VI. [Bestimmung des Begriffs der Polarität]

[572] Es ist Zeit den Begriff der »Polarität« genauer zu bestimmen.


1.

Daß in der ganzen Natur entzweite, reell-entgegengesetzte Prinzipien wirksam sind, ist a priori gewiß; diese entgegengesetzten Prinzipien in Einem Körper vereinigt, erteilen ihm die Polarität; durch die Erscheinungen der Polarität lernen wir also nur gleichsam die engere und bestimmtere Sphäre kennen, innerhalb welcher der allgemeine Dualismus wirkt.

Wenn bei der elektrischen Erregung zwei heterogene Körper aneinander gerieben werden, verteilt sich die positive und negative Elektrizität an beide. Setzen wir nun, daß in einem und demselben Körper eine solche ursprüngliche Heterogeneität wäre, so daß beide Elektrizitäten zugleich auf seiner Oberfläche erregbar wären, so würde diesem Körper elektrische Polarität zukommen.

Das allgemeine Mittel der elektrischen Erregung ist Erwärmung, und zwar, weil immer beide Elektrizitäten zugleich erregt werden, ungleichförmige Erwärmung; daher das Gesetz, daß von zwei aneinander geriebenen Körpern der am wenigsten[572] erwärmte (z.B. Glas) positive, der am meisten erwärmte (z.B. Schwefel) negative Elektrizität erhält.

Diese ungleichförmige Erregbarkeit durch Wärme findet sich nun in Einem Körper beim Turmalin, und ohne Zweifel noch bei mehreren andern ihm ähnlichen Körpern. Es ist gewiß, daß der Turmalin, solange er in einerlei Grad der Wärme erhalten wird, keine Spur von Elektrizität zeigt, daß er aber elektrisch wird, wenn man ihn erwärmt oder erkältet. Der Grund dieses Phänomens kann nur darin gesucht werden, daß der Turmalin durch gleiche Wärmegrade doch nicht gleichförmig, sondern an einem Pol stärker als am andern erhitzt wird, oder daß seine Pole eine ungleiche Wärmekapazität haben. Wirklich zeigen sich die entgegengesetzten Elektrizitäten am Turmalin niemals auf seiner ganzen Oberfläche, sondern nur in der Gegend zweier entgegengesetzter Punkte, die man seine Pole nennen kann. Daß aber wirklich dieser Stein seine elektrische Polarität der ungleichförmigen Erregbarkeit (durch Wärme) verdankt, erhellt daraus, daß seine Pole, wenn er erkältet wird, ihre Elektrizitäten vertauschen; daß also derjenige Pol, der durch positive Erwärmung negativ-elektrisch wurde, durch negative Erwärmung positiv-elektrisch wird.


2.

Aus dieser einfachen Tatsache lassen sich nun schon mehrere interessante Sätze herleiten.

a) Wir sehen, daß die Wärme die allgemeine Ursache ist, welche allen Dualismus anfacht und unterhält, daß wir also sehr recht hatten, sie gleichsam als das vermittelnde Zwischenglied positiver und negativer Prinzipien in der Welt anzusehen. Es ist jetzt einleuchtend, warum jedem Verbrennen eine Erhöhung der Temperatur vorangehen muß, warum Elektrizität nie erregt wird, ohne daß durch Reiben oder irgend eine andere Ursache eine ungleichförmige Erwärmung hervorgebracht wird, usw.

b) Da aber die Erwärmung eines Körpers etwas lediglich Relatives ist, und da es von seiner spezifischen Beschaffenheit (seiner Kapazität) abhängt, in welchem Grade er durch eine bestimmte[573] Wärmequantität erhitzt werde, so wird ein Dualismus der Prinzipien auf doppelte Art erregbar sein: zwischen zwei Körpern,

entweder wenn sie ursprünglich heterogen sind und durch gleiche Ursache nicht in gleichem Grade erhitzt werden,

oder wenn sie ursprünglich homogen, aber durch ungleich-wirkende Ursachen (z.B. ungleiche Quantitäten von Wärme) erhitzt werden;

in Einem Körper aber,

entweder wenn in ihm eine ursprüngliche Heterogeneität vorhanden ist,

oder wenn er ungleichförmig erhitzt wird.

