Dritte Epoche.
Von der Reflexion bis zum absoluten Willensakt
I.

[179] In der Reihe der bis jetzt abgeleiteten synthetischen Handlungen war keine anzutreffen, durch welche das Ich unmittelbar zum Bewußtsein seiner eignen Tätigkeit gelangt wäre. Da nun aber der Kreis von synthetischen Handlungen geschlossen, und durch die vorhergehenden Deduktionen völlig erschöpft ist, so kann diejenige Handlung oder die Reihe von Handlungen, durch welche das Bewußtsein des Abgeleiteten in das Ich selbst gesetzt wird, nicht synthetischer, sondern nur analytischer Art sein. Der Standpunkt der Reflexion ist also identisch mit dem Standpunkt der Analysis, es kann also auch von demselben aus keine Handlung im Ich gefunden werden, die nicht schon synthetisch in dasselbe gesetzt wäre. Wie aber das Ich selbst auf den Standpunkt der Reflexion gelange, dies ist weder bis jetzt erklärt, noch kann es vielleicht überhaupt in der theoretischen Philosophie erklärt werden. Dadurch, daß wir jene Handlung, vermöge welcher die Reflexion in das Ich gesetzt wird, auffinden, wird sich der synthetische Faden wieder anknüpfen und von jenem Punkt aus ohne Zweifel ins Unendliche reichen.

Da die Intelligenz, solange sie anschauend ist, mit dem Angeschauten Eins und von demselben gar nicht verschieden ist, so wird sie zu keiner Anschauung ihrer selbst durch die Produkte gelangen können, ehe sie sich selbst von den Produkten abgesondert hat, und da sie selbst nichts anderes als die bestimmte Handlungsweise ist, wodurch das Objekt entsteht, so wird sie zu sich selbst nur dadurch gelangen können, daß sie ihr Handeln als solches absondert von dem, was ihr in diesem Handeln entsteht, oder, was dasselbe ist, vom Produzierten.

Wir können bis jetzt schlechthin nicht wissen, ob ein solches[179] Absondern in der Intelligenz überhaupt möglich sei oder stattfinde; es wird gefragt, was, ein solches vorausgesetzt, in der Intelligenz sein werde.

Jenes Absondern des Handelns vom Produzierten heißt im gewöhnlichen Sprachgebrauch Abstraktion. Als die erste Bedingung der Reflexion erscheint also die Abstraktion. Solange die Intelligenz nichts von ihrem Handeln Verschiedenes ist, ist kein Bewußtsein desselben möglich. Durch die Abstraktion selbst wird sie etwas von ihrem Produzieren Verschiedenes, welches letztere aber eben deswegen jetzt nicht mehr als ein Handeln, sondern nur als ein Produziertes erscheinen kann.

Nun ist aber die Intelligenz, d. h. jenes Handeln, und das Objekt ursprünglich Eines. Das Objekt ist dieses bestimmte, weil die Intelligenz gerade so und nicht anders produziert hat. Mithin wird das Objekt auf der einen und das Handeln der Intelligenz auf der andern Seite, da beide einander erschöpfen und völlig kongruieren, wieder in einem und demselben Bewußtsein zusammenfallen. – Dasjenige, was uns entsteht, wenn wir das Handeln als solches vom Entstandenen absondern, heißt Begriff. Die Frage, wie unsere Begriffe mit den Objekten übereinstimmen, hat also transzendental keinen Sinn, insofern diese Frage eine ursprüngliche Verschiedenheit beider voraussetzt. Das Objekt und sein Begriff, und umgekehrt Begriff und Objekt sind jenseits des Bewußtseins eins und dasselbe, und die Trennung beider entsteht erst gleichzeitig mit dem entstehenden Bewußtsein. Eine Philosophie, die vom Bewußtsein ausgeht, wird daher jene Obereinstimmung nie erklären können, noch ist sie überhaupt zu erklären ohne ursprüngliche Identität, deren Prinzip notwendig jenseits des Bewußtseins liegt.

Im Produzieren selbst, wo das Objekt noch gar nicht als Objekt existiert, ist das Handeln selbst mit dem Entstehenden identisch. Diesen Zustand des Ichs kann man sich durch ähnliche, in welchen kein äußeres Objekt als solches ins Bewußtsein kommt, obgleich das Ich nicht aufhört zu produzieren oder anzuschauen, erläutern. Im Schlafzustand z.B. wird nicht das ursprüngliche Produzieren aufgehoben, es ist die freie Reflexion, die zugleich mit dem Bewußtsein der Individualität unterbrochen[180] wird. Objekt und Anschauung sind völlig ineinander verloren, und eben deswegen ist in der Intelligenz für sie selbst weder das eine noch das andere. Die Intelligenz, wenn sie nicht alles nur für sich selbst wäre, würde in diesem Zustand anschauend sein für eine Intelligenz außer ihr, sie ist es aber nicht für sich selbst, und darum überhaupt nicht. Ein solcher Zustand ist der bis jetzt abgeleitete unseres Objekts.

Solange nicht die Handlung des Produzierens rein und abgesondert vom Produzierten uns zum Objekt wird, existiert alles nur in uns, und ohne jene Trennung würden wir wirklich alles bloß in uns selbst anzuschauen glauben. Denn daß wir die Objekte im Raum anschauen müssen, erklärt noch nicht, daß wir sie außer uns anschauen, denn wir könnten auch den Raum bloß in uns anschauen, und ursprünglich schauen wir ihn wirklich bloß in uns an. Die Intelligenz ist da, wo sie anschaut; wie kommt sie denn nun dazu, die Objekte außer sich anzuschauen? Es ist nicht einzusehen, warum uns nicht die ganze Außenwelt wie unser Organismus vorkommt, in welchem wir überall, wo wir empfinden, unmittelbar gegenwärtig zu sein glauben. So wie wir unsern Organismus, auch nachdem sich die Außendinge von uns getrennt haben, in der Regel gar nicht außer uns anschauen, wenn er nicht durch eine besondere Abstraktion von uns unterschieden wird, so könnten wir auch die Objekte ohne ursprüngliche Abstraktion nicht als von uns verschieden erblicken. Daß sie also von der Seele gleichsam sich ablösen und in den Raum außer uns treten, ist nur durch die Trennung des Begriffs vom Produkt, d.h. des Subjektiven vom Objektiven, überhaupt möglich.

Wenn nun aber Begriff und Objekt ursprünglich so übereinstimmen, daß in keinem von beiden mehr oder weniger ist als im andern, so ist eine Trennung beider schlechthin unbegreiflich, ohne eine besondere Handlung, durch welche sich beide im Bewußtsein entgegengesetzt werden. Eine solche Handlung ist die, welche durch das Wort Urteil sehr expressiv bezeichnet wird, indem durch dasselbe zuerst getrennt wird, was bis jetzt unzertrennlich vereinigt war, der Begriff und die Anschauung. Denn im Urteil wird nicht etwa Begriff mit Begriff, sondern[181] es werden Begriffe mit Anschauungen verglichen. Das Prädikat ist an sich vom Subjekt nicht verschieden, denn es wird ja, eben im Urteil, eine Identität beider gesetzt. Also ist eine Trennung von Subjekt und Prädikat überhaupt nur dadurch möglich, daß jenes die Anschauung, dieses den Begriff repräsentiert. Im Urteil sollen also Begriff und Objekt erst sich entgegengesetzt, dann wieder aufeinander bezogen, und als einander gleich gesetzt werden. Diese Beziehung ist nun aber bloß durch Anschauung möglich. Allein diese Anschauung kann nicht dieselbe sein mit der produktiven, denn sonst wären wir um keinen Schritt weiter, sondern es muß eine bis jetzt uns völlig unbekannte Anschauungsart sein, welche erst abgeleitet zu werden verlangt.

Da durch dieselbe Objekt und Begriff aufeinander bezogen werden sollen, so muß es eine solche sein, welche an den Begriff auf der einen und an das Objekt auf der andern Seite grenzt. Da nun der Begriff die Handlungsweise ist, wodurch das Objekt der Anschauung überhaupt entsteht, also die Regel, nach welcher das Objekt überhaupt konstruiert wird, das Objekt dagegen nicht die Regel, sondern der Ausdruck der Regel selbst ist, so muß eine Handlung gefunden werden, in welcher die Regel selbst als Objekt, oder in welcher umgekehrt das Objekt als Regel der Konstruktion überhaupt angeschaut würde.

