherungen zur absoluten Heterogeneität gibt, die in der Natur vielleicht nirgends angetroffen wird.


Grundsätze.
I. Allgemeine Bedingungen eines chemischen Prozesses

1. Kein chemischer Prozeß ist etwas anderes als eine Wechselwirkung der Grundkräfte zweier Körper.

Denn kein chemischer Prozeß geht vor sich, ohne daß qualitative Anziehung zwischen zwei Körpern stattfinde. Er ist also eine Wechselwirkung der Qualitäten. Nun ist Qualität nichts anders als usw.

2. Zwischen homogenen Grundstoffen findet kein chemischer Prozeß statt.

Denn das quantitative Verhältnis der Grundkräfte ist in beiden mehr oder weniger dasselbe, also kann auch kein Wechsel dieser Verhältnisse stattfinden, also auch kein chemischer Prozeß zwischen beiden.

3. Zwischen heterogenen Grundstoffen findet allein ein chemischer Prozeß statt.

Denn nur zwischen diesen ist eine Wechselwirkung der Grundkräfte möglich. Da es aber stufenmäßige Annäherungen zur absoluten Heterogeneität gibt, so wird es auch zwischen den chemischen Prozessen einen Unterschied in Ansehung der Leichtigkeit geben, mit der sie bewirkt werden.

4. Nur wenn das quantitative Verhältnis der Grundkräfte im einen das umgekehrte ist von demselben Verhältnis im andern, ist zwischen zwei Körpern ein chemischer Prozeß möglich.

(Das Maß der Repulsivkraft ist die Elastizität, das der Attraktivkraft die Masse. Also kann der Satz auch so ausgedrückt werden: Nur wenn sich Masse und Elastizität im einen umgekehrt verhalten wie Masse und Elastizität im andern, findet ein chemischer Prozeß statt.)

Denn nur in diesem Fall ist ein Wechsel der Grundkräfte – eine Ausgleichung der Elastizitäten und der Massen möglich.[414]

Auf diesen Grundsätzen beruht die Kunst, einen chemischen Prozeß zu bewirken. Denn da in der Natur keine absolute Heterogeneität existiert, da es auch Unterschiede in Ansehung der Leichtigkeit chemischer Prozesse gibt, so ist es ein Gegenstand der chemischen Kunst, Prozesse zu bewirken, die sonst nicht möglich wären, andere, die sonst nur sehr schwer erfolgen würden, zu erleichtern. Dahin gehört z.B. die Erhöhung der Temperatur, die zu nichts dient, als jenes Verhältnis der Grundkräfte, das zum chemischen Prozeß erforderlich ist, in beiden hervorzubringen.

Jede chemische Bewegung ist ein Bestreben nach Gleichgewicht: um also eine solche Bewegung zu veranlassen, muß das Gleichgewicht der Kräfte in beiden Körpern gestört werden.

Daher das alte Prinzip der Chemie: Chemica non agunt nisi soluta, d.h. zwischen zwei festen Körpern ist keine chemische Verbindung möglich. Selbst wo keine chemische Verbindung im engern Sinne des Worts vorgehen soll, müssen auch gleichartige Körper in Fluß versetzt werden, ehe sie sich miteinander verbinden. – Wo aber zwischen ungleichartigen Körpern Verbindung bewirkt werden soll, muß entweder einer derselben ursprünglich flüssig sein, oder einer, wo nicht beide, müssen durch Feuer in flüssigen Zustand versetzt werden. Man könnte den Satz auch so ausdrücken: Nur zwischen Extremen ist ein chemischer Prozeß möglich. Wenigstens hat die Natur, zum Behuf der meisten chemischen Prozesse, Extreme, flüssige und feste Körper, aufgestellt.

Da ein chemischer Prozeß nichts anders ist, als Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts der Kräfte, so kann man den allgemeinen Grundsatz aufstellen:

5. Soll zwischen zwei Körpern ein chemischer Prozeß entstehen, so muß die Kraft, mit der sie unter sich zusammenhängen, in beiden geringer sein, als die Kraft, mit der sie sich bestreben, untereinander ins Gleichgewicht zu kommen.

Daraus folgt ein Hauptsatz, auf den wir späterhin zurückkommen werden. Kein chemischer Prozeß erfolgt anders, als[415] kontinuierlich. Die Körper müssen mehrere Stufen durchgehen bis zu dem Punkt, wo der Prozeß selbst erst beginnt. So müssen Metalle, um in Säuren aufgelöst zu werden, erst verkalkt (oxydiert) sein. Nur nachdem dies geschehen ist, beginnt die Auflösung. Hat man etwa nicht die gehörige Quantität Säure angewandt, so bleibt der Prozeß bei der bloßen Verkalkung stehen.

Es wird nun so viel verschiedene Arten einen chemischen Prozeß zu bewirken geben, als es Mittel gibt, das Gleichgewicht der Kräfte in einem Körper zu verändern, oder, was dasselbe ist, die Kohäsionskraft der Körper zu schwächen. Das Hauptmittel aber sind Flüssigkeiten, die, ihrer Verwandtschaft zu festen Körpern gemäß, sich mit diesen verbinden und dadurch den Zusammenhang ihrer Teilchen untereinander verändern. Dahin gehören nun die luftförmigen Flüssigkeiten, bald als Vehikel der Wärme, bald als Vehikel desjenigen Grundstoffs, gegen welchen alle übrigen Grundstoffe Verwandtschaft beweisen. Durch Feuer werden feste Körper in flüssige verwandelt. Diese Verwandlung selbst schon wird gewöhnlich als ein chemischer Prozeß betrachtet und heißt insofern Auflösung, und zwar Auflösung auf trockenem Wege. – Ein anderes Mittel, den Zusammenhang der Körper zu verändern, ist die Verkalkung, die auch auf trockenem Wege, durch Feuer, geschieht, selbst ein chemischer Prozeß und zugleich Beförderungsmittel totaler Auflösung.