c) Man muß folgenden Grundsatz der Erregbarkeit des Dualismus aufstellen: Wird in einem Körper durch positive Erwärmung das negative Prinzip erregt, so muß durch negative Erwärmung (Erkältung) das positive erregt werden, und umgekehrt.

d) Es folgt hieraus, daß in jedem Körper durch ungleichförmige Erwärmung Polarität, und durch ungleichförmige Erkältung ein Wechsel der Polarität hervorgebracht werden kann.


3.

Es ist äußerst merkwürdig, daß ohne allen Zweifel im Turmalin elektrische und magnetische Polarität koexistiert, nicht nur deswegen, weil er, in viele kleine Stücke zerschlagen, an jedem einzelnen noch dieselbe Polarität zeigt, die er auf der ganzen Oberfläche zeigte, sondern auch, weil er wirklich (wenigstens nach Brugmanns Beobachtungen) vom Magnete gezogen wird. Man wird dadurch im voraus geneigt zu glauben, daß dieselbe ursprüngliche Heterogeneität, welcher der Turmalin seine elektrische Polarität verdankt, auch die Ursache seiner magnetischen Polarität sei. Man wird geneigt zu glauben, daß nach demselben Gesetz, nach welchem die elektrische Polarität in einem Körper erregt wird, auch die magnetische erregbar ist. Für diese Vermutung aber sprechen noch andere Tatsachen.[574]

a) Man weiß, daß jede ungleichförmige Erschütterung, daß vorzüglich ungleichförmige Erwärmung dem Eisen (auch andern metallischen Substanzen) magnetische Eigenschaften mitteilt; z.B. man erhitzt eine eiserne Stange und richtet sie perpendikulär auf, so werden ihre beiden Enden ungleichförmig erkalten und Polarität zeigen. Diese Tatsache stimmt nun ganz mit dem oben (2 d) aufgestellten Gesetz der elektrischen Polarität überein.

b) Saussüre hat gefunden, daß nichts so sehr die Kraft des Magnets schwächte als die Wärme; schon die Differenz eines halben Grads Reaum. hat Einfluß aufs Magnetometer. »Depuis cinq ans, sagt Saussüre, que cet instrument est construit, j'ai beaucoup observé sa marche; j'ai vu, que la force attractive varie, que la cause la plus générale de ces variations est la chaleur, que le barreau aimanté perd de sa force, quand la chaleur augmente, et la reprend quand elle diminue« (Voy. dans l. A. Vol. II, § 459). Man kann dieses Phänomen nicht anders als aus dem oben (2 d) aufgestellten Gesetz vom Wechsel der Polarität erklären. Derselbe Pol, der durch positive Erwärmung negativ magnetisch wird, wird durch negative Erwärmung positiv magnetisch. Gesetzt nun, das Gewicht befinde sich am negativen Pol, so wird er durch Einfluß der Wärme positiv magnetisch, und verliert in diesem Übergang seine Kraft, die er wieder erhält, sobald durch Erkältung seine positive Eigenschaft wiederhergestellt wird.

c) Die elektrische Materie ist ihrer Natur nach entgegengesetzter Wirkungen fähig, weil sie überall die entgegengesetzte Kraft weckt. So werden durch den elektrischen Funken Metalle oxydiert und desoxydiert, das Wasser dekomponiert und rekomponiert. So wird ohne Zweifel durch den positiv-elektrischen Funken, wenn er den positiven Pol trifft, der negative Magnetismus, wenn er den negativen trifft, der positive erweckt. – Daher werden durch den elektrischen Funken die Pole des Magnets umgekehrt. Doch scheinen die Versuche noch nicht hinlänglich vermannigfaltigt zu sein. Es könnte sich hier ein großer Unterschied negativer und positiver Elektrizität zeigen; auch ist es[575] wohl nicht gleichgültig, durch welchen Pol der elektrische Funken (je nachdem er positiv oder negativ ist) einströmt; man könnte hierdurch entdecken, welcher der Pole des Magnets positiv, welcher negativ ist.


