Dritter Hauptabschnitt.

System der theoretischen Philosophie nach Grundsätzen des transzendentalen Idealismus

Vorerinnerung

[62] 1. Das Selbstbewußtsein, von dem wir ausgehen, ist Ein absoluter Akt, und mit diesem Einen Akt ist nicht nur das Ich selbst mit allen seinen Bestimmungen, sondern, wie es aus dem vorhergehenden Abschnitt hinlänglich deutlich ist, auch alles andere gesetzt, was für das Ich überhaupt gesetzt ist. Unser erstes Geschäft in der theoretischen Philosophie wird also die Deduktion dieses absoluten Akts sein.

Um aber den ganzen Inhalt dieses Akts zu finden, sind wir genötigt, ihn auseinanderzulegen und in mehrere einzelne Akte gleichsam zu zersplittern. Diese einzelnen Akte werden vermittelnde Glieder jener Einen absoluten Synthesis sein.

Aus diesen einzelnen Akten allen zusammengenommen lassen wir sukzessiv, vor unsern Augen gleichsam entstehen, was durch die Eine absolute Synthesis, in der sie alle befaßt sind, zugleich und auf einmal gesetzt ist.

Das Verfahren dieser Deduktion ist folgendes:

Der Akt des Selbstbewußtseins ist ideell und reell zugleich und durchaus. Durch denselben wird, was reell gesetzt ist, unmittelbar auch ideell, und was ideell gesetzt wird, auch reell gesetzt. Diese durchgängige Identität des ideellen und reellen[62] Gesetztseins im Akt des Selbstbewußtseins kann in der Philosophie nur als sukzessiv entstehend vorgestellt werden. Dies geht auf folgende Art zu.

Der Begriff, von dem wir ausgehen, ist der des Ichs, d.h. des Subjekt-Objekts, zu dem wir uns durch absolute Freiheit erheben. Durch jenen Akt nun ist für uns, die wir philosophieren, etwas in das Ich als Objekt, deswegen aber noch nicht in das Ich als Subjekt gesetzt (für das Ich selbst ist in einem und demselben Akt, was reell gesetzt ist, auch ideell gesetzt), unsere Untersuchung wird also so lange fortgehen müssen, bis dasselbe, was für uns in das Ich als Objekt gesetzt ist, auch in das Ich als Subjekt für uns gesetzt ist, d.h. so lange, bis für uns das Bewußtsein unseres Objekts mit dem unsrigen zusammentrifft, also bis das Ich selbst für uns bis zu dem Punkt gekommen ist, von dem wir ausgegangen sind.

Dieses Verfähren ist notwendig gemacht durch unser Objekt und durch unsere Aufgabe, weil wir, was im absoluten Akt des Selbstbewußtseins absolut vereinigt ist – Subjekt und Objekt – zum Behuf des Philosophierens, d.h. um jene Vereinigung vor unsern Augen entstehen zu lassen, beständig auseinanderhalten müssen.

2. Die Untersuchung wird sich dem Vorhergehenden zufolge in zwei Abschnitte teilen. Vorerst werden wir die absolute Synthesis, die im Akt des Selbstbewußtseins enthalten ist, ableiten, hernach die Mittelglieder dieser Synthesis aufsuchen müssen.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 2, Leipzig 1907, S. 62-63.
Lizenz:
Kategorien: