B. Versuche über die Wirkungen der Elektrizität
I. Auf verschiedene Luftarten

[673] Unter allen Versuchen, welche van Marum in seiner Beschreibung der großen Elektrisiermaschine im Teylerschen Museum zu Harlem angestellt hat, scheinen mir diese über die Wirkung des elektrischen Strahls auf verschiedene Luftarten bei weitem die lehrreichsten.


1. Auf eine Mischung von Lebensluft und Stickluft

Schon im Jahr 1785 hat Cavendish bekannt gemacht, daß aus einer solchen Mischung durch den elektrischen Funken eine schwache Salpetersäure niedergeschlagen werde. Die Versuche, welche nachher van Marum anstellte, stimmen in der Hauptsache mit dieser Entdeckung überein (s. die angef. Beschr., erste Forts., S. 38). – Die Erklärung dieses Experiments ist allgemein bekannt.


2. Auf reine Lebensluft

Das Quecksilber, womit die Glocke gesperrt ist, wird verkalkt, die Lebensluft verhältnismäßig und fortgehend vermindert (van Marum, S. 39).[673]

Es ist merkwürdig, daß diese Luftart durch den elektrischen Strahl ebenso sehr, nur langsamer, vermindert wird, wenn sie mit Wasser gesperrt wird (S. 40). Sollte die positiv-elektrische Materie im Durchgang durch Lebensluft erst Oxygene aufnehmen? Diese Voraussetzung hat sehr viel für sich.

Wenn das Elektrisieren eine Art von Verbrennen wäre, so müßte reine Lebensluft, durch welche ein elektrischer Funken schlägt, phlogistisiert werden. Allein die Luft, die in den eben angeführten Versuchen zurückgeblieben war, zeigte, mit dem Eudiometer untersucht, keine merkliche – (also doch einige? – und welche?) – Verschiedenheit von nicht-elektrisierter Luft (a. a. O. S. 41).

Durch reine Lebensluft ging 15 Minuten der elektrische Strahl und verminderte ihr Volumen von 2 1/2 auf 2 1/8 Zoll, ohne daß an der Lackmustinktur, womit die Luft gesperrt war, die geringste Veränderung vorging (Das.).

Die elektrische Materie kann also weder, wie einige Schriftsteller glauben, eine schon gebildete Säure, noch einen Stoff mit sich führen, der etwa erst im Augenblicke der elektrischen Explosion oxydiert würde. Eine Säure entsteht nur dann, wenn der elektrische Funken durch eine Mischung von Sauerstoffluft mit einem Gas, das eine säurefähige Basis hat, geleitet wird.


3. Auf reine Stickluft

wirkt der elektrische Funken ausdehnend. Man kann nicht glauben, daß dabei eine Vermehrung der Grundstoffe dieser Luftart vorgegangen ist, denn sie zieht sich nachher wieder zu ihrem vorigen Volum zusammen (a. a. O.). Dasselbe geschieht mit kohlensaurer Luft (s. van Marums ersten Teil, S. 27).

Es wäre interessant, die Stickluft, welche der elektrische Funken ausdehnt, im Eudiometer zu untersuchen (ob sie sich da wieder zusammenzieht?), auch zu sehen, ob der Phosphor in ihr nicht leuchtet.[674]


4. Auf Salpeterluft

wirkt die Elektrizität als ein Zersetzungsmittel. Die salpetersaure Luft scheint auf bloße Stickluft reduziert zu werden (a. a. O. S. 42).


5. Auf entzündliche Luft

Nachdem der Strahl 10 Minuten lang durch solche Luft gegangen war, konnte man doch an der Lackmustinktur, mit der die Glocke gesperrt war, nicht die geringste Veränderung bemerken (S. 42).

Die Elektrizität vermindert das Volum der brennbaren Luft nicht (wie geschehen müßte, wenn sie etwa mit der letzteren zu Wasser zusammenträte). – Vielmehr wurde nach van Marum (a. a. O.) auch diese Luftart durch den elektrischen Strahl ausgedehnt.

Was aber sehr merkwürdig ist, ist, daß doch die Elektrizität auf entzündliche Luft dephlogistisierend zu wirken scheint. Durch den elektrischen Strahl wurde solche Luft in 15 Minuten von 3 Zoll auf 10 vermehrt: diese so ausgedehnte Luft hatte alle Entzündbarkeit verloren (a. a. O. S. 43). Diese Erfahrung scheint bis jetzt unerklärbar zu sein, könnte aber, weiter verfolgt, wichtig werden.


II. Auf Metalle
1. Verkalkung derselben in verschiedenen Luftarten

Die meisten Metalldrähte von gewisser Dicke und Länge verwandeln sich, wenn die Entladung durch sie hindurch geht, in einen dicken Rauch, worin man zugleich Fäden und Flocken aufsteigen sieht, die augenscheinlich aus dem Kalke des Metalls bestehen.

