§ 2.

[15] Ein Wissen, zu dem ich nur durch ein anderes Wissen gelangen kann, heiße ich ein bedingtes Wissen. Die Kette unseres[15] Wissens geht von einem Bedingten zum ändern; entweder muß nun das Ganze keine Haltung haben, oder man muß glauben können, daß es so ins Unendliche fortgehe, oder es muß irgend einen letzten Punkt geben, an dem das Ganze hängt, der aber eben deswegen allem, was noch in die Sphäre des Bedingten fällt, in Rücksicht auf das Prinzip seines Seins geradezu entgegengesetzt, d.h. nicht nur unbedingt, sondern schlechthin unbedingbar sein muß.

Alle möglichen Theorien des Unbedingten müssen sich, wenn die einzig-richtige einmal gefunden ist, a priori bestimmen lassen; solange diese selbst noch nicht aufgestellt ist, muß man dem empirischen Fortgang der Philosophie folgen; ob in diesem alle möglichen Theorien liegen, muß sich am Ende erst ergeben.

Sobald die Philosophie Wissenschaft zu werden anfängt, muß sie auch einen obersten Grundsatz und mit ihm irgend etwas Unbedingtes wenigstens voraussetzen.

Das Unbedingte im Objekt, im Ding suchen, kann nicht heißen es im Gattungsbegriff von Ding suchen. Denn daß ein Gattungsbegriff nichts Unbedingtes sein könne, springt in die Augen. Mithin muß es so viel heißen, als das Unbedingte in einem absoluten Objekt suchen, das weder Gattung, noch Art, noch Individuum ist – (Prinzip des vollendeten Dogmatismus).

Allein, was Ding ist, ist zugleich selbst Objekt des Erkennens, ist also selbst ein Glied in der Kette unsers Wissens, fällt selbst in die Sphäre der Erkennbarkeit, und kann also nicht den Realgrund alles Wissens und Erkennens enthalten. Um zu einem Objekt, als solchem, zu gelangen, muß ich schon ein anderes Objekt haben, dem es entgegengesetzt werden kann, und wenn das Prinzip alles Wissens im Objekt liegt, so muß ich selbst wieder ein neues Prinzip haben, um dieses Prinzip zu finden.

Ferner das Unbedingte soll (§ 1) sich selbst realisieren, sich selbst durch sein Denken hervorbringen; das Prinzip seines Seins und seines Denkens soll zusammenfallen. Allein ein Objekt realisiert sich niemals selbst; um zur Existenz eines Objekts zu gelangen, muß ich über den Begriff des Objekts hinausgehen:[16] seine Existenz ist kein Teil seiner Realität: ich kann seine Realität denken, ohne es zugleich als existierend zu setzen. Man nehme z.B. an, daß Gott, insofern er als Objekt bestimmt ist, Realgrund unsers Wissens sei, so fällt er ja, insofern er Objekt ist, selbst in die Sphäre unsers Wissens, kann also für uns nicht der letzte Punkt sein, an dem diese ganze Sphäre hängt. Wir wollen auch nicht wissen, was Gott für sich selbst ist, sondern was er für uns in bezug auf unser Wissen ist; Gott kann also immerhin für sich selbst Realgrund seines Wissens sein, aber für uns ist er es nicht, weil er für uns selbst Objekt ist, also in der Kette unsers Wissens selbst irgend einen Grund voraussetzt, der ihm seine Notwendigkeit für dasselbe bestimmt.

Objekt überhaupt bestimmt sich als solches, eben deswegen, weil, und insofern, als es Objekt ist, seine Realität niemals selbst; denn es ist nur insofern Objekt, als ihm seine Realität durch etwas anderes bestimmt ist: ja insofern es Objekt ist, setzt es notwendig etwas voraus, in bezug auf welches es Objekt ist, d.h. ein Subjekt.

Subjekt nenne ich vorjetzt das, was nur im Gegensatz, aber doch in bezug auf ein schon gesetztes Objekt, bestimmbar ist. Objekt das, was nur im Gegensatz, aber doch in bezug auf ein Subjekt, bestimmbar ist. Wenn also das Objekt überhaupt nicht das Unbedingte sein kann, weil es notwendig ein Subjekt voraussetzt, das ihm durch das Herausgehen aus der Sphäre seines bloßen Gedachtwerdens sein Dasein bestimmt, so ist der nächste Gedanke, das Unbedingte in dem durchs Subjekt bestimmten, nur in bezug auf dieses denkbaren Objekt, oder, da Objekt notwendig Subjekt, Subjekt notwendig Objekt voraussetzt, in dem durchs Objekt bestimmten, nur in bezug auf dieses denkbaren Subjekt zu suchen. Allein dieser Versuch, das Unbedingte zu realisieren, schließt einen Widerspruch in sich, der auf den ersten Blick einleuchtet. Eben deswegen, weil das Subjekt nur in bezug auf ein Objekt, das Objekt nur in bezug auf ein Subjekt denkbar ist, kann keines von beiden das Unbedingte enthalten; denn beide sind wechselseitig durcheinander bedingt, beide einander gleichgesetzt. Auch muß, um das Verhältnis beider zu bestimmen, notwendig wieder ein höherer Bestimungsgrund[17] vorausgesetzt werden, durch den sie beide bedingt sind. Denn man kann nicht sagen, daß das Subjekt das Objekt allein bedinge; denn Subjekt ist ebenso gut nur in bezug auf ein Objekt, als Objekt nur in bezug auf ein Subjekt denkbar, und es wäre gleichviel, ob ich das durch ein Objekt bedingte Subjekt, oder das durch ein Subjekt bedingte Objekt zum Unbedingten machen wollte, ja das Subjekt ist selbst zugleich als Objekt bestimmbar, und insofern fiele auch dieser Versuch, das Subjekt zum Unbedingten zu machen, ebenso unglücklich aus, als der andere mit dem absoluten Objekt angestellte.

Unsere Frage: wo das Unbedingte zu suchen sei, klärt sich nun allmählich und von selbst auf. Anfänglich fragten wir nur: in welchem bestimmten Objekt in der Sphäre der Objekte das Unbedingte zu suchen sei; nun zeigt es sich, daß es überall nicht in der Sphäre der Objekte, und selbst nicht im Subjekt, das gleichfalls als Objekt bestimmbar ist, zu suchen sei.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907, S. 15-18.
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