I. [Erste Stufe der Entfaltung der Duplizität des Lichts]

[493] Welche Duplizität nun im Licht sei, können allein Phänomene lehren, welche das Licht in Berührung mit verschiedenen Körpern zeigt.[493]

Das Licht kann seine zusammengesetzte Beschaffenheit nicht entfalten, als wo es auf Körper stößt, die zu seinen Elementen ein verschiedenes Verhältnis haben. Auf der ersten Stufe der Entfaltung offenbart es sich durch Phänomene, die nur der Oberfläche der Körper angehören. Einige Körper verändern die Natur des Lichts zunächst ihrer Oberfläche nicht. Solche Körper heißen durchsichtig. Daß es Körper gibt, durch welche Lichtstrahlen nach allen Richtungen hindurchfahren, ist nach den gewöhnlichen Vorstellungsarten unerklärbar, denn wie sollten jene doch nach allen Richtungen geradlinige Durchgänge finden? Das Phänomen der Durchsichtigkeit ist aus der Porenphilosophie unerklärbar, und der evidenteste Beweis, daß alle Undurchdringlichkeit relativ ist, ja daß ohne Zweifel im Licht eine Kraft wirkt, der keine Substanz der Natur absolut impermeabel ist.

Wenn man auf das Entstehen durchsichtiger Körper zurücksieht, so findet man, daß bei ihrem Ursprung schon eine dem Licht verwandte Materie ins Spiel kam. Die Verglasung ist die Wirkung eines heftigen Feuers. Metallkalke, d.h. Metalle, die mit Oxygene verbunden sind, wenn sie einem verstärkten Feuer ausgesetzt werden, verglasen sich bis zur völligen Durchsichtigkeit. Das Wunderbarste ist, daß höchst undurchsichtige Körper, wie Metalle, durch Säuren aufgelöst, in einer völlig durchsichtigen Flüssigkeit verschwinden. Das Wasser hat als Hauptbestandteil das Oxygene in sich, und ist in der Tat nichts anderes als der verbrannte Wasserstoff. Die Luft, die uns umgibt, ist zum Teil gaz oxygène, und die positive Materie des Lichts ohne Zweifel das, was allen luftförmigen Flüssigkeiten die Permanenz gibt.

Es scheint also, daß die durchsichtigen Körper der beständigen Aktion jener ätherischen Materie ausgesetzt seien, die gewöhnlich mit dem Oxygene in Verbindung tritt, und daß ein eigentümliches Licht, von dem diese Körper kontinuierlich durchdrungen sind, nur den Stoß eines Strahls erwartet, um die Bewegung nach allen Richtungen fortzupflanzen.

Man kann als Gesetz aufstellen, daß kein Körper durchsichtig ist, der in hohem Grade verbrennlich12 ist, oder genauer, der gegen das Oxygene eine starke Anziehung beweist.[494]

Man kann umgekehrt als Gesetz aufstellen, daß jeder Körper, der in hohem Grade oxydabel (verkalkbar) ist, in dem Maße, als er sich mit dem Oxygene durchdringt, durchsichtig wird.

Man muß hieraus schließen, daß das Licht selbst Oxygene oder ein demselben analoges Prinzip in sich hat13, und daß es diesem Element einen Teil seiner Eigenschaften verdankt. Denn das Licht durchdringt, als Licht, keinen Körper, der das Oxygene anzieht, und umgekehrt, jeder Körper, der vom Oxygene durchdrungen ist (also gegen dasselbe keine Anziehung mehr beweist), pflanzt das Licht durch sich fort.

Das Licht, sagten wir oben, verdankt seine Expansivkraft einem positiven Prinzip, dieses werden wir Äther nennen, seine Materialität14 einem negativen Prinzip; wir haben so eben gefunden, daß dieses Prinzip das Oxygene, oder ein dem Oxygene entsprechendes Prinzip ist.

Das Licht ist uns also keineswegs einfach, sondern ein Produkt des Äthers und des Oxygenes. Jenen werden wir die positive, dieses die negative Materie des Lichts nennen (+ O und – O).