Ferner gehören hierher die tropfbaren Flüssigkeiten, die als Vehikel des Oxygenes dazu dienen, feste Körper, wie die Metalle, erst zu verkalken und dann aufzulösen. Geschieht das Letztere, so heißt eine solche Auflösung Auflösung auf nassem Wege.

6. Körper, in welchen das Gleichgewicht der Grundkräfte nicht aufgehoben werden kann, sind keiner chemischen Behandlung fähig.

Es versteht sich, daß eine solche Unmöglichkeit bloß relativ ist, in bezug nämlich auf die vorhandenen chemischen Mittel.


II. Erfolg eines chemischen Prozesses

1. Das Resultat des chemischen Prozesses ist das Produkt einer Wechselwirkung der Grundkräfte, die,[416] durch künstliche Mittel in Tätigkeit gesetzt, zum Gleichgewicht zurückkehren.

2. Das chemische Produkt, seiner Qualität nach betrachtet, ist das mittlere dynamische Verhältnis der Grundkräfte, die beim Prozeß in Tätigkeit gesetzt werden.

Denn die Grundkräfte beschränken sich wechselseitig so lange, bis eine Identität des Grads vorhanden ist. Das Produkt aus einem elastisch-flüssigen und festen Körper z.B. kann man ausdrücken durch das mittlere Verhältnis zwischen der Masse des festen und der Elastizität des flüssigen und umgekehrt.

3. Das chemische Produkt ist seinen qualitativen Eigenschaften nach völlig verschieden von den Bestandteilen, aus welchen es zusammenging.

Man kann es betrachten als die mittlere Qualität zwischen den beiden Extremen, aus welchen es entstanden ist.

4. Im chemischen Produkt muß Identität des Grads oder der Qualität stattfinden.

Es versteht sich, daß, da ein vollkommener chemischer Prozeß eine Idee ist, dieser Satz in der Erfahrung Einschränkungen zuläßt.

5. Chemisch heißt nur diejenige Wirkung der Körper aufeinander, wodurch Qualitäten entstehen oder vernichtet werden, nicht aber, wenn bloß der Zustand des einen Körpers verändert wird.

Chemische Vernichtung einer Qualität durch die andere heißt Bindung. So binden sich Hydrogene und Oxygene im Wasser – Säure und Alkali im Neutralsalz usw. – Begriff von Neutralisation.

6. Alle chemischen Prozesse lassen sich auf chemische Verbindung zurückführen.

Denn auch die chemische Scheidung geschieht nur vermittelst der Wahlanziehung eines dritten Körpers gegen den Bestandteil des chemischen Produkts.

7. Zwischen festen Körpern ist keine chemische Verbindung möglich, es sei denn, daß sie vorher aufgelöst werden.[417]

Dies geschieht entweder durch tropfbare Flüssigkeiten (Säuren) und die Körper heißen aufgelöst (im engern Sinne des Worts), oder durch Gewalt des Feuers, und dies heißt die Körper schmelzen. Hier ist also, im erstern Falle wenigstens, der chemische Prozeß doppelt. Denn was das Schmelzen der Körper betrifft, so ist es eine bloß einseitige Veränderung des Verhältnisses ihrer Grundkräfte. – Es fragt sich ferner, ob die gemeinschaftliche Auflösung von zwei Körpern oder das Zusammenschmelzen derselben ein chemischer Prozeß heißen könne. Strenggenommen, kann nur ein solcher Prozeß chemisch heißen, dessen Produkt von seinen Bestandteilen der Qualität nach verschieden ist. Dies geschieht aber nicht, wenn völlig homogene Körper verbunden werden. Also gehört hierher nur das Zusammenschmelzen heterogener Körper, das sehr häufig erst durch Vermittlung eines dritten möglich wird.

8. Zwischen flüssigen und festen Körpern findet kein vollkommener chemischer Prozeß statt, ohne daß beide auf einen gemeinschaftlichen Grad der Elastizität gebracht werden, so, daß der feste an Elastizität gewinne, was der flüssige daran verliert.

Hier haben wir also den Begriff von Auflösung im engern Sinne. Nach den Begriffen der Atomistiker ist die Auflösung immer nur partial, d.h. sie erstreckt sich nur bis auf die kleinsten Teilchen der festen Körper, die in dem Auflösungsmittel in unendlich-kleinen Entfernungen voneinander verbreitet sind. Allein diese Voraussetzung läßt sich nur mit Hilfe der Hypothese, daß alle Körper Aggregate von Teilchen sind, welche ferner zu teilen physisch unmöglich ist, begreiflich machen. Denn sonst sieht man nicht ein, warum die Kraft des Auflösungsmittels (vorausgesetzt, daß das quantitative Verhältnis desselben zum aufzulösenden Körper vollkommen beobachtet sei) eine Grenze habe und die Auflösung irgendwo stillstehe.

Jene Theorie verrät sich auch dadurch schon als unnatürlich, daß sie, um die Auflösung zu erklären, zu Unbegreiflichkeiten ihre Zuflucht nehmen muß, z.B. daß ein Auflösungsmittel in die innersten Poren auch der dichtesten Körper eindringe (wodurch immer noch unerklärt bleibt, wie dieses Eindringen eine so große[418] Gewalt haben solle, als nötig ist, die festen Körper zu zerreißen), oder gar, daß die kleinen Teilchen Menstruums als kleine Keile wirken, die die festen Teile des Körpers auseinandertreiben usw.

Indes sieht man ebensowenig ein, wie einige neuere Schriftsteller nach dem Beispiel Kants192 eine Durchdringung (des festen Körpers durch den flüssigen) annehmen können, ohne zugleich anzunehmen, daß der chemische Prozeß ein Wechsel der dynamischen Kräfte selbst ist. Denn ein Körper, in welchem die dynamischen Kräfte im Gleichgewicht sind, kann nur in Masse wirken vermöge mechanisch-rebellierender (stoßender) Kräfte. Also müßte, wenn die Auflösung nicht eine Wechselwirkung der Kräfte ist, das Auflösungsmittel den festen Körper mechanisch durchdringen, d.h. es müßte seine Repulsivkraft auf Zero zurückbringen, was ungereimt ist.