In Ansehung der Leichtigkeit oder Schwierigkeit der Verkalkung der Metalle durch Elektrizität beobachtet man die nämliche Stufenfolge, wie bei ihrer Verkalkung durch Feuer. Am leichtesten wird Blei und Zinn, schwerer schon Eisen, Messing, Kupfer, noch schwerer Silber verkalkt.

Die verschiedenen Grade der Oxydation, d.h. die größeren oder geringeren Quantitäten des Oxygenes, das die Metalle aufnehmen,[675] sind von verschiedenen Farben begleitet, die sie nach der Verkalkung annehmen oder auf dem Papier zurücklassen. Folgende Sätze sind die wichtigsten für unsern gegenwärtigen Zweck:

a) Keine Verkalkung eines Metalls durch Elektrizität geschieht, ohne daß damit eine Absorption von Oxygene aus der Luft verbunden wäre. – Dieser Satz beweist nichts gegen die Voraussetzung, daß das Oxygene ein Bestandteil der elektrischen Materie sei; denn nachdem durch den elektrischen Funken die Kapazität der Metalle für das Oxygene vermehrt ist, ist es natürlich, daß sie noch mehr von diesem Stoffe aus der Luft aufnehmen. Wirklich bemerkt man,

b) daß die Metalle durch die Elektrizität in einem höheren Grade oxydiert werden als durch Feuer: dies sieht man

aa) daraus, daß die Glühhitze der Metallkügelchen, die durch die elektrische Ladung gebildet werden, weit stärker ist, als die Glühhitze, welche eben diese Metalle durch das Feuer annehmen können. (Man s. van Marum a. a. O. S. 10.)

bb) Daraus, daß die Metalle durch Elektrizität oxydiert weit hellere Färben annehmen, als wenn sie im Feuer verkalkt werden. Es ist bekannt, daß die Metalle im Verhältnis des Grads ihrer Oxydation farbiger werden. (Man sehe die Kupfer, die dem angeführten Werke van Marums beigefügt sind.) Ohne Zweifel würde sich dieser Satz auch bestätigen, wenn man gleiche Massen, durch Feuer und Elektrizität verkalkt, mit der Wage untersuchte.

cc) Daraus, daß kein Metall (das Blei ausgenommen) durch Elektrizität in reiner Lebensluft stärker als in gemeiner Luft verkalkt wird. Dies ist nicht erklärbar, ohne anzunehmen, daß die elektrische Materie selbst Oxygene mit sich führt, oder daß sie wenigstens in der gemeinen Luft alles Oxygene vom Azote scheidet und um das Metall, das verkalkt werden soll, gleichsam sammelt.

Ich wiederhole die Frage, die ich schon in den Ideen zur Ph. d. N. getan habe, ob sich bei der Verkalkung kein Unterschied der negativen und positiven Elektrizität zeigt?[676] c) Auch durch Elektrizität kann kein Metall in einer Luftart, die kein Oxygene enthält, verkalkt werden. In Salpeterluft kann ein Metall durch Elektrizität verkalkt werden, weil sie jene Luftart zersetzt und ihr das Oxygene entzieht. – Ebenso im Wasser (wenn man 1/8 von der Länge nimmt, die in freier Luft verkalkt werden kann). Daß auch hier eine Zersetzung des Wassers vorgehe, beweist das (bei noch unvollkommenen Versuchen) erhaltene brennbare Gas.

Ob in Luftarten, die von Oxygene rein sind, eine Verkalkung durch Elektrizität möglich sei, ist noch sehr zweifelhaft. In Stickgas wenigstens gelang es van Marum auch dann nicht, wenn er den Draht nur halb so lang nahm, als er denselben in atmosphärischer Luft verkalken konnte (a. a. O. S. 25). Ob der Versuch in reinem entzündlichen Gas angestellt worden ist, weiß ich nicht. – Vielleicht würde mit negativer Elektrizität gelingen, was mit positiver nicht gelungen ist. – Hat vielleicht der Physiker Charles, der sogar Platina und Gold in brennbarer Luft verkalkt haben will, mit negativer Elektrizität experimentiert? –


2. Reduktion der Metalle

Es fragt sich, ob Metalle durch Elektrizität in sauerstoffleeren Luftarten nicht leichter als in andern reduziert werden? Ich kenne hierüber keinen entscheidenden Versuch.

Es ist leichter zu erklären, wie Metalle durch Elektrizität verkalkt, als wie sie durch dieselbe reduziert werden. Indes tut die positive elektrische Materie hierbei nichts anderes, als was das Licht auch, nur langsamer, tut. Es ist bekannt, daß die metallischen Halbsäuren durch Berührung des Lichts allmählich desoxydiert werden.

Sollten nicht die Metalle leichter verkalkt werden durch negative, leichter reduziert durch positive Elektrizität?