Eine solche Anschauung ist der Schematismus, welchen jeder nur aus eigner innerer Erfahrung kennen lernen, und den man, um ihn kenntlich zu machen und die Erfahrung zu leiten, nur beschreiben und von allem andern, was ihm ähnlich ist, absondern kann.

Das Schema muß unterschieden werden sowohl vom Bild als vom Symbol, mit welchem es sehr häufig verwechselt wird. Das Bild ist immer von allen Seiten so bestimmt, daß zur völligen Identität des Bildes mit dem Gegenstand nur der bestimmte Teil des Raumes fehlt, in welchem der letztere sich befindet. Das Schema dagegen ist nicht eine von allen Seiten bestimmte Vorstellung, sondern nur Anschauung der Regel, nach welcher ein bestimmter Gegenstand hervorgebracht werden kann. Es ist Anschauung, also nicht Begriff, denn es ist das, was den Begriff mit dem Gegenstand vermittelt. Es ist aber auch nicht Anschauung[182] des Gegenstandes selbst, sondern nur Anschauung der Regel, nach welcher ein solcher hervorgebracht werden kann.

Am deutlichsten läßt sich, was das Schema sei, durch das Beispiel des mechanischen Künstlers erklären, welcher einen Gegenstand von bestimmter Form einem Begriffe gemäß hervorbringen soll. Was ihm etwa mitgeteilt werden kann, ist der Begriff des Gegenstandes, allein daß ohne irgend ein Vorbild außer ihm unter seinen Händen allmählich die Form entsteht, welche mit dem Begriff verbunden ist, ist ohne eine innerlich, obgleich sinnlich angeschaute Regel, welche ihn in der Hervorbringung leitet, schlechthin unbegreiflich. Diese Regel ist das Schema, in welchem durchaus nichts Individuelles enthalten, und welches ebensowenig ein allgemeiner Begriff ist, nach welchem ein Künstler nichts hervorbringen könnte. Nach diesem Schema wird er erst nur den rohen Entwurf des Ganzen hervorbringen, von da zur Ausbildung der einzelnen Teile gehen, bis allmählich in seiner inneren Anschauung das Schema dem Bild sich annähert, welches ihn wiederum begleitet, bis gleichzeitig mit der vollständig eintretenden Bestimmung des Bildes auch das Kunstwerk selbst vollendet wird.

Das Schema zeigt sich im gemeinsten Verstandesgebrauch als das allgemeine Mittelglied der Anerkennung jedes Gegenstandes als eines bestimmten. Daß ich, sowie ich einen Triangel erblicke, er sei nun von welcher Art er wolle, in demselben Augenblick das Urteil fälle, diese Figur sei ein Triangel, setzt eine Anschauung von einem Triangel überhaupt, der weder stumpf- noch spitz- noch rechtwinklig ist, voraus, und wäre vermöge eines bloßen Begriffs vom Triangel so wenig als vermöge eines bloßen Bilds von demselben möglich; denn da das letztere notwendig ein bestimmtes ist, so wäre die Kongruenz des wirklichen mit dem bloß eingebildeten Triangel, wenn sie auch wäre, eine bloß zufällige, welches zur Formation eines Urteils nicht zulänglich ist.

Es läßt sich aus eben dieser Notwendigkeit des Schematismus schließen, daß der ganze Mechanismus der Sprache auf demselben beruhen wird. Man setze z.B., daß irgend ein mit Schulbegriffen völlig unbekannter Mensch von irgend einer Tierart[183] nur gewisse Exemplarien oder nur einige Rassen kenne, so wird er doch, sobald er ein Individuum einer ihm noch unbekannten Rasse derselben Art sieht, das Urteil fällen, daß es zu dieser Art gehöre; vermöge eines allgemeinen Begriffs kann er dieses nicht; denn woher sollte ihm doch der allgemeine Begriff kommen, da es selbst Naturforschern sehr oft höchst schwer fällt, über allgemeine Begriffe von irgend einer Gattung sich zu vergleichen?

Die Anwendung der Lehre vom ursprünglichen Schematismus auf die Erforschung des Mechanismus der Ursprachen, der ältesten Ansichten der Natur, deren Reste uns in den Mythologien der alten Völker aufbewahrt sind, endlich auf die Kritik der wissenschaftlichen Sprache, deren Ausdrücke fast alle ihren Ursprung aus dem Schematismus verraten, würde das Durchgreifende jener Operation durch alle Geschäfte des menschlichen Geistes am offenbarsten darstellen.

Um alles zu erschöpfen, was sich über die Natur des Schemas sagen läßt, muß noch bemerkt werden, daß es eben dasselbe für Begriffe ist, was das Symbol für Ideen ist. Das Schema bezieht sich daher immer und notwendig auf einen empirischen, entweder wirklichen oder hervorzubringenden Gegenstand. So ist z.B. von jeder organischen Gestalt, wie der menschlichen, nur ein Schema möglich, anstatt daß es z.B. von der Schönheit, von der Ewigkeit usw. nur Symbole gibt. Da nun der ästhetische Künstler nur nach Ideen arbeitet, und doch auf der andern Seite, um das Kunstwerk unter empirischen Bedingungen darzustellen, wieder einer mechanischen Kunst bedarf, so ist offenbar, daß für ihn die Stufenfolge von der Idee bis zum Gegenstand die doppelte von der des mechanischen Künstlers ist.

Nachdem nun der Begriff des Schemas völlig bestimmt ist (es ist nämlich die sinnlich angeschaute Regel der Hervorbringung eines empirischen Gegenstandes), können wir in den Zusammenhang der Untersuchung zurückkehren.

Es sollte erklärt werden, wie das Ich dazu komme, sich selbst als tätig im Produzieren anzuschauen. Diese wurde erklärt aus der Abstraktion; die Handlungsweise, wodurch das Objekt entsteht, mußte vom Entstandenen selbst getrennt werden. Dies[184] geschah durch das Urteil. Aber das Urteil war selbst nicht möglich ohne Schematismus. Denn im Urteil wird eine Anschauung einem Begriff gleich gesetzt; damit dies geschehe, muß etwas sein, was die Vermittlung beider macht, und dies ist allein das Schema.

Nun wird aber die Intelligenz durch jenes Vermögen vom einzelnen Objekt zu abstrahieren, oder, was dasselbe ist, durch das empirische Abstraktionsvermögen, nie dazu gelangen, vom Objekt sich loszureißen; denn eben durch den Schematismus wird Begriff und Objekt wieder vereinigt, also setzt jenes Abstraktionsvermögen in der Intelligenz selbst ein höheres voraus, damit das Resultat derselben ins Bewußtsein gesetzt werde. Soll die empirische Abstraktion überhaupt fixiert werden, so kann es nur durch ein Vermögen geschehen, kraft dessen nicht nur die Handlungsweise, wodurch das bestimmte Objekt, sondern die Handlungsweise, wodurch das Objekt überhaupt entsteht, vom Objekt selbst unterschieden wird.


II.

Es fragt sich nun, um diese höhere Abstraktion genauer zu charakterisieren,

a) was aus dem Anschauen werde, wenn aller Begriff daraus hinweggenommen wird (denn im Objekt ist ursprünglich Anschauung und Begriff vereinigt, nun soll aber von der Handlungsweise überhaupt abstrahiert, also aller Begriff aus dem Objekt hinweggenommen werden).

In jeder Anschauung muß zweierlei unterschieden werden, das Anschauen als solches, oder das Anschauen, insofern es ein Handeln überhaupt ist, und das Bestimmende der Anschauung, was macht, daß die Anschauung Anschauung eines Objekts ist, mit Einem Wort, der Begriff der Anschauung.