Man ist also zum Behuf der Erklärung der Möglichkeit einer Auflösung genötigt anzunehmen, daß bei dem chemischen Prozeß (im engern Sinne des Worts) die dynamischen Kräfte selbst aus dem Gleichgewichte treten und damit eine ganz andere Wirkungsart annehmen, als ihnen im Zustand der Ruhe oder des Gleichgewichts zukommt.193

Und da wir uns die Entstehung der Materie selbst nur durch einen Zusammenstoß dynamischer Kräfte denken können, so müssen wir jeden solchen Prozeß uns vorstellen als das Werden einer Materie, und deswegen ist die Chemie eine Elementarwissenschaft, weil durch sie das, was in der Dynamik nur Gegenstand des Verstandes ist, Gegenstand der Anschauung wird. Denn sie ist nichts anders als die sinnliche – (anschaulich[419] gemachte) Dynamik und bestätigt so rückwärts wieder die Grundsätze selbst, von welchen sie abhängig ist.

Auch setzt jene irrige Vorstellungsart einer Durchdringung des festen Körpers durch den flüssigen den falschen Begriff von einem Auflösungsmittel voraus, den schon mehrere Naturforscher mit Recht gerügt haben194, als ob nämlich das letztere beim Prozeß der Auflösung allein tätig, der feste Körper aber völlig leidend wäre. –

Die Idee einer vollkommenen Auflösung bringt es übrigens schon mit sich, daß sie sich durch keine Erfahrungen beweisen läßt. Denn daß in einer Solution, selbst mit den größtmöglichen Vergrößerungen, kein einzelnes Teilchen des festen Körpers mehr entdeckt werden kann, beweiset noch lange nicht, daß die Auflösung (im angegebenen Sinne) vollkommen ist; vielmehr, daß die. Auflösung als unendlich gedacht werden müßte, beweist man daraus, daß sie überhaupt möglich ist, denn sie ist mechanisch nicht erklärbar, also dynamisch, durch eine Bewegung dynamischer Kräfte.

Dann aber ist nicht mehr von Teilen der Materie die Rede; denn hier wird nicht die Materie durch ihre Teile (wie bei der mechanischen Zusammensetzung), sondern umgekehrt, die Teile werden durch die Materie gegeben, und deswegen heißt die Auflösung unendlich. Denn gehe ich von Teilen der Materie zum Ganzen fort, so ist die Synthesis endlich. Gehe ich umgekehrt vom Ganzen zu Teilen fort, so ist die Analysis unendlich. Bei jeder Auflösung also ist mir ein chemisches Ganzes gegeben, das völlig homogen ist, das eben deswegen wie jedes andere ins Unendliche teilbar, nirgends mich nötigt, mit der Teilung stille zu stehen, weil ich ins Unendliche fort auf homogene, also immer noch gleich teilbare, Partikeln stoße.

Die Grundkräfte der Materien also, die durcheinander aufgelöst sind, sind jetzt gemeinschaftliche Kräfte. Weil ihnen Masse und Elastizität gemeinschaftlich ist, so erfüllen sie, wie Kant sagt, einen und denselben Raum, und es läßt sich kein Teil finden, der nicht aus dem Auflösungsmittel und dem aufzulösenden Körper zusammengesetzt wäre.[420]

Eben deswegen, weil eine solche Auflösung durch keine Erfahrung unmittelbar erweisbar ist, läßt sich nie behaupten, daß die einzelne Auflösung der Idee einer vollkommenen Auflösung völlig adäquat sei: dies betrifft aber nicht den Begriff von Auflösung, sondern die Mittel, die wir angewendet haben, oder die wir überhaupt anwenden können.

Wenn man bedenkt, welche große Gewalt Flüssigkeiten auf Metalle ausüben, wie ein paar Tropfen Säure Metalle augenblicklich in Pulver oder pulverichten Kalk verwandeln, so sieht man sich von den gewöhnlichen Begriffen der Materie völlig verlassen und ist genötigt einzugestehen, daß die Materie für den Verstand etwas ganz anderes ist, als für die Sinne. Dieselbe Schwierigkeit, mit den gemeinen Begriffen von Materie auszulangen, zeigt sich auch anderwärts. Kant erinnert bei dieser Gelegenheit, man könne sich einen scheinbar-freien Durchgang gewisser Materien durch andere auf solche Weise (als Durchdringung) denken (z.B. der magnetischen Materie), ohne ihr dazu offene Gänge und Zwischenräume in allen, selbst den dichtesten Materien, vorzubereiten. In der Tat, wenn man die Hypothesen eines des Cartes, Eulers u. a., die magnetische Materie betreffend, überlegt, so sieht man recht deutlich, auf welche dürftige Vorstellungen die Maxime, alles in der Natur mechanischen Gesetzen zu unterwerfen, führen muß.

Weit fruchtbarer und der nötigen Erweiterung unserer Gedanken zuträglicher ist das Gesetz des Gleichgewichts in der Natur, wodurch das Größte wie das Kleinste regiert wird und was überhaupt erst eine Natur möglich macht. Nur wo höhere Kräfte in Ruhe sind, wirkt Stoß, Druck und was noch sonst zu mechanischen Ursachen gerechnet werden mag. Wo jene in Tätigkeit gesetzt sind, da ist innere Bewegung in der Materie, Wechsel und die erste Stufe von Bildung; denn damit entstehen und wechseln nicht Formen allein (die der Materie auch von außen eingedrückt werden können), sondern Qualitäten und Eigenschaften, die keine bloße äußere Kraft zu zerstören vermag. – Was ist es doch, was dem Erz, das wir Magnet nennen, die stete Richtung gegen die Weltpole gibt, wenn es nicht das Bestreben nach Gleichgewicht ist? Daß eine herrschende Verschiedenheit[421] unserer Hemisphären auf ein so unansehnliches Metall wirke, dünkt uns wunderbar, aber unbegreiflich nur, wenn eingeschränkte Begriffe von der Natur uns vergessen machen, daß sie selbst nichts ist, als dieses ewige Gleichgewicht, das selbst im Wechsel streitender Kräfte seine Fortdauer findet.

