§ 4. Organ der Transzendental-Philosophie

[24] 1. Das einzig unmittelbare Objekt der transzendentalen Betrachtung ist das Subjektive (§ 2); das einzige Organ dieser Art zu philosophieren also der innere Sinn, und ihr Objekt von der Art, daß es nicht einmal so wie das der Mathematik Objekt der äußern Anschauung werden kann. – Das Objekt der Mathematik ist freilich so wenig außerhalb des Wissens vorhanden, als das der Philosophie. Das ganze Dasein der Mathematik beruht auf der Anschauung, sie existiert also auch nur in der Anschauung, aber diese Anschauung selbst ist eine äußere. Dazu kommt, daß es doch der Mathematiker nie unmittelbar mit der Anschauung (der Konstruktion) selbst, sondern nur mit dem Konstruierten zu tun hat, was sich allerdings äußerlich darstellen läßt, indes der Philosoph lediglich auf den Akt der Konstruktion selbst sieht, der ein absolut innerer ist.

2. Noch mehr, die Objekte des Transzendental-Philosophen existieren gar nicht, als insofern sie frei produziert werden. – Zu dieser Produktion kann man nicht nötigen, so wie man etwa durch die äußere Verzeichnung einer mathematischen Figur nötigen kann dieselbe innerlich anzuschauen. Gleichwohl beruht ebenso, wie die Existenz einer mathematischen Figur auf dem äußern Sinn beruht, die ganze Realität eines philosophischen Begriffs einzig auf dem innern Sinn. Das ganze Objekt dieser Philosophie ist kein anderes als das Handeln der Intelligenz nach bestimmten Gesetzen. Dieses Handeln ist nur zu begreifen durch eigne unmittelbare innere Anschauung, und diese ist wieder nur durch Produktion möglich. Aber nicht genug. Im Philosophieren ist man nicht bloß das Objekt, sondern immer zugleich das Subjekt der Betrachtung. Zum Verstehen der Philosophie sind also zwei Bedingungen erforderlich, erstens, daß man in einer beständigen innern Tätigkeit, in einem beständigen Produzieren jener ursprünglichen Handlungen der Intelligenz, zweitens, daß man in beständiger Reflexion auf dieses Produzieren begriffen,[24] mit Einem Wort, daß man immer zugleich das Angeschaute (Produzierende) und das Anschauende sei.

3. Durch diese beständige Duplizität des Produzierens und Anschauens soll Objekt werden, was sonst durch nichts reflektiert wird. – Es kann hier nicht, wohl aber in der Folge bewiesen werden, daß dieses Reflektiertwerden des absolut Unbewußten und nicht-Objektiven nur durch einen ästhetischen Akt der Einbildungskraft möglich ist. Indes ist aus dem, was schon hier bewiesen worden ist, so viel offenbar, daß alle Philosophie produktiv ist. Die Philosophie beruht also ebensogut wie die Kunst auf dem produktiven Vermögen, und der Unterschied beider bloß auf der verschiedenen Richtung der produktiven Kraft. Denn anstatt daß die Produktion in der Kunst nach außen sich richtet, um das Unbewußte durch Produkte zu reflektieren, richtet sich die philosophische Produktion unmittelbar nach innen, um es in intellektueller Anschauung zu reflektieren. – Der eigentliche Sinn, mit dem diese Art der Philosophie aufgefaßt werden muß, ist also der ästhetische, und eben darum die Philosophie der Kunst das wahre Organon der Philosophie (§ 3).

Aus der gemeinen Wirklichkeit gibt es nur zwei Auswege, die Poesie, welche uns in eine idealische Welt versetzt, und die Philosophie, welche die wirkliche Welt ganz vor uns verschwinden läßt. – Man sieht nicht ein, warum der Sinn für Philosophie eben allgemeiner verbreitet sein sollte, als der für Poesie, besonders unter der Klasse von Menschen, die, sei es durch Gedächtniswerk (nichts tötet unmittelbarer das Produktive), oder durch tote, alle Einbildungskraft vernichtende Spekulation das ästhetische Organ völlig verloren haben.

4. Es ist unnötig, sich mit den Gemeinplätzen von Wahrheitssinn, von gänzlicher Sorglosigkeit wegen der Resultate aufzuhalten, obgleich man fragen möchte, welche andere Überzeugung dem noch heilig sein könne, der die gewisseste (daß Dinge außer uns sind) in Anspruch nimmt. – Eher können wir noch einen Blick werfen auf die sogenannten Ansprüche des gemeinen Verstandes.

Der gemeine Verstand hat in Sachen der Philosophie gar[25] keine Ansprüche, als die, welche jeder Gegenstand der Untersuchung hat, vollkommen erklärt zu werden.

Es ist nicht etwa darum zu tun, zu beweisen, daß wahr sei, was er für wahr hält, sondern nur darum, die Unvermeidlichkeit seiner Täuschungen aufzudecken. – Es bleibt dabei, daß die objektive Welt nur zu den notwendigen Einschränkungen gehört, welche das Selbstbewußtsein (das Ich bin) möglich machen; für den gemeinen Verstand ist es genug, wenn aus dieser Ansicht selbst wiederum die Notwendigkeit der seinigen abgeleitet wird.

Zu diesem Behuf ist es notwendig, nicht nur, daß das innere Triebwerk unserer geistigen Tätigkeit aufgeschlossen, der Mechanismus des notwendigen Vorstellens enthüllt, sondern auch, daß gezeigt werde, durch welche Eigentümlichkeit unserer Natur es notwendig ist, daß, was bloß in unserem Anschauen Realität hat, uns als etwas außer uns Vorhandenes reflektiert wird.

Wie die Naturwissenschaft des Idealismus aus dem Realismus hervorbringt, indem sie die Naturgesetze zu Gesetzen der Intelligenz vergeistigt, oder zum Materiellen das Formelle hinzufügt (§ 1), so die Transzendental-Philosophie den Realismus aus dem Idealismus, dadurch, daß sie die Gesetze der Intelligenz zu Naturgesetzen materialisiert, oder zum Formellen das Materielle hinzubringt.[26]

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 2, Leipzig 1907, S. 24-27.
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