§ 1. Begriff der Transzendental-Philosophie

[13] 1. Alles Wissen beruht auf der Übereinstimmung eines Objektiven mit einem Subjektiven. – Denn man weiß nur das Wahre; die Wahrheit aber wird allgemein in die Übereinstimmung der Vorstellungen mit ihren Gegenständen gesetzt.

2. Wir können den Inbegriff alles bloß Objektiven in unserm Wissen Natur nennen; der Inbegriff alles Subjektiven dagegen heiße das Ich, oder die Intelligenz. Beide Begriffe sind sich entgegengesetzt. Die Intelligenz wird ursprünglich gedacht als das bloß Vorstellende, die Natur als das bloß Vorstellbare, jene als das Bewußte, diese als das Bewußtlose. Nun ist aber in jedem Wissen ein wechselseitiges Zusammentreffen beider (des Bewußten und des an sich Bewußtlosen) notwendig, die Aufgabe ist: dieses Zusammentreffen zu erklären.

3. Im Wissen selbst – indem ich weiß – ist Objektives und Subjektives so vereinigt, daß man nicht sagen kann, welchem von beiden die Priorität zukomme. Es ist hier kein Erstes und kein Zweites, beide sind gleichzeitig und Eins. – Indem ich diese Identität erklären will, muß ich sie schon aufgehoben haben. Um sie zu erklären, muß ich, da mir außer jenen beiden Faktoren des Wissens (als Erklärungsprinzip) sonst nichts gegeben[13] ist, notwendig den einen dem andern vorsetzen, von dem einen ausgehen, um von ihm auf den andern zu kommen; von welchem von beiden ich ausgehe, ist durch die Aufgabe nicht bestimmt.

4. Es sind also nur zwei Fälle möglich.

A. Entweder wird das Objektive zum Ersten gemacht, und gefragt: wie ein Subjektives zu ihm hinzukomme, das mit ihm übereinstimmt.

Der Begriff des Subjektiven ist nicht enthalten im Begriff des Objektiven, vielmehr schließen sich beide gegenseitig aus. Das Subjektive muß also zum Objektiven hinzukommen. – Im Begriff der Natur liegt es nicht, daß auch ein Intelligentes sei, was sie vorstellt. Die Natur, so scheint es, würde sein, wenn auch nichts wäre, was sie vorstellte. Die Aufgabe kann also auch so ausgedrückt werden: Wie kommt zu der Natur das Intelligente hinzu, oder wie kommt die Natur dazu, vorgestellt zu werden?

Die Aufgabe nimmt die Natur oder das Objektive als Erstes an. Sie ist also ohne Zweifel Aufgabe der Naturwissenschaft, die dasselbe tut. – Daß die Naturwissenschaft der Auflösung jener Aufgabe wirklich – und ohne es zu wissen – wenigstens sich nähere, kann hier nur kurz gezeigt werden.