Doch ich kehre zurück, wovon ich ausging. – Es gibt verschiedene Arten von Auflösung. Die Unterscheidung zwischen Auflösung auf trockenem und nassem Wege wird hier schon vorausgesetzt. Die Unterscheidung von mechanischen (uneigentlich sogenannten) und chemischen Auflösungen ist wichtiger. Es wird nicht geleugnet, daß auch bloß mechanische Auflösungen möglich seien von solchen Materien, die wirklich leere Räume enthalten und schwach zusammenhängen, daher sie, wenn eine Flüssigkeit in sie eindringt, zerstückt werden. Solche Auflösungen heißen mit Recht oberflächlich (superficiales); denn sie können zwar eine Materie, in gleichartige Teilchen getrennt, und in einem Fluidum von hinlänglicher Qualität allerwärts verbreitet, enthalten, allein die Wirkung, welche sie darauf ausüben, erstreckt sich bloß auf ihre Oberflächen, auch kann die Scheidung sehr oft durch bloß mechanische Mittel bewirkt werden.

Eine eigentlich-sogenannte Auflösung findet nur da statt, wo eine Veränderung des Grads der Elastizität, Expansibilität, Kapazität des Auflösungsmittels und des aufzulösenden Körpers erfolgt, so doch, daß beide auf einen gemeinschaftlichen Grad zurückgebracht werden. Daher die meisten chemischen Auflösungen mit Aufbrausen und mit Entwicklung von Wärme und Gasarten verbunden sind.

Indes kann auch zwischen chemischen Auflösungen wieder eine Unterscheidung gemacht werden. Sie sind chemisch, entweder bloß in bezug auf die Mittel, die man dazu angewandt hat, ohne daß dabei eine chemische Verbindung im strengen Sinne des Worts oder eine Scheidung heterogener Bestandteile vorgegangen wäre. Ein Beispiel davon sind homogene Metalle, die durch Gewalt des Feuers (ein chemisches Mittel) zusammengeschmelzt werden. Auch gehört hierher die Auflösung von Salzen, z.B. des Salpeters im Wasser, der in kaltem Wasser nur sehr schwer, in wärmerem hingegen sehr leicht auflösbar ist. Aber[422] durch dieses chemisch-wirkende Mittel wird keine chemische Verbindung des Wassers und des Salzes bewirkt, sondern das letztere scheint bloß, durch Wärme aufgelöst, im Wasser gleichförmig verbreitet zu sein. Daher kommt es, daß mehrere Salze, ohne daß ihnen Wasser entzogen wird, durch bloße oft sehr geringe Entziehung des Wärmestoffs schon sich kristallisieren.

Zu einer vollkommenen chemischen Durchdringung gehört auch, daß kein Teil der Auflösung weniger aufgelöst enthalte, als er enthalten könnte, d.h. daß beide Körper durcheinander195 gesättigt sind. Allein wenn man die Möglichkeit einer mechanischen Auflösung einräumt, so versteht sich, daß auch diese ihre Grenze habe, und alsdann ist jenes Merkmal kein solches, das der chemischen Auflösung eigentümlich wäre.

Der Hauptgrundsatz nun für alle Auflösungen (im eigentlichen Sinn des Worts) ist folgender:

9. Jede Auflösung eines festen und flüssigen Körpers durcheinander gibt das mittlere Gradverhältnis zwischen der Elastizität des einen und der Masse des andern.

10. Verbindung zwischen gleichartigen flüssigen Körpern heißt Mischung.196

11. Die Dichtigkeit der Flüssigkeiten in der Mischung[423] ist gleich dem mittleren Verhältnis zwischen den Dichtigkeiten beider vor der Mischung.

12. In der Regel wird der Raum, den eine chemische Mischung einnimmt, das mittlere Verhältnis der Räume beobachten, welche die beiden Fluida vor der Auflösung einnahmen.

Nicht jede Mischung (auch heterogener Flüssigkeiten) ist chemisch. Chemisch kann nur diejenige Mischung heißen, bei welcher beide Ingredienzen der Mischung Eigenschaften verlieren oder neue annehmen.

Das sicherste Merkmal davon ist eine Verminderung oder Erhöhung der Kapazität, so daß Wärme dabei verschluckt oder frei wird. So ist die Mischung von Weingeist und Wasser, noch mehr die Mischung von brennbaren Flüssigkeiten mit Säuren, der Öle z.B. mit Salpetersäure usw. chemischer Art.

Dagegen können Luftarten, die an sich völlig heterogen sind, wie Lebens- und Stickluft, miteinander vermischt werden, ohne daß die eine oder die andere ihre Eigenschaften veränderte. Nur das spezifische Gewicht der Mischung ist gleich der Summe der spezifischen Gewichte beider vor der Mischung.

Mehrere flüssige Körper vermischen sich miteinander gar nicht ohne Vermittlung eines dritten; so Wasser und Öle erst durch Vermittlung von Salzen oder von Seife (die letztere wirkt kraft ihres Ursprungs aus Ölen und Pottasche). Der vermittelnde Körper heißt (wie auch zwischen festen Körpern) das Aneignungsmittel.

Flüssige Körper unterscheiden sich voneinander nur durch den Grad ihrer Flüssigkeit, nicht auch durch Struktur ihrer Teile, Verschiedenheit der Oberflächen, der leeren Räume, die sie enthalten usw.; deswegen sind sie zu Experimenten über Mitteilung der Wärme am brauchbarsten.