4.

Wenn es einmal ausgemacht ist, daß die magnetische Polarität nach demselben Gesetze erregt wird als die elektrische, so ist ferner auch kein Zweifel, daß sie auf dieselbe Art und durch denselben Mechanismus entsteht wie diese.

Um zu erklären, wie ein Körper verbrenne oder elektrisch werde, mußten wir erstens ein positives Prinzip außer dem Körper (als Ursache des Verbrennens und der elektrischen Beschaffenheit), neben diesem aber ein negatives Prinzip im Körper annehmen, durch welches wir eigentlich nichts andeuteten, als das Minus von Zurückstoßungskraft, das der Körper im Zustand der phlogistischen oder elektrischen Erregung gegen die positive Ursache des Verbrennens oder der Elektrizität beweist. Wir werden also bei der magnetischen Erregung erstens ein negatives Prinzip im Magnet annehmen, vermöge dessen er mit der positiven Ursache des Magnetismus in dynamischer Gemeinschaft steht. Wo jenes negative Prinzip fehlt, wird sich gar kein Magnetismus offenbaren. Diesem negativen Prinzip werden wir ein positives außer dem Magnet vorhandenes Prinzip entgegensetzen. Dieses Prinzip ferner muß in sich selbst heterogen und einer Entzweiung fähig sein. Dieser positiven Duplizität in der Ursache des Magnetismus werden wir eine negative Duplizität im Magnet selbst entgegenstellen, vermöge welcher dieser gegen das eine Element des Magnetismus geringere Zurückstoßungskraft beweist als gegen das andere.

Durch diese Vorstellungsart haben wir folgendes gewonnen.

a) Wir können die Ursache des Magnetismus als eine überall verbreitete Ursache ansehen, die auf alle Körper kontinuierlich wirkt, alle Körper durchdringt, ihre Duplizität aber nur an solchen offenbart, die zu ihren Elementen ein verschiedenes Verhältnis haben.[576]

b) Wir verbannen dadurch den toten Begriff der Anziehung (welche der Magnet gegen die magnetische Materie beweisen soll) ein Begriff, der sich mit der außerordentlichen Wirksamkeit des magnetischen Prinzips schlecht verträgt, das ohne Zweifel kontinuierlich neu erzeugt und entwickelt, allgemein und auf alle Körper wirkt, eigentümliche Bewegung aber nur da zu erregen fähig ist, wo es ein Minus von Zurückstoßungskraft findet.

So vorteilhaft für die Konstruktion aller Erscheinungen ist der Begriff einer allgemeinen dynamischen Gemeinschaft in der Welt, vermöge welcher die überall verbreiteten durchdringenden Ursachen überall Bewegung hervorbringen, wo das Gleichgewicht gestört ist, und gleichsam besondere Sphären sich bilden, innerhalb welcher sie wirksam sein können.


5.

Wenn als Vehikel jeder endlichen Kraft eine Materie angenommen werden muß, so können wir auch dieser Annahme zur Erklärung der magnetischen Erscheinungen nicht entbehren, obgleich daraus nicht folgt, daß wir eine im eigentlichen Sinn magnetische (d.h. dem Magnet eigentümliche) Materie anzunehmen das geringste Recht haben. Daß ein positives Prinzip außer dem Magnet ihn in Bewegung setzt, die Ursache seiner Polarität ist, muß auch aus folgenden Erfahrungen geschlossen werden.