Das Objekt ist dieses bestimmte, weil ich auf diese bestimmte Art gehandelt habe, aber diese bestimmte Handlungsweise eben ist der Begriff, das Objekt ist also bestimmt durch den Begriff; mithin geht ursprünglich der Begriff dem Objekt selbst voran, zwar nicht der Zeit, wohl aber dem Rang nach. Der Begriff ist das Bestimmende, das Objekt das Bestimmte.[185]

Also ist der Begriff nicht, wie insgemein vorgegeben wird, das Allgemeine, sondern vielmehr die Regel, das Einschränkende, das Bestimmende der Anschauung, und wenn der Begriff unbestimmt heißen kann, ist er es nur insofern, als er nicht das Bestimmte, sondern das Bestimmende ist. Das Allgemeine ist also das Anschauen, oder Produzieren, und nur dadurch, daß in dieses an sich unbestimmte Anschauen ein Begriff kommt, wird es Anschauung eines Objekts. Die gewöhnliche Erklärung des Ursprungs der Begriffe, wenn sie nicht bloß Erklärung des empirischen Ursprungs von Begriffen sein soll, diejenige nämlich, nach welcher mir dadurch, daß ich von mehreren einzelnen Anschauungen das Bestimmte vertilge, und nur das Allgemeine behalte, der Begriff entstehen soll, läßt sich sehr leicht in ihrer Oberflächlichkeit darstellen. Denn um jene Operation vorzunehmen, muß ich ohne Zweifel jene Anschauungen miteinander vergleichen; aber wie komme ich dazu, ohne schon von einem Begriff geleitet zu sein? Denn woher wissen wir denn, daß jene einzelnen uns gegebenen Objekte derselben Art sind, wenn nicht das erste uns schon zum Begriff geworden ist? Also setzt jenes empirische Verfahren, von mehreren einzelnen das Gemeinschaftliche aufzufassen, schon die Regel es aufzufassen, d.h. den Begriff, und also ein Höheres als jenes empirische Abstraktionsvermögen, selbst schon voraus.

Wir unterscheiden also in der Anschauung das Anschauen selbst, und den Begriff oder das Bestimmende des Anschauens. In der ursprünglichen Anschauung ist beides vereinigt. Soll also durch die höhere Abstraktion, die wir im Gegensatz gegen die empirische die transzendentale nennen wollen, aller Begriff aus der Anschauung hinweggenommen werden, so wird die letztere gleichsam frei, denn alle Beschränktheit kommt in sie nur durch den Begriff. Von demselben entkleidet, wird also das Anschauen ein völlig und in jeder Rücksicht unbestimmtes.

Wird die Anschauung völlig unbestimmt, absolut begrifflos, so bleibt von ihr nichts mehr übrig als das allgemeine Anschauen selbst, welches, wenn es selbst wieder angeschaut wird, der Raum ist.[186]

Der Raum ist das begrifflose Anschauen, also schlechthin kein Begriff, der etwa von den Verhältnissen der Dinge erst abstrahiert wäre; denn obgleich mir der Raum durch Abstraktion entsteht, ist er doch kein abstrakter Begriff, weder in dem Sinn, wie es die Kategorien sind, noch in dem, wie es empirische oder Gattungsbegriffe sind; denn gäbe es einen Gattungsbegriff des Raums, so müßte es mehrere Räume geben, anstatt daß es nur Einen unendlichen Raum gibt, den jede Begrenzung im Raum, d.h. jeder einzelne Raum, schon voraussetzt. Da der Raum durchaus nur ein Anschauen ist, so ist er notwendig auch ein Anschauen ins Unendliche, dergestalt, daß auch der kleinste Teil des Raums noch selbst ein Anschauen, d.h. ein Raum, nicht etwa bloße Grenze ist, worauf allein die unendliche Teilbarkeit des Raums beruht. Daß endlich die Geometrie, welche, obgleich sie alle Beweise lediglich aus der Anschauung, und doch ebenso allgemein als aus Begriffen führt, ganz allein dieser Eigenschaft des Raums ihr Dasein verdanke, ist so allgemein anerkannt, daß es hier keiner weiteren Ausführung bedarf.

b) Was wird aus dem Begriff, wenn alle Anschauung aus ihm hinweggenommen ist?

Indem der ursprüngliche Schematismus durch transzendentale Abstraktion sich aufhebt, muß, wenn an dem einen Pol die begrifflose Anschauung entsteht, gleichzeitig am andern der anschauungslose Begriff entstehen. Wenn die Kategorien, so wie sie in der vorhergehenden Epoche abgeleitet sind, bestimmte Anschauungsarten der Intelligenz sind, so muß, wenn sie von der Anschauung entkleidet werden, die bloße reine Bestimmtheit zurückbleiben. Diese ist es, welche durch den logischen Begriff bezeichnet wird. Wenn also ein Philosoph ursprünglich nur auf dem Standpunkt der Reflexion oder Analysis steht, so wird er auch die Kategorien bloß als lediglich formelle Begriffe, also auch bloß aus der Logik, deduzieren können. Aber abgesehen davon, daß die verschiedenen Funktionen des Urteils in der Logik selbst noch einer Ableitung bedürfen, und daß, weit entfernt, daß die Transzendental-Philosophie ein Abstraktum der Logik ist, diese vielmehr von jener abstrahiert werden muß, so[187] ist es doch bloße Täuschung, zu glauben, daß die Kategorien, nachdem sie von dem Schematismus der Anschauung getrennt sind, noch als reelle Begriffe zurückbleiben, da sie, von der Anschauung entkleidet, bloß logische Begriffe, mit derselben verbunden, aber nicht mehr bloße Begriffe, sondern wirkliche Anschauungsformen sind. Die Unzulänglichkeit einer solchen Ableitung wird sich noch durch andere Mängel verraten, z.B. daß sie den Mechanismus der Kategorien, den besondern sowohl als den allgemeinen, obgleich er sichtbar genug ist, nicht enthüllen kann. So ist es allerdings eine auffallende Eigenheit der sogenannten dynamischen Kategorien, daß jede derselben ihr Korrelatum hat, indes dies bei den sogenannten mathematischen nicht der Fall ist, welche Eigenheit aber sehr leicht erklärbar ist, sobald man weiß, daß in den dynamischen Kategorien innerer und äußerer Sinn noch ungetrennt ist, indes von den mathematischen die eine nur dem inneren, die andere nur dem äußeren Sinn angehört. Ebenso, daß überall, und in jeder Klasse drei Kategorien sind, wovon die beiden ersten sich entgegengesetzt, die dritte aber die Synthesis von beiden ist, beweist, daß der allgemeine Mechanismus der Kategorien auf einem höheren Gegensatz beruht, der von dem Standpunkt der Reflexion aus nicht mehr erblickt wird, für welchen es also einen höheren weiter zurückliegenden geben muß. Da ferner dieser Gegensatz durch alle Kategorien hindurchgeht, und es Ein Typus ist, der allen zugrunde liegt, so gibt es ohne Zweifel auch nur Eine Kategorie, und da wir aus dem ursprünglichen Mechanismus der Anschauung nur die Eine der Relation ableiten konnten, so ist zu erwarten, daß diese jene Eine ursprüngliche sei, welches durch die nähere Ansicht sich wirklich bestätigt. Wenn bewiesen werden kann, daß vor oder jenseits der Reflexion das Objekt gar nicht durch die mathematischen Kategorien bestimmt sei, daß vielmehr durch dieselben nur das Subjekt, sei es insofern es anschauend oder insofern es empfindend ist, bestimmt sei, so wie z.B. das Objekt doch wohl nicht an sich, sondern nur in bezug auf das zugleich anschauende und reflektierende Subjekt Eines ist; wenn dagegen bewiesen werden kann, daß das Objekt schon in der ersten Anschauung, und ohne daß eine Reflexion sich[188] darauf richtet, als Substanz und Akzidens bestimmt sein muß: so folgt daraus doch wohl, daß die mathematischen Kategorien den dynamischen überhaupt untergeordnet sein, oder daß diese jenen vorangehen, die letzteren also eben deswegen nur getrennt vorstellen können, was jene als vereint vorstellen, weil die nur auf dem Standpunkt der Reflexion entstehende Kategorie, solange nicht auch hier wieder eine Entgegensetzung des äußeren und inneren Sinns vorgegangen ist, welches in den Kategorien der Modalität geschieht, auch nur entweder dem inneren oder äußeren Sinn angehören, und also auch kein Korrelat haben kann. Kürzer möchte der Beweis sich dadurch führen lassen, daß im ursprünglichen Mechanismus des Anschauens die beiden ersten Kategorien nur durch die dritte vorkommen, die dritte der mathematischen aber die Wechselwirkung immer schon voraussetzt, indem z.B. weder eine Allheit von Objekten denkbar ist ohne eine allgemeine wechselseitige Voraussetzung der Objekte durcheinander, noch auch eine Limitation des einzelnen Objekts, ohne die Objekte wechselseitig durcheinander limitiert, d.h. in allgemeiner Wechselwirkung zu denken. Es bleiben also von den vier Klassen der Kategorien nur die dynamischen als ursprünglich zurück, und wenn ferner gezeigt werden kann, daß auch die der Modalität nicht in demselben Sinne, d.h. ebenso ursprünglich, Kategorien sein können, wie die der Relation, so bleiben als die einzigen Grundkategorien nur die letzteren zurück. Nun kommt aber wirklich im ursprünglichen Mechanismus der Anschauung kein Objekt als möglich oder unmöglich vor, so wie jedes als Substanz und Akzidenz vorkommt. Als möglich, als wirklich und notwendig erscheinen die Objekte erst durch den höchsten Reflexionsakt, der bis jetzt noch gar nicht einmal abgeleitet ist. Sie drücken eine bloße Beziehung des Objekts auf das gesammte Erkenntnisvermögen (inneren und äußeren Sinn) aus, dergestalt, daß weder durch den Begriff der Möglichkeit, noch selbst durch den der Wirklichkeit in den Gegenstand selbst irgend eine Bestimmung gesetzt wird. Jene Beziehung des Objekts auf das gesamte Erkenntnisvermögen ist aber doch ohne Zweifel erst dann möglich, wenn sich das Ich vom Objekt, d.h. von seiner ideellen zugleich und reellen Tätigkeit völlig losgerissen hat, d.h.[189] also nur durch den höchsten Reflexionsakt. In bezug auf denselben können die Kategorien der Modalität alsdann wieder ebenso die höchsten heißen, wie die der Relation in bezug auf die Synthesis der produktiven Anschauung, woraus aber eben offenbar wird, daß sie keine ursprünglich in der ersten Anschauung vorkommende Kategorien sind.