Der Grad von Wärme, den ein Fluidum aufnehmen kann, ohne seinen Zustand (das Wort im engern Sinne genommen) zu ändern, bestimmt seine Wärmefähigkeit, Kapazität. Die Differenz der Grade, welche verschiedene Körper von gleicher Masse aufzunehmen fähig sind, ist gleich der Differenz ihrer spezifischen Kapazität.[424]

Die Regel für Mischungen gleichartiger, aber verschiedenerwärmter Flüssigkeiten ist die bekannte Richmannische, daß die Wärme der Mischung das arithmetische Mittel zwischen den Wärmen beider Flüssigen ist.

Das allgemeine Gesetz aber für Mischungen ungleichartiger Flüssigkeiten ist dieses: Um zwei ungleichartige Flüssigkeiten zu einem gleichen Grad von Wärme zu bringen, muß entweder das quantitative Verhältnis der Flüssigkeiten oder das Verhältnis der Quantität von Wärme, die beiden zugeführt wird, gleich sein der Differenz ihrer Kapazitäten. – Die letztere aber muß durch Experimente gefunden werden. – Übrigens findet auch hier seine Anwendung, was oben bemerkt wurde: daß keine Mischung chemisch heißt, bei welcher weder Qualitäten verloren gehen, noch solche erzeugt werden. Wärme aber ist keine permanente Qualität, sondern nur eine zufällige Eigenschaft der Körper.

13. Verbindung zwischen tropfbaren und luftförmigen Flüssigkeiten heißt gewöhnlich Auflösung.

Dieser Satz ist, wie bekannt, neuerdings sehr scharfsinnig bestritten worden. Gesetzt auch, die Meteorologie hätte sich von ihm nichts zu versprechen (was bis jetzt noch nicht erwiesen ist), so kann doch das Faktum nicht geleugnet werden, daß wenigstens scheinbare Auflösungen tropfbarer Flüssigkeiten durch die Luft stattfinden.

Aber ich gestehe, daß ich, der vielen Erörterungen dieses Gegenstandes unerachtet, doch bis jetzt nirgends einen bestimmten Begriff dieser Art von Auflösung finden konnte.

Das Wort im gewöhnlichen Sinn genommen – kann die Luft das Wasser nicht auflösen, ohne daß das letztere selbst einen verhältnismäßig höheren Grad von Elastizität erhalte. Wodurch aber erlangt es diesen? Es verbreitet sich nicht von selbst, wie starkriechende und überhaupt alle geistigen Stoffe, vermöge der ursprünglichen Fliehkraft seiner Teile – durch Wärme etwa? – So ist es nicht mehr die Luft, sondern Wärme, die das Wasser aufgelöst hat. Allein dann fragt sich, was ist das Wasser geworden, Dunst oder Luft? Ich finde nichts Widersinniges darin, beim ersteren stehen zu bleiben. Denn dafür sprechen wenigstens[425] mehrere Erfahrungen. So enthält das kohlengesäuerte Gas, mit dessen Entwicklung ohne Zweifel immer auch Entwicklung von wässrigten Teilen verbunden ist, Wasser aufgelöst (die holländischen Naturforscher haben es mittelst des elektrischen Funkens zersetzt). Das große Volumen, zu welchem sich Wasser in Dunst- oder Dampfgestalt ausdehnt, macht begreiflich, daß es sich frei verbreitet und die dichtere Luft durchdringt. Nun kann man ferner annehmen, daß die größere Elastizität der Dünste (die man voraussetzen muß, wenn sie sich in die Luft erheben sollen) durch die geringere Elastizität der Luft allmählich vernichtet wird, und daß, wenn Luft und Wasser in verhältnismäßigen Quantitäten den Raum der Atmosphäre erfüllen, beide allmählich auf denselben Grad von Elastizität zurückkommen können. Eine unverhältnismäßige Erhöhung der Elastizität der Luft könnte dann den umgekehrten Prozeß veranlassen und das Wasser wieder in tropfbarer Gestalt niedergeschlagen werden. Denn, daß das Wasser aus der Luft durch eine schnelle Erkältung derselben niedergeschlagen wird, ist, den gemeinsten Erfahrungen gemäß, nicht sehr wahrscheinlich; denn obgleich man die Wärme, die vor einem Regen vorhergeht, von einem Freiwerden der Wärme aus der Luft herleiten kann, so ist damit doch dieses Freiwerden selbst noch gar nicht erklärt. Das Natürlichste bleibt eine schnelle Erhöhung der Elastizität der Luft anzunehmen, die, wie viele Prozesse dieser Art, lange verbreitet sein kann, jetzt aber plötzlich und auf einmal erfolgt, wodurch dann die Dünste, jetzt nicht mehr gleich-elastisch mit der Luft, also auch nicht mehr von ihr getragen, in Gestalt von Wolken niedergeschlagen, endlich in tropfbarer Gestalt niederfallen.

14. Der umgekehrte Prozeß des vorigen, da sich luftförmige Flüssigkeiten mit tropfbaren verbinden, heißt Verschluckung (Absorption).

Hier wird die chemische Verbindung sehr zweifelhaft. – Als Beispiel dieses Satzes kann die atmosphärische Luft nicht so geradezu, als gewöhnlich geschieht, angeführt werden. Denn sie wird vom Wasser nur dann verschluckt, wenn eine starke Bewegung beider vorhergegangen ist. (Priestley bemerkte sehr frühzeitig, daß, Luft und Wasser in einem verschlossenen Gefäße zusammengeschüttelt, die erstere verdorben werde. Er schloß[426] daraus schon, das Wasser müsse Phlogiston enthalten.) – Ein zuverlässiges Beispiel ist die Verschluckung von kohlengesäuertem Gas durch Wasser.

15. Die Verbindung des Lichts mit verschiedenen Flüssigkeiten ist eine wahrhaft chemische Verbindung.

Denn es geschieht dabei alles, was bei jeder chemischen Verbindung geschieht. Das Licht, eine eigentümliche Materie, verliert so viel an Elastizität, als der andere Körper gewinnt. Indem es aus den Pflanzen, aus oxidierten Körpern usw. Lebensluft entwickelt, hört es auf zu leuchten, es verliert eine Qualität, die es vorher zeigte, sowie umgekehrt auch eine Scheidung des Wassers in den Pflanzen vorgehen muß, damit es mit dem Licht sich verbinde. Hier geschieht also alles, was bei jedem chemischen Prozeß geschieht.