a) Wäre die magnetische Kraft eine absolut-innere Kraft, so müßte die Anziehungskraft des Eisens sowohl als des Magnets ein bestimmtes Verhältnis zu ihrer Masse zeigen. Ein solches aber zeigt sich bei keinem von beiden. Wenn man verschiedene nicht magnetisierte, gleich lange, aber ungleich dicke Eisenstäbe mit dem einen Pol des Magnets in Berührung bringt, so wächst die Anziehung des Magnets gegen diese Stäbe, je dicker der Stab ist, aber nur bis zu einer gewissen Grenze, so daß über diese Grenze hinaus die Anziehung keinen Zuwachs weiter erleidet, wenn auch die Dicke des Stabes wächst (Häuy bei Prevost über den Ursprung der magnetischen Kräfte § 116). – Saussüre bemerkt schon (in seinen Voy. dans l. A.[577] Vol. I, § 83), daß zwei ungleiche Massen von Eisen auf den Magnet in einem Verhältnis wirken, das dem Verhältnis ihrer Oberflächen weit näher kommt als dem Verhältnis ihrer Massen. – Man hat allgemein bemerkt, daß unter Magneten von gleicher Güte die kleinen im Verhältnis ihres Gewichts bei weitem mehr Kraft haben als die großen (ohne Zweifel weil es eine Grenze der magnetischen Durchdringlichkeit gibt, die nie überschritten wird). Aber man hat nicht so allgemein bemerkt, daß bei ganz ähnlichen Magneten von gleicher Masse ihre Anziehungskräfte sich verhalten wie ihre Oberflächen. Daniel Bernoulli, in einem von Saussüre angeführten Brief an Trembley, behauptet gefunden zu haben, daß die absolute Kraft der künstlichen Magneten immer zunimmt wie die Kubikwurzeln der Quadrate des Gewichts, was ebensoviel ist, als im Verhältnis ihrer Oberflächen.

b) Nur die Möglichkeit einer allgemeinen Weltordnung kann nicht mehr aus materiellen Prinzipien erklärt werden, weil solche Prinzipien selbst schon eine Weltordnung voraussetzen, innerhalb welcher sie allein möglich sind. Allein innerhalb des allgemeinen Systems organisieren sich gleichsam einzelne Sphären der allgemeinen Naturkräfte, innerhalb welcher diese den Schein ebensovieler spezifisch-verschiedener Materien annehmen. Nur die allgemeine Weltbewegung ist von ewigen und unveränderlichen Ursachen abhängig; veränderliche Ursachen aber verraten materielle Prinzipien; so die magnetischen Abweichungen, die man nicht erklären kann, ohne dabei eine Materie als wirksam anzunehmen, die entwickelt oder zur Ruhe gebracht, zersetzt und wieder zusammengesetzt wird, und (gleich der atmosphärischen Elektrizität) entsteht und verschwindet.


6.

Es fragt sich nur, welche spezifische Beschaffenheit man dem materiellen Prinzip des Magnetismus zuschreiben müsse?

Man muß beklagen, daß die Schranken der magnetischen Kraft keine Mannigfaltigkeit von Experimenten und keine vergleichende Untersuchung verstatten.[578]

Wenn es möglich wäre jene Schranken zu durchbrechen, wenn es vorerst nur gelänge die magnetischen Eigenschaften an mehreren Körpern als bisher zu entdecken, wie sehr würde dadurch schon das Feld der Möglichkeiten erweitert, wie viel Raum für vergleichende Untersuchung gewonnen!

Wenn es gelänge die kleinsten Grade der magnetischen Kraft (so etwa wie der elektrischen) noch bemerklich zu machen, würde man nicht finden, daß sie jedem Körper der Natur, wenn auch in unendlich-kleinem Grade, beiwohnt?

Wenn man erst Vergleichungen anstellen könnte, sollte sich nicht finden, daß die magnetische Kraft bei weitem nicht so einförmig wirkt, als es uns jetzt scheint, da wir nur das Eisen mit dem Eisenerz, das wir Magnet nennen, vergleichen können? – Sollte sich dann nicht finden, daß vielleicht jeder Körper, wie das Eisen, sein Erz, d.h. einen Körper hat, der für ihn ein Magnet ist?