Wenn alles Wissen gleichsam zwei Pole hat, die sich wechselseitig voraussetzen und fordern, so müssen sie in allen Wissenschaften sich suchen; es muß daher notwendig zwei Grundwissenschaften geben, und es muß unmöglich sein, von dem einen Pol auszugehen, ohne auf den andern getrieben zu werden. Die notwendige Tendenz aller Naturwissenschaft ist also, von der Natur aufs Intelligente zu kommen. Dies und nichts anderes liegt dem Bestreben zugrunde, in die Naturerscheinungen Theorie zu bringen. – Die höchste Vervollkommnung der Naturwissenschaft wäre die vollkommene Vergeistigung aller Naturgesetze zu Gesetzen des Anschauens und des Denkens. Die Phänomene (das Materielle) müssen völlig verschwinden, und nur die Gesetze (das Formelle) bleiben. Daher kommt es, daß, je mehr in der Natur selbst das Gesetzmäßige hervorbricht, desto[14] mehr die Hülle verschwindet, die Phänomene selbst geistiger werden, und zuletzt völlig aufhören. Die optischen Phänomene sind nichts anderes als eine Geometrie, deren Linien durch das Licht gezogen werden, und dieses Licht selbst ist schon von zweideutiger Materialität. In den Erscheinungen des Magnetismus verschwindet schon alle materielle Spur, und von den Phänomenen der Gravitation, welche selbst Naturforscher nur als unmittelbar geistige Einwirkung begreifen zu können glaubten, bleibt nichts zurück als ihr Gesetz, dessen Ausführung im Großen der Mechanismus der Himmelsbewegungen ist. – Die vollendete Theorie der Natur würde diejenige sein, kraft welcher die ganze Natur sich in eine Intelligenz auflöste. – Die toten und bewußtlosen Produkte der Natur sind nur mißlungene Versuche der Natur sich selbst zu reflektieren, die sogenannte tote Natur aber überhaupt eine unreife Intelligenz, daher in ihren Phänomen noch bewußtlos schon der intelligente Charakter durchblickt. – Das höchste Ziel, sich selbst ganz Objekt zu werden, erreicht die Natur erst durch die höchste und letzte Reflexion, welche nichts anderes als der Mensch, oder, allgemeiner, das ist, was wir Vernunft nennen, durch welche zuerst die Natur vollständig in sich selbst zurückkehrt, und wodurch offenbar wird, daß die Natur ursprünglich identisch ist mit dem, was in uns als Intelligentes und Bewußtes erkannt wird.

Dies mag hinreichend sein, zu beweisen, daß die Naturwissenschaft die notwendige Tendenz hat, die Natur intelligent zu machen; eben durch diese Tendenz wird sie zur Natur-Philosophie, welche die Eine notwendige Grundwissenschaft der Philosophie ist.1

B. Oder das Subjektive wird zum Ersten gemacht, und die Aufgabe ist die: wie ein Objektives hinzukomme, das mit ihm übereinstimmt.[15]

Wenn alles Wissen auf der Übereinstimmung dieser beiden beruht (1) so ist die Aufgabe diese Übereinstimmung zu erklären ohne Zweifel die höchste für alles Wissen, und wenn, wie allgemein zugestanden wird, die Philosophie die höchste und oberste aller Wissenschaften ist, ohne Zweifel die Hauptaufgabe der Philosophie.

Aber die Aufgabe fordert nur Erklärung jenes Zusammentreffens überhaupt, und läßt völlig unbestimmt, wovon die Erklärung ausgehe, was sie zum Ersten und was sie zum Zweiten machen soll. – Da auch beide Entgegengesetzte sich wechselseitig notwendig sind, so muß, das Resultat der Operation dasselbe sein, von welchem Punkte man ausgeht.

Das Objektive zum Ersten zu machen, und das Subjektive daraus abzuleiten, ist, wie so eben gezeigt worden, Aufgabe der Natur-Philosophie.

Wenn es also eine Transzendental-Philosophie gibt, so bleibt ihr nur die entgegengesetzte Richtung übrig, vom Subjektiven, als vom Ersten und Absoluten, auszugehen, und das Objektive aus ihm entstehen zu lassen. In die beiden möglichen Richtungen der Philosophie haben sich also Natur- und Transzendental-Philosophie geteilt, und wenn alle Philosophie darauf ausgehen muß, entweder aus der Natur eine Intelligenz, oder aus der Intelligenz eine Natur zu machen, so ist die Transzendental-Philosophie, welche diese letztere Aufgabe hat, die andere notwendige Grundwissenschaft der Philosophie.

1

Die weitere Ausführung des Begriffs einer Naturphilosophie und ihrer notwendigen Tendenz ist in den Schriften des Verfassers: Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, verbunden mit der Einleitung zu diesem Entwurf, und den Erläuterungen, welche das erste Heft der Zeitschrift für spekulative Physik enthalten wird [Band IV. der Originalausgabe], zu suchen.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 2, Leipzig 1907, S. 13-16.
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