Das Licht nur als eine Modifikation der Materie überhaupt zu betrachten, geht deswegen nicht an, weil es sich wirklich offenbar genug als bestimmte Modifikation und insofern auch als bestimmte Materie zeigt.

Hingegen kann es keine chemische Verbindung der Wärme mit irgend einer andern Materie geben; denn die Wärme ist bloße Modifikation der Materie überhaupt. Also kann zwar eine Materie der andern Wärme mitteilen, d.h. in einer andern diese Modifikation bewirken, nach dem bekannten Gesetz: Ein Körper teilt dem andern so lange Wärme mit, bis die Wärme in beiden im Gleichgewicht ist. Allein dadurch entsteht eine bloße zufällige Veränderung des Zustandes, nicht ein Produkt, das sich durch neue Qualitäten auszeichnete. So wird das Wasser durch Wärme Dampf, d.h. es ändert seinen Zustand, aber nicht seine Qualitäten. Lasse ich aber Wasser über glühendes Eisen gehen, so ändert es nicht nur seinen Zustand, sondern auch seine Qualitäten. Die Gasart, die sich entwickelt, ist Resultat einer chemischen Anziehung; was an diesem Prozeß Chemisches ist, findet bloß zwischen dem Wasser und dem Metall, nicht zwischen dem Wasser und der Wärme statt.


* * *[427]


Von chemischen Verbindungen zwischen ursprünglich-elastischen Materien (so nenne ich Licht usw.) wissen wir nichts Zuverlässiges; denn die von mehreren angenommene Verbindung des Brennstoffs in den Körpern und des Wärmestoffs der Lebensluft beim Verbrennen ist noch zweifelhaft. Das einzige Beispiel dieser Art sind die elektrischen Phänomene, welche durch die Trennung der beiden elektrischen Materien bewirkt werden, und aufhören, sobald diese wechselseitig ihre Elastizitäten aneinander vernichten. Dieses Beispiel gehört aber nicht hierher, weil diese Materien, so viel wir einsehen, nicht ursprünglich heterogen, sondern nur künstlich entzweit sind.


* * *


Der umgekehrte Prozeß der chemischen Verbindung (gleichsam die chemische Rechenprobe) ist die chemische Scheidung.

17. Eine vollkommene chemische Verbindung müßte alle Scheidung unmöglich machen (jene ist also eine bloße Idee, der sich die Wirklichkeit mehr oder weniger annähert).

Denn, wenn eine chemische Verbindung zweier Körper vollkommen wäre, so müßte zwischen beiden eine Identität des Grads und der Qualität stattfinden. Wäre dies, so müßte das chemische Produkt gegen einen dritten Körper ein ganz gleiches chemisches Verhältnis haben, d.h. er könnte nie chemisch geschieden werden.

Daß wir hier Ideen von chemischer Verbindung, Auflösung usw. aufstellen, kann niemand befremden, der sich erinnert, daß in Erfahrungswissenschaften überhaupt nur Approximationen zu allgemeinen Grundsätzen möglich sind.

Die Mittel, welche zur Trennung verbundener Grundstoffe notwendig sind, sind dieselben, durch welche eine Verbindung von Grundstoffen bewirkt wird. – (Siehe oben.)

Die Kraft, mit welcher die verbundenen Stoffe zusammenhängen, muß geschwächt, das Gleichgewicht beider aufgehoben werden. Das letztere kann nicht geschehen ohne ein Drittes, wodurch es gestört wird. Dieses Dritte ist entweder ein dritter[428] Körper, der gegen den Einen der verbundenen Grundstoffe Anziehung beweist, oder das allgemeine auflösende Mittel, Feuer.

18. Körper von absoluter Identität des Grads und der Qualität heißen unzerlegbare Körper.

Gewöhnlich einfache, wie das Licht usw. Von keinem Körper läßt sich zuverlässig behaupten, daß er unzerlegbar ist, obgleich es von vielen höchst wahrscheinlich ist, z.B. vom Licht. Nach dem größern oder geringern Grad der Wahrscheinlichkeit, Körper zerlegen zu können, hießen sie bisher unzerlegte oder einfache – besser unzerlegte oder unzerlegbare Körper. – Das Wort Element – auch nur von den letztern zu gebrauchen – ist dem ursprünglichen Sinne des Worts zuwider. Das Wort im ältesten Sinne genommen, gibt es kein Element; denn nach unserer Philosophie gibt es keine ursprüngliche Materie.

19. Feste Körper von festen werden geschieden durch Feuer und Wahlanziehung.

Was Wahlanziehung heiße, wird als bekannt vorausgesetzt. Gleichfalls was chemische Anziehung überhaupt sei, und worauf sie beruhe (denn die oben aufgestellten Gesetze gelten auch hier). Wahlanziehung findet nur dann statt, wenn zwischen zwei Körpern besonders (vor einem oder mehreren anderen) das Gleichgewicht der Kräfte aufgehoben ist. Das Bestreben, dieses Gleichgewicht herzustellen, heißt Anziehung, und in diesem Falle Wahlanziehung.

Was einfache und doppelte Wahlanziehung sei, ist gleichfalls bekannt, und die oben aufgestellten Gesetze treffen bei der letztern doppelt ein.

Ein Beispiel der einfachen Wahlanziehung ist, so viel man jetzt noch sieht, auch das Verbrennen der Körper.

20. Das Resultat der Trennung fester und flüssiger Körper ist Kristallisation, Gerinnung, Aufschlag oder Niederschlag der letzteren.

Welches von beiden letztern erfolge, hängt vom Verhältnis des spezifischen Gewichts des aufgelösten Körpers zu dem des Menstruums ab.