Liegt der Grund, warum man bisher weniger Entdeckungen in diesem Felde gemacht hat, eben darin vielleicht, daß man noch nicht für jeden Körper seinen Magnet gefunden hat? So ist für den Humboldtschen Serpentinstein nur das magnetische, nicht auch das unmagnetische Eisen ein Magnet. Sollte es nicht einen Unterschied von idiomagnetischen und symperimagnetischen Körpern geben? Bis jetzt ist nicht Ein entscheidender Versuch bekannt, der auf die spezifische Natur des magnetischen Prinzips schließen ließe.

Vairo, Professor an der Akademie zu Neapel, soll gefunden haben, daß in der Hundsgrotte (grotta del Cane) in der Nähe von Neapel der Magnet seine gewohnte Wirkung auf das Eisen verliert, daß in derselben die Magnetnadel viel weiter von Norden abweicht, als in der gewöhnlichen Luft, auch, was besonders merkwürdig ist, daß in derselben keine elektrische Kraft erregt werden kann. (Man s. Jansens Briefe über Italien, vornehmlich den gegenwärtigen Zustand der Arzneikunde, und die Naturgeschichte betreffend, 1. Teil, S. 363).

Man weiß seit den Versuchen, die Murray mit der Luftart[579] dieser Grotte angestellt hat, daßsie ein kohlensaures Gas ist. (Man s. v. Crells neueste Entdeckungen in der Chemie, T. 3, S. 118). Sollte die Unmöglichkeit, die Elektrizität in diesem Luftraume zu erwecken, der in ihm wahrscheinlich herrschenden Feuchtigkeit zuzuschreiben sein? – Aber wie will man erklären, daß der Magnet dort seine Kraft verliert? Etwa daraus, daß er schnell rostet? – Dies ist doch unwahrscheinlich.

Man weiß allerdings, daß Eisen, wenn es desoxydiert wird, vom Magnet stärker als vorher angezogen wird (s. z.B. Saussüre V. d. l. A. Vol. II, § 425). Auf der magnetreichen Insel Elba müssen gute Magnete gegraben werden, denn die, welche an der Sonne liegen, verlieren allmählich ihre magnetische Eigenschaft (Swinburnes Reisen durch beide Sizilien, übersetzt von Forster, T. I, S. 35). Es erhellt daraus allerdings, daß irgend ein eigentümliches Verhältnis des Magnets zu dem Oxygene der Atmosphäre, oder zum Äther, der mit ihm in Verbindung tritt, zugleich die Ursache seiner Eigenschaften enthalte. Diese Entdeckung lehrt uns aber nichts mehr, als was wir schon a priori einsehen konnten.


7.

Man muß zugeben, daß die magnetische Kraft zu den durchdringenden gehört, und insofern bei weitem ursprünglicher ist als die elektrische. Denn diese häuft sich nur auf der Oberfläche der Körper an, und wird, wo sie ein leitendes Medium berührt, abgeleitet, ohne daß der Körper selbst verändert würde, der Magnet aber scheint auf andere Körper nur durch Verteilung (Erregung), nie durch Mitteilung zu wirken. Seine eigentümliche Kraft kann ihm nicht durch äußere, sondern nur durch penetrierende Ursachen entrissen werden. Das Prinzip des Magnetismus muß also zu den elementarischen, d.h. denjenigen Materien gerechnet werden, für welche kein Körper undurchdringlich ist. Als solche Materien kennen wir bis jetzt nur Licht und Wärme, wissen aber, daß sie diese ihre gemeinschaftliche Eigenschaft einem höheren Prinzip verdanken, das zuverlässig[580] auch in den magnetischen Erscheinungen wirksam ist. Es läßt sich in der Welt überhaupt kein dynamischer Zusammenhang denken, ohne daß man eine ursprüngliche Homogeneität aller Materie annehme. Wir sind genötigt, die positive Materie, die sich im Licht und in der Wärme offenbart, als das allgemeine Auflösungsmittel aller Materie anzusehen. Wenn nun der grobe Stoff, ehe er in einzelne Materien überging, durch den Weltraum gleichförmig verbreitet und im Äther (als dem menstruum universale) aufgelöst war, so mußte alle Materie in ihm sich ursprünglich durchdringen, so wie man in jeder vollkommenen Solution mehrerer Materien durch ein gemeinschaftliches Mittel eine wechselseitige Durchdringung annehmen muß, weil die Auflösung nur dann vollkommen ist, wenn sie durchaus homogen, d.h., wie Kant bewiesen hat, wenn in ihr kein unendlich kleiner Teil anzutreffen ist, der nicht aus dem Auflösungsmittel und dem aufzulösenden Körper zusammengesetzt wäre. Als die grobe Masse aus der gemeinschaftlichen Solution niedergeschlagen wurde, entstanden heterogene Materien, die unfähig waren sich ferner zu durchdringen, da sie diese Eigenschaft nur dem gemeinschaftlichen Auflösungsmittel verdankten. Für dieses aber müssen alle Materien noch jetzt in hohem Grade durchdringlich, ja sogar durch fortwährende Aktion auflöslich sein, wie auch die Erfahrung lehrt, da die härtesten Substanzen an der Luft endlich verwittern, andere auf andere Weise durch unbekannte Naturoperationen allmählich zerstört werden.

