§ 44. Einfluß des Willens auf das Erkennen.

[162] Nicht auf eigentlicher Kausalität, sondern auf der § 42 erörterten Identität des erkennenden mit dem wollenden Subjekt beruht der Einfluß, den der Wille auf das Erkennen ausübt,[162] indem er es nöthigt, Vorstellungen, die demselben ein Mal gegenwärtig gewesen, zu wiederholen, überhaupt die Aufmerksamkeit auf dieses oder jenes zu richten und eine beliebige Gedankenreihe hervorzurufen. Auch hierin wird er bestimmt durch das Gesetz der Motivation, welchem gemäß er auch der heimliche Lenker der sogenannten Ideenassociation ist, der ich im 2. Bande der Welt als W. und V. ein eigenes Kapitel (das 14.) gewidmet habe, und welche selbst nichts Anderes ist, als die Anwendung des Satzes vom Grunde, in seinen vier Gestalten, auf den subjektiven Gedankenlauf, also auf die Gegenwart der Vorstellungen im Bewußtseyn. Der Wille des Individuums aber ist es, der das ganze Getriebe in Thätigkeit versetzt, indem er dem Interesse, d.h. den individuellen Zwecken der Person gemäß, den Intellekt antreibt, zu seinen gegenwärtigen Vorstellungen die mit ihnen logisch, oder analogisch, oder durch räumliche, oder zeitliche Nachbarschaft verschwisterten herbeizuschaffen. Die Thätigkeit des Willens hiebei ist jedoch so unmittelbar, daß sie meistens nicht ins deutliche Bewußtseyn fällt; und so schnell, daß wir uns bisweilen nicht ein Mal des Anlasses zu einer also hervorgerufenen Vorstellung bewußt werden, wo es uns dann scheint, als sei Etwas ohne allen Zusammenhang mit einem Andern in unser Bewußtseyn gekommen: daß aber dies nicht geschehn könne, ist eben, wie oben gesagt, die Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, und hat in dem erwähnten Kapitel seine nähere Erörterung gefunden. Jedes unserer Phantasie sich plötzlich darstellende Bild, auch jedes Urtheil, das nicht auf seinen vorher gegenwärtig gewesenen Grund folgt, muß durch einen Willensakt hervorgerufen seyn, der ein Motiv hat, obwohl das Motiv, weil es geringfügig, und der Willensakt, weil seine Erfüllung so leicht ist, daß sie mit ihm zugleich daist, oft nicht wahrgenommen werden.

Quelle:
Arthur Schopenhauer. Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Band 5, Zürich 1977, S. 162-163.
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Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde
Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde /Über den Willen der Natur