Ein Körper, sobald er oxydiert ist, beweist gegen das – O ein Minus von Anziehung, oder, was dasselbe ist, Zurückstoßung. Da nun ein Körper in dem Maße durchsichtig wird, als er vom – O durchdrungen ist, und in dem Maße undurchsichtig, als er das – O anzieht, so ergeben sich die beiden Gesetze:

1. Ein Körper zieht in dem Maße die positive Materie des Lichts an, als er die negative zurückstößt, und umgekehrt:

2. Ein Körper stößt in dem Maße, als er die negative Materie des Lichts anzieht, die positive zurück.

Gesetze, aus welchen erhellt, war wir a priori behauptet haben, daß im Licht selbst Duplizität und ein ursprünglicher Konflikt der Elemente ist.

Das Licht ist nur vermittelst seines expandierenden Prinzips[495] einer Fortpflanzung fähig. Durchsichtige Körper durchdringt es, nur insofern diese seine positive Materie anziehen; zum voraus können wir erwarten, daß diese positive, im Licht wirksame Materie das Prinzip der allgemeinen dynamischen Gemeinschaft in der Welt sei, dem ebendeshalb nichts absolut undurchdringlich ist (s. oben)15.

In eben dem Maße, als ein durchsichtiger Körper die positive Materie des Lichts anzieht, stößt er die negative zurück. – Es ist daher zu erwarten, daß bei jedem Durchgang durch einen durchsichtigen Körper der Lichtstrahl gleichsam in seine Elemente getrennt wird. Brechung ist Anziehung. Stärker gebrochen also erscheint in der Ordnung des Farbenbilds ein dem Äther näher verwandter Strahl; minder gebrochen und vom Einfallslot abgetrieben, der Strahl, der der negativen Materie des Lichts näher verwandt ist. Die Farbenstrahlen bezeichnen also nur die verschiedenen Verhältnisse, welche zwischen der positiven und negativen Materie des Lichts möglich sind. Der weiße Strahl ist nicht ursprünglich aus den sieben einfachen Farbenstrahlen zusammengesetzt, obgleich er zu so viel Strahlen im Prisma verbreitet wird. Daraus, daß kein prismatischer Strahl weiter veränderlich ist, kann auf keine absolute Einfachheit desselben geschlossen werden. Jeder einzelne prismatische Strahl muß nach demselben Gesetz, nach welchem der weiße Strahl im ersten Prisma gespalten wurde, im zweiten zu einem neuen Farbenbilde verbreitet werden. Dem prismatischen Strahl eine absolute Unveränderlichkeit zuschreiben, heißt eine Qualitas occulta behaupten. Jeder prismatische Strahl ist veränderlich, aber nur so, daß diese Veränderung weiter kein Gegenstand der Wahrnehmung ist.

Der weiße Strahl ist also nicht mehr und nicht weniger zusammengesetzt als alle übrigen; in allen Strahlen drückt sich ein besonderes Verhältnis der imponderabeln und ponderabeln Materie des Lichts aus. Die weiße Farbe drückt nur das mittlere Verhältnis aller übrigen aus. Wenn diese alle sich durchdringen, reduzieren sie sich wechselseitig auf den Mittelgrad[496] der Elastizität; es entsteht – wenn ich so sagen darf – eine neutralisierte Farbe, das chemische Mittel aller übrigen. Umgekehrt sind auch alle einzelnen Farben nur durch Abweichung vom gemeinschaftlichen Medium (dem weißen Licht) möglich.

12

»in hohem Grade«, Zusatz der späteren Auflagen.

13

»daß das Licht selbst Oxygene mit sich führt«. Erste Ausgabe.

14

»Ponderabilität (Materialität)«. Ausgabe 1, in der auch die Schlußworte »oder ein dem Oxygene entsprechendes Prinzip ist« fehlen.

15

»dem eben deshalb nichts absolut undurchdringbar ist (s. oben)«. Zusatz der späteren Auflagen.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907, S. 493-497.
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