Wenn nun das magnetische Prinzip (vermöge seiner durchdringenden Kraft) dem Äther verwandt wäre, so müßte es auch weit allgemeiner wirksam, ja es müßte (so scheint es) keine Substanz der Natur sein, die nicht durch dieses Prinzip in Bewegung gesetzt würde. Obgleich wir also bis jetzt nur wenige Substanzen des Mineralreichs kennen, die magnetische Eigenschaften zeigen, müssen wir doch behaupten, daß, da der Magnetismus eine allgemeine Naturkraft ist, kein Körper in der Welt absolut-unmagnetisch sei, ebenso wie kein Körper absolut-durchsichtig oder undurchsichtig, absolut-warm oder kalt ist.


8.

[581] Ohne Zweifel sind alle Körper von der Ursache des Magnetismus durchdrungen; aber Polarität erteilt sie nur denen, die zu ihren Elementen ein ungleichförmiges Verhältnis haben; der Duplizität des positiven Prinzips muß eine Duplizität des negativen Prinzips im Körper gegenüberstehen. Der magnetische Turmalin z.B. beweist durch die entgegengesetzten Elektrizitäten auf seiner Oberfläche eine ursprüngliche Heterogeneität seiner Elemente.

Wir müssen hierauf sehr aufmerksam werden, wenn wir bedenken, daß der Turmalin zwischen den beiden Klassen idioelektrischer Körper gleichsam in der Mitte steht. Positiv-idioelektrische Körper sind in der Regel durchsichtig. Negativ-idioelektrische in der Regel undurchsichtig. Der Turmalin gehört zu den halbdurchsichtigen Körpern, er ist dadurch gleichsam in eine höhere Sphäre versetzt, unter der jene beiden Klassen idioelektrischer Körper begriffen sind; sehr natürlich, daß er auch beide Elektrizitäten in sich vereinigt, und mit diesen zugleich magnetische Polarität annimmt.

Wenn alle Körper in gewissem Grade magnetisch sind, sollte sich die Polarität nicht vorzüglich an allen halbdurchsichtigen Körpern zeigen? Sollten nicht wohl alle Edelsteine, die so wie der Turmalin durch Erwärmung entgegengesetzte Elektrizitäten annehmen, auch magnetische Eigenschaften zeigen? Man muß zu genauen Untersuchungen hierüber den Topas (den brasilianischen und syrischen), den Boraxspat und alle die Körper empfehlen, die mit dem Turmalin jene Eigenschaft (der elektrischen Polarität) gemein haben.