Wäre die Auflösung vollkommen, so könnte kein Niederschlag erfolgen. Er erfolgt nur dann, wenn die Auflösung nicht vollkommen[429] gesättigt ist (denn was gewöhnlich Sättigung heißt, ist es nur mehr oder weniger). Entweder ist es das Bestreben des Menstruums, den zugesetzten Körper aufzulösen, oder es ist die Anziehung, die der aufgelöste Körper gegen den zugesetzten beweist, was die Scheidung veranlaßt. Aber weder das Eine noch das Andere würde stattfinden, wenn die wechselseitige Durchdringung (die Sättigung) vollkommen wäre.

21. Auch flüssige Körper können durch Feuer oder Wahlverwandtschaft geschieden werden, wenn sie eines verschiedene n Verhältnisses zur Wärme oder zu irgend einem dritten Körper fähig sind.

Flüssige Körper geben Beispiele vollkommener Mischung, weil sie überhaupt ihrer Natur nach einer Identität des Grads fähiger sind, als andere Körper.

Ob z.B. die Scheidung des Wassers aus der Luft (beim Regen) ein Niederschlag heißen könne, kommt auf Begriffe an, worüber. ich mich schon oben erklärt habe.

Ursprünglich-elastische Flüssigkeiten, wie das Licht, können wir bis jetzt nur durch einfache Wahlanziehung aus ihrer Verbindung scheiden.


III. Konstruktion der chemischen Bewegungen

Es verstellt sich von selbst, daß das allgemeine Gesetz der Trägheit auch auf chemische Bewegungen angewandt wird.

22. Keine chemische Bewegung erfolgt ohne Sollizitation von außen, und

23. In jeder chemischen Bewegung sind Wirkung und Gegenwirkung einander gleich.

Die Erörterung dieser Gesetze, insofern sie zur Mechanik gehören, wird hier vorausgesetzt197.

Was aber ihre Anwendung auf Chemie betrifft, so sind schon[430] die oben aufgestellten Gesetze nichts anders als Anwendungen dieses allgemeinen Gesetzes der chemischen Wechselwirkung.

24. Die chemische Bewegung, als solche, kann nicht rein-phoronomisch konstruiert werden; denn sie ist, als solche, keine extensive, sondern lediglich intensive Größe.

Dies ist der Hauptsatz, der bewiesen werden muß, und aus welchem sich alle übrigen Sätze, die Konstruktion der chemischen Bewegung betreffend, leicht ableiten lassen.

Jede chemische Bewegung ist nur ein Wechsel gradualer Verhältnisse. Sie besteht in bloßen Gradveränderungen, da ein Körper dem Grade nach verliert, was der andre gewinnt, und umgekehrt.

Die chemische Bewegung, als solche, kann da h er nur als intensive Größe, nach den Gesetzen der Stetigkeit, konstruiert werden.

Als intensive Größe aber kann sie nur als kontinuierliche Annäherung der Grade von beiden Seiten zum gemeinschaftlichen Produkt vorgestellt werden. Die Annäherungen beider Körper zum gemeinschaftlichen Produkt können also zwar konstruiert werden, insofern sie überhaupt stetig sind, nicht aber insofern sie in jedem einzelnen Moment gradweise fortschreiten; denn Grade überhaupt sind keiner Darstellung a priori fähig.

Es fragt sich aber, ob sich ein Gesetz dieser kontinuierlichen Annäherung finden lasse. Ein solches ist das Gesetz der Beschleunigung : Die Beschleunigung der chemischen Bewegung wächst, wie die Summe der Oberflächen, ins Unendliche. Dieses Gesetz befolgt wenigstens die praktische Chemie bei den Auflösungen fester Körper, indem sie die Oberfläche des aufzulösenden Körpers so viel möglich zu vergrößern sucht. Man sieht von selbst, daß, da man sich die Summe der Oberflächen eines aufzulösenden Körpers als ins Unendliche wachsend vorzustellen genötigt ist, auch die Akzeleration unendlich wächst, was (weil die Auflösung doch in einer endlichen Zeit erfolgt) gar nicht anders als nach dem Gesetze der Stetigkeit (da kein möglicher Augenblick der kleinstmögliche ist) vorgestellt werden kann.[431]

Eben deswegen aber ist dieses Gesetz, da es auf nichts weniger als eine unendliche Teilung der Materie geht, von gar keinem konstitutiven Gebrauch; es dient einzig und allein zum Behuf einer möglichen Vorstellung, die man den Anmaßungen der Atomistik entgegensetzen kann, welche die Auflösung fester Körper in flüssigen als einen Rechtsgrund betrachtet, die Materie aus letzten Teilen bestehen zu lassen. Es soll also zu nichts dienen, als die Freiheit der Untersuchung zu sichern. Denn wenn die Materie aus letzten Teilen besteht, so sind dies Schranken, welche die Naturforschung nicht anerkennt. Wollte man also jenes Prinzip konstitutiv gebrauchen, so würde man damit selbst in die atomistischen Voraussetzungen verfallen. Es ist also eine bloß theoretische Maxime, bei der Auflösung eines Körpers nichts anzuerkennen was ein letzter Teil wäre, nicht aber zu behaupten, daß, da die Auflösung vollkommen ist, wirklich eine Teilung ins Unendliche geschehen sei. Vielmehr umgekehrt, wenn die Auflösung vollkommen ist, kann uns das Ganze nicht durch seine Teile (denn sonst wäre die Auflösung endlich), sondern umgekehrt vielmehr, die Teile müssen uns durch das Ganze gegeben sein.

Was die Quantität der chemischen Bewegung, als solcher, betrifft, so kann sie nicht, wie die Quantität der mechanischen Bewegung, nach dem zusammengesetzten Verhältnis der Quantität der Materie und ihrer Geschwindigkeit gemessen werden; denn die chemische Bewegung, als solche, muß bezogen werden auf eine bestimmte Qualität als Produkt dieser Bewegung. Sie ist daher eine zwar kontinuierlich-wachsende, aber doch nur intensive Größe.

