§ 41. Subjekt des Erkennens und Objekt.

[157] Jede Erkenntniß setzt unumgänglich Subjekt und Objekt voraus. Daher ist auch das Selbstbewußtseyn nicht schlechthin einfach; sondern zerfällt, eben wie das Bewußtsein von andern Dingen (d.i. das Anschauungsvermögen), in ein Erkanntes und ein Erkennendes. Hier tritt nun das Erkannte durchaus und ausschließlich als Wille auf.

Demnach erkennt das Subjekt sich nur als ein Wollendes, nicht aber als ein Erkennendes. Denn das vorstellende Ich, das Subjekt des Erkennens, kann, da es, als nothwendiges Korrelat aller Vorstellungen, Bedingung derselben ist, nie selbst Vorstellung oder Objekt werden; sondern von ihm gilt[157] der schöne Ausspruch des heiligen Upanischad: Id videndum non est: omnia videt; et id audiendum non est: omnia audit; sciendum non est: omnia scit; et intelligendum non est: omnia intelligit. Praeter id, videns, et sciens, et audiens, et intelligens ens aliud non est.Oupnekhat. Vol. I, p. 202. –

Daher also giebt es kein Erkennen des Erkennens; weil dazu erfordert würde, daß das Subjekt sich vom Erkennen trennte und nun doch das Erkennen erkennte, was unmöglich ist.

Auf den Einwand: »Ich erkenne nicht nur, sondern ich weiß doch auch, daß ich erkenne«, würde ich antworten: Dein Wissen von deinem Erkennen ist von deinem Erkennen nur im Ausdruck unterschieden, »Ich weiß, daß ich erkenne«, sagt nicht mehr, als »Ich erkenne«, und dieses, so ohne weitere Bestimmung, sagt nicht mehr, als »Ich.« Wenn dein Erkennen und dein Wissen von diesem Erkennen zweierlei sind, so versuche nur ein Mal jedes für sich allein zu haben, jetzt zu erkennen, ohne darum zu wissen, und jetzt wieder bloß vom Erkennen zu wissen, ohne daß dies Wissen zugleich das Erkennen sei. Freilich läßt sich von allem besonderen Erkennen abstrahiren und so zu dem Satz »Ich erkenne« gelangen, welches die letzte uns mögliche Abstraktion ist, aber identisch mit dem Satz »Für mich sind Objekte« und dieser identisch mit dem »Ich bin Subjekt«, welcher nicht mehr enthält als das bloße »Ich.«

Nun könnte man aber fragen, woher uns, wenn das Subjekt nicht erkannt wird, seine verschiedenen Erkenntnißkräfte, Sinnlichkeit, Verstand, Vernunft, bekannt seien. – Diese sind uns nicht dadurch bekannt, daß das Erkennen Objekt für uns geworden ist, sonst würden über selbige nicht so viele widersprechende Urtheile vorhanden seyn; vielmehr sind sie erschlossen, oder richtiger: sie sind allgemeine Ausdrücke für die aufgestellten Klassen der Vorstellungen, die man zu jeder Zeit, eben in jenen Erkenntnißkräften, mehr oder weniger bestimmt unterschied. Aber sie sind mit Rücksicht auf das als Bedingung nothwendige Korrelat jener Vorstellungen, das Subjekt, von ihnen abstrahirt, verhalten sich folglich zu den Klassen der Vorstellungen gerade[158] so, wie das Subjekt überhaupt zum Objekt überhaupt. Wie mit dem Subjekt sofort auch das Objekt gesetzt ist (da sogar das Wort sonst ohne Bedeutung ist) und auf gleiche Weise mit dem Objekt das Subjekt, und also Subjektseyn gerade so viel bedeutet, als ein Objekt haben, und Objektseyn so viel, als vom Subjekt erkannt werden: genau eben so nun ist auch mit einem auf irgend eine Weise bestimmten Objekt sofort auch das Subjekt als auf eben solche Weise erkennend gesetzt. Insofern ist es einerlei, ob ich sage: Die Objekte haben solche und solche ihnen anhängende und eigenthümliche Bestimmungen; oder: das Subjekt erkennt auf solche und solche Weisen; einerlei, ob ich sage: die Objekte sind in solche Klassen zu theilen; oder: dem Subjekt sind solche unterschiedne Erkenntnißkräfte eigen. Auch von dieser Einsicht findet sich die Spur bei jenem wundersamen Gemisch von Tiefsinn und Oberflächlichkeit, dem Aristoteles, wie überhaupt bei ihm schon der Keim zur kritischen Philosophie liegt. De anima III, 8 sagt er: hê psychê ta onta pôs esti panta; (anima quodammodo est universa, quae sunt) sodann: ho nous esti eidos eidôn, d.h. der Verstand ist die Form der Formen, kai hê aisthêsis eidos aisthêtôn, und die Sinnlichkeit die Form der Sinnesobjekte. Demnach nun, ob man sagt: Sinnlichkeit und Verstand sind nicht mehr; oder: die Welt hat ein Ende, – ist Eins. Ob man sagt: es giebt keine Begriffe; oder: die Vernunft ist weg und es giebt nur noch Thiere, – ist Eins.

Das Verkennen dieses Verhältnisses ist der Anlaß des Streites zwischen Realismus und Idealismus, zuletzt auftretend als Streit des alten Dogmatismus mit den Kantianern, oder der Ontologie und Metaphysik mit der transscendentalen Ästhetik und transscendentalen Logik, welcher auf dem Verkennen jenes Verhältnisses bei Betrachtung der ersten und dritten der von mir aufgestellten Klassen der Vorstellungen beruht; wie der Streit der Realisten und Nominalisten, im Mittelalter, auf dem Verkennen jenes Verhältnisses in Beziehung auf die zweite unserer Klassen der Vorstellungen.[159]

Quelle:
Arthur Schopenhauer. Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Band 5, Zürich 1977, S. 157-160.
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