Die Wirkung des Granats auf die Magnetnadel hat schon Saussüre bemerkt. »Un de nos grénats, erzählt er, du poids de cinq grains commençoit à agir sur l'aiguille aimantée à la distance de deux lignes. – Je l'ai fait rougir, j'ai jeté sur lui de la cire, et j'ai ainsi rendu le phlogistique à quelquesunes de ses parties extérieures; alors il a agi sur l'aiguille à la distance de trois lignes 1/4.« – Daß der Grund dieser Erscheinung nicht in eingesprengten Eisenteilchen liegen könne, erhellt aus folgendem:[582] »On ne s'étonne pas, sagt Saussüre, de voir nos grénats impurs et presque opaques contenir du fer attirable par l'aimant, mais on sera peut-être surpris de voir les grénats orientaux, soit rouges, soit oranges, soit violets, présenter tous le même phénomène. J'ai vu un grénat syrien du poids de dix grains de la plus grande beauté, et de la plus parfaite transparence, qui fait mouvoir sensiblement l'aiguille aimantée à deux lignes de distance. – J'ai trouvé aussi des cailloux, dans lesquels la matière du grénat est dispersée en masses non crystallisées, on reconnoit alors cette matière à sa couleur – – et à son action sur l'aiguille aimantée.« (Voy. dans l. A. Vol. I, § 84, 85).

Da alle Durchsichtigkeit nur relativ und die Grenze zwischen durchsichtigen und halbdurchsichtigen Körpern unbestimmt ist – sollten nicht alle durchsichtigen Körper30 in einigem Grade magnetische Polarität zeigen? Sollten nicht alle idioelektrischen Substanzen magnetische Eigenschaften zeigen, wenn in ihnen eine ursprüngliche Verschiedenheit der Qualität herrschte? Geht vielleicht die magnetische Eigenschaft allmählich in die idioelektrische über?


9.

Die bisher vorgetragenen Ideen auf die Erde angewandt, muß der Grund ihrer Polarität in ihrer ursprünglichen Bildung gesucht werden. Wenn es erlaubt ist, vom Kleinen aufs Große analogisch zu schließen, so muß der ursprüngliche Grund in einer Ungleichförmigkeit ihrer Bildung gesucht werden. Wie ungleichförmige Erschütterung, Erkältung usw., dem Eisen magnetische Eigenschaften mitteilt, so ist es glaublich, daß die Erde einer ähnlichen Ursache, z.B. daß sie bei ihrer ursprünglichen Bildung an einem Pol schneller als am andern erkaltete, ihre Polarität verdankt. Nach Büffon ist es der Südpol; er erklärt daraus, warum die Wasser ihre erste Richtung nach Süden zu genommen haben (Epoques de la nature p. 167). Tiefere geognostische Untersuchungen würden vielleicht zeigen, daß ursprünglich schon ein[583] magnetischer oder elektrischer Strom den großen Lagen oder Schichten der Erde eine bestimmte Richtung gegen die Pole gegeben hat, ungefähr so wie die magnetische Anziehung, oder ein elektrischer Strom, wenn er durch Eisenfeile geleitet wird, ihr eine regelmäßige Stellung gibt. Wenn diese Richtung der großen Erdschichten nicht allgemein bemerklich ist, so muß man den Grund in den späteren Revolutionen, in Überschwemmungen und der großen Gewalt des Wassers suchen, das allmählich erst sich seinen regelmäßigen Lauf bahnte und die großen Beete bereitete, in denen jetzt das Meer eingeschlossen ist.

Indes wäre ohne allen Zweifel die magnetische Kraft der Erde schon längst erloschen, wenn nicht eine kontinuierlich wirkende Ursache sie immer von neuem anfachte. Diese Ursache ist die Sonnenwärme, die ohne allen Zweifel beide Hemisphären ungleichförmig erhitzt, da eine ursprüngliche Heterogeneität beider wohl begreiflich ist. Es ist bekannt, daß unter gleichen Graden der Breite in der nördlichen Halbkugel eine größere mittlere Wärme herrscht als in der südlichen. Aepinus (in seinem Tentamen theoriae electricitatis et magnetismi) erklärt dieses Phänomen aus der astronomischen Wahrheit, daß in den nördlichen Gegenden die Dauer der warmen Jahreszeiten die der kalten Jahreszeiten ungefähr um sieben Tage übertrifft. »Es ist klar, sagt er, daß das Gegenteil in der südlichen Halbkugel stattfindet; die kalte Jahreszeit übertrifft dort die warme um ungefähr sieben Tage. Also verbreitet die Sonne jährlich über die nördliche Halbkugel eine Wärme, die ungefähr um 1/14, oder 1/16 Teil größer ist, als die, welche sie über die südliche Halbkugel verbreitet. Es ist also nicht wunderbar, daß sich während einer langen Reihe von Jahrhunderten durch diese Ursache in unsern Gegenden eine Wärme angehäuft habe, die hinreichend ist, um in der Temperatur der beiden Halbkugeln einen Unterschied hervorzubringen.« – (Vgl. Prevost vom Ursprung der magnetischen Kräfte. Deutsche Übers., S. 161).