In der mechanischen Bewegung wird der Körper betrachtet, insofern er sich in Masse bewegt. Indem er sich in bezug auf andere Körper bewegt, ist er, in bezug auf sich selbst, in Ruhe (die Bewegung ist in bezug auf seine Teile absolute Bewegung). Er ist also jetzt Materie innerhalb bestimmter Grenzen und kann (bei gleicher Geschwindigkeit), der Quantität der Bewegung nach, mit jeder andern verglichen werden. Ganz anders ist es mit der chemischen Bewegung, als solcher. Denn da ist die Materie nicht innerhalb bestimmter Grenzen, der Körper ist[432] im Werden, und das Resultat der chemischen Bewegung selbst erst ist ein bestimmter erfüllter Raum.

Ferner: jede Bewegung ist nur relativ vorstellbar, und insofern auch (nach phoronomischen Grundsätzen) konstruierbar. Wenn man fragt, ob chemische Bewegung, als solche, konstruiert werden könne, so heißt dies so viel: ob die chemischen Bewegungen, wechselsweise aufeinander (nicht etwa auf einen Körper, der nicht in den chemischen Prozeß fällt) bezogen, konstruiert werden können? Wird die Frage so ausgedrückt, so sieht man sogleich ein, daß sie verneint werden muß – denn chemische Bewegungen, als solche, bestimmen keinen materiellen Raum, auf den ich sie beziehen könnte. Dieser materielle Raum ist selbst erst Resultat der chemischen Bewegung, d.h. er wird nicht phoronomischbeschrieben, sondern dynamisch (durch Wechselwirkung von Kräften) erzeugt.

Nun sind aber Begriffe, die sich auf Grade überhaupt beziehen, wie Qualität, Kraft usw. in gar keiner Anschauung a priori darstellbar.

Nur insofern die in Wechselwirkung gesetzten Kräfte einen Grad haben, sind sie Gegenstände einer Synthesis – zwar, aber nur – in bezug auf den innern Sinn. Alles aber, was der Empfindung entspricht, wird nur als Einheit apprehendiert; das Ganze entsteht nicht durch Zusammensetzung der Teile, sondern umgekehrt, Teile, oder besser Vielheit ist in ihm nur durch Annäherung zum Zero vorstellbar. Jede Konstruktion aber setzt eine Größenerzeugung durch Teile voraus, also ist gar keine Konstruktion der chemischen Bewegung möglich, sie kann überhaupt nur nach dem Gesetz der Stetigkeit, als eine Erzeugung intensiver (nicht extensiver) Größe apprehendiert werden.198[433]

191

A. a. O. Vorrede S. X. [2. ed. Hart. IV, 360; ed. Kirchm. VII, 171.]

192

Man siehe die oft angeführte Schrift S. 96. [2. ed. Hart IV, 425.]

193

Kant (in dem angeführten Werke) hat sich nirgends ausdrücklich über seinen Begriff von Chemie erklärt; aber diese Äußerung (von der Notwendigkeit der Annahme einer chemischen Durchdringung) setzt offenbar den Begriff voraus, daß die chemischen Operationen nur durch dynamische Kräfte, insofern sie in Bewegung gedacht werden, möglich sind. – Denn eine Durchdringung zweier Materien durcheinander ist schlechterdings undenkbar, es sei denn, daß aus beiden durch Wechselwirkung (wechselseitige Beschränkung) der Grundkräfte Eine Materie werde.

194

Z.B. Herr Professor Gren in seinem systematischen Handbuche der gesamten Chemie. Erster Teil. (Halle 1794.) S. 55.

195

So muß man sich ausdrücken, sobald man das Menstruum nicht allein als tätig bei der Auflösung annimmt.

196

In der ersten Auflage Nr. 11, indem das Folgende vorausging:

10. Der Raum, den die Körper in der Auflösung einnehmen, wird in der Regel der mittlere sein, zwischen den beiden Räumen, die sie vor der Auflösung einnahmen.

Dies ist notwendig, sobald die Auflösung vollkommen ist. Wo das Gesetz nicht zutrifft, ist sie es nicht. Zur vollkommenen chemischen Auflösung aber gehört, daß eine vollkommene Durchdringung beider Körper durcheinander (im oben bestimmten Sinne) stattfinde, so daß kein Teil der Auflösung mehr aufgelöst enthalten könnte, als er wirklich enthält (d.h. daß beide Körper durcheinander gesättigt sind).

In der Regel also ist der Raum, den die Auflösung einnimmt, größer, als der Raum, den jeder einzeln, kleiner aber als die Summe der Räume, die beide vor der Auflösung einnahmen.

197

Es ist wichtig, daß man wisse, welche Bedeutung sie durch Kant erhalten haben. Man siehe in der angeführten Schrift das dritte Hauptstück, die Mechanik.

198

Hier folgte in der ersten Auflage als »Schluß und Übergang zu einem folgenden Teil«: »Vom Ursprung der Materie aus der Natur unsrer Anschauung gingen wir aus. Aus Prinzipien a priori erweisen wir, daß sie ein Produkt entgegengesetzter Kräfte sei, und daß die Kräfte erst durch ihre Wechselwirkung den Raum erfüllen. Aus diesen Grundsätzen entwickelte sich die Dynamik. Nach Prinzipien a posteriori bewiesen wir denselben Satz aus Erfahrungen, die nur aus einer Wechselwirkung der Grundkräfte erklärbar sind. Mit diesen Erfahrungen beschäftigt sich die Chemie, oder die angewandte Dynamik. Jetzt erst können wir die Materie als ein Ganzes betrachten, das, insofern seine Grundkräfte in Ruhe sind, Gesetzen quantitativer Anziehung (der Schwere) oder mechanischen Einwirkungen gehorcht. Diese Gesetze sind der Gegenstand der Statik und der Mechanik, zwei Wissenschaften, zu welchen wir jetzt fortgehen«.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907, S. 412-434.
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