3. Schmelzung der Metalle

Es scheint, daß die Metalle durch Elektrizität auf andere Weise als durch Feuer geschmolzen werden. Van Marum hat in Ansehung[677] der verschiedenen Schmelzbarkeit der Metalle durch Elektrizität wenig Übereinstimmung gefunden mit ihrer verschiedenen Schmelzbarkeit durch Feuer. (Man s. die angef. Schr. S. 4.)

Zu S. 535. Einige Versuche sind hinreichend, sie außer Zweifel zu setzen oder zu widerlegen. In dem Jahr, da diese neue Auflage erscheint, nachdem aber längst höhere Ansichten dieser Gegenstände durch Wissenschaft und Erfahrung zu entschieden dargetan sind, als daß Experimente dieser Art wohl weiter als zur Untersuchung der äußeren und negativen Bedingungen der Elektrizitätserregungen dienen könnten, hat die Königl. Sozietät der Wissenschaften in Göttingen die Erweckung der Elektrizität in verschiedenen Luftarten zum Gegenstand einer Preisaufgabe gemacht.

Zu S. 538. Daß das hier aufgestellte Prinzip schon wegen des unbestimmten Ausdrucks der größeren Verwandtschaft, welcher ebenso viel bedeuten kann als: größere Leichtigkeit des Verbrennens, oder vielmehr als: Aufnehmungsfähigkeit einer größeren Quantität Sauerstoffs, beträchtliche Modifikationen leiden müsse, ist von selbst klar. Welches Gesetz der elektrischen Verhältnisse der Körper aber sich durch die Galvanisch-Volta'schen Versuche ausgesprochen habe, ist entweder zu bekannt, oder, inwiefern es dies nicht und noch zweifelhaft sein sollte, zu weitläuftig, um hier exponiert zu werden43.

Zu S. 555. Was mir, als ich diese Stelle niederschrieb, noch problematisch schien, ob die Witterungsveränderungen sich durch ein verändertes Verhältnis der beiden Grundbestandteile der Atmosphäre im Eudiometer darstellen lassen, hat sich inzwischen doch als möglich gezeigt. In Herrn v. Zachs geographischen Ephemeriden, April 1798, S. 497 ff. stehen einige hierher gehörige Beobachtungen des Herrn von Humboldt, die ich mit seinen eignen Worten hier anführe.

»Das Wasser ist die Hauptquelle des Sauerstoffgehaltes im Dunstkreise; im Nebel finde ich diesen Gehalt sehr groß, ebenso,[678] wenn es taut – das Schneewasser enthält nach Hassenfraz in seinen Zwischenräumen fast reine Lebensluft«.

»Bildet sich dagegen Wasser aus Luft im Dunstkreise – Schnee oder Regen –, so zeigen meine Eudiometer gleich weniger Lebensluft. – Das pflanzenlose Meer hat die reinste Luft, wegen der Verdampfung und Wasserzersetzung, und in dem feuchten London ist die Luft an Sauerstoff reicher als in den Toskanischen Fluren«.

Es wäre also jetzt durch Versuche sogar darstellbar, daß der Regen ein höherer atmosphärischer Prozeß ist. – Da gewöhnlich mit dem Regen die Barometer fallen, so wäre nun dieses Fallen leicht aus der Verminderung des Sauerstoffs im Dunstkreis zu erklären (vgl. oben S. 555), wenn nicht das Gesetz der Polarität, dem die Barometerveränderungen offenbar folgen (S. 569), auf etwas noch Höheres hinwiese.

Auf eine Verminderung des Sauerstoffgehalts der Atmosphäre und auf Zersetzungen der beiden Luftarten deuten nun auch andere Phänomene, z.B. die oft so schnell (ohne Nebel und Feuchtigkeit) veränderte Durchsichtigkeit der Luft, vorausgesetzt, daß die Luft ihre Durchsichtigkeit dem Oxygene verdankt (oben S. 494). Beim Sirocco schwanken alle Gestirne, die Strahlenbrechung wird vermindert: wirklich ist beim Sirocco mehr Stickluft im Dunstkreis, oft 0,03 weniger Oxygene. – Größer wird die Strahlenbrechung nach Untergang der Sonne bei zunehmender Kühle (welche immer anzeigt, daß das Oxygene in der Luft konzentriert ist, oben S. 555). In unsern Gegenden macht oft der Südwind die Luft, indem er sie erwärmt (das Verhältnis des Oxygenes in ihr vermindert), undurchsichtiger. – Man kann wohl nach solche Beobachtungen nicht mehr zweifeln, daß alle meteorologischen Veränderungen aus höheren Ursachen zu erklären sind, als bisher zu gescheiten pflegt.[679]


43

Dieser und der unmittelbar vorhergehende Passus (zu S. 535 und zu S. 538) sind in den späteren Auflagen hinzugekommen.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907.
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