Ich bemerke, daß wohl nicht nur die ungleichen Summen von Wärme, die jährlich über die beiden Halbkugeln verbreitet werden,[584] sondern daß vorzüglich die Ungleichförmigkeit der täglichen Erleuchtung und Erwärmung die Polarität der Erde immer neu anfachen muß; die Koexistenz der elektrischen und magnetischen Polarität am Erdkörper (ich setze voraus, daß Nord- und Südlichter für elektrische Erscheinungen gelten) erlaubt uns, auf ihn alle Analogien des Turmalins, und insbesondere das oben aufgestellte Gesetz vom Wechsel der Polarität anzuwenden, der freilich wohl nie ganz erfolgen kann (obgleich nach Lichtenberg bisweilen eine Verwechslung der elektrischen Pole der Erde vorzugehen scheint), die aber doch die Ursache der täglichen sowohl als jährlichen Abweichung sein kann, da diese nach einer unleugbaren Regelmäßigkeit in ihrer täglichen Abweichung dem Wechsel des Tags und der Nacht, in der jährlichen dem Wechsel der Jahreszeiten folgt, wobei freilich noch die Störungen in Betrachtung gezogen werden müssen, die den magnetischen Strom an vielen Orten der Erde, besonders wo große Eisengruben sind (z.B. in der Nähe der Insel Elba), von seiner Richtung ableiten.


10.

Die erste Wirkung der Sonne auf die Erde war ohne Zweifel die, daß sie ihre magnetische Eigenschaft erweckte, und so ist wohl das Gesetz der Polarität ein allgemeines Weltgesetz, das in jedem einzelnen Planetensystem auf jedem untergeordneten Körper ebenso wirksam ist, als in unserem Planetensystem auf der Erde. Einen schwachen Schimmer von Hoffnung, das Phänomen der allgemeinen Schwere auf physikalische Ursachen zurückzuführen, könnten diejenigen, die mit solchen Hoffnungen sich tragen, in dieser Idee erblicken: da auch die magnetische Gravitation mechanisch (aus Stoß) gar nicht, sondern nur dynamisch (durch eine Ursache, die in die Ferne Bewegung mitteilt), erklärbar ist, so würden sie wenigstens durch die Annahme einer solchen Ursache der allgemeinen Schwere die gesunde Philosophie nicht so sehr vor den Kopf stoßen, als durch die Hypothese schwermachender Körperchen.

Ich bemerke nur noch, daß das positive Element des Magnetismus zuverlässig dasselbe ist, das im Licht sich offenbart; daß aber[585] ohne Zweifel die magnetische Polarität der Erde die ursprünglichste Erscheinung des allgemeinen Dualismus ist, der in der Physik weiter nicht abgeleitet, sondern schlechthin vorausgesetzt werden muß, und der in der elektrischen Polarität schon auf einer viel tieferen Stufe erscheint, bis er endlich in der Heterogeneität zweier Luftarten in der Nähe der Erde, und zuletzt in den belebten Organisationen (wo er eine neue Welt bildet), – für das gemeine Auge wenigstens – verschwindet.[586]

30

»solche wenigstens, die nie dem Feuer ausgesetzt wurden«. Zusatz der letzten Ausgabe.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907, S. 572-587.
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