III.

Die transzendentale Abstraktion ist Bedingung des Urteils, aber nicht das Urteil selbst. Sie erklärt nur, wie die Intelligenz dazu kommt, Objekt und Begriff zu trennen, nicht aber, wie sie beide im Urteil wieder vereinigt. Wie der an sich völlig anschauungslose Begriff mit der an sich völlig begrifflosen Anschauung des Raums sich zum Objekt wieder verbinde, ist ohne ein Vermittelndes nicht denkbar. Aber was den Begriff und die Anschauung überhaupt vermittelt, ist das Schema. Also wird auch die transzendentale Abstraktion wieder aufgehoben werden durch einen Schematismus, den wir zum Unterschied gegen den früher abgeleiteten den transzendentalen nennen werden.

Das empirische Schema wurde erklärt als die sinnlich angeschaute Regel, wonach ein Gegenstand empirisch hervorgebracht werden kann. Das transzendentale also wird die sinnliche Anschauung der Regel sein, nach welcher ein Objekt überhaupt, oder transzendental hervorgebracht werden kann. Insofern nun das Schema eine Regel enthält, insofern ist es nur Objekt einer inneren Anschauung, insofern es Regel der Konstruktion eines Objekts ist, muß es doch äußerlich als ein im Raum Verzeichnetes angeschaut werden. Das Schema ist also überhaupt ein Vermittelndes des inneren und äußeren Sinns. Man wird also das transzendentale Schema als dasjenige erklären müssen, was am ursprünglichsten inneren und äußeren Sinn vermittelt.

Aber das Ursprünglichste, was inneren und äußeren Sinn vermittelt, ist die Zeit, nicht insofern sie bloß innerer Sinn, d.h. absolute Grenze, ist, sondern insofern sie selbst wieder zum Objekt der äußeren Anschauung wird, also die Zeit, insofern sie Linie, d.h. nach Einer Richtung ausgedehnte Größe ist.[190]

Wir verweilen bei diesem Punkt, um den eigentlichen Charakter der Zeit genauer zu bestimmen.

Die Zeit ist vom Standpunkt der Reflexion angesehen ursprünglich nur eine Anschauungsform des inneren Sinns, da sie nur in Ansehung der Sukzession unserer Vorstellungen statthat, welche von diesem Standpunkt aus bloß in uns ist, anstatt daß wir das Zugleichsein der Substanzen, was Bedingung des inneren und äußeren Sinns ist, nur außer uns anschauen können. Dagegen ist vom Standpunkt der Anschauung aus die Zeit ursprünglich schon äußere Anschauung, weil nämlich auf demselben zwischen Vorstellungen und Gegenständen kein Unterschied ist. Wenn also für die Reflexion die Zeit nur innere Anschauungsform ist, so ist sie für die Anschauung beides zugleich. Aus dieser Eigenschaft der Zeit läßt sich unter anderem einsehen, warum sie, indes der Raum nur Substrat der Geometrie ist, Substrat der gesamten Mathematik ist, und warum selbst alle Geometrie auf Analysis zurückgeführt werden kann; eben daraus erklärt sich das Verhältnis zwischen der geometrischen Methode der Alten und der analytischen der Neueren, durch welche, obgleich beide sich entgegengesetzt sind, doch ganz dasselbe zustande gebracht wird.

Nur auf jener Eigenschaft der Zeit, dem äußeren und dem inneren Sinn zugleich anzugehören, beruht es, daß sie das allgemeine Vermittlungsglied des Begriffs und der Anschauung, oder das transzendentale Schema ist. Da die Kategorien ursprünglich Anschauungsarten, also nicht vom Schematismus getrennt sind, welches erst durch die transzendentale Abstraktion geschieht, so erhellt daraus

1. daß die Zeit ursprünglich schon in die produktive Anschauung oder die Konstruktion des Objekts mit eingeht, wie es auch in der vorhergehenden Epoche bewiesen worden;

2. daß aus diesem Verhältnis der Zeit zu den reinen Begriffen auf der einen und der reinen Anschauung oder dem Raum auf der andern Seite der ganze Mechanismus der Kategorien sich ableiten lassen muß;

3. daß, wenn durch die transzendentale Abstraktion der ursprüngliche[191] Schematismus aufgehoben ist, auch von der ursprünglichen Konstruktion des Objekts eine völlig veränderte Ansicht entstehen muß, welche, da eben jene Abstraktion Bedingung alles Bewußtseins ist, auch diejenige sein wird, welche allein ins Bewußtsein kommen kann. Also verliert die produktive Anschauung durch das Medium selbst, durch welches sie hindurchgehen muß, um zum Bewußtsein zu gelangen, ihren Charakter.

Zur Erläuterung des letzten Punkts mögen einige Beispiele dienen.

In jeder Veränderung findet ein Übergang von einem Zustand in seinen kontradiktorisch entgegengesetzten statt, z.B. wenn ein Körper aus der Bewegung nach der Richtung A in eine nach der Richtung – A übergeht. Diese Verbindung kontradiktorisch entgegengesetzter Zustände ist in der mit sich selbst identischen und stets nach Identität des Bewußtseins strebenden Intelligenz nur durch den Schematismus der Zeit möglich. Die Anschauung produziert die Zeit als stetig im Übergang von A zu – A, um den Widerspruch zwischen Entgegengesetzten zu vermitteln. Durch die Abstraktion wird der Schematismus und mit ihm die Zeit aufgehoben. – Es ist ein bekanntes Sophisma der alten Sophisten, wodurch sie die Möglichkeit einer mitgeteilten Bewegung bestreiten. Nehmt, sagen sie, den letzten Moment der Ruhe eines Körpers und den ersten seiner Bewegung, zwischen beiden ist kein Mittleres. (Dies ist auch völlig wahr vom Standpunkt der Reflexion aus). Soll also ein Körper in Bewegung gesetzt werden, so geschieht es entweder im letzten Moment seiner Ruhe, oder im ersten seiner Bewegung, aber jenes ist nicht möglich, weil er noch ruht, dieses nicht, weil er schon in Bewegung ist. Dieses Sophisma, welches ursprünglich durch die produktive Anschauung gelöst ist, für die Reflexion aufzulösen, sind die Kunstgriffe der Mechanik ersonnen, welche, da sie den Übergang eines Körpers z.B. von Ruhe in Bewegung, d.h. die Verbindung kontradiktorisch entgegengesetzter Zustände, nur als durch eine Unendlichkeit vermittelt denken kann, während für sie doch die produktive Anschauung aufgehoben ist, welche letztere allein ein Unendliches im Endlichen, d.h. eine Größe, darstellen kann, in welcher, obgleich sie selbst endlich ist, doch kein unendlich kleiner Teil[192] möglich ist, sich genötigt sieht, zwischen jene beiden Zustände eine Unendlichkeit außereinander befindlicher Zeitteile, deren jeder unendlich klein ist, einzuschalten. Da nun aber jener Übergang, z.B. von einer Richtung in die entgegengesetzte, doch in endlicher Zeit, obgleich durch unendliche Vermittlung, welches ursprünglich aber nur vermöge der Kontinuität möglich ist, geschehen soll, so kann auch die Bewegung, welche dem Körper in einem Moment mitgeteilt wird, nur Sollizitation sein, weil sonst in endlicher Zeit eine unendliche Geschwindigkeit entstünde. Alle diese eigentümlichen Begriffe sind allein durch die Aufhebung des ursprünglichen Schematismus der Anschauung notwendig gemacht. Was aber die Bewegung überhaupt betrifft, so ist, weil zwischen je zwei Punkten einer Linie unendlich viele andere gedacht werden müssen, eine Konstruktion derselben vom Standpunkt der Reflexion aus schlechthin unmöglich, weshalb auch die Geometrie die Linie postuliert, d.h. fordert, daß sie jeder in produktiver Anschauung selbst hervorbringe, was sie gewiß nicht tun würde, wenn sich das Entstehen einer Linie durch Begriffe mitteilen ließe.

Aus der Eigenschaft der Zeit, transzendentales Schema zu sein, erhellt von selbst, daß sie kein bloßer Begriff ist, weder ein solcher, der empirisch, noch ein solcher, der transzendental abstrahiert wäre. Denn alles, wovon die Zeit abstrahiert sein könnte, setzt sie selbst schon als Bedingung voraus. Wäre sie aber eine transzendentale Abstraktion gleich den Verstandesbegriffen, so müßte es, ebenso, wie es z.B. mehrere Substanzen gibt, auch mehrere Zeiten geben, allein die Zeit ist nur Eine; was man verschiedene Zeiten nennt, sind nur verschiedene Einschränkungen der absoluten Zeit. Darum läßt sich auch kein Axiom der Zeit, z.B. daß zwei Zeiten nicht auseinander oder zugleich sein können, oder irgend ein Satz der Arithmetik, welche ganz auf der Zeitform beruht, aus bloßen Begriffen demonstrieren.

Nachdem wir nun den transzendentalen Schematismus abgeleitet, sehen wir uns auch in den Stand gesetzt, den ganzen Mechanismus der Kategorien vollständig auseinander zu legen.

Die erste, allen übrigen zugrunde liegende Kategorie, die[193] einzige, durch welche das Objekt in der Produktion schon bestimmt ist, ist, wie wir wissen, die der Relation, welche, da sie die einzige Kategorie der Anschauung ist, allein den äußeren und inneren Sinn noch als vereinigt vorstellen wird.

Die erste Kategorie der Relation, Substanz und Akzidens, bezeichnet die erste Synthesis des inneren und äußeren Sinns. Wird nun aber von dem Begriff der Substanz sowohl als dem des Akzidens der transzendentale Schematismus hinweggenommen, so bleibt nichts zurück als der bloß logische Begriff des Subjekts und des Prädikats. Nimmt man dagegen allen Begriff aus beiden weg, so bleibt die Substanz nur als reine Extensität, oder als Raum, das Akzidens nur als absolute Grenze, oder als Zeit, insofern sie bloß innerer Sinn und vom Raum völlig unabhängig ist, zurück. Wie nun aber der an sich völlig anschauungslose Begriff des logischen Subjekts, oder der gleichfalls anschauungslose Begriff des logischen Prädikats, jener zur Substanz, dieser zum Akzidens werde, ist nur zu erklären dadurch, daß die Bestimmung der Zeit zu beiden hinzukommt.

Aber diese kommt eben erst durch die zweite Kategorie hinzu, denn erst durch die zweite (nach unsrer Ableitung die Anschauung der ersten) wird das, was in der ersten innerer Sinn ist, für das Ich zur Zeit. Also ist die erste Kategorie überhaupt nur anschaubar durch die zweite, wie zu seiner Zeit bewiesen worden ist; der Grund davon, der sich hier zeigt, ist, daß erst durch die zweite das transzendentale Schema der Zeit hinzukommt.

Die Substanz ist als solche anzuschauen nur dadurch, daß sie angeschaut wird als beharrend in der Zeit, aber sie kann nicht angeschaut werden als beharrend, ohne daß die Zeit, welche bisher nur die absolute Grenze bezeichnete, verfließe (nach Einer Dimension sich ausdehne), welches eben nur durch die Sukzession des Kausalzusammenhangs geschieht. Aber hinwiederum auch, daß irgend eine Sukzession in der Zeit stattfindet, ist nur anzuschauen im Gegensatz gegen etwas in ihr, oder, weil die im Verfließen angehaltene Zeit = Raum ist, im Raum Beharrendes, welches eben die Substanz ist. Also sind diese beiden Kategorien[194] nur wechselseitig durcheinander, d.h. sie sind nur in einer dritten möglich, welches die Wechselwirkung ist.

Aus dieser Ableitung lassen sich von selbst folgende zwei Sätze abstrahieren, aus welchen der Mechanismus aller übrigen Kategorien begreiflich ist:

1. der Gegensatz, welcher zwischen den beiden ersten Kategorien stattfindet, ist derselbe, welcher ursprünglich zwischen Raum und Zeit stattfindet;

2. die zweite Kategorie in jeder Klasse ist nur darum notwendig, weil sie das transzendentale Schema zu der ersten hinzubringt. –

Nicht um etwas zu antizipieren, was noch nicht abgeleitet ist, sondern um diese beiden Sätze durch weitere Ausführung deutlicher zu machen, zeigen wir die Anwendung davon auf die sogenannten mathematischen Kategorien, obgleich diese noch nicht als solche abgeleitet sind.

Wir haben bereits angedeutet, daß dieselben keine Kategorien der Anschauung seien, indem sie bloß auf dem Standpunkt der Reflexion entstehen. Aber eben zugleich mit der Reflexion wird die Einheit zwischen äußerem und innerem Sinn aufgehoben, und dadurch die Eine Grundkategorie der Relation in zwei entgegengesetzte getrennt, deren erste nur das bezeichnet, was am Objekt dem äußeren Sinn angehört, indes die andere nur das ausdrückt, was am Objekt dem äußerlich angeschauten inneren angehört.

Wird nun, um von der ersteren anzufangen, von der Kategorie der Einheit, welches die erste in der Klasse der Quantität ist, alle Anschauung hinweggenommen, so bleibt nur die logische Einheit zurück. Soll diese mit der Anschauung verbunden werden, so muß die Bestimmung der Zeit hinzukommen. Nun ist aber Große mit Zeit verbunden Zahl. Also kommt eben erst durch die zweite Kategorie (der Vielheit) die Bestimmung der Zeit hinzu. Denn erst mit der gegebenen Vielheit fängt das Zählen an. Ich zähle nicht, wo nur Eines ist. Die Einheit wird erst durch die Mehrheit zur Zahl. (Daß Zeit und Vielheit erst miteinander kommen, ist auch daraus zu ersehen, daß erst durch die zweite Kategorie der Relation, eben diejenige, durch welche[195] dem Ich zuerst die Zeit in der äußeren Anschauung entsteht, eine Mehrheit von Objekten bestimmt ist. Selbst in der willkürlichen Sukzession der Vorstellungen entsteht mir eine Mehrheit von Objekten nur dadurch, daß ich eins nach dem andern, d.h. dadurch, daß ich sie überhaupt nur in der Zeit auffasse. In der Zahlenreihe wird 1 nur durch die Mehrheit zur Einheit, d.h. zum Ausdruck der Endlichkeit überhaupt. Dies läßt sich so beweisen. Ist 1 eine endliche Zahl, so muß es für sie einen möglichen Teiler geben, aber 1/1 = 1, also ist 1 teilbar nur durch 2, 3 usw., d.h. durch die Vielheit überhaupt; ohne dieselbe ist es 1/0, d.h. das Unendliche).

Aber ebensowenig als die Einheit ohne Vielheit anschaulich ist, ist es Vielheit ohne Einheit, also setzen beide sich wechselseitig voraus, d.h. sie sind beide nur durch eine dritte gemeinschaftliche möglich.

Derselbe Mechanismus nun zeigt sich in den Kategorien der Qualität. Nehme ich von der Realität die Anschauung des Raums hinweg, welches durch transzendentale Abstraktion geschieht, so bleibt mir nichts zurück als der bloß logische Begriff der Position überhaupt. Verbinde ich diesen Begriff wieder mit der Anschauung des Raums, so entsteht mir die Raumerfüllung, welche aber nicht anzuschauen ist ohne einen Grad, d.h. ohne eine Größe in der Zeit zu haben. Aber der Grad, d.h. die Bestimmung durch die Zeit, kommt eben erst durch die zweite Kategorie, die der Negation, hinzu. Also ist die zweite hier abermals nur notwendig, weil die erste nur durch sie anschaulich wird, oder weil sie zu jener das transzendentale Schema hinzubringt.

Deutlicher vielleicht so. Denke ich mir das Reelle an den Objekten als uneingeschränkt, so wird es sich ins Unendliche ausbreiten, und da bewiesenermaßen die Intensität im umgekehrten Verhältnis mit der Extensität steht, so bleibt nichts zurück als unendliche Extensität mit Mangel aller Intensität, d.h. der absolute Raum. Denkt man sich dagegen die Negation als das Uneingeschränkte, so bleibt nichts zurück als die unendliche Intensität ohne Extensität, d.h. der Punkt, oder der innere Sinn, insofern er bloß innerer Sinn ist. Nehme ich also von der ersten Kategorie[196] die zweite hinweg, so bleibt mir der absolute Raum, nehme ich von der zweiten die erste, so bleibt mir die absolute Zeit (d.h. die Zeit bloß als innerer Sinn).

In der ursprünglichen Anschauung nun entsteht uns weder Begriff, noch Raum, noch Zeit, allein und abgesondert, sondern alles zugleich. Ebenso wie unser Objekt das Ich diese drei Bestimmungen bewußtlos und von selbst zum Objekt verbindet, ebenso ist es auch uns in der Deduktion der produktiven Anschauung ergangen. Durch die transzendentale Abstraktion, welche eben in dem Aufheben jenes Dritten, was die Anschauung bindet, besteht, konnten uns als Bestandteil derselben nur der anschauungslose Begriff und die begrifflose Anschauung zurückbleiben. Von diesem Standpunkt aus kann die Frage, wie das Objekt möglich sei, nur so ausgedrückt werden: wie ganz anschauungslose Begriffe, die wir als Begriffe a priori in uns finden, so unauflöslich mit der Anschauung verknüpft werden, oder in sie übergehen können, daß sie vom Objekt schlechterdings unzertrennlich sind. Da nun dieser Obergang nur durch den Schematismus der Zeit möglich ist, so schließen wir, daß auch die Zeit schon in jene ursprüngliche Synthesis mit eingehen mußte. So verändert sich völlig die Ordnung der Konstruktion, die wir in der vorhergehenden Epoche befolgt haben, indes doch die transzendentale Abstraktion allein uns dahin bringt, den Mechanismus der ursprünglichen Synthesis mit deutlichem Bewußtsein auseinander zu legen.


IV.

Die transzendentale Abstraktion wurde postuliert als Bedingung der empirischen, diese als Bedingung des Urteils. Jedem Urteil, auch dem gemeinsten, liegt also jene Abstraktion zugrunde, und das transzendentale Abstraktionsvermögen, oder das Vermögen der Begriffe a priori, ist in jeder Intelligenz so notwendig als das Selbstbewußtsein selbst.

Aber die Bedingung kommt vor dem Bedingten nicht zum Bewußtsein, und die transzendentale Abstraktion verliert sich im Urteil, oder in der empirischen, welche zugleich mit ihrem Resultat durch sie ins Bewußtsein erhoben wird.[197]

Wie nun auch die transzendentale Abstraktion nebst ihrem Resultat wieder ins Bewußtsein gesetzt werde, dies wird, da wir wissen können, daß im gemeinen Bewußtsein weder von jener noch von diesem notwendig etwas vorkommt, und daß es, wenn etwas davon vorkommt, schlechthin zufällig ist, zum voraus zu vermuten, nur durch eine Handlung möglich sein, welche in bezug auf das gemeine Bewußtsein nicht mehr notwendig sein kann (denn sonst müßte sich auch das Resultat derselben immer und notwendig in ihm vorfinden), welche daher eine Handlung sein muß, die aus keiner andern in der Intelligenz selbst (sondern etwa aus einer Handlung außer ihr) erfolgt, die also für die Intelligenz selbst eine absolute ist. Bis zum Bewußtsein der empirischen Abstraktion und des aus ihr Resultierenden möchte das gemeine Bewußtsein reichen; denn dafür ist noch durch die transzendentale Abstraktion gesorgt, welche aber, vielleicht eben deswegen, weil durch sie alles, was im empirischen Bewußtsein überhaupt vorkommt, gesetzt ist, selbst nicht mehr notwendig, und wenn sie dazu gelangt, nur zufälligerweise zum Bewußtsein gelangen wird.

Nun ist aber offenbar, daß das Ich erst dadurch, daß es auch der transzendentalen Abstraktion sich bewußt wird, sich für sich selbst absolut über das Objekt erheben könnte (denn durch die empirische Abstraktion reißt es sich nur vom bestimmten Objekt los), und daß es nur, indem es sich über alles Objekt erhebt, sich selbst als Intelligenz erkennen könne. Da nun aber diese Handlung, welche eine absolute Abstraktion ist, eben deswegen, weil sie absolut ist, aus keiner andern in der Intelligenz mehr erklärbar ist, so reißt hier die Kette der theoretischen Philosophie ab; und es bleibt in Ansehung derselben nur die absolute Forderung übrig: es soll eine solche Handlung in der Intelligenz vorkommen, aber eben damit schreitet die theoretische Philosophie über ihre Grenze, und tritt ins Gebiet der praktischen, welche allein durch kategorische Forderungen setzt.

Ob und wie diese Handlung möglich sei, diese Frage fällt nicht mehr in die Sphäre der theoretischen Untersuchung, aber Eine Frage hat sie noch zu beantworten. – Hypothetisch angenommen,[198] daß eine solche Handlung in der Intelligenz sei, wie wird sie sich selbst, und wie wird sie die Welt der Objekte finden? Ohne Zweifel entsteht ihr durch diese Handlung eben das, was schon durch die transzendentale Abstraktion für uns gesetzt war, und so bringen wir, dadurch, daß wir einen Schritt in die praktische Philosophie tun, unser Objekt vollends auf den Punkt, den wir verlassen, indem wir in die praktische übergehen.

Die Intelligenz erhebt sich durch eine absolute Handlung über alles Objektive. Es würde für sie in dieser Handlung alles Objektive verschwinden, wenn nicht die ursprüngliche Beschränktheit fortdauerte, aber diese muß fortdauern; denn soll die Abstraktion geschehen, so kann das, wovon abstrahiert wird, nicht aufhören. Da nun die Intelligenz in der abstrahierenden Tätigkeit sich absolut frei, und doch zugleich durch die ursprüngliche Beschränktheit, gleichsam die intellektuelle Schwere, zurückgezogen fühlt in die Anschauung, so wird sie eben erst in dieser Handlung für sich selbst als Intelligenz, also nicht mehr bloß als reelle Tätigkeit, wie in der Empfindung, noch bloß als ideelle, wie in der produktiven Anschauung, sondern als beides zugleich, begrenzt, d.h. Objekt. Sie erscheint sich als begrenzt durch die produktive Anschauung. Aber die Anschauung als Akt ist untergegangen im Bewußtsein, und nur das Produkt ist geblieben. Sie erkennt sich als begrenzt durch produktive Anschauung, heißt also ebensoviel als: sie erkennt sich als begrenzt durch die objektive Welt. Hier zuerst also stehen die objektive Welt und die Intelligenz im Bewußtsein selbst einander gegenüber, ebenso wie wir es im Bewußtsein durch die erste philosophische Abstraktion finden.

Die Intelligenz kann nun die transzendentale Abstraktion fixieren, welches aber schon durch Freiheit, und zwar durch eine besondere Richtung der Freiheit geschieht. Daraus erklärt sich, warum Begriffe a priori nicht in jedem Bewußtsein, und warum sie in keinem immer und notwendig vorkommen. Sie können vorkommen, aber sie müssen nicht vorkommen.

Da durch die transzendentale Abstraktion alles sich trennt, was in der ursprünglichen Synthesis der Anschauung vereinigt[199] war, so wird dies alles, obgleich immer durch Freiheit, der Intelligenz als getrennt zum Objekt werden, z.B. die Zeit, abgesondert vom Raum und vom Objekt, der Raum als Form des Zugleichseins, die Objekte, wie wechselseitig eins dem andern seine Stelle im Raum bestimmt, wobei aber die Intelligenz sich völlig frei findet in Ansehung des Objekts, von welchem die Bestimmung ausgeht.

Im allgemeinen aber richtet sich ihre Reflexion entweder auf das Objekt, wodurch ihr die bereits abgeleitete Kategorie der Anschauung oder der Relation entsteht.

Oder sie reflektiert auf sich selbst. Ist sie zugleich reflektierend und anschauend, so entsteht ihr die Kategorie der Quantität, welche mit dem Schema verbunden Zahl ist, die aber eben deswegen keine ursprüngliche ist.

Ist sie zugleich reflektierend und empfindend, oder reflektiert sie auf den Grad, in welchem ihr die Zeit erfüllt ist, so entsteht ihr die Kategorie der Qualität.

Oder endlich durch den höchsten Reflexionsakt reflektiert sie zugleich auf das Objekt und auf sich, insofern sie zugleich ideelle und reelle Tätigkeit ist. Reflektiert sie zugleich auf das Objekt und auf sich als reelle (freie) Tätigkeit, so entsteht ihr die Kategorie der Möglichkeit. Reflektiert sie zugleich auf das Objekt und auf sich als ideelle (begrenzte) Tätigkeit, so entsteht ihr dadurch die Kategorie der Wirklichkeit.

Auch hier wieder kommt erst durch die zweite Kategorie die Bestimmung der Zeit zu der ersten hinzu. Denn die Begrenztheit der ideellen Tätigkeit besteht nach dem in der vorhergehenden Epoche Abgeleiteten eben darin, daß sie das Objekt als gegenwärtig erkennt. Wirklich also ist ein Objekt, das in einem bestimmten Moment der Zeit gesetzt ist, möglich dagegen, was durch die auf die reelle reflektierende Tätigkeit in die Zeit überhaupt gesetzt und gleichsam hingeworfen wird.

Vereinigt die Intelligenz auch noch diesen Widerspruch zwischen reeller und ideeller Tätigkeit, so entsteht ihr der Begriff[200] der Notwendigkeit. Notwendig ist, was in aller Zeit gesetzt ist; alle Zeit aber ist die Synthesis für die Zeit überhaupt und für bestimmte Zeit, weil, was in alle Zeit gesetzt ist, ebenso bestimmt, wie in die einzelne, und doch ebenso frei, wie in die Zeit überhaupt gesetzt ist.

Die negativen Korrelata der Kategorien dieser Klasse verhalten sich nicht, wie die der Relation, da sie in der Tat nicht Korrelata, sondern kontradiktorisch-Entgegengesetzte der positiven sind. Auch sind sie keine wirklichen Kategorien, d.h. keine Begriffe, wodurch ein Objekt der Anschauung auch nur für die Reflexion bestimmt wäre, sondern vielmehr, wenn die positiven Kategorien dieser Klasse die höchsten für die Reflexion, oder die Syllepsis aller anderen sind, sind dagegen jene (die negativen) das absolut Entgegengesetzte des Ganzen der Kategorien.

Da die Begriffe der Möglichkeit, der Wirklichkeit und der Notwendigkeit durch den höchsten Reflexionsakt entstehen, so sind sie notwendig auch diejenigen, mit welchen das ganze Gewölbe der theoretischen Philosophie sich schließt. Daß aber diese Begriffe schon auf dem Übergang der theoretischen in die praktische Philosophie stehen, werden die Leser teils schon jetzt voraussehen, teils aber deutlicher noch erkennen, wenn wir nun das System der praktischen Philosophie selbst aufstellen.


Allgemeine Anmerkung zur dritten Epoche

Die letzte Untersuchung, welche die ganze theoretische Philosophie schließen muß, ist ohne Zweifel über den Unterschied zwischen Begriffen a priori und a posteriori, welcher wohl schwerlich anders als dadurch, daß man ihren Ursprung in der Intelligenz selbst aufzeigt, deutlich gemacht werden kann. Das Eigentümliche des transzendentalen Idealismus, in Ansehung dieser Lehre, ist eben dies, daß er auch den sogenannten Begriffen a priori ihren Ursprung noch nachweisen kann, welches freilich nur dadurch möglich ist, daß er sich in eine jenseits des gemeinen Bewußtseins liegende Region versetzt, anstatt daß eine auf das[201] letztere sich einschränkende Philosophie diese Begriffe in der Tat nur als vorhanden und gleichsam daliegend vorfinden kann, wodurch sie sich in die unauflöslichen Schwierigkeiten verwickelt, welche den Verteidigern dieser Begriffe von jeher entgegengesetzt worden sind.

Dadurch, daß wir den Ursprung der sogenannten Begriffe a priori jenseits des Bewußtseins versetzen, wohin für uns auch der Ursprung der objektiven Welt fällt, behaupten wir mit derselben Evidenz und dem gleichen Rechte, unsere Erkenntnis sei ursprünglich ganz und durchaus empirisch, und sie sei ganz und durchaus a priori.

Alle unsere Erkenntnis ist ursprünglich empirisch, eben deswegen, weil uns Begriff und Objekt ungetrennt und zugleich entstehen. Denn sollten wir ursprünglich eine Erkenntnis a priori haben, so müßte uns erst der Begriff des Objekts, und dann demselben gemäß das Objekt selbst entstehen, welches allein eine wirkliche Einsicht in das Objekt a priori verstatten würde. Umgekehrt heißt alle diejenige Kenntnis empirisch, welche mir, wie z.B. durch ein physikalisches Experiment, dessen Erfolg ich nicht vorher wissen kann, ganz ohne mein Zutun entsteht. Nun kommt uns aber alle Kenntnis der Objekte ursprünglich so von uns unabhängig, daß wir erst, nachdem es da ist, einen Begriff davon entwerfen, diesen Begriff aber nicht mitteilen können, als selbst wieder mittelst der völlig unwillkürlichen Anschauung. Alle Erkenntnis ist also ursprünglich rein empirisch.

Aber eben deswegen, weil unsere ganze Erkenntnis ursprünglich ganz und durchaus empirisch ist, ist sie ganz und durchaus a priori. Denn wäre sie nicht ganz unsere Produktion, so würde uns entweder unser ganzes Wissen von außen gegeben, was unmöglich ist, weil es in unserem Wissen sonst nichts Notwendiges und Allgemeingültiges gäbe; es bleibt also nichts übrig, als daß uns einiges von außen, anderes aber aus uns selbst komme. Also kann unser Wissen nur dadurch ganz und durchaus empirisch sein, daß es ganz und durchaus aus uns selbst kommt, d.h. ganz und durchaus a priori ist.

Insofern nämlich das Ich alles aus sich produziert, insofern ist alles, nicht etwa nur dieser oder jener Begriff, oder wohl gar[202] nur die Form des Denkens, sondern das ganze Eine und unteilbare Wissen a priori.

Aber insofern wir uns dieses Produzierens nicht bewußt sind, insofern ist in uns nichts a priori, sondern alles a posteriori. Daß wir uns unsrer Erkenntnis als einer solchen, die a priori ist, bewußt werden, dazu gehört, daß wir uns der Handlung des Produzierens überhaupt, abgesondert vom Produzierten, bewußt werden. Aber eben in dieser Operation geht uns, auf die im Vorhergehenden abgeleitete Weise, alles Materielle (alle Anschauung) vom Begriff verloren, und es kann nichts als das rein Formelle zurückbleiben. Insofern gibt es allerdings Begriffe a priori für uns, und zwar rein formelle, aber diese Begriffe sind auch nur, insofern wir begreifen, insofern wir auf jene bestimmte Art abstrahieren, also nicht ohne unser Zutun, sondern durch eine besondere Richtung der Freiheit.

Es gibt also Begriffe a priori, ohne daß es angeborene Begriffe gäbe. Nicht Begriffe, sondern unsere eigne Natur und ihr ganzer Mechanismus ist das uns Angeborene. Diese Natur ist eine bestimmte und handelt auf bestimmte Art, aber völlig bewußtlos, denn sie ist selbst nichts anderes als dieses Handeln; der Begriff dieses Handelns ist nicht in ihr, denn sonst müßte sie ursprünglich etwas von diesem Handeln Verschiedenes sein, und wenn er in sie kommt, so kommt er in sie erst durch ein neues Handeln, das jenes erste sich zum Objekt macht.

Es ist aber mit jener ursprünglichen Identität des Handelns und des Seins, welche wir im Begriff des Ichs denken, nicht nur die Vorstellung von angeborenen Begriffen, welche man durch die Entdeckung, daß in allen Begriffen etwas Tätiges sei, schon längst zu verlassen genötigt war, sondern auch die noch jetzt häufig vorgebrachte, von dem Dasein jener Begriffe als ursprünglicher Anlagen, völlig unmöglich gemacht, da dieselbe einzig auf der Vorstellung des Ichs als eines besonderen, von seinem Handeln verschiedenen Substrats gegründet ist. Denn wer uns sagt, daß er sich kein Handeln ohne Substrat zu denken vermöge; gesteht eben dadurch, daß jenes vermeintliche Substrat des Denkens[203] selbst ein bloßes Produkt seiner Einbildungskraft, also wiederum nur sein eignes Denken sei, das er auf diese Art ins Unendliche zurück als selbständig vorauszusetzen gezwungen ist. Es ist eine bloße Täuschung der Einbildungskraft, daß, nachdem man einem Objekt die einzigen Prädikate, die es hat, hinweggenommen hat, noch etwas, man weiß nicht was, von ihm zurückbleibe. So wird z.B. niemand sagen, die Undurchdringlichkeit sei der Materie eingepflanzt, denn die Undurchdringlichkeit ist die Materie selbst. Warum spricht man denn von Begriffen, die der Intelligenz eingepflanzt seien, da diese Begriffe die Intelligenz selbst sind? – Die Aristoteliker verglichen die Seele mit einer unbeschriebenen Tafel, auf welche die Züge der Außendinge erst eingegraben würden. Aber, wenn die Seele keine unbeschriebene Tafel ist, ist sie denn deswegen etwa eine beschriebene.

Wenn die Begriffe a priori Anlagen in uns sind, so haben wir den äußern Anstoß zur Entwicklung dieser Anlagen obenein. Die Intelligenz ist ein ruhendes Vermögen, auf welches die äußeren Dinge gleichsam als Erregungsursachen der Tätigkeit oder als Reize wirken. Allein die Intelligenz ist kein ruhendes Vermögen, was erst in Tätigkeit versetzt würde, denn sonst müßte sie noch etwas anderes als Tätigkeit, müßte mit einem Produkt verbundene Tätigkeit sein, ungefähr wie es der Organismus, eine schon potenzierte Anschauung der Intelligenz ist. Auch bleiben für jenes Unbekannte, von welchem der Anstoß ausgeht, nachdem man von ihm alle Begriffe a priori hinweggenommen hat, gar keine objektiven Prädikate zurück, man müßte also jenes x etwa in eine Intelligenz setzen, wie Mallebranche, der uns alles in Gott sehen läßt, oder der sinnreiche Berkeley, der das Licht ein Gespräch der Seele mit Gott nennt, welche Ideen aber für ein Zeitalter, das sie nicht einmal versteht, keiner Widerlegung bedürfen.

Wenn also unter Begriffen a priori gewisse ursprüngliche Anlagen des Ichs verstanden werden, so würde man immer noch den Gedanken, alle Begriffe durch äußere Impressionen entstehen zu lassen, mit Recht vorziehen, nicht etwa, als ob sich auch dabei etwas Verständliches denken ließe, sondern weil alsdann wenigstens in unsrer Erkenntnis Einheit und Ganzheit wäre. – Locke,[204] der Hauptverteidiger dieser Meinung, streitet gegen das Hirngespinst von angeborenen Begriffen, das er bei Leibniz, welcher sehr weit davon entfernt war, voraussetzte, ohne zu merken, daß es gleich unverständlich ist, die Ideen in der Seele ursprünglich eingegraben sein oder sie erst durch die Objekte eingraben zu lassen, noch fällt es ihm je bei sich zu fragen, ob es wohl in diesem Sinn nicht nur keine angeborene, sondern ob es überhaupt eine Idee in dem Sinne gebe, daß sie ein Eindruck auf die Seele wäre, gleichviel wovon.

Alle diese Verwirrungen lösen sich durch den Einen Satz, daß unsere Erkenntnis ursprünglich ebensowenig a priori als a posteriori ist, indem dieser ganze Unterschied bloß und lediglich in bezug auf das philosophische Bewußtsein gemacht wird. Aus demselben Grunde, weil nämlich die Erkenntnis ursprünglich, d.h. in Ansehung des Objekts der Philosophie, des Ichs, weder das eine noch das andere ist, kann sie auch nicht das eine zum Teil und zum Teil das andere sein, welche Behauptung in der Tat alle Wahrheit oder Objektivität der Erkenntnis a priori unmöglich macht. Denn nicht nur, daß sie die Identität der Vorstellung und des Gegenstandes völlig aufhebt, da Wirkung und Ursache niemals identisch sein können, muß sie entweder behaupten, daß sich die Dinge nach jenen ursprünglichen Formen in uns gleichsam als ein gestaltloser Stoff bequemen, oder umgekehrt, daß jene Formen sich nach den Dingen richten, wodurch sie alle Notwendigkeit verlieren. Denn die dritte mögliche Voraussetzung, nach welcher die objektive Welt, und die Intelligenz gleichsam zwei Uhren vorstellten, die ohne voneinander zu wissen, und völlig voneinander abgeschlossen, eben dadurch, daß jede ihren regelmäßigen Gang fortgeht, untereinander übereinstimmen, behauptet etwas völlig Überflüssiges und fehlt gegen ein Hauptprinzip aller Erklärung: was durch Eines erklärt werden kann, nicht durch mehreres zu erklären, davon nichts zu sagen, daß auch diese, ganz außer den Vorstellungen der Intelligenz liegende objektive Welt doch, weil sie Ausdruck von Begriffen ist, nur wieder durch und für eine Intelligenz existieren kann.[205]

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 2, Leipzig 1907, S. 179-206.
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