Schlußanmerkung und Übergang
zum folgenden Teil

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Der letzte Endzweck aller Betrachtung und Wissenschaft der Natur kann einzig die Erkenntnis der absoluten Einheit sein, welche das Ganze umfaßt, und die sich in der Natur nur von ihrer einen Seite zu erkennen gibt. Diese ist gleichsam ihr Werkzeug, wodurch sie auf ewige Weise das im absoluten Verstande Vorgebildete zur Ausführung und Wirklichkeit bringt. In der Natur ist daher das ganze Absolute erkennbar, obgleich die erscheinende Natur nur sukzessiv und in (für uns) endlosen Entwicklungen gebiert, was in der wahren zumal und auf ewige Weise ist.

Die Wurzel und das Wesen der Natur ist dasjenige, welches die unendliche Möglichkeit aller Dinge mit der Wirklichkeit der besondern verbindet und daher der ewige Trieb und Urgrund aller Zeugung ist. Wenn wir demnach von diesem vollkommensten aller organischen Wesen, welches aller Dinge Möglichkeit und Wirklichkeit zugleich ist, bisher nur die getrennten Seiten, worein es sich, in Licht und Materie, für die Erscheinung verliert, betrachtet haben, so steht uns nun der Zugang zu dem wahren Innern in den Enthüllungen der organischen Natur offen, durch welche wir endlich bis zu der vollkommensten Erkenntnis der göttlichen[438] Natur dringen, in der Vernunft, als der Indifferenz, worin in gleichem Maße und Gewicht alle Dinge als eins liegen, und diese Hülle, in welche der Akt des ewigen Produzierens sich kleidet, selbst in das Wesen der absoluten Idealität aufgelöst erscheint.

Der höchste Genuß der Seele ist, durch die Wissenschaft bis zur Anschauung dieser vollkommensten, alles befriedigenden und in sich fassenden Harmonie gedrungen zu sein, deren Erkenntnis jede andere so weit übertrifft, als das Ganze vortrefflicher ist als der Teil, das Wesen besser als das Einzelne, der Grund der Erkenntnis herrlicher als die Erkenntnisselbst.

(Ende des zweiten Buchs.)[439]


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Das geplante dritte Buch sollte die organische Naturlehre umfassen und in einer wissenschaftlichen Physiologie gipfeln, es erschien jedoch nie. Vgl. S. 102 und 433 sowie die Nachschrift zur Vorrede der ersten Auflage der nun folgenden Schrift von der Weltseele S. 447 N. S.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907.
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Ideen zu einer Philosophie der Natur
Ideen Zu Einer Philosophie Der Natur (1); ALS Einleitung in Das Studium Dieser Wissenschaft. Erster Theil
Ideen zu einer Philosophie der Natur: Buch 1, Buch 2